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Die Demokratie retten!
Interview mit Gregor Hackmack, Mitarbeiter von abgeordnetenwatch.de
Unsere Demokratie ist gefährdet. Der Wille der Bevölkerung wird nicht umgesetzt, weil zunehmend wirtschaftliche Interessen Einfluss auf die Politik nehmen. Der Demokratieaktivist Gregor Hackmack und seine Mitstreiter haben in Hamburg vier Volksentscheide und zwei Verfassungsänderungen erfolgreich durchgeführt. Seitdem hat Hamburg beispielsweise das modernste Transparenzgesetz Deutschlands.
Am 23. Mai stellte Gregor Hackmack im Rudolf Steiner Haus sein Buch vor „Einfach mal die Demokratie retten“. (Veranstalter: Rudolf Steiner Haus Hamburg e.V.)
Interviewpartner:
Gregor Hackmack ist Mitbegründer und Geschäftsführer von abgeordnetenwatch.de. Er studierte Internationale Beziehungen und Politische Soziologie an der London School of Economics, wurde 2008 als einer der führenden Social Entrepreneurs als Ashoka Fellow ausgezeichnet und 2010 in das Young Global Leader Netzwerk der Schwab Stiftung aufgenommen. Das Projekt abgeordnetenwatch.de erhielt bedeutende Preise, darunter den Deutschen Engagement Preis 2011 sowie den Democracy Award 2013. Seit 2004 ist Gregor Hackmack im Landesvorstand von Mehr Demokratie e.V. in Hamburg. Maßgeblich war er an den Volksinitiativen zur Verbindlichkeit von Volksentscheiden, zur Änderung des Wahlrechts sowie zur Einführung eines Transparenzgesetzes in der Hansestadt Hamburg beteiligt. 2014 wurde er in das Plenum der Hamburger Handelskammer gewählt.
Christine Pflug: Im Rudolf Steiner Haus haben Sie Ihr Buch vorgestellt mit dem Untertitel „Einfach mal die Demokratie retten“. Das suggeriert, dass es keine Demokratie gibt … !?
Gregor Hackmack: Demokratie ist ein Idealzustand, den man nie vollständig erreichen kann, d. h. man kann sich der Demokratie immer nur annähern. Es gibt mehr oder weniger demokratische Staaten, und auch solche, die gar nicht demokratisch sind. In Deutschland sind wir mit der Demokratie eigentlich ganz gut aufgestellt, aber sie ist momentan gefährdet, z. B. durch den immer stärker werdenden Lobbyismus. Der Mehrheitswille der Bevölkerung wird bei wichtigen Themen wie beispielsweise Auslandseinsätze der Bundeswehr, Datenschutzregelung, Vermögensbesteuerung etc. übergangen. 80%-90% der Bevölkerung ist für eine bestimmte Sache, und trotzdem stimmt das Parlament dagegen. Man fragt sich, wie das möglich ist, wenn doch das Parlament den Willen der Bevölkerung abbilden soll.
C. P.: Und woran liegt das?
G. Hackmack: Zunehmend wird versucht, mit Geld auf Politik Einfluss zu nehmen, über Lobbyismus, Parteispenden, Nebeneinkünfte der Abgeordneten, bis dahin, dass die Bestechung von Abgeordneten nicht strafbar ist. Das wissen viele Leute gar nicht, weil sich der Bundestag seit 10 Jahren weigert, das entsprechende Strafgesetzbuch anzupassen und damit eine UN-Konvention gegen Korruption umzusetzen, d. h., wir sind bei Antikorruptionsstandards im Vergleich zu anderen westlichen Demokratien ein Entwicklungsland.
In anderen Ländern Korruption, hier parlamentarische Gepflogenheit
C. P.: Trotz Affäre Wulff?
G. Hackmack: Das war eigentlich ein Ausnahmefall und am Ende wurden die Nachforschungen ja auch eingestellt. Die Abgeordneten haben sich ausgenommen von strafrechtlichen Ermittlungen, gerade im Bereich der Bestechung und Vorteilsnahme. Gegen Wulff konnte nur ermittelt werden, weil er Ministerpräsident war und unter Beamtenrecht stand. Wäre er einfacher Abgeordneter gewesen, hätte man nicht gegen ihn vorgehen können, weil es keine Rechtsgrundlage dafür gibt.
Es ist ein Novum, dass in Deutschland die Staatsanwaltschaft den Mut, aber auch die gesetzliche Grundlage hat, um gegen Spitzenpolitiker zu ermitteln. Das passiert in der Regel nicht. Was in anderen Ländern glasklar Korruption wäre, z. B. in den USA, in England, selbst in Frankreich, ist hier parlamentarische Gepflogenheit: dass die Abgeordneten Geschenke annehmen, dass sie Nebentätigkeiten haben, in denen sie ein Vielfaches bekommen, was sie als Abgeordnete verdienen. Man muss sich mal vor Augen stellen: der Abgeordnete Peter Gauweiler hat seit der Bundestagswahl im Oktober 2013 bis einschließlich März 2014 über 500.000 Euro nebenher verdient!
