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Der HINWEIS-DIALOG: Das bedingungslose Grundeinkommen
– Beiträge zur Diskussion
Gespräch mit Kai Ehlers und Lars Grünewald
Kann das bedingungslose Grundeinkommen unsere wirtschaftlichen und sozialen Probleme lösen? Immer wieder gibt es dazu engagierte und emotionale Diskussionen, im September wurde in etlichen Ländern eine Woche des Grundeinkommens veranstaltet und Vielen scheint es ein Ausweg aus einer prekären Lebenssituation zu sein. Deutschland ist reich wie nie zuvor, aber die Schere von sozialer Bedürftigkeit einerseits und hochproduzierender Gesellschaft andererseits klafft immer weiter auseinander. Wie kann das vorhandene Geld auf sinnvolle Weise verteilt werden? Das folgende Gespräch zeigt Hintergründe, mögliche Konsequenzen und auch, wie umfassend die Diskussion über das Grundeinkommen angelegt sein muss, wenn ein wirklich gesellschaftlicher Fortschritt damit verbunden sein soll.
(Manche Aussagen im Interview beziehen sich auf Ausführungen von Götz Werner. Dazu gab es im HINWEIS 11/2006 und 12/2006 jeweils einen Leitartikel, der im Internet-Archiv einzusehen ist.)
Interviewpartner: Lars Grünewald, geb. 1962, Studium der Musikwissenschaften und Erziehungswissenschaften, danach autodidaktisches Philosophiestudium mit den Schwerpunkten Deutscher Idealismus und Anthroposophie. „Mich interessiert besonders die Verknüpfung des reinen Denkens mit den grundlegenden sozialen Problemen, die wir heute in unserer Gesellschaft haben.“ Er ist tätig in der Erwachsenenbildung mit Seminaren und Vorträgen, z. B. Einführung in das reine Denken (Hegels „Wissenschaft der Logik“), Grundlagen der Sozialgestaltung, zwischenmenschliche Beziehungen, Kommunikationsmethodik, Astrologie etc.; in Hamburg hauptsächlich in der Forum-Initiative.
Kai Ehlers, 1944 in Brüx bei Prag geboren. Er studierte Deutsch, Publizistik, Theaterwissenschaft, beendete aber sein Studium 1968 zugunsten von Gemeinschaftsexperimenten. Ab 1970 war er als politischer Journalist in der außerparlamentarischen Opposition (APO) und ihren Organisationsnachläufern tätig. „Als Transformationsforscher – Schwerpunkt: Nachsowjetische Wandlungen und deren Folgen für die soziale Entwicklung des Sozialen – beschäftige ich mich heute damit, welche Auswirkungen die Krise auf unser Leben hat. Und da spielt die Frage nach dem Grundeinkommen eine entscheidende Rolle.“ Diverse Veröffentlichungen, u.a. zu dem Thema Grundeinkommen
Christine Pflug: Kai Ehlers, welche guten Gründe gibt es für die Einführung des Grundeinkommens?
Kai Ehlers: Wir leben in einer Zeit, in der die ohnehin zunehmend prekären Lebenssituationen vieler Menschen durch politische Maßnahmen noch weiter eingeschränkt und bedroht werden. Dem, was sich bei uns in Deutschland einerseits durch Hartz IV, Agenda 2010 und ähnliches entwickelt hat, stehen auf der anderen Seite eine große Produktivität und enorm hohe Gewinne der Industrie gegenüber. Da muss man sich fragen: Wie passt das zusammen? Auf der einen Seite geht es vielen Menschen zunehmend schlechter, sie werden aus der Arbeit ausgegrenzt, marginalisiert, sind psychisch und physisch in einer tendenziell verelendeten Situation, auf der anderen Seite ist das Land so reich wie nie zuvor – man kann es selbst im „Spiegel“ nachlesen.
