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Der HINWEIS-DIALOG: Eurythmie und Feldenkrais
Interview mit Dr. med. Heidje Duhme, Feldenkrais-Pädagogin, Christiane Hagemann, Heileurythmistin, Michael Werner, Schuleurythmist und Berater
„Der Mensch entsteht durch Bewegung“ – das ist ein Grundsatz in der Eurythmie. „ Über die Bewegung kann der Mensch sein Selbstkonzept und seine Lebens-Haltung ändern“ – davon geht man in Feldenkrais aus. Diese beiden Bewegungsarten helfen dem Menschen sich zu revitalisieren, zu heilen oder eigene Bewegungsfreiheiten zu erkunden und auszuprobieren.
Feldenkrais arbeitet mehr auf der Grundlage der gesetzmäßigen Wirkung der Schwerkraft auf die Bewegung, in der Eurythmie ist die gestaltete Bewegung der Laute ein wichtiges Moment. Trotz dieser unterschiedlichen Ausprägungen entsteht beides aus ähnlicher Quelle. Ebenfalls auf ähnliche Beobachtungen stoßen die drei Interviewpartner, wenn sie feststellen, auf welche Weise heute Kinder und Erwachsene Unterstützung bei ihren Bewegungsabläufen brauchen.
InterviewpartnerInnen:
Dr. med. Heidje Duhme, Ärztin, seit 1984 mit Feldenkrais beschäftigt. Seit 1988 Feldenkraislehrerin für Gruppen und Einzelpersonen, bietet feldenkraisbezogene Fortbildungen an. Ist außerdem tätig in einer psychosozialen Beratungsstelle, in der sie systemisch arbeitet.
Christiane Hagemann: arbeitet seit 1981 mit der Eurythmie, mittlerweile als Heileurythmistin mit Kindern und Erwachsenen; gibt Kurse in Vital-Eurythmie; Dozentin in der Eurythmie-Ausbildung 4.D.
Michael Werner: in der Eurythmie tätig seit 1989, unterrichtet Eurythmie in der Rudolf Steiner Schule Hamburg Bergstedt, ist Berater für Organisationsentwicklung und Dozent in der Eurythmieausbildung 4.D.
Christine Pflug: Was macht man bei Feldenkrais?
Dr. med. Heidje Duhme: Essenziel geht es darum, sich zu bewegen und dabei zu spüren, wie das geschieht. Das gehört untrennbar zusammen. Die Bewegung selbst ist das Medium, um herauszufinden, wie bei einem selbst die Klarheit und Leichtigkeit des Ablaufes, das Denken und im weitesten Sinne das Handeln zusammenpasst. Wir haben einen Kanon mit vorgegebenen Bewegungen, z. B. geht es um die phylogenetische Entwicklung von Bewegung (die Stammesgeschichte von Lebewesen betreffend; auf die biologisch-ökologische Entwicklungsgeschichte der Menschheit, menschlicher Rassen und Völkerstämme bezogen. Aus: Wikipedia). Wie hat sich die Bewegung des Menschen stammesgeschichtlich entwickelt, z. B. rollen, robben, kriechen, krabbeln, wie kommt man von da aus zum Sitzen und zum Stehen? Das sind Entwicklungen in der Bewegung, die jeder Mensch stammesgeschichtlich durchgemacht hat und auch individuell in Abhängigkeit von der jeweiligen Umgebung. Damit beschäftigen wir uns, das untersuchen wir auf unser individuelles Muster hin, erleben es nach und entdecken Variationsmöglichkeiten dazu, die dem gegenwärtigen Bedürfnissen gerechter werden. Damit können schmerzfreie Bewegungsabläufe und geschmeidigere Haltungen sich neu im Zentralnervensystem bahnen.
Feldenkrais ist aber auch für die berufliche Situation hilfreich: Was braucht man als Musiker, Sportler, Schauspieler, Friseur etc. um den Körper, bzw. sich selbst, optimal einzusetzen? Wie kann sich eine bessere Stressbewältigung etablieren?
Es gibt eine aktive Form der Feldenkraisarbeit, in der wir Bewegungsformen wie Zeitlupenstudien anleiten. Wie macht man es beispielsweise, sich im Sitzen aufzurichten? Welche Stellung hat dabei das Becken, was machen die Füße am Boden? Gibt es dabei Verhärtungen, die verhindern, dass man die Aufrichte findet? Es gibt Vereinseitigungen in der Bewegung, Verhärtungen, Blockaden, die sich durch aufmerksame Eigenbeobachtung auflösen können.
