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Wasser und Klang
physikalische Phänomene erleben und verstehen
Interview mit Dr. Erich Bäuerle, Meeresphysiker
„Nur ein Unterricht, der die Formen und Inhalte kindlicher Welterkundung respektiert und zum Ausgangspunkt seiner pädagogischen Bemühungen werden lässt, gibt der Schule die nötige Rechtfertigung, Teil des Lebens der Kinder und Jugendlichen zu sein. Einseitige Belehrung macht unkenntlich, worum es eigentlich geht und entzieht den Kindern die Aufmerksamkeit dafür, worüber man sie unterrichten will.“
Martin Wagenschein, deutscher Physiker und Pädagoge
Schwingende Steine, tanzendes Wasser, geheimnisvoll tönende Röhren – besucht man Erich Bäuerles Installationen im Wendland, kommt man ins Staunen und Experimentieren. In einer großen Klangschale hüpft das Wasser tänzerisch in die Höhe, in einem Drehzylinder bildet der Sand blütenartige Muster, als Pendel aufgehängte Steine schwingen miteinander in geordneter Weise. Hinter allem stehen physikalische Gesetze. Es ist das Anliegen von Erich Bäuerle, die Menschen, vor allem die Kinder, zuerst mit Spaß und Lust ans Tun heranzuführen. Durch die sinnliche Erfahrung offenbaren sich dann die zugrunde liegenden Prinzipien.
Dr. Erich Bäuerle hat an verschiedenen Orten in Europa (siehe Ende des Interviews) seine Installationen aufgebaut, macht auf spielerische Weise Führungen und erklärt dazu die physikalischen Gesetze. Der Meeresphysiker war ehemals wissenschaftlicher Angestellter am Kieler Institut für Meeresforschung. Nach einer fünfjährigen Anstellung incl. Promotion hat er sich selbständig gemacht und – andererseits – erste Kontakte zur „Kunstszene“ geknüpft. Ein mehrjähriges Zwischenspiel ergab sich am Bodensee im Sonderforschungsbereich der Universität Konstanz, wo er für den Kontakt zwischen Biologie und Physik zuständig war. Seine Installationen hat er in vierzig Jahren nach und nach aufgebaut.
Christine Pflug: Zeigen Sie mit Ihrem „Wasserklangpfad“ auf spielerische Weise physikalische Phänomene?
Dr. Erich Bäuerle: Ich zeige Phänomene, die auch physikalisch betrachtet und mit physikalischen Begriffen beschrieben werden können. Ich beschreibe aber nicht die Phänomene der Physik, sondern stelle als Physiker Naturphänomene dar.
C. P.: Beispielsweise dreht man auf einer Drehscheibe einen runden, mit Wasser gefüllten Behälter, auf dessen Boden Sand ist. Wenn man dann den Drehschwung anhält, bildet der Sand geordnete Strukturen. Was speziell zeigt sich daran?
E. Bäuerle: Es ist ein Drehzylinder – wir nennen ihn „Sandrifuge“. Beim Drehen entsteht eine zentrifugale Wirkung: Der Sand wird an den Rand geschleudert und beim Anhalten in die Mitte getrieben.
Natürlich ist so eine kreisrunde Form künstlich, aber die Muster sind ähnlich wie die, die sich auf dem Grund der Elbe bilden oder bei den Wanderdünen in der Wüste. Durch das Wechselspiel zwischen dem beweglichen Sand und Wasser oder Wind entstehen solche Strukturen. Durch die runde Versuchsanordnung entsteht etwas, das wir als schön und ästhetisch erleben. Wie sich diese Muster absetzen und aufbauen, versucht der Physiker zu beschreiben.
C. P.: Diese runden Sandformen erinnern an Blütenformen, man könnte auch Ähnlichkeiten zu Rudolf Steiners Planetensiegeln sehen – wie kann man das physikalisch beschreiben?
E. Bäuerle: Gerade dieser Versuch hätte das Niveau einer Doktorarbeit, die schwierig zu schreiben wäre. Es gibt eine ähnliche Simulation im Labor, die ist wunderschön anzusehen, aber wenn man die physikalische Darstellung liest: kläglich, wie das in physikalisch-mathematischen Formulierungen beschrieben wird, bzw. beschrieben werden kann. Wenn in der Mitte der Berg ist, aus dem sich die Buchten rausgraben: Das sind komplexe Unterwasserstürme. Vom Physikalischen her ist es schier unmöglich das zu beschreiben, vom Künstlerischen her würde ich sagen: Warum soll da etwas anderes als Symmetrie entstehen? Aufgrund der Versuchsanordnung muss auch das Ergebnis des hochkomplexen Geschehens regelmäßig sein; und das spricht unser ästhetisches Empfinden an.