Man muss einen inneren Zusammenhang herstellen, um das zu verstehen. Die hohe Produktivität könnte uns eigentlich in die Lage versetzen, die gesamte Bevölkerung, auch die, die nicht in Lohnarbeit steht, ohne Probleme zu ernähren. Das geschieht im Prinzip ja tatsächlich, insofern diejenigen, die keine Arbeit haben, ihre Sozialleistungen bekommen, also von denen mitgetragen werden, die Lohnarbeit haben. Die hohe Produktivität könnte die Basis sein, mehr an sozialer Gerechtigkeit herzustellen, das geschieht aber nicht, weil große Teile dieser Produktivität für Dinge abgezogen werden, die für das soziale Leben nichts bringen, stattdessen in die Unterhaltung der Bürokratie fließen, die Harz IV umsetzt und die Einhaltung der Vorschriften kontrolliert. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Da das Geld vorhanden ist und sowieso an diejenigen verteilt werden muss, die aus der Produktion, aus gesellschaftlichen Arbeitsprozessen und an den Rand gedrängt wurden, – warum gibt man es ihnen dann nicht in freier Weise? Warum müssen sie sich dafür bücken, warum kontrolliert werden? Mit dem Thema der Kontrolle stellt sich auch die Frage der Freiheit.
Warum sperrt man die Kreativität ein, die durch die freigesetzte Arbeitskraft entstünde, wenn man die Menschen frei handeln ließe? Das genau geschieht nämlich bei Hartz IV: die Möglichkeit, neue Ideen, neue Aktivitäten, sich selbst zu entwickeln, kreativ zu sein, wird unterbunden.
Wo will man die Grenze ziehen, wem gegeben wird und wem nicht?
C. P.: Bedingungsloses Grundeinkommen würde jeder bekommen, auch die gut Verdienenden. Warum jeder?
K. Ehlers: Dazu muss man das Thema weiter ausführen. Ich habe es bisher nur unter dem Gesichtspunkt der geteilten Gesellschaft betrachtet. Dass diese Teilung die Gesellschaft spaltet, tendenziell ihre Lebensfähigkeit zerstört, liegt auf der Hand und es ist klar, dass etwas gegen diese Tendenz geschehen muss. Aber das begründet natürlich noch nicht, dass jeder – ob Unternehmer, fest Angestellter oder Arbeitsloser – gleichermaßen ein bedingungsloses Grundeinkommen erhalten muss. Das würde bisher ja nur dafür sprechen, schlicht die Kontrollen abzuschaffen und jedem, der in Not kommt, das notwendige Grundeinkommen frei zu geben. Aber hier stellt sich dann das grundsätzliche Problem: Wo will man die Grenze ziehen, wem gegeben wird und wem nicht? Und wer zieht sie? Deshalb folgt hier die Grundüberlegung: Will man diese Teilung in nützliche Mitglieder der Gesellschaft und „Überflüssige“ auflösen, darf man keinen Unterschied mehr machen – jeder Mensch hat die gleichen Rechte. Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist ein Grundrecht, ein Menschenrecht, das jedem Neugeborenen ungeteilt zusteht. Details der Zumessung stehen noch auf einem anderen Blatt. Jeder bekommt einen bestimmten Grundsockel vom gemeinsamen Reichtum, um frei existieren zu können, mal provokativ gesagt, um sich auch von seinen reichen Eltern lösen zu können – und zwar ohne Kontrolle und ohne sich erklären zu müssen. Grundeinkommen heißt, dass der Mensch das bekommt, was er physisch und psychisch zum Überleben braucht, d. h. auch eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist eingeschlossen.
nicht mehr die Arbeitsleistung besteuern, sondern den Konsum
C. P.: Wie könnte der besagte Reichtum allen gleichermaßen zur Verfügung gestellt werden?
K. Ehlers: Da Deutschland eines der reichsten Länder ist, ist das Grundeinkommen meiner Meinung nach im Kern ein Verteilungsproblem. Wenn es eingeführt wird, werden einige Menschen auch weniger haben als bisher, d. h. sie werden mehr Steuern bezahlen müssen auf große Vermögen. Eine Möglichkeit wäre, auf große Transaktionen Steuer zu bezahlen. Ein anderes Modell, das von Götz Werner, sieht vor, nicht mehr die Arbeitsleistung zu besteuern, sondern den Konsum. Solche Steuermodelle gibt es im Übrigen ja schon ohne Grundeinkommen. Für eine Gesellschaft mit Grundeinkommen machte eine solche Konsumsteuer aber nur dann Sinn, wenn Unternehmen den Verbrauch von Ressourcen mit versteuern müssten, also Öl, Luft, Wasser, Gas, Land, sofern es industriell genutzt wird. Da kommen wir auf ein ganz anderes Niveau.
