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Wie Konflikt zur Wandlung führt
Nachhaltiges Konfliktmanagement durch metanoische Mediation
Zusammenfassung eines Vortrages von Prof. Dr. Friedrich Glasl
Manche Konflikte lösen sich von alleine durch eine vernünftige Vereinbarung. Wenn der Streit aber eskaliert ist und die Betroffenen weiterhin in einer Beziehung miteinander bleiben, muss noch zusätzlich etwas getan werden. Wie kann man beiden Parteien aus ihrem schwarz-weiß-Denken dem andern gegenüber heraushelfen, so dass sie ihren verengten Blick wieder weiten können? Wie können sie sogar selbst mitfühlen, was sie dem anderen an Leid angetan haben? Ist das erreicht, haben sie eine tiefgehende Wandlung durchgemacht, die auch für die Beziehung eine nachhaltige Grundlage schafft.
Der Vortrag „Zwischen Kuhhandel und Therapie. Prinzipien der metanoischen Mediation. Konzepte und Methoden für nachhaltiges Konfliktmanagement“ fand am 29. April 2010 im Rudolf Steiner Haus statt und wurde veranstaltet vom Bernard Lievegoed Institut e.V. und dem Bau-Verein Hamburger Anthroposophen e.V.
Dr. Friedrich Glasl war Universitätsdozent der Universität Salzburg für Organisationsentwicklung und Konfliktmanagement und hat jetzt eine Gastprofessur an der Universität Tiflis in Georgien; er ist Mitbegründer der Unternehmensberatung Trigon Entwicklungsberatung (Graz, Klagenfurt, München, Wien), macht Mediation und Unternehmensberatung im In- und Ausland und hat mehrere Standardwerke zur Organisationslehre sowie zum Thema Konfliktmanagement und Mediation geschrieben.
Ich möchte darüber erzählen, wie bei Konflikten konstruktiv an einer Lösung der Konflikte oder an einer Lösung von den Konflikten gearbeitet werden kann.
Seit mehr als 20 Jahren gibt es für diese Tätigkeit eine eigene Berufsbezeichnung: Mediatoren. Mediatorinnen werden als externe Kraft in eine Gemeinschaft, Organisation oder auch bei Ehescheidung geholt, um den Betroffenen zu helfen, mit ihren Problemen klar zu kommen, und zwar so, dass sie damit besser leben können, als wenn die Fragen ungelöst blieben. Es kann beispielsweise sein, dass „lösen“ auch bedeutet, dass man sich trennt. Dabei ist es wichtig, wie diejenigen auseinander gehen: Sind sie verhakt miteinander, im Hass und mit Vorwürfen, oder können sie einander innerlich loslassen, so dass sie nicht Altes in eine neue Beziehung hineintragen?
Wenn beispielsweise in einer beruflichen Situation jemand mit einer Führungskraft nicht gut klar kommt und umgekehrt die Führungskraft auch nicht mit ihm, derjenige dann die Firma verlässt, scheint er an seinem neuen Arbeitsplatz die gleichen Probleme zu bekommen. Auch wenn er sich vorgenommen hat, dieselben Fehler nicht mehr zu machen. Bei Scheidungen gibt es ähnliche Erfahrungen. Der Schweizer Psychoanalytiker Jürg Willi hat sehr gut erforscht und beschrieben, dass dieselben Muster immer wieder auftreten, wenn die beiden Partner bei der Trennung nicht wirklich losgelassen haben. Er nennt das Kollusion, wenn dieses Wiederholungsspiel betrieben wird.
Mediatorinnen oder Mediatoren sind nicht irgendwelche Magier, die auf geheimnisvolle Weise Probleme wegzaubern, sondern sie helfen den betroffenen Menschen, dass sie sich dem Konflikt stellen, die Herausforderung annehmen und konstruktiv damit umgehen. Oder sie unterstützen die Menschen bei dem besagten Loslassen, damit die Wiederholung ein Ende finden kann.