C. P.: Bei was und vom wem hat er diesen Nebenverdienst erhalten?
G. Hackmack: Es ist nicht ganz klar, von wem, weil die Transparenzregeln so schwach sind, dass er das nicht offen legen muss. Er ist Rechtsanwalt und muss seine Mandanten nicht offenbaren. Man vermutet, dass er die Kirch-Erben vertreten hat gegenüber der Deutschen Bank – aber man weiß es nicht genau. Die Regeln sind eben unzulänglich. In den USA beispielsweise ist es undenkbar, dass Abgeordnete nebenher noch arbeiten und von anderer Seite bezahlt werden. Wenn man einem Abgeordneten zugesteht, dass er noch weitere Tätigkeiten hat, trotz Vollzeitmandat, sollte er zumindest seine Einkünfte offen legen.
Es gibt auch viele weitere Fälle. Peer Steinbrück, der Kanzlerkandidat, hat 2 Millionen an Nebeneinkünften; er schwänzte tatsächlich Bundestagssitzungen, um zum selben Zeitpunkt bezahlte Vorträge zu halten, und zwar für die Finanzindustrie und die Versicherung, die von seiner Bankenpolitik als Finanzminister profitiert haben.
Oft ist es zweifelhaft, ob es genug Abstand gibt zwischen dem Einzelinteresse an Vermögen und der Politik. Das geht so weit, dass die Geburtstagsfeier von dem Bankfachmann Josef Ackermann im Kanzleramt stattfand und das Kanzleramt sich 4 Jahre weigerte, offenzulegen, was da genau passiert ist und wer auf dieser Gästefeier dabei war. Erst vom Verwaltungsgericht in Berlin musste das Kanzleramt dazu verpflichtet werden – nach dem Informationsfreiheitsgesetz – diese Gästeliste zu veröffentlichen. (Ist am Anhang meines Buches zu lesen). Wenn man sich diese Gästeliste anschaut, wird klar, wie eng das Verhältnis zwischen Spitzenpolitikern und Wirtschaftsvertretern ist.
C. P.: Was sind neben Korruption die anderen Punkte, warum das Parlament nicht die Meinung des Volkes darstellt?
G. Hackmack: Aufgrund von Intransparenz kann man nicht nachvollziehen, was auf politischer Ebene beschlossen wurde. Wenn gesagt wird, man baue eine Elbphilharmonie als ein tolles Wahrzeichen für Hamburg und zwar kostenneutral, d.h. die Finanzierung solle privat oder über Spenden laufen – welcher Abgeordneter oder Bürger wäre damit nicht völlig einverstanden? Wenn es aber möglich gewesen wäre, die Verträge offen zu legen, hätten zumindest die Bieter im Wettbewerb, die unterlegen waren, sagen können, wo die Fallstricke sind und warum es doch viel teurer wird als ursprünglich geplant.
Die Entfremdung zwischen Politikern und Bürgern
Und die dritte Gefahr für die Demokratie ist die Entfremdung zwischen Politikern und Bürgern. Während im Wahlkampf die Politiker noch relativ dicht an den Bürgern dran sind, hebt man nach der Wahl im Raumschiff Berlin ab, umgibt sich mit ganz anderen Menschen, wird zu parlamentarischen Empfängen eingeladen, bekommt hier und da kleine Geschenke, und irgendwann hat man das Interesse der Bürger gar nicht mehr im Blick. Jede Organisation, egal wie demokratisch sie startet, hat die Tendenz, dass sich eine Oligarchie herausbildet, die gegenüber der Basis einen Informationsvorsprung hat. Die Menschen an der Basis sind oft froh, dass die Politiker alles für sie machen, aber irgendwann ist das Interesse derer, die an der Spitze stehen, nicht mehr das gleiche wie das derjenigen, die an der Basis stehen. Dann übernimmt aber die Spitze auf einmal die Richtung der gesamten Organisation und damit ist der Mehrheitswille ausgehebelt.
Da muss man natürlich gegensteuern.
C. P.: Wie kann und sollte man dagegen steuern?
G. Hackmack: Man kann die Reformunfähigkeit des Bundestages, z. B. wegen der Bestechung der Abgeordneten, durchbrechen, indem man direkte Demokratie stärkt. Das bedeutet, den bundesweiten Volksentscheid einzuführen. Wenn die Abgeordneten nicht dazu in der Lage sind, müssen sich die Bürger selbst auf den Weg machen, eigene Gesetzesentwürfe schreiben und diese per Abstimmung umsetzen. Das haben wir in den letzten 10 Jahren in Hamburg so gemacht.