Dann fällt auch die Ungerechtigkeit weg, dass der Unternehmer, wenn die Konsumsteuer angehoben wird, sich den Konsum leisten kann und die Ärmeren nicht.
C. P.: Herr Grünewald, wie ist Ihre Position zu diesen letzten Ausführungen?
Lars Grünewald: Ich teile Kai Ehlers‘ Ausführungen bezüglich unserer grundlegenden gesellschaftlichen Situation. Hierbei lässt sich – wie Götz Werner dies tut – mit dem Artikel 1 und 2 unseres Grundgesetzes argumentieren, welche die Würde des Menschen, sein Recht auf Leben sowie seine körperliche Unversehrtheit und Freiheit garantieren. Daraus leitet Werner konsequenter Weise das Recht auf materielle Existenzsicherung und grundlegende gesellschaftliche Teilhabe jedes Menschen ab. Im nächsten Schritt konstatiert er, dass es, um diese Rechte gewährleisten zu können, eines Einkommens bedarf. Ich will nun nicht näher untersuchen, mit welchem Recht er von einem allgemeinen Recht auf Einkommen zu einem bedingungslosen Recht auf Einkommen und dann weiter zu einem Recht auf ein bedingungsloses Grundeinkommen kommt. Das sind unterschiedliche Dinge. Ich glaube aber, dass dieser Übergang zur Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens von der Sache her nicht zwingend ist, denn im Prinzip haben wir ein Recht auf ein solches Einkommen. Das ist einerseits das Recht auf Entlohnung und andererseits das Recht auf soziale Unterstützung, wenn man nicht arbeiten kann. Damit ist im Prinzip das Recht auf Einkommen abgedeckt. Nun ist die Frage, wie man das organisiert. Dabei sind die entscheidenden Punkte die Höhe des Einkommens, d.h. welchen Lebensstandard es dem Einzelnen tatsächlich ermöglicht, und die Bedingungen, zu denen es gewährt wird, also welchen Auflagen sich der Einzelne unterziehen muss.
Hartz IV verletzt ganz klar die Grundrechte der Würde und der Freiheit
Die derzeitigen Gewährungsbedingungen und der Leistungsumfang von Hartz IV verletzen aus meiner Sicht ganz klar die eingangs erwähnten Grundrechte der Würde und der Freiheit. Nach der einen Richtung müsste Hartz IV, wenn man es weiter so nennen will, dem Empfänger ermöglichen, dass dieser seine materiellen und kulturellen Grundbedürfnisse davon befriedigen könnte. Nach der anderen Richtung gibt es das, was Götz Werner die entwürdigende Durchleuchtung des Privatlebens der Menschen nennt, und das Heranziehen zu völlig sinnlosen Arbeiten und Beschäftigungen, beispielsweise 1-Euro-Jobs und sog. Qualifikationsmaßnahmen, für die sich die Arbeitslosen zur Verfügung halten müssen. Das sind indiskutable Bedingungen.
man kann keine Bedürftigkeit unterstützen, wenn man sie nicht vorher feststellt
Kai Ehlers: Wo sind dann Deine prinzipiellen Abweichungen zu meinen Ausführungen?
L. Grünewald: Ich halte die Ermittlung der Bedürfnisse des Einzelnen durch die Gemeinschaft für legitim und notwendig, d. h. ich bekomme die Bedürfnisse anderer Menschen nur heraus, wenn ich sie untersuche. Dazu muss ich auch deren finanziellen Verhältnisse in etwa einschätzen können; das müsste man bei den Reichen ja auch, wenn man von ihnen Steuern erheben will. Die differenzierte Untersuchung, wer durch seine Arbeit schon ein Einkommen hat, und wer einer diesbezüglichen Unterstützung bedarf, ist ein sinnvoller Verwaltungsaufwand, um das Solidaritätsprinzip, nämlich die Unterstützung der wirklich Bedürftigen, zu gewährleisten. Man kann keine Bedürftigkeit unterstützen, wenn man sie nicht vorher feststellt.