Meistens arbeiten wir im Liegen, weil der Körper dabei vom Kopf bis zu den Füssen Unterstützung findet und nicht mit seinen gewohnten Gleichgewichtsreaktionen antwortet. Das gibt dem Menschen viel Sicherheit und die nötige Lernfreiheit.
Wenn ein Mensch ein Bewusstsein von dem eigenen körperlichen Schwerpunkt hat, kann er sich halten und erhalten
C. P.: Wie ist die Feldenkrais-Methode entstanden?
H. Duhme: Sie ist nicht im Labor, sondern aus eigener Betroffenheit entstanden. Moshé Feldenkrais Moshé Feldenkrais (* 6. Mai 1904 in Slawuta, Ukraine; † 1. Juli 1984 in Tel Aviv, Israel, war Physiker und Judolehrer. Er ging davon aus, dass ein Mensch nach dem Bild handelt, das er sich von sich macht. Er sagt, dass dieses Bild („self image“) teils ererbt, teils anerzogen und zu einem dritten Teil durch Selbsterziehung zustande kommt. Aus: Wikipedia) hatte durch einen Unfall am Knie einen Defekt, und es war nicht sicher, ob eine Operation erfolgreich sein würde. Er hat als Naturwissenschaftler erst mal nur unter physikalischen Gesichtspunkten beobachtet: Wie gehe ich mit der Schwerkraft um, wie wirkt die Biomechanik und welche Bedeutung hat das Skelett für die Aufrichtung und Bewegung usw.? Über die feine Beobachtung seiner selbst hat er so geforscht mit dem Resultat, dass er wieder schmerzfrei war. Da war für ihn eine Verknüpfung naturwissenschaftlicher Gesetzmäßigkeit und deren konkrete Anwendung auf das sich selbst wahrnehmende Subjekt gegeben, die ihn zu weiterem Forschen motiviert hat. Er war auch Judo-Kämpfer und von daher war ihm vertraut, dass Bewegung und Angst eine sehr tiefe Verbindung haben und dass derjenige, der Angst hat, seine Beweglichkeit bzw. seine persönlichen Potentiale nicht entfalten kann. Wenn ein Mensch ein Bewusstsein von dem eigenen körperlichen Schwerpunkt hat, bleibt er im Gleichgewicht flexibel, kann sich spüren, halten und auch er-halten.
Christiane Hagemann: Vor etwa 15 Jahren hatte ich einen Bandscheibenvorfall und war bei einer Feldenkrais-Pädagogin in Behandlung. Bedingt durch den Bandscheibenvorfall hatte ich vor bestimmten Bewegungen Angst. Ich fand es eine bereichernde Erfahrung, in diese Körperbereiche hineinzuspüren, alternative Bewegungen auszuprobieren, dabei die Unterschiede der einzelnen Körperpartien genau zu spüren etc. Das Strömende, das dabei entstehen kann, empfand ich als sehr eindrucksvoll.
H. Duhme: Hinter dem, was Sie beschreiben, verbirgt sich auch das didaktische Konzept. Lernen ist, so Feldenkrais, bewusst Unterschiede wahrzunehmen. Z.B. das Bild der einen Körperhälfte zu erkennen und dann über das aufmerksame Tun oder das Tun in der Vorstellung auf die andere Körperseite zu übertragen. Unsere Hirnstrukturen sind so, dass sie die bewusste Wahrnehmung von der einen Seite durch Bewegung auf die andere Seite übertragen.
C. Hagemann: Wir gehen in der Eurythmie davon aus, dass der Mensch aus dem urschöpferischen Kräfte-Prinzip von Bewegung entstanden ist. Diese Bewegungen sind permanent als Bildekräfte und Vitalität in der menschlichen Gestalt enthalten und wirksam. Damit arbeiten und gestalten wir in der Eurythmie. Es gibt Kräfte, die in ihrer Dynamik zum Beispiel etwas in Fluss bringen und anregen. Andere Kräfte grenzen ab, regen eine Differenzierung an oder beruhigen einen Prozess. Für mich sind diese Lebenskräfte das, was Paracelsus als den ‚inwendigen Arzt‘ bezeichnet hat. Diese Gestaltungskräfte des Lebendigen äußern sich in den Bewegungen der Laute, wie wir die Kraftseite der Buchstaben nennen.