Der zweite Punkt ist die Transparenz. Wir brauchen dafür eine stärkere rechtliche Grundlage, so wie wir das in Hamburg mit dem Transparenzgesetz umgesetzt haben. Hier muss der Staat, bzw. Senat begründen, warum Information nicht veröffentlicht wird und nicht umgekehrt, dass die Bürger komplizierte Anträge stellen müssen für einzelne Dokumente.
C. P.: Was ist aufgrund des Hamburger Transparenzgesetzes publik geworden?
G. Hackmack: Beispielsweise sind die Verträge für die Elbphilharmonie jetzt von Staats wegen veröffentlicht worden, ohne dass vorher jemand eine Anfrage stellen musste. Verträge müssen veröffentlicht werden und 30 Tage danach hat der Senat noch ein Rücktrittsrecht, d. h. wenn offensichtliche Korruption oder Steuerverschwendung im Spiel sind, kann sich auf den Bürgermeister ein öffentlicher Druck aufbauen. Dadurch kann ein Vertrag rückabgewickelt werden, ohne dass zusätzliche Kosten entstehen.
Weiter gab es ein Gutachten zum Thema Fracking, was die Gefahren aufgezeigt hat und was die Umweltbehörde nicht so gerne veröffentlichen wollte.
C. P.: Und das gibt es nur in Hamburg?
G. Hackmack: In Hamburg haben wir dieses „Politikupdate“, was ich in meinem Buch vorschlage, mit Mitteln der „Direkten Demokratie“ über die letzten 10 Jahre umgesetzt. Damit hat Hamburg das modernste Transparenzgesetz der Welt, außerdem ein personalisiertes Wahlrecht und eine starke direkte Demokratie, mit der die Bürger die Möglichkeit haben selbst Gesetze einzubringen.
C. P.: Sie sprechen immer von „wir“. Wer ist das?
G. Hackmack: Dazu gehört „Mehr Demokratie“, unser Verein, der sich für den bundesweiten Volksentscheid einsetzt. „abgeordnetenwatch.de“ sorgt dafür, dass die Entfremdung zwischen Politikern und Bürgern ein Stück weit aufgehoben wird, indem Bürger jederzeit Fragen an die Abgeordneten stellen und sich informieren können.
Mehr Transparenz, mehr direkte Demokratie und ein personalisiertes Wahlrecht
C. P.: In Ihrem Buch beschreiben Sie zwei Arten von Maßnahmen. Welche Beispiele gibt es?
G. Hackmack: Das eine sind die Sofortmaßnahmen, z. B. Einführung eines Lobbyregisters, Verbot von Unternehmensspenden, komplette Transparenz bei Nebeneinkünften, eine Karenzzeit für Spitzenpolitikern beim Wechsel in die Wirtschaft. Es kann nicht sein, dass jemand wie Eckart von Klaeden, noch während seiner Zeit als Kanzleramtsminister seinen Vertrag mit Daimler Chrysler unterschreibt, sechs Monate im Amt bleibt und dann nahtlos in die Industrie überwechselt oder Ronald Pofalla vom Kanzleramt direkt zur Deutschen Bahn oder Hildegard Müller aus dem Kanzleramt als Verbandsvorsitzende in der Energiewirtschaft. Es geht einfach nicht, dass man Politikern einen hoch dotierten Anschlussjob zur Verfügung stellt, z. B. war die Ostseepipeline Schröders Projekt und jetzt arbeitet er dort als Aufsichtsratsvorsitzender.
Diese Sachen dürfen nicht passieren! Das fällt unter den Begriff „nachgelagerte Korruption“. Das ist in in vielen westlichen Demokratien bereits geregelt und abgeschafft.
Als längerfristige Maßnahme brauchen wir ein Update, und das besteht aus drei Elementen: Mehr Transparenz, mehr direkte Demokratie und ein personalisiertes Wahlrecht. Ganz unzulänglich zeigt sich jetzt das Wahlrecht bei den Europawahlen: Man hat eine Stimme und die kann man einer Partei geben. Aber tatsächlich ziehen ja Personen ins Parlament und auf deren Auswahl hat man keinen Einfluss. Das führt zu solchen Protestwahlaktionen wie beispielsweise vor zehn Jahren in Hamburg mit der Schill-Partei: Die Leute wussten sich nicht mehr zu helfen, wollten nicht mehr die SPD wählen und haben einen Rechtspopulisten gewählt. Welchen Schaden das für die Stadt gebracht hat, ist allen bekannt! Auch auf Europaebene sehen wir rechtspopulistische Bewegungen in allen Ländern.
Das sind gefährliche Entwicklungen für die Demokratie an sich.