C. P.: Und wie macht man das, ohne die Menschen dabei zu entwürdigen?
L. Grünewald: Wir hatten der Tendenz nach ein solches nicht-entwürdigendes System – das auch seine Schwächen hatte – vor der Einführung von Hartz IV. Man könnte daran noch einiges abwandeln, aber es ist völlig legitim, dass jemand der Gemeinschaft gegenüber – denn der Staat vertritt ja die Gemeinschaft – nachweist, in welchem Umfang er unterstützungsbedürftig ist, so dass dann die Gemeinschaft darauf mit entsprechenden Unterstützungen reagieren kann . Diese sollten – im Interesse der Gemeinschaft – nicht ohne Bedürftigkeitsermittlung abgegeben werden.
Das führt auf den Grundgedanken des bedingungslosen Grundeinkommens, nämlich denjenigen der Gleichheit. Weder die Bedürfnisse noch die Besitzverhältnisse der Menschen sind gleich. Ich lehne das Grundeinkommen ab, weil es die bestehende Ungleichheit zementiert, denn es ist ein Sockelbetrag, der sowohl den Armen als auch den Reichen draufgeschlagen wird. Um es mit Steiner zu sagen: Das Brüderlichkeitsprinzip wird durch das Gleichheitsprinzip ersetzt – das ist ungerecht.
Außerdem ist es eine Geldverschwendung, denn diejenigen, die sich aus eigenen Mitteln finanzieren können, brauchen kein Grundeinkommen. Wenn man es ihnen aber dennoch gibt, schnellt der Finanzierungsbedarf für das Grundeinkommen natürlich in die Höhe.
das Steuerrecht auf eine neue Basis stellen, und zwar auf die grundlegende Differenzierung aller Einnahmen in Produktionskapital und Konsumkapital
C. P.: Wie würden Sie die „Reichen“ kontrollieren, bzw. woher sollte nach Ihrer Meinung das Geld für die Bedürftigen herkommen?
L. Grünewald: Das verlangt, das Steuerrecht auf eine neue Basis zu stellen, und zwar auf die grundlegende Differenzierung aller Einnahmen in Produktionskapital und Konsumkapital. Die Frage ist: Wann wird Geld dazu eingesetzt zu produzieren? Dann wird es nämlich für die Befriedigung der Bedürfnisse anderer eingesetzt, sonst macht die Produktion keinen Sinn. Und weil wirkliches Investitionskapital immer produktiv ist, sollte es überhaupt nicht besteuert werden.
K. Ehlers: Das ist nur theoretisch richtig, in der Praxis wird nicht produziert, um die Bedürfnisse anderer zu befriedigen, sondern um Profit zu machen.
L. Grünewald: Dafür wäre dann keine Möglichkeit mehr gegeben, denn Profit ist Konsumkapital und sollte bei entsprechendem Volumen entsprechend hoch besteuert werden: Ein Unternehmen wäre dann frei, seine Einnahmen zu reinvestieren; nur dann handelt es sich um Produktionskapital, welches der Bedürfnisbefriedigung anderer dient. Das, was der Unternehmer für sich persönlich entnimmt, wäre Konsumkapital, das ihm zur freien Verfügung steht. Nicht tatsächlich zum Konsum verwendetes Konsumkapital wird zum größten Teil angesammelt, es geht der Volkswirtschaft verloren und begründet Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse. Da dieser Reichtum ja vorhanden ist, sich nur unverhältnismäßig konzentriert, würde durch eine progressiv gestaltete Einkommenssteuer dieses Kapital abgezogen werden können für andere notwendige Ausgaben, z.B. für Sozialleistungen.
das Geld ist vorhanden, es muss nur anders verteilt werden
K. Ehlers: Das halte ich für einen interessanten Gedanken, mit dem ich einhergehen könnte. Das sagt aber gar nichts über den ersten Konflikt, das sind zwei verschiedene Fragen. Die erste Frage ist: Wo bekommt man das Geld her? Und die zweite Frage ist: Wie gestalten wir es dann? Ich finde es fatal, dass man zu schnell darüber diskutiert, wo das Geld herkommt. Das ist gar nicht die Frage, denn das Geld ist vorhanden; es muss nur anders verteilt werden. Erst mal muss man darüber diskutieren: Was wollen wir eigentlich?