Ich hatte damals bei Feldenkrais das Gefühl, dass meine strömenden Kräfte angesprochen wurden, was mir gut getan hat.
C. Hagemann: In der Eurythmie werden diese Kräfte bewusst gestaltet. Wir bewegen verschiedene Laute: „t“ klingt anders als „m“, drückt sich also durch eine ganz andere Bewegung aus. Es gibt Laute, die sind hart oder weich, bringen ins Fließen, stocken ab, bringen den Menschen zu sich, lösen usw. In der Heileurythmie wird diese lebendige und regenerierende Kraft der einzelnen Laute gezielt eingesetzt.
Außer in der Therapie wird Eurythmie in der Pädagogik, im darstellenden und im sozialen Bereich angewendet.
Außerdem gibt es den Bereich der Vital-Eurythmie. Sie ist speziell dafür entwickelt worden, Stress zu verarbeiten, die Vitalität und Regenerationsprozesse gezielt zu unterstützen und wird präventiv eingesetzt.
Stress verarbeiten
Michael Werner: So ein Thema kann beispielsweise Stress sein. Wenn man Druck von außen oder auch von innen nicht bewältigt bekommt, können geführte, langsame Bewegungen – ein ähnliches Phänomen wie bei Feldenkrais – uns die eigenen Bewegungsmuster wieder neu zugänglich und sichtbar werden. Man geht dann mit dem eigenen Bewusstsein sozusagen in die Bewegung rein die man konkret ausführt. Bei vielen körperlichen Symptomen, die von Stress oder auch mit Haltungsschäden des Körpers zu tun haben, kann man mit Lauten und anderen eurythmischen Elementen systematisch anregen und revitalisieren und somit die Regeneration und Erholung eigenaktiv fördern.
C. P.: Was wird im Eurythmieunterricht in der Schule gemacht?
M. Werner: Das ist sehr vielfältig, da das Fach die ganze Schulzeit über unterrichtet wird und jeweils altersspezifisch sehr unterschiedliche Ziele, Aufgaben und Methoden zum Einsatz kommen. Grundsätzlich sitzen die Schüler während ihrer Schulkarriere und vollziehen dabei viel Kopfarbeit. Das ist auch in der Waldorfschule so, trotz vieler künstlerischer Fächer und Elemente, die dort den Schulalltag durchdringen. Der Eurythmieunterricht ist in diesem Zusammenhang Bewegung- pur. Auch für Schüler (übrigens auch für Lehrer!) ist das Thema Stressabbau, Regeneration und Revitalisierung ein zunehmend wichtiger Punkt. Speziell dafür habe ich in den letzten Jahren Vitaleurythmie- Übungen für die Pädagogik entwickelt und erprobt.
In unserer Zeit herrscht allgemein eine körperlich ungesunde Bewegungsarmut. Einige Schüler können schon nicht mehr richtig stehen und kommen dabei in eine verspannte Körperhaltung und Ungeschicklichkeit. Leider müssen heute immer mehr Kinder in den unteren Klassen sogar das Geradeaus-Laufen erst lernen! Dabei kommt auch der Eurythmieunterricht zum Zuge. Hilfreich kann dabei ein gemeinsames, entspanntes und konzentriert ausgeführtes Gehen zu Musik sein.
In der Schule erleben Schüler auch immer wieder, dass sie bestimmte Dinge nicht oder noch nicht können. Daher ist hier eine zentrale Aufgabe, dem eigenen Lernen auf die Spur zu kommen, wozu sich bestimmte Elemente des Eurythmie ganz besonders eignen.
Einige Ergebnisse des Eurythmieunterrichts werden an Monatsfeiern auf der Bühne präsentiert. Dabei geht es dann speziell um einen künstlerischen Ausdruck im Sinne des Werkes. Doch gerade bei dem Thema Lernen kann die Eurythmie, das dort gepflegte achtsame Verfolgen der eigenen Bewegungen, ein sehr hilfreicher Partner sein.
einen inneren Dialog mit sich selbst anregen
H. Duhme: Eine Gemeinsamkeit zwischen Feldenkrais und Eurythmie scheint mir zu sein, einen inneren Dialog mit sich selbst anzuregen, wobei die Fragestellungen sich explizit auf die Art des Bewegens richten, implizit geht es auf der Metaebene um das Selbstbild und das Selbsterleben und darüber stellt sich auch die Frage nach dem Dialog, den der Einzelne mit den Menschen in seiner Umgebung entwickeln kann oder wie er sein Handeln gestaltet.