Es gibt dabei verschiedene Ansprüche und Ansätze. Manche Betroffene stellen keine großen Ansprüche und sind damit zufrieden, auf eine pragmatische Weise zu einer Regelung zu kommen. Bei einer Scheidungsmediation könnte es bedeuten, mit dem Paar durch rein praktische Lösungen, wie Vermögensentflechtungen, Alimentationen, Betreuungsrecht bzw. Sorgepflicht für die Kinder etc., eine neue Basis miteinander in der Elternrolle zu finden, die sie auch nach einer Trennung gegenüber den Kindern weiterhin haben.
„self-executing“ oder „non-selfexecuting“ Konflikte
Der amerikanische Konfliktexperte Oran Young hatte einmal zwei Arten von Konfliktlösungen definiert. Die eine Lösung nennt er „self-executing“, d. h. die setzt sich mit der Einigung von selbst um, und die andere Konfliktlösung ist „non-selfexecuting“, d. h. es muss noch zusätzlich etwas getan werden, damit das Ergebnis wirksam wird.
Ein Beispiel für einen sich selbst erledigenden Konflikt könnte sein: In einer Tiefgarage verursachen Sie einen Kratzer am Auto einer anderen Person. Vielleicht einigen Sie sich mit dem Autobesitzer, ihm jetzt Bargeld zu geben, und selbst ersparen Sie sich damit einen Malus bei der Versicherung. Er kommt vielleicht aus Stockholm, und nachdem Sie ihm das Geld gezahlt haben, sehen Sie ihn nie wieder im Leben. Mit der Zahlung und einem Handschlag ist der Konflikt erledigt. Das ist dann „self-executing“, d. h. es braucht nicht noch weiteres zu geschehen.
wenn der Sohn trommelt
Aber bei einem Nachbarschaftskonflikt beispielsweise verhält es sich anders. In einem fünfstöckigen Haus sind die Wohnungen Tür an Tür. Eine Familie hat einen Sohn, dessen Hobby trommeln ist. Die Nachbarin ist eine alte Dame, und ihr Schlafzimmer grenzt an das Jugendlichenzimmer. Für die Nachbarin ist das Trommeln unerträglich, und es gibt Ärger. Vielleicht kommen dann noch einige Schikanen dazu, die den Konflikt eskalieren lassen. Man lässt sich mit Mediation helfen. Der Sohn erklärt wirklich seine Absicht, zwischen 13 und 15 Uhr und nach 20 Uhr nicht mehr zu trommeln, weil er weiß, dass die Nachbarin ihren Schlaf braucht. Das bedeutet, er muss jeden Tag neu wollen, um diese Zeit nicht zu trommeln. Seine Bereitschaft ist immer wieder gefordert. So ein Konflikt erledigt sich nicht mit einer Vereinbarung von selbst; die Lösung ist „non-selfexecuting“.
Wenn keine ehrlicher Wille da ist, das Versprechen einzuhalten, gibt es wieder Krach. Und der wird dann noch schlimmer, weil die Enttäuschung noch größer ist.
Dann, wenn eine Beziehung weiterhin bestehen bleibt und eine Vereinbarung immer wieder in die Tat umgesetzt werden muss, braucht es mehr als bei einer „self-executing“ Konfliktlösung.
es treten seelische Deformationen auf
Wenn ein Konflikt eskaliert und sich nicht von alleine verflüchtigt, geschieht vieles mit und in den Menschen und auch zwischen ihnen, und zwar verändert es sich hin zum Unguten. Es treten eine Reihe von seelischen Deformationen auf. Sie zeigen sich in der Art und Weise, wie die Betreffenden wahrnehmen, denken, fühlen, was ihr Wollen bestimmt und damit zu Handlungen führt (siehe Zeichnung).
