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„Freies Geld für freie Kunst“
Eine neue Förderinstitution für Kunst und Kultur
Interview mit Tille Barkhoff, Amadeus Templeton, Matthias Zaiser
Wie kann Geld zu Kunst werden? Die neue in Gründung befindliche Zukunftsstiftung für Kunst und Kultur der GLS Treuhand und der Gemeinnützigen Treuhandstelle Hamburg hat die Gelegenheit zur Initiierung für ein „Open Source Konto“, auf das jeder einzahlen kann und von dem Künstlerinnen und Künstler abheben können, gegeben.
Denn schöpferische Prozesse fördern gesellschaftliche Entwicklung!
Mit-Initiatoren des „Open Source Konto“ sind Studierende aus fünf Universitäten: dem Studiengang für Kultur- und Medienmanagement an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg, der Leuphana Universität Lüneburg, der Universität Witten/Herdecke, der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft Alfter und der Zeppelin Universität Friedrichshafen.
InterviewpartnerIn:
Tille Barkhoff: ist als freischaffende Eurythmistin in Hamburg pädagogisch, therapeutisch und künstlerisch tätig. Mitglied im Treuhandrat der Gemeinnützigen Treuhand-Stelle (GTS) Hamburg. „In diesem Zusammenhang kam die Frage auf, ob die Hamburger Treuhandstelle eine Förderinstitution für Kunst und Kultur aufbauen könnte, gemeinsam mit der GLS-Treuhand in Bochum.“
Amadeus Templeton: Cellist. Gründer von Concerti (Musikmagazin) und TONALi, einem international agierenden Kulturprojekt, das junge Menschen zum Spielen, Organisieren und Hören von klassischer Musik bringt.
Matthias Zaiser: Vorstand der Gemeinnützigen Treuhandstelle Hamburg und Unternehmensberater tätig in gemeinnützigen und ökologischen Unternehmen.
Die Gemeinnützige Treuhandstelle Hamburg wurde vor 30 Jahren gegründet als Geschwisterorganisation der GLS-Treuhand, die damals Gemeinnützige Treuhandstelle Bochum hieß. Letztere war die Keimzelle aus dem auch die GLS-Bank entstanden ist. Sie berät Menschen die Geld stiften und spenden möchten und ist damit sozusagen die „Bank des Schenkens“.
Christine Pflug: Ihr gründet eine innovative Förderinstitution für Kunst und Kultur. Welchen Stand hat Kunst und Kultur in unserer Gesellschaft? Und warum ist diese Förderung notwendig?
Amadeus Templeton: Ich finde, Kultur hat einen guten Stand, zumindest hier in Deutschland. Im Land der Dichter und Denker ist Kunst und Kultur sehr angesehen. Sie hat viel Rezeption, wird gepflegt, finanziert, ausgebildet, vermittelt – und ist trotzdem gefährdet. Es geht darum, nicht nur das kulturelle Erbe zu erhalten, sondern auch das Entstehen von relevanter Kunst zu initiieren. Deshalb gilt: Alle, die sich für Kunst und Kultur interessieren, müssten sich auch stetig für ihren zukünftigen Fortbestand einsetzen.
Kunst mit gesellschaftlicher Wirkung, die den Menschen darüber hinaus in Beziehung zum gesamten Kosmos und allem, was uns umgibt, bringt.
C. P.: Was wäre die wünschenswerte Kunst?
A. Templeton: Eine Kunst, die sich ihrer gesellschaftlichen Wirkung und Verantwortung bewusst ist, die den Menschen darüber hinaus in Beziehung zum gesamten Kosmos und allem, was uns umgibt, bringt. Und das gilt es zu pflegen.
Tille Barkhoff: Der französische Theaterpädagoge Jacques Lecoq sagt: Jeder Künstler sollte seine Sinne schulen und vertiefen. Er tritt damit eine Reise an „zur Begegnung mit dem verwesentlichtem Leben, hin zu dem poetischen Grund“, den jeder Mensch in sich trägt; der sich aus all unseren Wahrnehmungen und Eindrücke bildet. Nach Lecoq gestaltet nur der Künstler, der tief empfinden kann, dann aus einer allgemeingültigen, auch für andere Menschen bedeutungsvollen Erlebnisebene. Erst die vertiefte Wahrnehmung ermöglicht dem Künstler so schöpferisch tätig zu werden, dass sein Werk über das hinaus geht was schon besteht, dass er Neues findet.
alltägliche Intuition
C. P.: Damit sind wir bei der Frage: Was gibt die Kunst der Gesellschaft?
A. Templeton: Ich würde die Frage lieber so formulieren: Wie kann aus einem künstlerischen Wert ein gesellschaftlicher Wert werden? Das ist vielleicht doch das Zentrale: dass eine differenzierte Kunst die Kraft in sich trägt, eine heterogene, eine offene Gesellschaft zu bilden, sie zusammenzuhalten, ihr Teilhabe zu stiften und eine voraussetzungslose Beziehungsfähigkeit zu stimulieren.
