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Burnout
Interview mit Dr. med. Wolfgang Rißmann, Psychiater
Immer mehr Menschen sind heute von einer emotionalen und körperlichen Erschöpfung bedroht. Waren es vor einigen Jahrzehnten vor allem diejenigen, die in einem sozialen Beruf arbeiteten, leiden heute alle Personengruppen an einer Überlastung, die zu einem Burnout-Syndrom führen kann.
Die Menschen sind in ihrem Ich-Gefühl unsicher und zu stark außen orientiert. Es ist der moderne Mensch, anthroposophisch gesprochen die Bewusstseinsseelenentwicklung, der immer mehr auf sich selbst gestellt, aber noch hilflos ist, sich selber zu gestalten und deswegen wie „herausgesaugt oder –gepresst“ wird in die Welt. Er weiß nicht, wie er aus sich heraus die Kraft finden soll, sich selber zu definieren und mit sich umzugehen. In diesem Sinne ist ein Burnout-Syndrom eine Chance, das für sich zu finden.
Interviewpartner: Dr. med. Wolfgang Rißmann ist Facharzt für Psychiatrie und war leitender Arzt und Qualitätsmanager an der Friedrich-Husemann-Klinik in Buchenbach bei Freiburg. Er ist in der Ausbildung von Medizinstudenten, Ärzten und Therapeuten tätig. Vielfältige Vortrags- und Seminartätigkeit zu den Themen der allgemeinen Anthroposophie und Prävention psychischer Krankheiten. Besonderer Arbeitsschwerpunkt ist die Entwicklung von Arzneimitteln bei psychischen Krankheiten. Seit Februar 2014 Privatpraxis für Psychiatrie in Hamburg-Volksdorf.
Christine Pflug: Können Sie aus Ihrer Praxis Beispiele nennen von Menschen, die ein Burnout-Syndrom hatten?
Dr. med. Wolfgang Rißmann: Die meisten Menschen kenne ich aus unseren sog. Präventionskursen. Vorab eine kurze Erklärung zu diesen Kursen: Wir hatten vor 5 Jahren damit in der Klinik begonnen, weil wir die Erfahrung gemacht hatten, dass viele Menschen, die in die Akut-Psychiatrie kommen, nicht eigentlich psychisch krank sind sondern ein Burnout haben. Wir wollten diese Menschen nicht „psychiatrisieren“ und begannen deshalb ambulant jeweils für eine Woche solche Präventionskurse anzubieten, mit einer Eurythmistin, einer Sprachgestalterin und mir.
Beispielsweise war im ersten Kurs ein vierzigjähriger Kaffeevertreter, der jeden Tag 400 km Auto fuhr, um seinen Kaffee zu verkaufen. Er war verheiratet mit einer Lehrerin, sie hatten zwei Kinder im Schulalter.
Interessanterweise kam er nicht aus eigenem Antrieb, sondern seine Frau hatte gesagt: „Entweder Du gehst da hin oder ich beende die Ehe“. Das ist typisch für die Menschen mit Burnout: Auch wenn sie leiden, sind sie in der Regel nicht bereit, von sich aus etwas zu tun, sondern sie lassen sich immer weiter treiben.
Eine Art Rauschzustand
Bei ihm war das auch so. Man hatte den Eindruck, dass er gar nicht richtig bei sich war, sondern in einer Art Trance lebte, unglaublich nervös und sehr aktiv. Er selber beschrieb es wie eine Art Rauschzustand.
Er hatte überhaupt keinen regelmäßigen Tagesablauf, keine regelmäßigen Mahlzeiten, sah auch seine Familie kaum; er erhielt seine Provisionen und hatte permanenten Stress.
C. P.: Aus seiner Sicht ging es ihm also gut?!
W. Rißmann: Ja, er erlebte es als gut, aber die Ehefrau fand es entsetzlich, weil er für die Familie nicht mehr greifbar war. Er konnte noch einigermaßen schlafen, seine Stimmung war auch noch in Ordnung – er hatte seinen Zustand gar nicht bemerkt. Wenn es aber so weiter gegangen wäre, hätte er einen Zusammenbruch gehabt.
Er nahm an dem Kurs teil, musste sich zuerst zurechtfinden, aber zum Schluss war er ganz begeistert. Nach einem Jahr kam er wieder, um den Kurs noch einmal zu machen. Er sagte: „Stellen Sie sich vor, ich frühstücke jetzt regelmäßig. Ich sehe regelmäßig meine Kinder.“ Auch wenn sich das absurd anhört, aber das ist heute die Realität! In der Klinik hatte ich immer die Patienten gefragt, wer regelmäßig frühstückt: Es waren höchstens ein Drittel. Und wer isst regelmäßig zu Mittag? Etwa 50%. Abends hingegen aßen alle. Das bedeutet, dass heute alleine schon der Ernährungsrhythmus weitgehend verloren gegangen ist.
Dieser Kaffeevertreter erlebte einen regelmäßigen Tagesablauf dann auch als ausgesprochen wohltuend, er „sei zwar nicht mehr so viel unterwegs, aber es ginge ihm besser“, und er verdiente genau so viel wie vorher. Er konnte besser schlafen, sah seine Familie, und auch die Beziehung zu seiner Frau war wieder in Ordnung.
Ein zweites Beispiel: Eine Mutter, Hausfrau, ca. 40 Jahre alt. Sie hat zwei Kinder; die vierzehnjährige Tochter hat eine leichte Behinderung, so dass die Mutter sich dauernd um diese Tochter kümmern muss; auch in der Schule hat diese Tochter Probleme. Die Mutter ist außerdem noch berufstätig, sie hat den Haushalt, die Kinder und diese schwierige Tochter. Sie kam dann aus eigenem Antrieb zu dem Kurs, weil sie am Ende ihrer Kräfte war; völlig erschöpft, unruhig, nervös, nicht mehr bei sich, reizbar, schnell am Weinen, hatte Schlafstörungen, war unglücklich. Sie sagte: „Ich weiß nicht mehr, wie ich mein Leben anpacken soll.“ Auch ihr Zustand hat sich innerhalb einer Woche des Präventionskurses deutlich gebessert.
Das ist im Übrigen auch ein Unterschied zur Depression: Wenn man Menschen, die ein Burnout haben, entsprechende Übungen, Aufklärungen usw. anbietet, können sie sich in relativ kurzer Zeit erholen. Das kann ein Depressiver nicht – das dauert länger und sitzt tiefer.
„Arbeitsverdichtung“ und „Rationalisierung“
Ein drittes Beispiel, was in ähnlicher Weise immer wieder vorkam: Ein Mensch aus einer Behörde. Sie sind meist sehr ordentlich, klar, gewissenhaft, obrigkeitshörig. Auf diesen Ämtern spricht man heute von „Arbeitsverdichtung“ und „Rationalisierung“, das heißt, dass immer weniger Menschen immer mehr arbeiten müssen. Der Stapel der Akten verdoppelt sich, weil Personal entlassen wurde. Diese Mitarbeiter schaffen es dann nicht mehr und geraten an ihre Grenze, weil sie mit ihrem eigenen Anspruch und den Anforderungen nicht mehr klarkommen, geraten unter Druck, es gibt Streitereien und Unzufriedenheit; das geht dann weiter mit Schlaf- und Appetitstörungen, Nervosität. Dann lassen sie sich krank schreiben.
C. P.: An diesen drei Beispielen haben sie die Symptome bereits beschrieben. Gibt es noch weitere typische Anzeichen für Burnout?
Sie arbeiten viel, aber die Arbeit geht nicht mehr voran
W. Rißmann: Das Typische ist, dass die Betroffenen es selbst nicht merken – aber die anderen in ihrem Umfeld. Sie haben bestimmte Persönlichkeitsmerkmale, bzw. konstitutionelle Voraussetzungen: sie sind leistungsorientiert, weil sie ein schwaches Selbstwertgefühl haben und sich insofern über Leistung definieren. Sie haben Kontakt- und Bindungsstörungen, die meist biografische Ursachen haben. Deshalb sind sie unsicher im Kontakt mit anderen, können sich nicht auseinandersetzen, passen sich sehr an, können nicht gut ihren eigenen Standpunkt vertreten.
Hauptsymptom ist der dauerhafte Stresszustand, sie können nicht mehr loslassen. Sie arbeiten viel, aber die Arbeit geht nicht mehr voran, weil sie nicht mehr stringent und übersichtlich etwas leisten können. Sie brauchen mehr Zeit für das gleiche Arbeitsvolumen. Das Interesse für die Arbeit lässt nach, sie machen aber aus Pflicht weiter und aus der Angst, dass sie, wenn sie nicht mehr weiterarbeiten, in ein Loch fallen.
Weiterhin ist typisch, dass am Wochenende oder in den Ferien kein Erholungseffekt mehr auftritt – 4 Wochen Ferien und hinterher genauso erschöpft wie vorher. Daran merken sie erstmalig selbst, dass etwas nicht mehr stimmt.
Sie sind reizbar, dünnhäutig, konfliktscheu, ausweichend und ziehen sich aus ihren sozialen Kontakten und von den Angehörigen immer mehr zurück.
Oft haben sie über viele Jahre keine Hobbies und keine aktive Freizeitgestaltung mehr gehabt. Sie kommen nach Hause, setzten sich vor den Fernsehapparat und haben nicht die Kraft, dann noch eigenständig etwas zu tun.
Dann kommen die mehr medizinischen Probleme: Schlafstörungen, Kopf-, Magen-, Rückenschmerzen, Erkältungen, Appetitstörungen, bei den Frauen Periodenstörungen usw.
Sekundär tritt nicht selten ein übermäßiger Alkoholkonsum auf, auch Tabletten werden eingenommen, um sich aufrecht zu halten. Dann erst tauchen psychiatrische Symptome auf, die in eine Depression überleiten können: man fühlt sich wertlos, hat Ängste, fühlt sich gedrückt, kann sich nicht mehr entscheiden bis hin zu einer Verzweiflung.
C. P.: Was wird unternommen zur Behandlung von Burnout?
W. Rißmann: Heute werden vielfach Vorträge oder Schulungen angeboten, wo man stark kognitiv arbeitet: Es gibt Listen, wo man ankreuzt, was man macht und was man ändern könnte. Das ist derzeit das Gängige. Wie wirksam das ist, überschaue ich nicht.
Wir hatten bei unseren Präventionskursen einen ganz anderen Ansatz: Burnout sitzt viel tiefer, um es nur mit einem kognitiven Verstehen anzugehen. Die Menschen sind in ihrem Ich-Gefühl unsicher und zu stark außen orientiert. Sie sind nicht mehr bei sich, sondern immer nur außer sich. Wenn man ihnen das klar macht, aber nicht nur intellektuell, sondern mit Übungen, z. B. Eurythmie, Sprech- und Achtsamkeitsübungen, und sie dann wieder zu „sich zurückgekommen“ sind, fällt es ihnen wie Schuppen von den Augen. Achtsamkeitsübungen beziehen sich nicht auf die Außenwelt, sondern helfen, dass man wieder zu sich kommt.
C. P.: Können Sie eine solche Übung beschreiben?
W. Rißmann: Erstaunlich eingeschlagen haben die Rückschauübungen. Normalerweise gehen wir nach vorwärts in die Welt hinein; wenn man eine Rückschau macht, geht man zu sich selbst zurück, man geht in sich und wiederholt in der Erinnerung, was man erlebt hat. Beispielsweise überlegt man sich, wie man in das Haus hineingekommen ist und vollzieht das in der Vorstellung rückwärts nach. Und das ist für diese Menschen spontan wohltuend. Das kann man ihnen nicht mit dem Kopf klar machen, sondern sie erleben das.
Nach einer Woche des Präventionskurses ging es den Menschen viel besser, aber sie müssen die folgenden Wochen und Monate das systematisch vertiefen und üben; wirklich behoben ist noch gar nichts. Es ist die große Frage, ob sie die Kraft haben, das zu tun.
C. P.: Jeder kennt heute Menschen mit Burnout, die aber in ganz „normalen“ Verhältnissen leben, und man wundert sich, wieso sie Betroffene sind. Bei den sozialen Berufen kann man sich die große Erschöpfung noch erklären, aber weshalb grassiert diese Symptomatik heute überall?
Heute hat es alle Berufe ergriffen, und es steht dieselbe Dynamik dahinter
W. Rißmann: Ursprünglich trat das Burnout auf in helfenden Berufen: bei Pflegenden, bei Ärzten, Lehrern, und zwar bei denen, die überengagiert waren – mit dem sog. Helfersyndrom. Das hatte Freudenberger 1974 in Amerika so definiert, wobei es die Symptomatik schon länger gibt. Die Betroffenen haben sich in ihrer Arbeit verloren. Heute hat es alle Berufe ergriffen, und es steht dieselbe Dynamik dahinter: die Anforderungen von außen sind so hoch, dass die Leute keine Zeit mehr für sich haben, sondern nur noch in der Arbeit funktionieren.
Dazu kommen aber noch andere Faktoren. Burnout ist ein umfassendes, multifaktorielles Problem. Auffallend ist, dass in den letzten 15 Jahren, in denen dieses Problem vermehrt auftritt, die Kommunikation zwischen Menschen immer mehr technisiert und formalisiert wurde. Die Kommunikation findet indirekt statt, und die Tendenz geht dahin, den unmittelbaren Kontakt zwischen Menschen auszuschalten. Das geht so weit, dass man ernsthaft überlegt, die psychiatrische Behandlung am Bildschirm zu machen.
Weiterhin wird die körperliche Bewegung immer mehr reduziert – viele Menschen bewegen sich den ganzen Tag nur noch mit den Fingerspitzen. Arbeit am Bildschirm ist heute die Regel.
C. P.: Mangel an Bewegung ist immer schlecht! Wieso führt das speziell zu Burnout?
W. Rißmann: Bewegung heißt ja, dass ich mit meinem Ich den Willen ergreife. Wenn ich das nicht mehr tue, zieht sich das Ich raus und ist nicht mehr anwesend. Abgesehen von den Folgen von Bewegungsmangel – Gewichtszunahme, Neigung zu Diabetes etc. – hat das Folgen für die Ich-Präsenz. Das Kind lernt sich in der Welt zu definieren über die Bewegung – nicht über den Kopf. Die Folgen kennen die Krankenkassen längst und propagieren deshalb Bewegungskurse.
C. P.: Welche Ursachen gibt es noch?
W. Rißmann: Der natürliche Lebensrhythmus ist verloren gegangen. Ich beobachte seit 10 Jahren, dass, wie bereits geschildert, die Menschen nicht mehr regelmäßig essen. Morgens angeblich, weil sie keine Lust oder keinen Appetit haben; mittags ist es vor allem der Zeitfaktor. Sie erledigen lieber in der Mittagspause schnell noch eine Arbeit, damit sie pünktlich gehen können. Also fällt die Mittagspause aus, obwohl der Arbeitgeber es nicht ausdrücklich fordert. Ich hatte mit meinen Patienten immer heiße Diskussionen, weil sie behaupteten, sie könnten das nicht anders. Ich sagte immer: Es geht sehr wohl, wenn man es einrichtet.
Ernährung bedeutet immer, dass man sich mit der Welt verbindet – man nimmt sie in sich auf.
Dieser Ernährungsrhythmus wird heute in der offiziellen Burnoutdiskussion noch nicht beachtet, aber meiner Meinung nach spielt das eine große Rolle.
Auch die anderen Rhythmen sind gestört, die Schlafqualität usw.
Die Kreativität geht zurück
Ein weiterer Punkt ist, dass die Kreativität zurückgeht. Freizeitgestaltung wird industriell organisiert. Wenn man die Menschen fragt, was sie in der Freizeit machen: entweder sitzen sie vor dem Fernsehapparat oder sie verfolgen irgendwelche fertigen Programme, Kinder hören Kassettenmusik. Natürlich gibt es auch eine Gegenbewegung. Fatalerweise ist der künstlerische Unterricht in Grund- und Hauptschulen wegrationalisiert.
Ich habe die letzten Jahrzehnte viel junge Ärzte und Studenten unterrichtet und dabei beobachtet, dass die Menschen dieser jungen Generation sehr einsam sind. Es gibt keine Studentengruppen mehr, jeder kämpft auf eigenem Posten. Ob diese Vereinsamung wirklich durch die Zivilisationsverhältnisse bedingt ist oder ob die Menschen mehr aus inneren Gründen so veranlagt sind – das weiß ich nicht.
In der Husemann-Klinik war es noch bis Ende der neunziger Jahre selbstverständlich, sich gemeinschaftlich an kulturellen Veranstaltungen zu beteiligten, Feste, Geburtstagsfeiern etc. Das ist heute fast nicht mehr machbar; die Leute sagen: Das ist mir zu viel, ich möchte für mich sein. Es gibt keine Kraft und Bereitschaft, das Gemeinschaftsleben aktiv zu gestalten. Das höre ich von allen anderen Einrichtungen auch. Es ist dieses Phänomen, dass die Menschen auf sich zurückgeworfen sind, aber noch nicht die Souveränität und Kraft haben, sich selbst aktiv zu definieren und zu gestalten.
Schlussendlich gibt es auch noch die Frage der Spiritualität. Wir hatten in unseren Kursen stark im Dialog gearbeitet und die Fragen aus den Menschen heraus gekitzelt. Dabei zeigte sich, dass die meisten auch in einer tiefen Sinn- und spirituellen Krise sind. Sie haben Fragen: Was soll es überhaupt? Wozu arbeite ich? Was ist der Sinn von Partnerschaft und Familie? Bin ich berechtigt, mein Leben selbst zu beenden?
Es gibt also viele Faktoren.
C. P.: Häufig werden die Ursachen in der Arbeitsüberlastung gesehen. Ist das Ihrer Meinung nach auch so?
W. Rißmann: Die führenden Leute in der Fachgesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, der ich auch angehöre, behaupten: Burnout ist keine psychiatrische Krankheit, sondern eine Zivilisationsfolge unserer Arbeitsverhältnisse. Sie sehen ausschließlich darin die Ursache und versuchen von daher auf die Politik Einfluss zu nehmen, dass die Arbeitsbedingungen anders gestaltet werden.
Die Krankheitszahlen in den Firmen sind alarmierend
Die Firmenleiter sagen inzwischen, dass die Krankheitszahlen so alarmierend sind, dass sie etwas für die ganze Belegschaft tun müssen – und das erfolgt dann auch. Beispielsweise habe ich bei der Sparkasse Hochschwarzwald und auch bei einer Architekturfirma in Offenburg Vorträge gehalten für die ganze Mitarbeiterschaft, aber ich weiß nicht, wie wirkungsvoll das ist.
Es gibt Firmen, die sind in der Gestaltung ihrer betrieblichen Rahmenbedingungen, der Beziehung der Mitarbeiter untereinander und der Mitarbeiterführung schon sehr weit. Ich kenne solche Firmen, sie haben ein ausgezeichnetes Betriebsklima und dann auch niedrige Krankheitszahlen. Das heißt, es ist machbar!
C. P.: … und es rechnet sich!
Sie gestalten aus sich heraus ihr Leben ganz neu
W. Rißmann: Eben! Das habe ich den Mitarbeitern in den Betrieben auch gesagt: Ihr müsst zu Euren Vorgesetzten gehen und sagen, dass Ihr eine Pause braucht und damit leistungsfähiger werdet. Denn nur so überzeugt man die Arbeitgeber.
Die Arbeitsüberlastung ist ein wichtiger Faktor, aber damit kann man das Problem alleine nicht erklären, es ist viel umfassender und tiefergehend. Ich denke, es ist der moderne Mensch, anthroposophisch gesprochen die Bewusstseinsseelenentwicklung, der immer mehr auf sich selbst gestellt ist, aber noch hilflos ist, sich selber zu gestalten und deswegen wie „herausgesaugt oder –gepresst“ wird in die Welt und nicht weiß, wie er aus sich heraus die Kraft finden soll, sich selber zu definieren und mit sich umzugehen. Das steckt dahinter. Insofern finde ich das nicht nur eine negative Angelegenheit, sondern eine unglaubliche Chance. Es gibt kaum etwas Schöneres und Spannenderes als mit solchen Menschen zu arbeiten, weil man ganz frisch an diesen Grundfragen arbeiten kann und die Menschen dann Entschlüsse fassen, ihr Leben ganz neu aus sich heraus zu gestalten. Das ist das Spannende an der Sache!
Ich halte eine regelmäßige Ernährung für ganz entscheidend.
C. P.: Was kann man selbst prophylaktisch machen, damit man nicht in ein Burnout hineinrutscht?
W. Rißmann: Wie gesagt, halte ich eine regelmäßige Ernährung für ganz entscheidend.
Bewegung hatte ich auch schon genannt; vor allem die natürliche Bewegung des Gehens ist wichtig. Gerne auch abends, bevor man sich zur Ruhe begibt.
Die Regulierung des Schlafes, eine sinnvolle Strukturierung des Tages und der Woche und auch der Arbeit selbst sind wichtig; dazu gehören beispielsweise Pausen.
Über künstlerisches Üben und Kreativität hatten wir schon gesprochen, ebenso über das spirituelle Bedürfnis der Menschen.
Natürlich ist für die seelische Gesundheit auch die bewusste Gestaltung der Beziehungen zu Arbeitskollegen, Angehörigen, Freunden bedeutungsvoll.
Eine besondere Hilfe sind Übungen der Aufmerksamkeit und Achtsamkeit; Rudolf Steiner hat etliche Übungen dazu angegeben.
C. P.: Wenn man niemand im näheren Lebensumfeld hat, der einen darauf aufmerksam macht – wie kann man merken, dass man ein Burnout hat?
W. Rißmann: Es ist die Schwierigkeit, dass die Betroffenen selbst es meistens relativ spät bemerken. Von daher ist es wichtig, dass man breit Aufklärung macht und den Leuten empfiehlt, von vornerein ihr Leben wie in der Prophylaxe angegeben zu gestalten.