Chaos und Harmonie stehen in enger Beziehung zueinander
C. P.: Es ist rhythmisch angeordnet, ähnlich wie bei Eiskristallen oder Blumen.
E. Bäuerle: Das Chaotische spricht uns nicht so an, sondern wenn es in eine Harmonie kommt, die wir auch als solche definieren. Das kann man auch in der Musik erleben.
Der Mensch denkt seit jeher bevorzugt linear, in dem Moment, wo etwas rotiert, wird er unsicher: Es fällt ihm schwer, solche Vorgänge räumlich und gedanklich nachzuvollziehen. Aber um die Natur zu verstehen, müssen wir das üben. Kommen zu der Rotation – wie bei den Unterwassersandstürmen in der sich drehenden Sandrifuge – auch noch chaotische Prozesse hinzu, verlieren wir den Überblick, um dann mitzuerleben, wie sich harmonische Strukturen herausbilden.
Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Chaos von den Naturwissenschaftlern gemieden. Es war bahnbrechend als Henri Poincaré postulierte, dass Planetensystem nur scheinbar streng harmonisch sei. Es ist auch sehr viel Chaos dabei. Wobei es erstaunlich ist, dass Chaos und Harmonie in so enger Beziehung zueinander stehen – das Planetensystem wäre ohne Chaos gar nicht möglich.
C. P.: Wenn beispielsweise Kinder kommen, entweder mit den Eltern oder in Schulklassen – wie bringen Sie denen die Sandrifuge näher?
E. Bäuerle: Man kann den Kinder erklären, dass sie das vom Karussell her kennen: Je weiter man vom Zentrum weg ist, desto mehr wird man nach außen geschleudert. Man sieht bei der Sandrifuge, wie der Hügel in der Mitte immer kleiner wird. Theoretisch würde das letzte kleine Sandkorn in der Mitte bleiben und sich um seine eigene Achse drehen, aber die kleinste Störung bringt es dann weg von der Mitte, und dann ist es auch am Rand.
Es ist ganz wichtig, dass man das gegenüber Kindern als „Fliehkraft“ und nicht als „Zentrifugalkraft“ bezeichnet, weil die Kinder mit Fliehkraft etwas anfangen können. Die Kinder sollen das, was sie sehen, beschreiben, und erst wenn sie größer sind, können sie abstrahieren.
C. P.: Wie reagieren die Kinder auf die Sandrifuge?
E. Bäuerle: Sie wollen sie unbedingt selber drehen und experimentieren mit einer unglaublichen Ausdauer. Das ist schön mit anzusehen. Ich hatte eine Sandrifuge in einem Kindergarten installiert, und nach vier Jahren spielen die Kinder immer noch täglich damit. Sie experimentieren: Die eine Fraktion will immer das Gleiche wiederholen, die anderen wollen unbedingt andere Figuren herstellen. Manche legen Kieselsteine rein und wollen sehen, was dann passiert. Das sind kleine Forscher. Eigentlich ist es kindgemäß, dass sie solche Dinge immer wieder ausprobieren wollen, aber sie werden korrumpiert durch Fernsehen, zu frühe Korrekturen durch die Erwachsenen usw. Bei mir dürfen sie völlig frei experimentieren, ich lege nicht fest, was sie machen sollen – und wenn diese Freiheit da ist, dann werden sie auch aktiv.
C. P.: Wenn man Ihre Klangschale betrachtet: Welche Phänomene werden daran deutlich?
E. Bäuerle: Man schlägt das Metall an, und das klingt. Die Obertöne treten allerdings nicht in harmonischen Relationen zum Grundton auf. Eine Glocke ist das Extrem von so einer gewölbten Scheibe: Auch sie hat ihren tiefen Ton (den Summton“), den man aber nur direkt über (oder unter) der Schale hört, wenn man mit dem Ohr dran geht. Das ganze Spektrum von Obertönen ist bei der Schale ähnlich komplex wie bei der Glocke.
die ganze Schale kommt zum Schwingen
C. P.: Sie haben dann einen langen Holzstab, mit dem Sie an der Klangschale entlang streichen – was passiert da?
E. Bäuerle: Wenn man auf die Schale drauf schlägt, hat man die ganze Mischung von Grund- und Obertönen. Durch den Vorgang des Streichens kann man die einzelnen Obertöne separat anregen, mit einer Technik ähnlich wie beim Spielen einer Geige oder eines Cellos. Der Musiker legt seinen Geigenbogen auf die Saiten, streicht darüber, und es klingt wunderschön – der Physiker bekommt eine Krise und sagt: Wir haben erst unsere Saite, die klingt, dann legt man etwas drauf, und das dürfte dann eigentlich nicht mehr klingen. Aber schrubbt man mit dem, was drauf liegt, rauf und runter, klingt es wundervoll. Da fragt man sich, wie das überhaupt sein kann. Man muss sich klar machen, wie schnell es vor sich geht, dass z.B. 400 oder 800 Schwingungen pro Sekunde ertönen: Der Geigenbogen liegt manchmal auf, und manchmal gibt er die Saite frei, und das ist es, was man für hundertstel Sekunden hört. Das Zusammenspiel von Geigenstrich und Saitenschwingung, das macht die wahre Kunst des Geigen- oder Cellospiels aus. Für den Physiker eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit!