T. Barkhoff: Ich glaube, dass solche Momente ähnlich sind wie das, was Rudolf Steiner die alltägliche Intuition nennt. Er beschreibt sie als den Moment, in dem wir intuitiv erfassen, was eine Situation braucht und aus der heraus wir dann handeln. Er spricht ja von Erziehungskunst, Heilkunst etc. Viele Aufgaben und Entscheidungen, vor die wir heute gestellt werden, sind so komplex, dass wir diese Fähigkeit brauchen. Ich meine, dass der Umgang mit Kunst sie stärkt. Freiräume dafür zu schaffen, ist ein Anliegen von uns.
A. Templeton: Otto Schily hat auf den Punkt formuliert, welche gesellschaftlich-präventive Bedeutung die Ausübung von Kunst hat: „Wer Musikschulen schließt, schadet der inneren Sicherheit“. Wenn wir uns diesen Zusammenhang klarmachen, dann ist auch klar, wie wichtig die Förderung von Kunst und Kultur, bzw. die Förderung von kultureller Bildung ist und bleibt.
Matthias Zaiser: Kunst ist als solche ein wesentlicher Teil der Kultur, sie ist mehr als reine Kulturtechnik. Wir definieren sie als Humus der Gesellschaft, die wir damit aufbauen und erneuern wollen.
niemand entscheidet, welche Kunst die „richtige“, die „zweckmäßige“, die „förderwürdige“ ist
C. P.: Soll also die Förderung in einem Austausch geschehen zwischen Förderern und Künstlern?
A. Templeton: Zunächst gehört das Konto niemandem, außer dem Zweck selbst, d. h. der Kunst und Kultur im oben genannten Sinne. Kein Gremium steuert hier, niemand entscheidet, welche Kunst die „richtige“, die „zweckmäßige“, die „förderwürdige“ ist. Es gibt keinen Kontoinhaber. Es geht darum, alles an Organisation wegzulassen, was zwischen dem Geben (Fördern) und dem Nehmen (gefördert werden) steht. Jede übliche Förderinstitution wie Stiftung oder Verein hat eine ordnende Satzung, einen bestimmenden Vorstand, den beaufsichtigenden Staat. Wie frei bleibt da die Kunst? Wie viel Verwertungsinteresse ist hier im Spiel? Wir haben einen Ansatz gefunden, der konsequent dem Freiheitsgedanken folgt, der ein gegenseitiges, verantwortungsvolles Bewusstsein auf Seiten der Geber wie der Nehmer schult, der vielleicht so grundsätzlich ist, dass aus einem Konto ein Sozialprojekt wird, das viel mehr als den gemäßen Transfer von Geld für Kunst regelt.
M. Zaiser: Wir haben es „Offenes Konto Kunst“ genannt. Die einen können auf das Konto einzahlen, die anderen können abheben und damit ihre Kunst machen. Wie dann die Community (bestehend aus Förderern und Künstlern), die sich über das digitale Konto vernetzt, auch real miteinander ins Gespräch kommt – das ist der entscheidende Punkt. Die Förderer sollen wahrnehmen können, wie aus Geld Kunst wird.
Kunst ist so vielschichtig und so verschieden geworden
T. Barkhoff: Wir haben in unserem Gründungsprozess mit Studierenden aus fünf verschiedenen Hochschulen zusammen gearbeitet, die Kulturmanagement oder Kunst studieren, um die Generation miteinzubeziehen, die in den nächsten Jahren in diesem Bereich tätig sein wird. Wir haben die Idee des „Offenen Konto Kunst“ mit ihnen zusammen entwickelt.
Wir wollen durch das Konto den Diskurs über Kunst anregen. Er soll innerhalb der Community von Künstlern und Förderern geführt werden, die sich über das Konto vernetzen. Jede Beschäftigung mit diesen Fragen ist ja schon etwas, das Kunst und Kultur fördert. Kunst ist so vielschichtig und so verschieden geworden, sie findet nicht mehr nur auf der Bühne statt. Außerdem sollen regelmäßige Veranstaltungen stattfinden, um die Künstler und um deren Kunst auch für die Förderer sichtbar bzw. erlebbar zu machen.
A. Templeton: Spannend wird es, wenn ich das „Offene Konto Kunst“ bildhaft denke, wenn ich es mit einem klaren Bergsee vergleiche, der von zahlreichen Wasserfällen gespeist wird, wenn ich mir den bedeutenden Fluss vor Augen halte, der aus dem Bergsee entspringt, wenn ich die sozialen Gemeinschaften visualisiere, die auf angrenzenden Feldern das Land kultivieren, es fruchtbar machen, es besiedeln. Interessant wird es, wenn ich die Metapher weiterdenke und überlege, wohinein der Fluss mündet, wie er immer genug Wasser führen kann und wann es zu Spannungen derer kommt, die vom Wasser des Flusses abhängen, die mit dem Wasser ihre Felder bestellen. Das Bild des Bergsees, des Flusses und der Felder entspricht dem Initialgedanken unseres Kontos. Mit diesem Gedanken haben wir klar bekommen, wie das Konto unter allen Aspekten funktioniert, wie ein möglicher Missbrauch der Mittelverwendung verhindert werden kann, wie Anreize für die geschaffen werden, die auf das Konto einzahlen sollen, wie das Konto zu einem ganzheitlichen Sozialprojekt werden kann.