der „Tunnelblick“
Durch den Stress verzerrt und trübt sich vieles, es treten Blockaden auf etc. Die Betroffenen tasten gefühlsmäßig ab: „Wird es für mich bedrohlich oder nicht?“ Die Wahrnehmung wird stark gefiltert und auf das fokussiert, was eventuell negativ ist oder sein könnte. Das hat zur Folge, dass positive Verhaltensweisen, freundliche Gesten, ein Vorschlag zum Guten o. ä. übersehen werden. Wir beachten bestimmte Dinge nicht mehr oder schreiben ihnen eine negative Bedeutung zu. Das Blickfeld verengt sich immer mehr, was man sogar physisch nachweisen kann: In Laborexperimenten hat man herausgefunden, dass der Blickwinkel von fast 180 Grad sich immer mehr verengt bis zu 90 oder 60 Grad. Das ist der „Tunnelblick“.
Auch unser Bewusstsein ist eingeengt. Wir interpretieren dann Ereignisse: „Diesen Kollegen kenne ich doch … na ja. Dieser Typ ist sowieso cholerisch ….“ Man nimmt den Menschen nicht mehr in seiner Individualität war, sondern es kommen Typisierungen. Zu dieser Unbeweglichkeit kommt hinzu, dass man von alten Erfahrungen auf Neues schließt. Man hinterfragt nicht mehr die eigenen Vorurteile, man denkt in schwarz-weiß oder polarisiert, beispielsweise „demokratisch oder faschistoid“.
„sozialer Autismus“
Es fällt emotional schwer, mit Situationen des „sowohl als auch“ umzugehen. Ein Mensch hat verschiedene Stärken und Vorzüge, aber auch Schwächen. In einem Konflikt möchte man nicht mehr die Ambivalenzen und Unsicherheiten aushalten und sucht die Scheinsicherheit darin, beim anderen nur noch die Schattenseiten zu sehen.
Die Menschen verschließen sich immer mehr, und die Fähigkeit, sich in die andere Person, den eigenen Partner/die Partnerin, in die Gruppe, in das andere Volk einzufühlen – empathisch zu sein – geht verloren.
Die Ursachen für die eigenen unwohlen Emotionen, bis hin zur körperlichen Empfindung – „es drückt mir auf den Magen, verursacht mir Kopfschmerzen“ etc. – werden der anderen Person zugeschrieben. „Ich fühle mich schwach, weil der andere so ein Macht-besessener Kerl ist“. Und genau das Gleiche – oder Ähnliches – spielt sich auf der Gegenseite auch ab. Das bedeutet, dass mit der Zeit so etwas entsteht, was ich „sozialen Autismus“ nenne. Autisten können nicht wirklich in Kontakt mit anderen Menschen treten, sie sind „eingekapselt“ in sich selbst. Genau das geschieht jetzt in der Interaktion zwischen den Konfliktparteien.
„Lieber rot als tot!“
Im Bereich des Willens verfallen die Menschen in extreme Richtungen: „Lieber rot als tot! Nur über meine Leiche! Es gibt kein Wenn und Aber …“ Alles ist radikal, absolut, man sieht nur noch extreme Optionen. Wenn der Konflikt immer mehr das Geschehen bestimmt, kommen Willensregungen und Handlungen, die nicht mehr dem Alter und Reifegrad der Menschen entsprechen. In der Psychologie wird das Regression genannt. Erwachsene Personen verhalten sich so, dass manche Führungskraft klagt: „Sind wir denn im Kindergarten!?“ Sich selbst fragt derjenige allerdings nicht, ob er durch sein eigenes Verhalten als „Kindergartenonkel“ sein Team dazu gebracht hat. Das, was jetzt die Menschen bewegt, kommt aus dem Jugendlichen-Alter, Schulkindverhalten oder noch jünger. Manchmal regredieren sie unter die menschlichen Wertvorstellungen und werden animalisch: wie Wölfe, die auf andere Tiere losgehen. Diese Regression steht im Gegensatz zur Progression, bei der man an den Aufgaben reift.
Diese Phase des Konflikts zeigt sich auch in der Sprache und in der Wortwahl, in Beleidigungen, Sticheleien, Abwertungen. Durch die Stimme, den Gesichtsausdruck, die Gestik kommt zum Ausdruck, was die Person wirklich bewegt, was sie denkt oder wovon sie angetrieben wird.
