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Leben und Werk des Malers Edvard Munch
Artikel von Frank Wilbrandt
„Über den bedeutenden, am 12. Dezember 1863 in Norwegen geborenen, Maler Edvard Munch ist bereits viel geschrieben worden und seine Hauptwerke wie „Der Schrei“ oder seine „Madonna“ dürften den meisten bekannt sein. In jeder wirklichen Kunst liegt ein Geheimnis verborgen, und so scheint es auch in seinem Werk etwas zu geben, was noch erschlossen werden will. Einen Hinweis darauf findet man in der Munch-Biographie von Otto Benesch: ‚Es gibt „eine Seite in Munchs Kunst, der die Wissenschaft gern aus dem Wege gegangen ist …: die denkerische, metaphysisch spekulative.“ Die seelische Komponente dieses Malers des Seelenlebens des modernen Menschen wurde bisher vor allem auf psychologischem Wege ausgelotet. Relativ wenig findet man über die seelisch-geistigen Inhalte in seinen Werken, denen man mit Hilfe z. B. der anthroposophischen Geisteswissenschaft etwas näher kommen kann. Es scheint mir, dass dort noch ein großer „Schatz“ darauf wartet, gehoben zu werden. Und so möchte ich auch meine Arbeiten darüber als ganz am Anfang stehend betrachten.“ (Frank Wilbrandt)
Der Autor dieses Artikels, den er auf Anfrage für den HINWEIS verfasste, hielt am 4. Oktober in Bergstedt einen Dia-Vortrag zu diesem Thema. Veranstalter war die Initiative „Kultur im Wohldorfer Damm“ von der sozialtherapeutischen Einrichtung GemeinsamLeben und ZusammenLeben e.V.
Wenn man berücksichtigt, dass Munch einerseits allem spirituellen gegenüber aufgeschlossen war und andererseits seine Gemälde aus dem eigenen seelischen Erleben heraus schuf, können viele Bilder den Betrachter auffordern, die „Geschichte“ zu ergründen, die sie erzählen wollen. Für mich war es sehr hilfreich, durch verschiedene Biographien einen Einblick in sein Leben und sein Umfeld zu erhalten. Das sich Einleben in seine Seelenhaltung bietet einen der vielen Schlüssel zur Erschließung seiner Werke. Edvard Munch ist einen leidvollen Weg gegangen, den er selbst als äußerst schwierig empfand, den er aber bewusst gehen wollte, um so anderen Menschen auf ihrem Wege zu helfen. „Dein Evangelium ist der Lebensgenuss – meines ist das des Schmerzes“ schrieb er an seine Verlobte Tulla Larsen, die ihm später so viel Schmerz zugefügt hat, dass er fast daran zerbrach und in eine große Krise geführt wurde, die im Jahre 1908 ihren Höhepunkt erfuhr.
„Vater des Expressionismus“
Oft nennt man Edvard Munch den „Vater des Expressionismus“, denn der Beginn seines Wirkens fällt in die Zeit, als Kunst noch die möglichst naturgetreue Abbildung der äußeren Wirklichkeit war. Mit den Ansprüchen der akademischen Welt hatte er gebrochen und wurde dafür von Seiten der damaligen norwegischen Kunstwelt abgestraft. Bereits sein frühes Bild „Das kranke Kind“ von 1885/86, mit dem er den Tod seiner geliebten Schwester Sophie verarbeitete, stieß auf größte Ablehnung. Die Kritik war vernichtend. Die Ausführung dieses damals beliebten Motivs war zu radikal für den allgemeinen Kunstgeschmack.
das Individuum wird auf sich selbst verwiesen
Ist dieser Bruch mit den Traditionen nicht ein Zeichen des damals gerade beginnenden Michaelzeitalters? Der Erzengel Michael ist der Zeitgeist, der die Kultur, d.h. Kunst, Wissenschaft und Religion, radikal erneuert. Um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert wurden nicht nur viele bedeutende Künstler, sondern auch Rudolf Steiner geboren, dessen Aufgabe die Weiterentwicklung, die Erneuerung des Christentums war. Dafür bediente sich Rudolf Steiner im stärksten Maße der Kunst, war doch das erste Goetheanum ein Gesamtkunstwerk, als es diesen Begriff noch gar nicht gab. Durch die Kunst konnte Rudolf Steiner tiefer in die Herzen der Menschen wirken. Vieles über die Zusammenhänge und die daraus entstehenden Schwierigkeiten im Seelenleben der Menschen, hat er in seinem Vortragszyklus „Der Sturz der Geister der Finsternis“ (GA 177) geschildert: Die Menschen erlebten, wie Traditionen und Moralvorstellungen, die bis vor kurzem die Menschen noch trugen, immer mehr weg bröckelten. Das Individuum wird auf sich selbst verwiesen.