C. P.: Auf der einen Seite sind diejenigen, die das Geld abheben, also die Künstler. Wer genau ist auf der anderen Seite?
T. Barkhoff: Kulturinteressierte Menschen, die eine „freie Kunst“ fördern wollen, die Vertrauen in Künstler setzen, die Interesse an einem beispiellosen Sozialprojekt haben.
Wie genau es sich entwickeln wird, werden wir aber erst sehen… Wir starten ja ein Experiment!
C. P.: Jetzt noch mal zu Eurem Verständnis von Kultur: Der Prozess, den Ihr beschrieben habt, wäre ja eine Sozialkunst. Wenn jetzt jemand käme, der von sich sagt, er sei Sozialkünstler, im Sinne von Beuys „sozialer Plastik“, verhilft den Menschen besser zu kommunizieren o.ä. – wäre das auch jemand, der von Euch Geld beantragen könnte?
M. Zaiser: Kunst bedeutet, radikal im Sinne der Anthroposophie gesehen, dass der Mensch an seine höheren Wesensglieder angeschlossen wird. Das kann durch einen Künstler passieren oder durch Sozialkunst. Wir wollen das nicht definieren, sondern es kommt auf den „Funken“ selbst an und die dazugehörige Abstimmung in der Gruppe. Das sind die Herausforderungen und auch das, was Spaß machen darf.
A. Templeton: Das Konto steht dabei wie ein Freiheitssymbol in der Gesellschaft und verdeutlicht die Beziehung zwischen Geber und Geber und nicht zwischen Geber und Nehmer. Das heißt, auch derjenige, der etwas abhebt, ist ein Geber. Er gibt dem Konto überhaupt seine Berechtigung.
man muss sich kennen, und man muss sich selbst die Regeln geben
M. Zaiser: Hierzu ein Zitat von Elinor Ostrom, die 2009 den Wirtschafts- Nobelpreis bekommen hat für ihre Forschungen zum Thema Commons, d. h. Gemeingüter. Sie belegt, dass insbesondere unter zwei Bedingungen eine Gemeingutökonomie effizienter und ökologischer produzieren kann, als das gängige System: Man muss sich kennen, es darf also nicht anonym sein, und man muss sich selbst die Regeln geben und sie auch selber durchsetzen. Das ist sehr faszinierend!
T. Barkhoff: Deshalb sollte die Gemeinschaft vor allem zu Beginn nicht zu groß werden. Sie muss langsam wachsen, um aus den Erfahrungen miteinander zu lernen. Vielleicht wird es später sogar deutschlandweit verschiedene Gemeinschaften geben, weil wir bemerken, dass die Kontogemeinschaft nicht zu groß werden darf, um gegenseitige Wahrnehmung zu ermöglichen und damit die Beteiligten sich selber ihre individuellen Regeln geben können.
Wir wollen für das Konto aber auch alle digitalen Möglichkeiten nutzen, um transparent sichtbar zu machen, welche Bewegungen passieren und damit die Community sich interaktiv austauschen kann. Wir sind in Entwicklung mit einem professionellen Programmierer, der sich auf diese Frage spezialisiert hat: Wie gestalten wir Gemeinschaftskonten? Dieses Anliegen scheint in der Luft zu liegen!
Die Zukunftsstiftung Kunst und Kultur soll aber auch wie bisher in der GLS-Treuhand und GTS lange erprobt Anträge bearbeiten. Das „Offene Konto Kunst“ soll als innovativer Forschungspool diese Tätigkeit ergänzen.
C. P.: Wer ist jetzt schon alles beteiligt?
T. Barkhoff: Matthias Zaiser und ich haben das Gespräch mit Professor Elmar Lampson, dem Präsidenten der Musikhochschule für Musik und Theater Hamburg, mit Prof. Dr. Rainer Flender, der das Institut für kulturelle Innovation leitet und auch mit Amadeus gesucht. Diese Gesprächspartner haben uns beraten und darin bestärkt, mit Studierenden zusammen zu arbeiten.
Um das Netzwerk auch zu anderen Hochschulen aufzubauen, haben Studierende aus verschiedenen Unis eingeladen.
M. Zaiser: Wir hatten sie eingeladen und ein kleines Stipendium vergeben; sie haben drei Klausurtage mit uns gearbeitet, das Thema durchdiskutiert und das „Offene Konto Kunst“ entwickelt.
Am 24. April um 19:30 ist jetzt die Auftaktveranstaltung in der GLS Bank in Hamburg, Düsternstraße 10 im 5. Stock. Sie sind herzlich eingeladen!