Und so ähnlich ist es bei der Klangschale: Man streicht mit dem Holzstab am Rand entlang, und der Stab reißt das Metall so mit, dass die ganze Schale zum Schwingen kommt; man kann mit ein bisschen Übung die unterschiedlichen Obertöne einzeln anstreichen. Welche genau das sind, liegt an der Rauheit des Stabs.
Als Phänomen kennt man das auch, wenn man mit einem feuchten Finger an einem Weinglas reibt: Man bringt das ganze Glas zum Schwingen; je nachdem wie voll es ist, entstehen verschiedene Töne.
„Faradaysche Instabilität“: Zuerst gibt es die Wellen, und wenn es noch heftiger wird, entstehen die Spritzer
C. P.: Und dass in der Schale rundum kleine Fontänen hochspritzen – woran liegt das?
E. Bäuerle: Die Schale geht minimal – aber nur an bestimmten Stellen – ganz schnell rauf und runter, und damit geht auch das Wasser ganz schnell rauf und runter. Wenn das heftiger wird, bilden sich oben, an der Wasseroberfläche, kleine Wellen, und wenn es noch stärker wird, werden die Kämme von den Wellen so spitz, dass sich Tropfen herauslösen. Das hat der englische Physiker Michael Faraday vor ca. 150 Jahren beschrieben: Er sah das, als Bierfässer bei Regen über Kopfsteinpflaster durch London gefahren wurden. Er hat es beobachtet und physikalisch beschrieben, und deshalb nennt man das „Faradaysche Instabilität“: Zuerst gibt es die Wellen, und wenn es noch heftiger wird, entstehen die Spritzer.
„inverser Regen“, also Regen von unten nach oben
Ein Freund von mir nannte das „inversen Regen“, also Regen von unten nach oben.
C. P.: Wie reagieren darauf die Kinder?
E. Bäuerle: Zunächst sind sie verblüfft, dann spüren sie die Tropfen und die Vibration, und manche fangen ganz spontan an zu tanzen – auf ihre Weise machen sie Bewegungen nach.
Zeit mal Zeit geteilt durch vier als Regel ergibt ziemlich genau das gleiche Ergebnis wie die Formel
C. P.: Wie kann man die Installation mit den Pendeln physikalisch erklären?
E. Bäuerle: Das einfachste schwingende Gebilde ist ein Pendelgewicht an einer Schnur, und je länger die Schnur, umso länger braucht es für einen Pendelschlag. Die Formel für den Zusammenhang zwischen der Schwingungszeit T und der Länge L (und so lernt man das in der Schule) lautet und damit lässt sich in der Praxis für gewöhnlich nichts anfangen – man vergisst es schnell wieder.
Man könnte es mit einer ganz kleinen Ungenauigkeit auch formulieren als: Die Länge des Pendels ist Schwingungszeit mal Schwingungszeit geteilt durch 4, und dann hat man die Länge in Metern. Beim Sekundenpendel ist die Zeit (in Sekunden) die 1, wenn sie mit sich mal genommen wird (1×1), ergibt sich 1, geteilt durch 4 ist das ein Viertel, und ein Viertel Meter sind 25 cm. Wenn man 25 cm von Aufhängungspunkt zum Zentrum des Pendels hat, dann ist das ein Sekundenpendel. So kann man ein zwei-, drei-, fünf-Sekundenpendel machen. Bei einem Minutenpendel geht die Rechnung so: 60 x 60 = 3.600, geteilt durch 4 ist 900, also braucht es eine 900 Meter lange Schnur; das dauert eine Minute, bis das Pendelgewicht hin und her geschwungen ist. Zeit mal Zeit geteilt durch vier als Regel ergibt ziemlich genau das gleiche Ergebnis wie die Formel, und ist – im Gegensatz zu dem Schreckgespenst der Formel – in der Praxis leicht handhabbar.