Die zunehmende Vereinzelung und die Verirrung der Seelen wurden seine bevorzugten Themen
Bilder von Munch wie „Die Einsamen“ oder „Melancholie“ (1891-93) thematisieren genau dieses Zeitproblem, das ja bis heute nicht überwunden ist. Was kann die Menschen dann noch zusammenführen? Sind es im Falle von Mann und Frau die Mondkräfte, die „die Liebe auf irdischem Felde“ (R. Steiner) verbinden? Sie wurden von Munch oft symbolisiert in dem Bildelement der „Mondsäule“. Sie bewirken eine gewisse Anziehung (so lautet der Titel eines bekannten Bildes), doch haben sie nicht die Kraft, eine dauerhafte Verbindung zu schaffen, was Munch durch sein Thema „Loslösung“ in Gemälden und Graphiken bildlich darstellt. Die zunehmende Vereinzelung des Ich-Menschen und die durch eine größere Freiheit mögliche Verirrung der Seelen wurden seine bevorzugten Themen. Das Verhältnis von Mann und (der sich emanzipierenden) Frau mit allen Problemen und die Auswüchse der bürgerlichen Gesellschaft mit ihrer Doppelmoral hat Munch in Bildern wie „Eifersucht“ oder „Asche“ zur direkten Anschauung gebracht. Sie mussten auf heftigen Protest stoßen, schließlich zeigte Edvard Munch damit einen allgemeinen Seeleninhalt der Menschen seiner Zeit. In dem Band „Kunst und Kunsterkenntnis“ (GA 271, Vortrag v. 15. Febr. 1918) findet man den Hinweis Rudolf Steiners, dass in den unbewussten Seelentiefen jedes Menschen ein Streben lebt, das sich als Vision – als inneres geistiges Bild – entladen will, allerdings als quälende krankhafte Vision. In einem gesunden Seelenleben bleibt die Vision im Unbewussten. Er sagt: „Dieses Streben nach der Vision, das im Grunde genommen in der Seele aller Menschen ist, kann befriedigt werden, wenn wir das, was entstehen will, aber in der gesunden Seele nicht entstehen soll – die krankhafte Vision – der Seele entgegenhalten in einem äußeren Eindruck, … in einem äußeren Bildwerk oder dergleichen. … Ich glaube, dass viele Betrachtungen der neueren Zeit, die sich ergehen innerhalb der Richtung, die als Expressionismus bezeichnet wird, nahe an dieser Wahrheit sind…“
So spricht Rudolf Steiner am Beginn des Michaelzeitalters, in welchem wir uns noch immer befinden, so dass Edvard Munchs Bilder aus diesem Blickwinkel gesehen nicht überholt sind.
Kampf um die Menschenseele
Ein weiteres ist, dass im Zeitalter der Bewusstseinsseele (1413 bis 3573 n. Chr.) „der Mensch am intensivsten Bekanntschaft machen muß mit den der Harmonisierung der Gesamtmenschheit widerstrebenden Kräften.“ Der Mensch soll sich eine Erkenntnis über die Widersachermächte erringen, denn erst dann kann er ihnen die Macht nehmen. Am eindringlichsten hat wohl Steiner selbst mit der Skulptur des „Menschheitsrepräsentanten“ und in der Ausmalung der kleinen Kuppel des ersten Goetheanum dieses Motiv dargestellt. Edvard Munch war sich der Angriffe Luzifers und Ahrimans anscheinend bewusst. Wenn auch bei weitem nicht in dieser Deutlichkeit, aber aus meiner Sicht doch eindeutig, hat er in dem Gemälde „Munch in der Hölle“ von 1903 diesen Kampf um die Menschenseele, in diesem Fall mit einem Selbstportrait, dargestellt.
es ging ihm um das verborgene Göttliche des Menschen-Ich
Wenn Edvard Munch auch oft die Schattenseite der menschlichen Existenz darstellte, ihre Ängste und Schwächen, so war es doch sein Wunsch, dass die Menschen das Heilige in den Bildern erkennen sollen, wie er es 1889 in seinem „Manifest von St. Cloud“ formulierte: „Es sollen nicht mehr Interieurs mit lesenden Männern und strickenden Frauen gemalt werden. Es müssen lebende Menschen sein, die atmen, leiden und lieben. Ich werde eine Reihe solcher Bilder malen: man soll das Heilige dabei verstehen, und die Leute sollen den Hut davor abnehmen, wie in einer Kirche.“ Es ging ihm also um das verborgene Göttliche des Menschen-Ich.