Ich finde das mit dem Bewegen der Buchstaben auch sehr interessant, und auch da scheint eine Analogie zu Feldenkrais zu liegen: die alten Anatomen haben die Gelenke als „Articulatio“ bezeichnet. Im medizinischen Sprachgebrauch ist das Schultergelenk z.B. die Articulatio humeroscapularis, und wir artikulieren unsere Gedanken letztlich durch Sprache. Aus einer klareren Beweglichkeit kommen auch klarere Gedankengänge und eine klare Sprache ist wesentlich Bestandteil des Selbstausdrucks.
C. Hagemann: Es gibt diesbezüglich in der Eurythmie zwei Ausprägungen: einzelnen Laute werden in der Heileurythmie und auch in der Vital-Eurythmie gemacht. Aber bei eurythmischen Bühnenaufführungen sind das nicht einzelne Buchstaben, sondern ganze Gedichte, bei denen nicht buchstabiert, sondern die Gesamtheit der Sprache in eurythmischer Bewegung ausgedrückt wird. Das ist dann eine andere seelische Aktivität, als wenn man mit den einzelnen Lauten achtsam umgeht.
C. P.: Michael, welche Übungen machst Du im Eurythmieunterricht in der Schule?
M. Werner: Dabei ist grundsätzlich wesentlich, dass man viel bewegt und sich übt anhand von Rhythmen der Sprache und life- Musik, dazu ist auch immer ein Pianist im Unterricht anwesend. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Gehörschulung, d. h. die Schüler verfolgen Stimmen, klatschten und gehen und gestalten diese. Dabei ist eine präzise Bewegungsführung und passender Ausdruck essentiell. Dann muss man während des Bewegens auch aktuell hörend in den Bewegungsstrom der Gruppe einsteigen. Das erfordert in hohem Maße eine Teamfähigkeit.
Sie merken, Eurythmie ist für die Schüler ein sehr komplexes und sehr anspruchsvolles Fach! Man sieht besonders bei den Quereinsteigern, die bisher keine Eurythmie hatten, was dieses Fach im Bewegungsvermögen bei den Schülern bewirken kann.
Zum Beispiel ist das eurythmische Alphabet, ein sehr vielfältiger, komplexer Bewegungskanon: für jeden Buchstaben (Laut) eine spezifische Bewegung, die man allerdings unterschiedlich ausführen kann. Man kann sie „klassisch“ darstellen oder variieren, wie man es eben situativ im Unterricht einer Klassenstufe braucht (wir haben in Bergstedt ein Eurythmieposter gemacht mit allen Buchstaben). Die Schüler lernen sich bei einer traurigen oder ernsten Geschichte mental in diese hineinzuversetzen und sie dann bewegend lautlich differenziert zu artikulieren.
Oder: Im Hauptunterricht einer fünften Klasse wird die Kulturgeschichte des alten Indien behandelt. Im Eurythmieunterricht gestalten wir dann ein entsprechendes Gedicht aus den Upanischaden.
man kann zur Unterstützung des Konzentrationsvermögens und des Selbstbewusstseins eurythmisch viel beitragen
Oder in der Pubertät wird von den Jugendlichen alles hinterfragt, neu entdeckt und eben auch ihre eigene Bewegungen. Man kann in diesem Alter zur Unterstützung des Konzentrationsvermögens und des Selbstbewusstseins eurythmisch viel beitragen, indem man sich einen zunehmend komplexen Bewegungskanon aufbaut und daran übt am Faden zu bleiben. Das alles sind Beispiele dafür, wie der Eurythmieunterricht die Entwicklung der Kinder und Jungendlichen und auch den sonstigen Unterricht mit Bewegung aufgreift und so mit andren Fächern korrespondiert.