In solchen Fällen muss mehr geschehen, als dass man lediglich eine vernünftige, praktische Lösung findet. Wenn man sich – um das Beispiel mit dem jugendlichen Trommler und der Ruhe-bedürftigen alten Dame zu nehmen – an die Vereinbarungen halten will, denkt der junge Mann jedes Mal: „Diese zänkische alte Frau, die kann ja mit niemanden in dem Haus auskommen. Ich bin jetzt das Opfer, das sie sich ausgesucht hat.“ Es ist die Frage: Welche Bilder hat er von der Nachbarin? Welche hat die Nachbarin von ihm? Welche Gefühle hat er, wenn er seinem Hobby nicht nachgehen darf? Vielleicht denkt er: „Na gut, ich halte mich an die Zeit, aber ich werde die Gelegenheit finden, ihr an anderer Stelle eines auszuwischen.“ Wenn immer noch die alte Haltung da ist, sucht sie sich andere Kanäle sich zu äußern.
Wenn eine Beziehung weiterhin aufrecht bleiben soll, müsste eine Tragfähigkeit in der Beziehung gefunden werden, die den Boden für die sachlichen Vereinbarungen bildet. Und das ist mit Nachhaltigkeit gemeint.
Die „metanoische Mediation“ geht mit dem um, was sich im Laufe der Interaktion als Folge zwischen die Personen gestellt hat: der „Zwischenraum“, der durch Taten und Worte entstanden ist. Martin Buber hat sehr schön dargestellt, dass dieses „Zwischen“ eine Realität ist.
der „Zwischenraum“, der durch Taten und Worte entstanden ist
Wenn wir mit einem Konflikt zu tun haben, bei dem es nach der sachlichen Lösung auch eine tragfähige Beziehung braucht, lohnt es, auf das „Zwischen“ zu schauen. Man sollte damit umgehen, als wäre das eine eigene Person. Was braucht die eine Partei, was die andere – und welches Bedürfnis hat das „Zwischen“? Das kann sich nämlich ziemlich verselbständigen.
Immer, wenn sich die beiden Parteien begegnen, ist dieses „Zwischen“ auch da. Beispielsweise stehen die besagten „Schattenbilder“ der Streitenden, d.h. die Schwächen und gefährlichen Seiten der Persönlichkeit, in dem „Zwischen“ und behindern gegenseitig die Sicht.
im Miteinander der Menschen werden Elementarwesen geschaffen
Ich möchte jetzt andeuten, wie Rudolf Steiner beschrieben hat, dass im Miteinander der Menschen Elementarwesen geschaffen werden können, die den Zwischenraum füllen.
Wenn wir lügen, entstehen sogenannte Phantome; die sind dann zwischen uns. Wenn man es in einer Gemeinschaft mit der Wahrheit nicht so genau genommen hat und sei es auch „nur“, dass manche Dinge verschwiegen wurden oder Halbwahrheiten erzählt wurden – auch das hat alles mit der Schaffung von „Phantomen“ zu tun. Wer entsprechend geübt und geschult ist, kann sehen, wie sie zwischen den Beinen herumwuseln. Es ist erstaunlich: Wenn ich Menschen im Konflikt frage, welche Wesen zwischen ihnen leben, bekomme ich relativ konkrete Antworten: Beispielsweise sind das „braune, pelzige, schmutzige, fettige Tierchen, etwa so groß wie eine große Katze“. Die Betreffenden beschreiben ziemlich ähnliche Bilder.
Es gibt noch andere Elementarwesen. Wenn wir in Einrichtungen, wie z. B. Schulen, Vereinen, Betrieben, Banken, Beratungsunternehmen etc., Strukturen schaffen, die nicht menschengerecht sind, weil sie einem das Denken oder die eigene Kreativität verbieten, entstehen auch Elementarwesen zwischen den Menschen, sogenannte „Spektren“.