L. Grünewald: Die Frage, wo das Geld herkommt, ist schon wichtig, denn wenn man einen bestimmten Finanzierungsmechanismus ersinnt, muss man diesen sehr genau auf seine Konsequenzen untersuchen, damit dadurch nicht die ganze Gesellschaft, und im Endeffekt besonders die, die nichts haben, ruiniert werden. Bei dieser Grundeinkommensdebatte sind etliche Finanzierungskonzepte vorgelegt worden, die nämlich genau das zur Folge hätten.
K. Ehlers: Da bin ganz deiner Meinung, weil das bei den derzeitigen Diskussionen nur spekulativ ist. Man muss erst mal an die Grundfrage rankommen, nämlich die soziale Bedürftigkeit einerseits und die hochproduzierende Gesellschaft andererseits: Wie wird das in Zukunft organisiert? Das ist ein Problem, das gelöst werden muss.
L. Grünewald: Da ist aber die von mir eben erläuterte Art der Besteuerung Bestandteil der Lösung des Problems, weil sie Geld zu Verfügung stellt, das aus den Privatmitteln der Produktionsmittelbesitzer abgezogen würde und der Gemeinschaft zur Verfügung stünde. Die andere Seite des Problems ist: Wer verteilt dieses Geld, und zu welchen Zwecken?
K. Ehlers: Gegen deinen Vorschlag der Besteuerung würde ich gar nicht argumentieren – es gäbe auch noch andere Steuermodelle -, aber es ist erst der zweite Schritt. Der erste Schritt ist, wie bereits gesagt, die Frage, wie man diese ungleichen Seiten der hochwachsenden Produktivität und der Bevölkerung, die davon ausgegliedert wird, löst.
Bezüglich dieses Grundproblems muss man noch eine Einschränkung anschauen, die das Thema verkompliziert, aber die Dringlichkeit aus anderer Sicht deutlich macht. Die heutige Produktivität ist abhängig von dem Stand unserer Produktionsformen; wir produzieren mit fossilen Rohstoffen und verbrennen Öl, Gas usw. Wie lange können wir das noch? Insofern kann diese Produktivität nur gehalten werden, wenn auch dieses Problem gelöst wird. Das gehört ebenfalls mit in die Diskussion.
Und das ist meines Erachtens der entscheidende Punkt: Es muss Kreativität entwickelt werden – Geist, Forschung, Kraft, Initiative, Lust. Der Freiraum, der durch die Produktivität geschaffen ist, muss genutzt werden. So, wie die Gesellschaft heute organisiert ist, wird dieser Freiraum nicht genutzt; die Kräfte, die aus der Produktion freigesetzt werden, sind künstlich still gelegt.
wenn man einfach nur Geld ausschütten würde – damit wäre gar nichts gewonnen
Insofern bin ich gar kein Vertreter davon, dass das Grundeinkommen alle Probleme lösen würde. Es ist nur der richtige Schritt, um die Kräfte zu befreien. Und nur im dem Zusammenhang macht es einen Sinn. Wenn man einfach nur Geld ausschütten würde – damit wäre gar nichts gewonnen.
C. P.: Kai, was spricht dagegen, dass man Menschen auf ihre soziale Bedürftigkeit hin prüft?
K. Ehlers: Man kommt dabei auf das Problem, dass man irgendwann eine Entscheidung treffen muss, wer genügend Geld hat und wer soziale Fürsorge braucht. Man muss immer eine Kontrollfrage stellen, d. h. man braucht zum einen eine Instanz und zum anderen Kriterien zur Überprüfung von Bedürftigkeit. Ich meine, das brauchen wir nicht. Die wenigen Reichen, die dann gegebenenfalls Grundeinkommen beziehen, kosten in Relation zum Ganzen dann sowenig, dass es rechnerisch zu vernachlässigen ist, zumal es sich durch hohe Steuern regeln lässt.
L. Grünewald: Das verschiebt die Kontrolle nur auf eine andere Ebene! In beiden Fällen geht es um die Vermögens- und Einkommensverhältnisse, im einen Fall um die Bemessung der sozialen Unterstützung und im anderen Fall um die Bemessung der Steuer.