Durch die Längen kann man also die Schwingungszeiten einstellen. Wenn es dann harmonisch wie in der Musik sein soll, richtet man es so, dass das untere der Pendel vier Pendelschläge macht, während das mittlere fünf und das obere sechs Pendelschläge macht. Dann lasse ich diese Pendel gleichzeitig los, und nach vier Pendelschlägen vom unteren, nach fünf vom mittleren, nach sechs vom oberen sind alle drei Steine wieder in der Ausgangslage, und dann geht der nächste Zyklus wieder los. Es gibt Theorien, dass der Wohlklang von Tönen dadurch entsteht, dass sich das zeitliche Muster der Töne bei konsonanten Intervallen relativ schnell wiederholt und es so für das Ohr gefällig ist.
Die neueren Komponisten sagen allerdings, wie langweilig so ein Dur-Dreiklang sei. Was man als konsonant oder dissonant empfindet, ist auch eine Sache der Kultur, eine Oktave ist in allen Kulturen ein Wohlklang, eine Quinte gerade auch noch, die Terz erlebte man vor 3.000 Jahren noch als dissonant, inzwischen lebt man damit. Bei Vierteltönen zieht es manchen „die Schuhe aus“, und andere finden es dann erst richtig schön.
er hat die Regel durchbrochen, und so kam Spannung hinein
C. P.: Ist das eine Brücke von Ihren Anschauungsphänomenen mit den Pendelbewegungen zur Musik, bzw. den physikalischen Erklärungen, die dazu gehören?
E. Bäuerle: Das gehört zusammen. Bach war einer der genialsten Mathematiker seiner Zeit. Wenn man seine Musik nach mathematischen Prinzipien analysiert ergeben sich durchweg mathematisch stimmige Proportionen, und dann kommt der erstaunliche Moment: Wenn er in der Fuge nicht ein paar wenige Ausnahmen gemacht hätte, wäre es langweilig geworden. Er hat die Regel durchbrochen, und so kam Spannung hinein.
In der Schule gehören Mathe, Musik und Physik zusammen. Oder auch Physik, bildende Kunst und Biologie. Fällt z.B. ein Tropfen ins Wasser, und bilden sich schöne Formen, die wie Unterwasserpflanzen aussehen, könnte dazu sowohl ein Physik-, ein Kunst- oder ein Biologielehrer etwas sagen. So geht der ganze Unterricht hin und her, und das wäre eine lebendige Form, bei der die Kinder erfüllt nach Hause gehen.
mit dem „Wanderzirkus der Phänomene“ Schulen besuchen
C. P.: Wären Sie bereit, mit Ihren Installationen in Schulen zu gehen oder auch im Wendland Klassen zu empfangen?
E. Bäuerle: Ja, gerne, und das läuft auch schon so. Vor einigen Wochen hatte eine Klasse aus der Rudolf Steiner Schule Harburg hier in der Nähe ihr Vermessungspraktikum gemacht, und bei der Gelegenheit haben sie einen Abstecher zum WasserKlangPfad gemacht; das Feedback von der Lehrerin war, dass die Kinder völlig begeistert waren. Ich merke schon, dass bei einer Waldorfschule oder anderen freien Schulen die Kinder von sich aus viel mehr mitmachen.
Im Herbst beginne ich mit einem „Wanderzirkus der Phänomene“ und werde Schulen besuchen.
Kontakte bestehen zu Schloss Freudenberg; dort stehen schon seit längerem einige „unserer“ Klangschalen. Ebenso habe ich Kontakte zum Institut für Strömungswissenschaften in Herrischried. Im Barfußpark in Egestorf und im Erlebnispark Hexenwasser in Söll in Österreich konnte ich einige meiner Ideen umsetzen. Der WasserKlangPfad ist im Wendland eingebunden in die Kulturelle Landpartie und das „Wendland hautnah“.
150 Klangschalen für Menschen aus allen Kulturen
Eines meiner liebsten zukünftigen Projekte ist es, im Wendland auf einer Wiese an der Elbe (oder anderswo), sagen wir mal, 150 unterschiedlich klingende Klangschalen aufzubauen, so dass es 150 Töne gibt. Es ist die Aufforderung an die Menschen, egal aus welchem Kulturkreis oder aus welcher Bildungsschicht, sich die Töne rauszusuchen, mit denen sie Musik machen wollen. Ein Hintergedanke war, dass unsere Flüchtlinge etwas an die Hand bekommen, mit dem wir ohne die üblichen Sprachbarrieren etwas zusammen machen können. Ich habe bei syrischen Familien erlebt, dass sie auf beeindruckende Weise Musik machen können. Mein Traum ist, dass einer aus dem Kongo, aus Nigeria, Syrien, Afghanistan und anderen Ländern mit den Klängen dieser Schalen zusammen musizieren.
Wasser und Klang – wenn man diese beiden Phänomene hat, mehr braucht man nicht.