Wenn wir einander bestimmte Gedanken oder Handlungen aufzwingen und die Individualität des anderen nicht respektieren, entstehen sogenannte Dämonen.
Das kann man spüren an den Denkweisen oder Gefühlsmustern der Menschen in diesen Organisationen. Selbst wenn die eine oder andere Person, die so etwas in die Welt gesetzt hat, aus dem Betrieb weg ist, sind diese Wesen noch da und wirken auf die gegenwärtig Anwesenden ein. Die Menschen haben immer wieder das Erlebnis: „Es ist doch merkwürdig. Ich bemühe mich um Deutlichkeit, die Kollegin bemüht sich auch, und es kommt immer wieder völlig verkehrt an.“
Ich erinnere mich an ein Direktionsteam, das in einem wunderschönen, holzgetäfelten Raum einer Villa tagte. Immer, wenn sie in diesem Raum zusammen saßen, hatten sie das Gefühl „als käme ein Spuk über sie“: Alles was sie sagten, kam irgendwie negativ an. Diese Menschen betonten immer wieder, dass sie nichts mit Religion oder Aberglauben zu tun haben, sie waren realistische Forscher, aber sie konnten so etwas erleben.
So, wie wir diese Elementarwesen durch unser Denken, Fühlen, Wollen und Handeln schaffen, ist es auch möglich, sie wieder aufzulösen. Man muss sich also in einer Gemeinschaft entscheiden, etwas zu tun, um diese Phantome, Spektren oder Dämonen aufzulösen. Beispielsweise nimmt man sich vor, dass alle Informationen, die an die Eltern, Bankkunden etc. weitergegeben werden, absolut wahrhaftig sind. In jeder Kommunikation muss man gründlich prüfen: Könnte man das auch anders deuten? Stellen wir die Dinge schöner oder schmeichelhafter dar? Scheuen wir uns, etwas beim Namen zu nennen? etc.
Oder wenn etwas im Bereich des Denkens und Wollens aufgezwungen wurde, muss man Entscheidungsprozesse ganz besonders ernst nehmen. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Team müssen zu einer gediegenen Urteilsbildung heranreifen, und keiner darf Entschlüsse durchboxen. Auch sollte man sich immer wieder Rückmeldungen holen, wie jetzt die Dinge wirken. Dann ist es möglich, dass sich in ein bis zwei Jahren etwas auflöst – das braucht aber Zeit.
eine innere Umwendung
Ich komme jetzt auf die Aktivitäten Wahrnehmen, Denken, Fühlen, Wollen zurück, um die „metanoische Mediation“ zu erklären. Woher kommt das Wort „Metanoia“? Johannes der Täufer zog durch die Lande, taufte die Menschen mit Wasser und sagte, dass einer kommen wird, der mit Feuer tauft; er hat an die Menschen appelliert, dass ein Gesinnungswandel kommen müsse, damit sie den Christus überhaupt wahrnehmen können. Metanoia ist ein Gesinnungswandel in allen seelischen Bereichen, eine Umkehr, eine innere Umwendung.
Metanoische Mediation setzt sich zum Ziel, dass die seelischen Deformationen, die in einem Konflikt entstanden sind, also der besagte „Tunnelblick“, die schwarz-weiß-Bilder etc. zunächst als bestehend anerkannt werden. Dann sollen beide Parteien sich das von der Gegenseite anhören: Wie sieht mich mein Kollege? Wie sieht mich meine Frau, mit der ich seit Jahrzehnten verheiratet bin? Welche Licht- und Schattenseiten nimmt der andere an mir wahr?
Es ist gar nicht so angenehm, sich das von dem anderen spiegeln zu lassen, vor allem, wenn der Konflikt schon fortgeschritten ist.
Im nächsten Schritt fragt man dann: „Wie erklärt es sich, dass der andere dieses Bild meiner Schattenseiten hat?“ Irgendwie habe ich das durch mein Verhalten ausgelöst, vielleicht unbewusst oder halbbewusst. Ich habe die Aussagen des anderen ernst zu nehmen.