Seit einigen Jahren mache ich phasenweise spezielle Übungen auf dem Boden, das gab es früher gar nicht. Hier sind ganz andere, Bewegungssequenzen möglich als im Stehen oder Gehen. Auf dem Boden kann man anders auf sich und sein Gleichgewicht achten, kann auf dem Rücken liegend anders auf seine Armbewegungen achten und auch spezielle Muskelpartien stärken (z.B. den Rücken, Schultern, Arme und Beine) und gleichzeitig andere bewusst entspannen. Das erscheint mir unter Anderem dafür geeignet, um mit dem Thema Angst umzugehen. Das Entspannen und Loslassen- Können ist im Stehen oder Gehen viel schwieriger als im Liegen und ein wesentliches Element eurythmischer Bewegung.
H. Duhme: Das ist etwas, was die Kinder heute mehr denn je brauchen: die Sicherheit des Bodens und die Erfahrung von vielfältiger Beweglichkeit. Neurologisch geht es dabei um die Stimulierung der Propriozeptoren. (Propriozeptoren gewährleisten die Wahrnehmung der Stellung und Bewegung des Körpers im Raum. Durch sie gelangen Informationen über Muskelspannung, Muskellänge, Gelenkstellung und Bewegung zum Kleinhirn und zum Cortex wo diese unbewusst verarbeitet werden. Aus: Wikipedia) Über die neurologischen Strukturen werden dem Gehirn Informationen gegeben über die Beziehung der Körperteile zueinander. Das bedeutet, dass im alltäglichen Tun des Kindes ein Sich- selbst- Begreifen geschieht, das ein Kind in gutem Sinn selbstbewusst werden lässt. Im Feldenkrais lässt man diese Erfahrung spürbar werden durch Langsamkeit oder auch durch eine vorgestellte Bewegung bei geschlossenen Augen. Die Nähe von Denken und Tun wird dadurch bewusst. Das ist für viele Menschen ein großer Lernschritt, bei dem sie auch ihr Selbstbild überprüfen und ändern können. Sie merken, dass die eigene Bewegungsentwicklung nicht mit dem abgeschlossen ist, was sie in der Kindheit Familie gelernt haben, sondern sie können jetzt etwas Eigenes finden und ausprobieren.
uns interessiert es, die Selbstheilungskräfte anzuregen
C. P.: Frau Duhme, wer kommt zu Ihnen und warum?
H. Duhme: Das ist verschieden bei Gruppen- und Einzelstunden. In die Einzelstunden kommen Menschen mit akuten Beschwerden, z. B. Schmerzen an Rücken, Schulter, Hüfte, Knie usw. Ihre Versuche mit anderen Verfahren sind oft schon gescheitert. Sie haben gehört, dass sie bei Feldenkrais die ihnen passend erscheinenden individuellen Möglichkeiten ausprobieren können, weil gerade das Ergebnisoffene, Absichtsfreie neue Lösungen zutage treten lässt. Ca 20% kommen, um ihre persönliche Entwicklung fortzusetzen.
In die Gruppe kommen Teilnehmer, die nicht so schwerwiegende Bewegungseinschränkungen haben und die für sich etwas Neues ausprobieren wollen, beispielsweise Stress bewältigen, sich sammeln, eine neue Beziehung zu sich selbst zu finden etc. Wir arbeiten nicht am Problem oder Symptom; uns interessiert es, die Selbstheilungskräfte anzuregen. Es wird mit alten Menschen, mit Kleinkindern und Kindern gearbeitet, auch solche mit ADHS-Störungen.
C. P.: Welche Beispiele lassen sich aus der Heileurythmie darstellen?
C. Hagemann: Ich schaue auf den ganzen Menschen: wie ist zum Beispiel das Verhältnis von oben – unten, innen – außen, gespannt – locker? Ist das jemand, der sehr in der Peripherie und außer sich lebt und nicht mehr in seiner Senkrechten, seinem äußeren oder inneren Lot ist? Da könnte man helfen, eine Grenze zu bilden: „Wo höre ich eigentlich auf?“ Oft lebt diese Fragestellung, die sich im Physischen zeigt, auch im Seelischen. In der Eurythmie gibt es Übungen, die dann unterstützen, dass sich ein Mensch zum Beispiel an seinen hinteren Raum anschließen kann, dann wird er nicht mehr so stark nach vorne aus sich rausgehen. Das kann man beispielsweise über den Laut „B“ machen: der gibt Hülle und bildet eine Grenze.