„die ewigen Kräfte“
Doch zuvor musste er die wohl schlimmste Krise seines von Krankheit und Krisen reichlich erfüllten Lebens überwinden. Am 29. September 1908 entschloss er sich zu einem Sanatoriumsaufenthalt in Kopenhagen. Nach sieben Monaten verlässt er es wieder, in seinen Lebensgewohnheiten wesentlich verändert. Er raucht nicht mehr, hat seinen exzessiven Alkoholkonsum eingestellt und ernährt sich vegetarisch. Er kehrt nach Jahren der Abwesenheit jetzt nach Norwegen zurück und malt für die Universitätsaula in Oslo u. a. das Monumentalgemälde „Die Sonne“. Hatte er sich früher besonders der Nachtseite des Lebens, den Mondkräften zugewandt, so kann er sich jetzt nach seiner Genesung den Sonnenkräften zuwenden. Während ihn zuvor das Individuum, der Mensch mit seinen Sorgen und Nöten interessierte, sind es jetzt „die ewigen Kräfte“ dahinter, wie er es nannte. Sein Blick weitete sich und er konnte auch alte Motive in helleren Farben darstellen. Von seiner Überzeugung – Alles ist Bewegung und Licht – künden Bilder wie „Die Welle“ von 1921.
die helleren Seiten: die Verwandlung der Erde durch den tätigen Menschen, die Schönheit der Natur
In dieser zweiten Lebenshälfte hielt er nur zu relativ wenigen Menschen Kontakt. Er lebte in großer Bescheidenheit in jeweils ein oder zwei Zimmern seiner Häuser. Ein weiteres bewohnte seine Haushaltshilfe, der Rest diente seiner Kunst. Er brauchte seine Bilder um sich, um zu leben, verkaufte sie nur ungern. Der früher verlachte arme Bohèmien war jetzt ein geachteter und begehrter Künstler, dem viele Ehrungen und Auszeichnungen zuteilwurden. Seine bescheidene Lebenshaltung konnte das alles nicht beeinflussen. In der selbst gewählten Einsamkeit seiner Güter mit den vielen Ateliers blieb er kreativ bis ins hohe Alter. Die Fragen von Krankheit und Tod, vom Schicksal des Menschen und der Menschheit, beschäftigten ihn nach wie vor. Aber auch die helleren Seiten: die Verwandlung der Erde durch den tätigen Menschen, die Schönheit der Natur. Edvard Munch war ja in einem sehr christlichen Elternhause aufgewachsen. Den strengen Pietismus seines Vaters wandelte er früh in eine mehr spirituelle Haltung. Doch nie hat er seinen Glauben verloren. Im Laufe seines Lebens, besonders in der Zeit um die Jahrhundertwende in Berlin, kam er oft mit Menschen zusammen, die wie er Suchende nach dem Geistigen in Welt und Mensch waren. „in uns sind Welten“ nannte er eine Zeichnung von 1894.
„Es gibt eine geheime Energie, die fortlebt, wir wiederholen uns selbst …“
Die Ideen von Reinkarnation und Karma, von einer geistigen Existenz des Menschen im Vorgeburtlichen und Nachtodlichen, waren ihm selbstverständlich. „Es gibt eine geheime Energie, die fortlebt, wir wiederholen uns selbst, so wie Kristalle sich auflösen und wieder neu kristallisieren können. Ich war stets geneigt zu glauben, dass nichts verloren geht. Wir sind Kristalle, wir lösen uns auf, und werden wieder zu neuen Kristallen.“
Unter diesem Gesichtspunkt könnte man das bekannte Gemälde „Die Mädchen auf der Brücke“ als Inkarnationsgeheimnis interpretieren. Vom Meer kommend über die (Landungs-) Brücke gehen die Mädchen ans Land auf einem in Inkarnatfarbe gemalten Weg. Sie erblicken ein Haus, von einer Mauer umgeben. Baut sich der Mensch, wenn er zur Geburt über die Brücke schreitet nicht auch mit dem physischen Leib ein eigenes Haus und umgibt sich mit einer Mauer, die ihn als Einzelpersönlichkeit umgibt?
„Ich möchte nicht plötzlich sterben oder ohne Bewusstsein… Ich will auch dieses letzte Erlebnis haben.“
In den letzten Jahren vor seinem Tod sprach er den Wunsch aus: „Ich möchte nicht plötzlich sterben oder ohne Bewusstsein… Ich will auch dieses letzte Erlebnis haben.“ Zur Zeit seines 80. Geburtstags im Dezember 1943 ereilte ihn, wie so oft in seinem Leben, eine schwere Bronchitis, von der er sich nicht wieder erholen sollte. Edvard Munch starb am 23. Januar 1944 friedlich auf seinem Gut Ekely bei Oslo.
Der Autor dieses Artikels: „Frank Michael Wilbrandt, geb. 1950 in Berlin-West . Ausbildung zum Industriefachwirt und Tätigkeit im Außenhandel. Seit 1986 leben meine Frau und ich mit Seelenpflege-bedürftigen erwachsenen Menschen zusammen. Seit 1997 Gründungshauseltern in der sozialtherapeutischen Lebensgemeinschaft Gut Adolphshof in Lehrte.“
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