C. P.: Welche konkreten Mittel gibt es, um solche Maßnahmen durchzusetzen?
G. Hackmack: Jede Initiative muss immer neu gegründet werden, bzw. es braucht Menschen, die diese Initiative ergreifen. In meinem Buch beschreibe ich ganz praktisch, was man machen kann, um im eigenen Umfeld die demokratische Kultur zu verbessern, wann z. B. eine Demonstration oder ein Leserbrief sinnvoll ist, wie man eine Bürgerinitiative organisiert, wie man Unterschriften sammelt. Es gibt viele Tipps und Tricks, um Demokratie zu machen.
C. P.: Können Sie an einem Beispiel schildern, wie Sie so eine Initiative aufbauen?
Aus den Erfahrungen der Elbphilharmonie Konsequenzen ziehen
G. Hackmack: Beim Transparenzgesetz 2011 ging es im Prinzip darum, aus den Erfahrungen der Elbphilharmonie Konsequenzen zu ziehen. Die ganze Stadt hatte ein schlechtes Gefühl, dass aus der „kostenneutralen Finanzierung“ mittlerweile 850 Millionen Euro geworden sind. Wenn man dieses Geld in die Kultur von Hamburg investiert hätte – was für ein Vielfalt hätte das gebracht! Stattdessen hat man es verbaut und großen Baukonzernen – ich sage immer: große Rechtsabteilungen mit angeschlossenen Baukonzernen – überlassen. Diese Erfahrung war für viele ein Anlass, nämlich „Mehr Demokratie“, Transparency International, Chaos Computerclub, um sich in einem großen Bündnis zusammenzuschließen: „Welches Gesetz müsste man haben, damit so etwas nicht mehr vorkommt?“ Wir haben uns weltweit umgeschaut, welche Regelungen es bereits gibt, z. B. dass Verträge bei Abschluss veröffentlichungspflichtig sind. Bei uns in Hamburg waren die Politiker nicht in der Lage, die Gesetze nachzubessern. Also haben wir einen Gesetzesentwurf ausgearbeitet und den über den Weg der Volksinitiative ins Parlament eingebracht. Wir hatten innerhalb von 6 Wochen 15.000 Unterschriften gesammelt. Da die Politik schon „Mehr Demokratie“ kannte, bzw. unsere bisherigen erfolgreichen Aktionen, kamen sie auf uns zu. Es gab Verhandlungen, um einen Volksentscheid darüber abzuwenden, und wir konnten in den Verhandlungen 95% unserer Forderungen durchsetzen. Seitdem hat Hamburg das modernste Transparenzgesetz Deutschlands, das einstimmig von der Linkspartei bis hin zur CDU in der Bürgerschaft beschlossen wurde. Aber nur, weil engagierte Bürger das in die Hand genommen haben.
C. P.: Sind die Mitarbeiter in Ihren Initiativen ehrenamtlich tätig?
G. Hackmack: Die allermeisten sind ehrenamtlich, ich selbst bin bei „Mehr Demokratie“ auch ehrenamtlich im Vorstand. Bei abgeordnetenwatch bin ich mittlerweile in Vollzeit beschäftigt, weil das Projekt so groß geworden ist, dass wir in ganz Deutschland 7 Stellen in Vollzeit haben. Aber natürlich wird die meiste Arbeit von Ehrenamtlichen gemacht.
C. P.: Sind das vorzugsweise junge Menschen?
G. Hackmack: Die Mitglieder des Kuratoriums von abgeordnetenwatch sind aus der die älteren Generation. Die operative Ebene, bei der viel Arbeit erledigt wird, sind viele Studenten. Der „Mittelbau“, d. h. unsere Programmierer, Redakteure und Projektleiter, sind eher Menschen zwischen 30 und 40 Jahren. Bei „Mehr Demokratie“ ist das ähnlich.
C. P.: Man hört mitunter, dass junge Menschen heute keine ehrenamtlichen Tätigkeiten ausführen, aber das wäre dann ein Gegenbeispiel!?
G. Hackmack: Mein Eindruck ist, dass sich junge Menschen nicht mehr an Parteien wenden, wo sie sozusagen ein Gesamtpaket kaufen müssen. Sie machen einzelne Kampagnen gerne mit und sind auch dabei, wenn sie ein konkretes Vorhaben sehen. Genauso, wie kein junger Mensch mehr heute eine komplette Zeitung kauft; sie finden einzelne Artikel interessant, die sie sich im Internet gegenseitig zuspielen. Deshalb finde ich es so wichtig, dass es die „Direkte Demokratie“ gibt, damit man sich für einzelne Aktionen engagieren kann.
www.abgeordnetenwatch.de
Buch von Gregor Hackmack „Demokratie einfach machen“ Ein update für unsere Politik, edition Körber-Stiftung