In der Heileurythmie arbeitet man mit einem Arzt zusammen. Als Heileurythmistin sehe ich besonders auf die Bewegungen eines Menschen und bemühe mich, dadurch zu einem Bild, zu einem Verständnis dafür zu kommen, welche Kraft- Dynamiken durch das Eurythmisieren bestimmter Laute anzuregen, zu aktivieren sind. Der Arzt stellt von der medizinischen Seite das, was sich in dem Krankheitsbild dieses individuellen Menschen ausspricht, dazu.
So dass von diesen beiden und zusammen mit dem Patienten daran gearbeitet wird, diese aus einem harmonischen Zusammenspiel der Lebenskräfte vereinseitigten Tendenzen, die sich noch als funktionelle Störung oder schon in einer manifesten Erkrankung zeigen, zu einem körperlichen und/oder seelischen Heilungsprozess zu führen.
C. P.: Zunächst basiert Feldenkrais auf einer geschulten, sorgsamen, gezielten Wahrnehmung. Steht außerdem ein bestimmtes Menschenbild dahinter?
„Wir handeln dem Bild nach, das wir uns von uns machen.“
H. Duhme: Der zentrale einleitende Satz in dem Standardbuch von Moshé Feldenkrais heißt: „Wir handeln dem Bild nach, das wir uns von uns machen.“ Und wir halten dieses Bild meistens für stabil. Wenn der Mensch dieses Bild stabil hält, wird er nur die Situationen aufsuchen, die ihm vertraut sind und sich von daher auf einen immer schmaleren Pfad begeben. Die Alternative ist, dass er aufsucht, welche Fähigkeiten er noch entwickeln kann und wer er außerdem noch ist. „The sky is open“, sagt meine Trainerin. Alles, was man bewegen kann, kann man auch bewusst bewegen, d. h. man kann es erforschen. Es beschreibt die Vielfalt dessen, was wir als Potential in uns tragen und was wir entfalten können. Dieses Erforschen verursacht eine tiefgreifende Veränderung des Selbstbildes und verbessert die Qualität der Gerichtetheit des Selbst.
Feldenkrais trennt nie das körperliche Ich vom Fühlen und Denken. Jeder wählt aus seinen Erfahrungen das für seine Denk- und Vorstellungswelt aus, was in ihm jetzt die stärkste Resonanz erzeugt.
M. Werner: In der Eurythmie und im anthroposophischen Verständnis begreift man den Menschen als ganzheitliches Wesen – so wie ich einige anregende Aspekte der Vielfältigkeit von Ihnen bei Feldenkrais gehört habe. Wir unterscheiden eine Körperlichkeit, eine seelische und auch geistige Verfasstheit und gehen in der Eurythmie davon aus, dass das alles miteinander kommuniziert, sich gegenseitig beeinflusst. Körperlichkeit wird ebenfalls nicht isoliert für sich betrachtet, sondern kontextbezogen, wie er mit dem inneren Selbstbild, Empfinden, Erleben, Begreifen-können zusammenhängt. Eurythmisten können daher dazu beitragen, diese verschiedenen Dimensionen zu erfassen und damit zu gestalten.
Feldenkrais-Verband Deutschland e.V.
www.feldenkrais.de
Christiane Hagemann: Tel 040 5133428 Mail:
Michael Werner: Tel 040 5133428
Mail:
Weitere Infos Zur Eurythmie unter:
www.eurythmie-info.de
www.4d-eurythmie.de
www.bvhe.de
Literatur: Moshe Feldenkrais: Bewusstheit durch Bewegung; Suhrkamp TB,
M.F.: Die Entdeckung des Selbstverständlichen; Suhrkamp TB
Eine Broschüre von Christiane Hagemann zu Vital- Eurythmie unter: www.vital-eurythmie.de
Das „Eurythmieposter“ zu Beziehen über das Bergstedter Schulbüro.
Literatur zur Eurythmie:
Zeitschrift: Erziehungskunst: „Eurythmie macht Schule“, Heft 3, März 2003, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart.
Silvia Bardt: „Eurythmie als menschenbildende Kraft“, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart.
Eduardo Jenaro (Hrsg.) „Rudolf Steiners eurythmische Lautlehre“, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart.