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Was geht uns die Umwelttragödie am anderen Ende der Welt an?
Über die Produktionsverhältnisse in der Bekleidungsindustrie
Interview mit Uli Ott, Inhaberin eines Hamburger Geschäfts für Mode aus nachhaltiger Produktion.
Am anderen Ende der Welt sterben Menschen im Pestizidnebel, der auf die Baumwollfelder gesprüht wird. Textilherstellung ist überhaupt kein Nischenthema, da die Textilindustrie zum größten Umweltzerstörer der Erde gehört. Das ist uns allen hier nur nicht bewusst, da es meistens „woanders“ geschieht und wir hier nur mit den fertigen Produkten umgehen.
Aber es gibt Alternativen: Diese achten auf einen nachhaltigen Anbau der Baumwolle und auch darauf, dass die Arbeiter in diesen Ländern zu menschenwürdigen Bedingungen die Textilien herstellen.
Interviewpartnerin Uli Ott: Gemeinsam mit ihrem Mann Inhaberin von Marlowe Nature, wo demnächst 25 Jahre nachhaltige Kleidung verkauft wird. Uli Ott ist Mitglied im Internationalen Verband der Naturtextilwirtschaft (IVN), war dort einige Jahre im Vorstand. „Ich habe mich in den vergangenen Jahren in Foren bewegt, in denen der Blick über den kleinen Einzelhandel hinaus geht und die gesamte textile Produktionskette mit allem, was dazu gehört, im Fokus steht. Es freut mich sehr, dass die Bemühungen „unserer“ Marken – die Modemarken, die sich um Fair Trade und Nachhaltigkeit bemühen – langsam in der Mitte der Gesellschaft ankommen.“
Christine Pflug.: Wie bist du zu der Öko-Mode gekommen?
Uli Ott: Nachdem wir uns 10 Jahre mit konventioneller Mode befasst hatten, waren wir neugierig, wie diese eigentlich produziert wird. Nachdem wir das recherchiert haben – es war noch vor Internet-Zeiten – waren wir entsetzt und beschlossen, einen anderen Weg zu gehen. Und der erste Schritt war für uns damals die Baumwolle.
C. P.: Da sind wir schon mitten im Thema: Du hältst im Steiner Haus einen Vortrag und zeigst einen der Filme über die Baumwollproduktion (siehe Ende des Interviews). Was hat dich an diesen Filmen beeindruckt?
Nur 3% der landwirtschaftlichen Fläche auf der Welt ist mit Baumwolle bedeckt, aber 25% aller in der Landwirtschaft benutzten Pestizide und Insektizide landen auf den Baumwollfeldern.
U. Ott: Für uns war damals die große Erkenntnis, dass die Textilindustrie der größte Umweltverschmutzer auf der Welt ist, noch vor der Ölindustrie. Das liegt auch daran, dass sie so riesig ist: Nahezu alle Menschen auf der Welt müssen sich kleiden, es gibt viele Wohntextilien und Industrietextilien.
Die Baumwolle ist mit 50% der größte Faseranteil auf der Welt. Sie wächst nur dort, wo es sehr warm ist und gleichzeitig die Felder bewässert werden können, also in der Nähe von großen Wasserreservoiren. Das ist der sogenannte Baumwollgürtel auf der Erde: Indien, die Südstaaten von Amerika, China, Bangladesch etc., also die äquatornahen Länder. Es müssen riesige Mengen an Baumwolle angebaut werden. Dazu eine Zahl: nur 3% der landwirtschaftlichen Fläche auf der Welt ist mit Baumwolle bedeckt, aber 25% aller in der Landwirtschaft benutzten Pestizide und Insektizide landen auf den Baumwollfeldern. Das sind immense Mengen! Baumwolle ist sehr empfindlich, hochgezüchtet und von daher sehr anfällig für den Baumwollkapselwurm. Man versucht mit Gentechnik gegenzusteuern, aber die Evolution des Baumwollkapselwurms ist schneller, und er frisst auch die gentechnisch veränderten Baumwollkapseln nach kürzester Zeit auf.
Wenn man von nachhaltig produzierten Textilien spricht, meint man, dass die Naturfasern wie Seide, Baumwolle, Hanf, Wolle, Leinen ökologisch angebaut werden. Bei Biowolle bedeutet das, dass die Schafe etc. artgerecht nach den Richtlinien der jeweiligen Bioverbände gehalten werden. Wenn nicht die Pestizide von den Feldern verschwinden, kann nicht nachhaltig gewirtschaftet werden, weil sie nicht nur das Trinkwasser vergiften, die Artenvielfalt zerstören, sondern sie töten auch die Bauern und ihre Nachkommen.
C. P.: Man sieht in den von dir genannten Filmen, dass die Arbeiter, die die Felder besprühen, danach ins Krankenhaus kommen und sterben. Diese Pestizidbehandlung führt auch im Menschlichen zu einer großen Misere.
Jedes Jahr sterben sehr viele Sprayer direkt nach dieser Arbeit.
U. Ott: In vielen Ländern sind es Kleinbauern, die ungeschützt die Felder besprühen. Es gibt sogar den Berufsstand des Sprayers. Es sind Tagelöhner, die in diesen Gebieten keine andere Arbeit anbieten können, und sie wissen auch nicht, wie giftig das Spray ist. Sie atmen es ein, und jedes Jahr sterben sehr viele Sprayer direkt nach dieser Arbeit. Gleichzeitig wird dieser Sprühnebel durch den Wind auf Nachbarfelder geweht, und in vielen Landstrichen sind die Lebensmittelfelder direkt daneben. Das essen dann die Menschen, und es treten nachfolgende Krankheiten auf.
C. P.: Ist das in allen Ländern der Fall?
U. Ott: Da, wo keine Hochindustrie ist. In den USA sind die Gewerkschaften so stark, dass die Leute in Schutzanzügen sprühen. Aber in allen anderen Ländern, wo keine Menschenrechtsorganisation aufpasst, wird ungeschützt gesprüht. Außerdem saugt sich die Baumwolle mit den Giften voll, und wenn sie später gepflügt und sortiert wird, kommen auch die nachfolgenden ArbeiterInnen mit diesen Stoffen intensiv in Berührung, und das ist extrem gesundheitsschädlich. Viele dieser Mittel, die dort benutzt werden – zum Teil werden sie in Deutschland hergestellt – dürfen in anderen Ländern, z. B. Europa und USA gar nicht im Einsatz sein.
C. P.: Wenn diese Baumwolle so stark mit Giften behandelt wurde, bekommen dann auch die Endverbraucher, d. h. Käufer von Textilien gesundheitliche Probleme?
U. Ott: Unter unseren Kunden sind solche Menschen. Grundsätzlich durchläuft aber bei der Herstellung ein Kleidungsstück viele Stufen, in denen das Gift größtenteils ausgewaschen wird. Gerade, wenn man ein einfaches, schlichtes Shirt, das nicht bio ist, irgendwo kauft und denkt: „Das sieht ja nicht so aus, als wäre es viel behandelt worden“, desto mehr von diesen Rückständen können drin sein, weil es nicht vielfach gewaschen wurde. Aber auch dieses Waschen schützt ja nicht – es ist ein Irrglaube zu meinen: Nur wenn wir selbst ein gesundes Kleidungsstück haben, was uns nicht reizt, sind wir auf der sicheren Seite. Das sind wir nicht! Die Welt ist inzwischen äußerst klein. Wenn vorher alles ausgewaschen wurde, landet es im Wasser, und der Wasserhaushalt der Welt ist für uns alle ein einziges Organ.
Man kann davon ausgehen, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter nicht in der Lage sind, von dem Lohn, den sie bekommen, sich und ihre Familie zu ernähren.
C. P.: Das ist der Aspekt, wie man mit den Pflanzen und deren Behandlung umgeht. Dann gibt es die Seite, wie die Arbeiterinnen und Arbeiter in diesen Ländern behandelt werden. Es wurde vom NDR eine Recherche gezeigt, die man auch auf YouTube sehen kann: Die Arbeiterinnen, deren Textilprodukte in einem deutschen Textildiscounter verkauft werden, arbeiten unter menschenunwürdigen Bedingungen, werden regelrecht auf dem Arbeitsplatz eingesperrt, haben kaum Verdienst für Nahrung, geschweige für medizinische Behandlung etc.
U. Ott: Das ist tatsächlich nicht nur eine einzige Firma, sondern das ist in vielen Fabriken der übliche Stand: in Indien, China, Bangladesch sind die Standards sehr niedrig. Man kann davon ausgehen, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter nicht in der Lage sind, von dem Lohn, den sie bekommen, sich und ihre Familie zu ernähren. Es gibt Menschenrechtsorganisationen, die sich dafür einsetzen, dass der Lohn zumindest so ausreichend ist, dass ein doppelverdienendes Ehepaar seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Das ist aber immer noch vielfach nicht möglich, und die Kinder müssen mitarbeiten, damit alle über die Runden kommen. Es ist für unsere Verhältnisse unglaublich, wir in Deutschland können uns nicht vorstellen, dass in vielen textilproduzierenden Ländern das der übliche Zustand ist. 80% aller namhaften Marken, die hier verkauft werden, produzieren auf diese Weise.
C. P.: Also nicht nur Discounter?
U. Ott: Nein. Nicht umsonst ist Greenpeace mit seiner Detox-Kampagne (https://www.greenpeace.de/kampagnen/detox) unterwegs und deckt eine Fabrik nach der anderen auf, die unter Missachtung der Menschenrechte und der Normen der internationalen Labour-Organisation produzieren lässt. Sie weisen darauf hin, dass wenigstens diese Normen eingehalten werden. Da ist noch viel zu verändern.
C. P.: Wie sind die alternativen Firmen entstanden?
Es sollte die ganze Produktionskette erfasst werden, damit an jeder Stelle eine Alternative stehen kann.
U. Ott: Vor ungefähr 10 Jahren waren es Studenten, die in diese Länder gereist sind und danach sagten: Das müssen wir ganz anders machen. Unser kleiner Dachverband, der Internationale Verband für Naturtextilwirtschaft, hat sich vor etwa 10 Jahren mit anderen Organisationen zusammengetan, um einen Nachhaltigkeitsstandard zu entwickeln, der in allen Ländern greift. Es sollte die ganze Produktionskette erfasst werden, von der Baumwolle, wo der Sprayer Pestizide einsetzt bis ganz zum Schluss, damit an jeder Stelle eine Alternative stehen kann. Die Menschen sollten wissen: Ja, man kann anders produzieren, man bekommt Garne, die anders hergestellt werden, es wird anders gefärbt etc. und jeder Händler in dieser Kette weiß, dass er sein Produkt auch wieder vom nächsten Verarbeiter abgenommen bekommt. So ist eine ganze Kette entstanden.
Diese Produkte erhalten dann das GOTS-Zeichen (global organic textile standard). Wenn ein Kunde in unserem Laden sagt: Oh, Ihr lasst in Bangladesch produzieren, wie könnt Ihr so was denn machen? Da können wir garantieren, dass gerade an den Orten, wo es so nötig ist, etwas passiert ist.
C. P.: Was genau ist dann anders, wenn die Textilien diese geprüfte Produktionskette durchlaufen?
U. Ott: Man hat angefangen bei den Arbeitern: Sie dürfen nicht ungeschützt irgendwelchen Chemikalien ausgesetzt werden; sie müssen währen der Arbeitszeit Pausen haben, die Kinder müssen zur Schule gehen dürfen, es darf nicht eine bestimmte Menge an Stunden im Monat überschritten werden. Es muss so viel Lohn bezahlt werden, dass ein Ehepaar seine Familie davon ernähren kann.
Der GOTS (global organic textile standard) ist von vier internationalen workinggroups vor 10 Jahren ins Leben gerufen worden, auf Initiative des internationalen Verbandes der Naturtextilwirtschaft. Sie haben eine Entwicklungsgruppe gegründet, die immer wieder zusammentrifft und die Standards neu anhebt. Da Mode und Textilien international sind, greift dieser Standard natürlich in Ländern wie Bangladesch, Indien etc. Es gibt unabhängige Zertifizierungsorganisationen, die in die Fabriken fahren und einerseits kontrollieren, andererseits das Siegel vergeben.
Wir finden es toll, wenn neben der ganzen Stufenzertifizierung in der Produktion die Firmen das dann auch noch Fair Trade zertifizieren oder in der fairwear organisation sind. Da setzt man sich quasi on top noch mehr für die Menschenrechte ein und achtet, dass das Ganze fair gehandelt wird.
Fair Trade plus nachhaltige Landwirtschaft
C. P.: Was macht dann speziell Fair Trade aus?
U. Ott: Fair Trade ist eine Organisation, die sich ausschließlich auf die Arbeitsbedingungen konzentriert. Ein mit Fair Trade ausgezeichnetes T-Shirt ist nicht zwingend aus Biobaumwolle, es können genauso viele Pestizide drin stecken wie in einem konventionellen T-Shirt. Die Kunden sagen immer: Fair Trade ist doch wunderbar! Natürlich ist es das und je mehr davon, desto besser. Aber Fair Trade reicht uns nicht. Es kann nicht fair sein, wenn sich jemand im Pestizidnebel umbringen muss. Deswegen gehört für uns die nachhaltige Landwirtschaft dazu, dass also kontrolliert biologisch gearbeitet wird, dass den Böden immer wieder Nährstoffe zugeführt werden usw. Es muss immer der ganzheitliche Aspekt dabei sein, und wenn nur ein Aspekt fehlt, reicht es bei einem komplexen Kleidungstück nicht aus: Alle Zutaten müssen in Ordnung sein, Stoff, Fäden, Knöpfe, die Färbung, die Fixierung, die Arbeitsbedingungen etc.
C. P.: Die Frage, was du dir von den Kunden wünschst, erübrigt sich nach all dem, was du jetzt gesagt hast?!
U. Ott: Ich erwarte von den Kunden nicht, dass sie so umfassend informiert sind wie wir, die wir ja ein Fachbetrieb sind. Wir finden es großartig, dass es so viele Leute gibt, die sagen: Wir wollen das jetzt anders. Früher war die Welt eine Scheibe und am Ende fiel man runter, und vielleicht waren da unten auch noch irgendwelche Menschen, aber mit denen hatte man nicht so wirklich etwas zu tun. Forciert durch das Internet haben wir ein globaleres Bewusstsein bekommen, und das führt viele Menschen dazu, dass sie keinen Raubbau mehr betreiben möchten. Die Welt ist gefühlt so viel kleiner geworden, und die Menschen merken, dass die Welt unser gemeinsamer Planet ist.