Steuerbemessung ist keine Kontrolle, keine besondere Persönlichkeitsprüfung
K. Ehlers: Steuerbemessung ist keine Kontrolle, keine besondere Persönlichkeitsprüfung, um es so zu sagen, denn es regelt sich über das, was verdient wird. Und dem ist jeder Mensch gleichermaßen ausgesetzt. Wenn heute jedem Menschen ein bestimmter Grundsockel – um mal eine Zahl von 750 EUR zu nennen – zur Verfügung gestellt würde, kann das jeder in gleichem Maße benutzen. Man könnte Regelungen treffen, dass Kinder dieses Geld bis zu einem bestimmten Alter auf ein Festgeldkonto erhalten und dass es ihnen danach zur Verfügung steht. Aber das sind Detailregelungen. Der Kern ist, dass man keinerlei Nachweise für eine Bedürftigkeit erbringen muss und sich einem „Bedürftigkeitsprüfer“ unterordnen muss. Das wäre dann alles abgeschafft. Jeder einzelne kann sich danach frei entscheiden, mehr zu tun als das, was die erste Grundvoraussetzung ist. Alles, was dann noch dazu kommt, baut auf diesem Grundsockel auf – der eine arbeitet mehr, der andere weniger, jeder hat unterschiedliche Bedingungen. Diese unterschiedlichen Bedingungen sind auf diesem Grundsockel zu lösen.
L. Grünewald: Wenn wir die eigentlichen Ursachen der derzeitigen Ungerechtigkeit anschauen wollen, dann liegen diese in der Struktur des Systems. Die derzeitigen Verteilungs- und Machtverhältnisse werden – gerade auch in der Konzeption des Grundeinkommens – als gegeben hingenommen. Die Frage wäre doch viel eher, wie sich die jetzige Systemstruktur ändern ließe.
K. Ehlers: Richtig! Ich bin auch kein Vertreter der Vorstellung, dass ein Grundeinkommen sämtliche sozialen Probleme löst. Ich bin einfach der Meinung, dass wir mit unserem System in einer kritischen Phase angekommen sind – die Zusammenfügung von Lohnarbeit und Kapital kann nicht mehr so wie bisher existieren. Es müssen neue Organisationsformen des Lebens entwickelt werden, es muss auch wahrgenommen werden, was sich schon entwickelt hat, z. B. gemeinschaftliche Lebens- und Produktionsformen, die den bisherigen Rahmen bereits sprengen.
Eine Diskussion über das Grundeinkommen halte ich nicht für sinnvoll, ohne diese neuen Netz- und Gemeinschaftsformen, beispielsweise Ökodörfer, mit einzubeziehen, weil da schon eine andere Verantwortung entstanden ist.
C. P.: Herr Grünewald, welche Gefahren sehen Sie, wenn die Menschen nicht mehr arbeiten müssten?
L. Grünewald: Es würde die Freiheit gewährleistet – und zwar für jeden – überhaupt nicht mehr arbeiten zu müssen. Das halte ich wiederum für ungerecht, denn wenn ich ein Grundeinkommen beziehe, dann lebe ich in letzter Konsequenz von der Arbeit anderer. Der Staat generiert das Einkommen ja nicht, er verteilt nur, was andere erarbeitet haben. Nun würden natürlich vor allem die unangenehmen Arbeiten wegfallen, denn es hätte keiner mehr nötig, eine solche Arbeit anzunehmen. Das wäre aber fatal, wenn es sich bei diesen Arbeiten um solche handelt, die existenzielle Grundbedürfnisse anderer befriedigen, beispielsweise Müllabfuhr und Krankenpflege. Wie kann die Gemeinschaft gewährleisten, dass die Patienten nicht in den Betten liegen bleiben, sondern zur Blutwäsche transportiert werden?
Wenn es jedem gestattet wäre, nicht zu arbeiten – welche Konsequenzen wird das für die akut Bedürftigen haben? Ein Sozialstaat hat unter allen Umständen zu gewährleisten, dass diese Bedürfnisse befriedigt werden. Leider ist die Idee des Grundeinkommens nur von den Arbeitenden her gedacht, nicht von den Bedürftigen.
Ein weiteres Problem wäre, dass viele Menschen auch dann nicht arbeiten würden, wenn ihre Grundversorgung gewährleistet wäre. Es steckt so tief in ihren Lebensgewohnheiten drin, nicht aus eigenem Antrieb zu arbeiten – solche Beispiele sind durch Beobachtungen und Untersuchungen belegt -, dass sich auch durch das Grundeinkommen daran nichts ändern würde. Deshalb bin ich der Auffassung, dass Grundeinkommen und Arbeiten, von dem Moment an, wo die existenzielle Grundversorgung des Menschen gewährleistet ist, zwei Dinge sind, die überhaupt nichts miteinander zu tun haben. Das führt – und da müsste man jetzt die Argumentation erweitern – in die Willensbildung und ist ein Thema der Pädagogik. Menschen verstehen Freiheit vielfach als Konsumgut, und nicht als einen Freiraum, der sich erst durch eigene Anstrengung verwirklicht.
Soweit ich die Diskussion mitbekommen habe, wird dieses Thema vollkommen verdeckt, und es wird einfach unterstellt, dass das Fehlen eines Grundeinkommens die Ursache dafür sei, dass Menschen nicht aus sich heraus aktiv werden. Das halte ich schlicht für Unsinn!
K. Ehlers: Damit bin ich völlig einverstanden: In der Konsummentalität wird der menschliche Wille so reduziert, dass man Freiheit als etwas erwartet, was man einfach nur „verbrauchen“ kann. Das wäre fatal! Deshalb gehört die eigene Initiative, mit anderen in einer Gemeinschaft für eine neue gesellschaftliche Entwicklung einzutreten, als untrennbarer Bestandteil in die Diskussion mit hinein und ist das Entscheidende an diesem Prozess. Das Grundeinkommen bietet eine Chance, um neue gesellschaftliche Formen zu entwickeln. Wenn man sich hiesige Gemeinschaftsprojekte heute anschaut, dann sieht man: Jetzt kommen die finanziell mal eben mit Mühe zurecht, aber wenn diese Menschen Grundeinkommen bekämen und das zusammenlegen könnten – was für eine Power wäre das dann!
Das Problem der unangenehmen, anstrengenden und auch gesellschaftlich notwendigen Arbeiten kann man so lösen, dass diese dann besonders gut bezahlt werden, über das Grundeinkommen hinaus. In der Sowjetunion hat man damals im hohen Norden, wo Eis und Schnee war, die drei- bis fünffachen Gehälter bekommen. Der Staat hat dann dafür zu sorgen, dass ein solches Entlohnungsgefüge stattfindet, damit diese Arbeiten für die Menschen attraktiv werden.
C. P.: Gibt es schon Modelle, wo das Grundeinkommen ausprobiert wurde?
K. Ehlers: Mir ist vor einigen Monaten in einem Hinz- und Kunzt -Heft ein Artikel in die Hände gefallen über ein Musterdorf in Nigeria. Dort wurde ausprobiert, Grundeinkommen an die Bevölkerung zu verteilen. Alle bisherigen Untersuchungen sprechen eine positive Bilanz: Die Menschen sind durch das Grundeinkommen motiviert worden, mehr zu arbeiten. Das ermutigt natürlich. (siehe dazu auch Wikipedia: Bedingungsloses Grundeinkommen – Ansätze zur Einführung)
C. P.: Welche Fragen bleiben noch offen?
L. Grünewald: Wir müssten unbedingt untersuchen, welche wirtschaftlichen Folgen mit der Einführung des Grundeinkommens einhergingen, denn der letztlich entscheidende Faktor ist die Kaufkraft des Geldes. Wie hoch der Betrag des Grundeinkommens wäre, ist für sich betrachtet völlig unerheblich; interessant ist, wenn es denn einmal ausbezahlt würde, ob es Mechanismen auslösen würde, die zu einer dramatischen Preissteigerung oder zum Wegfall bestimmter Produkte führen würden, weil die für deren Produktion erforderliche Arbeit nicht mehr geleistet würde.
Ein weiterer Gesichtspunkt wäre, dass wir mit dem Grundeinkommen dem Staat eine sehr weitgehende Kontrolle über die Finanzierung des Einzelnen in die Hand geben würden. Wir wären ja mit Sicherheit bezüglich der Einführung eines Grundeinkommens an das EU-Recht gebunden. Was würde passieren, wenn die EU das Grundeinkommen verbieten oder zur Chefsache machen würde – auf welche Entwicklungen liefe das hinaus?
Das sind aber natürlich alles nur gedanklichen Skizzen, die man ausführlicher darstellen müsste.
Literatur: Kai Ehlers „Grundeinkommen als Sprungbrett in eine integrierte Gesellschaft“, Pforte Verlag, www.kai-ehlers.de