Dann kommt die Frage: „Was an meinem Verhalten hat zu dem Bild geführt, das du von mir gewonnen hast?“ Dadurch bekommt man den Schlüssel in die Hand, welches Verhalten man ändern kann.
Ein anderer Punkt ist, das eigene Denken zu beobachten: Vielleicht neige ich zu Verdächtigungen, bin argwöhnisch etc. Es ist notwendig, auch noch auf die Ebene der Meta-Kognition zu gehen: Man entdeckt bestimmte Denkmuster oder auch Denkbewegungen und kann sie dann verändern.
Alle diese Deformationen treten auf, wenn mein Ich nicht meine seelischen Tätigkeiten steuert, sondern wenn „etwas mit mir durchgeht“, z. B. das Temperament, die Wut, die Ohnmacht usw.
diese Emotionen sind einfach da
Im Gefühlsbereich hat sich beispielsweise Wut, Angst, Scham gebildet, und das erfordert, dass man mit den eigenen Gefühlen in ein Gespräch eintritt. Es genügt nicht zu sagen „Ich dürfte nicht wütend sein und muss alles unter Kontrolle haben“, sondern diese Emotionen sind einfach da. Es gibt Methoden, wie man damit umgehen kann. Eine bekannte Intervention aus der Gestalttherapie: Man stellt zwei Stühle hin, setzt sich einmal auf den einen Stuhl und spricht z.B. die Pro-Gefühle aus, dann auf den anderen und spricht dort seine Contra-Gefühle oder Impulse aus. Der Hamburger Psychologe Schulz von Thun arbeitet auf diese Weise mit dem eigenen „inneren Team“: Man erlebt, welche sogenannte Sub-Persönlichkeiten in einem selbst versammelt sind; vielleicht hat man einen schlauen, dann einen nach Applaus dürstenden, und dann auch noch einen kontrollierenden Teil in sich. Mal führt der eine, mal der andere die Regie. Man lässt diese Anteile, auch wenn sie völlig widersprüchlich sind, zu Wort kommen und tritt in Kontakt mit dem, was deformiert ist und doch zu einem gehört, um dafür die Ich-Steuerung wieder zurück zu gewinnen.
„Ich fühle deinen Schmerz“
Bedeutsam ist, dass man einfühlen lernt, wie es dem Gegenüber geht. Das Mit-Gefühl kann sich zu einem Mit-Leiden entwickeln. Wenn die Menschen miteinander sprechen und hören, welche Verletzung und Kränkungen sie beispielsweise in vielen Jahren der Ehe einander angetan haben, kann eine Erschütterung auftreten: „ … das habe ich überhaupt nicht mitbekommen. Hätte ich geahnt, was ich dir da angetan habe, hätte ich mir lieber die Zunge abgebissen und nicht wieder so eine flapsige Bemerkung gemacht.“
Da beginnt das, was zu Metanoia dazugehört: „Ich fühle deinen Schmerz, und es tut mir weh, was ich dir zugefügt habe.“ Ich erlebe selbst, was durch mich an Leid in die Welt gesetzt worden ist.
Im Sinne Rudolf Steiners ist das eine Vorwegnahme der Kamaloka-Stimmung, in der man sich einige Zeit nach dem Sterben befindet: Nach dem Tode erlebt und erleidet man an sich selbst, was man anderen angetan hat. Wenn das in einer Mediation geschieht, ist es ist für mich das Tiefste, was erreicht werden kann. Manchmal gelingt es sehr gut, manchmal ist es mühsam und erst nach einem längeren Prozess möglich.
Es führt zu einem Wandel, der den Kern des Menschen erreicht und in der Beziehung eine Grundlage schafft für eine nachhaltige Wirkung der Lösung der Spannungen und Verletzungen.
Homepage: www.friedrich.glasl.trigon.at
Zusammenfassung des Vortrages: Christine Pflug