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Die Soziale Dreigliederung – ein Modell für unser Zusammenleben?
Interview mit Jonas Rybak, Mitglied einer Gruppe zum Studium für Soziale Dreigliederung
Unser soziales und politisches Gefüge läuft immer mehr aus dem Ruder. Wie können wir sozial richtige Entscheidungen treffen und zusammenarbeiten? Was sind Grundlagen für ein Miteinander, in dem die Interessen von einzelnen Gruppen Gehör finden? Und wie kann man damit wirklich für die Gesamtgesellschaft bis hin zur Weltwirtschaft arbeiten und damit einen Nationalismus überwinden?
Interviewpartner: Jonas Rybak ist seit über einem Jahr in einer Gruppe junger Menschen aktiv, die gemeinsam ein völlig freies Studium zur Sozialen Dreigliederung aufbauen. Das soll sich inhaltlich, aber auch in der Umsetzung mit den Möglichkeiten eines zukunftsträchtigen auf sich selbst gestellten Bildungswesens befassen. In den Jahren davor drehte Jonas Rybak mit einigen jungen Anthroposoph:innen den auf YouTube verfügbaren Dokumentarfilm zur Sozialen Dreigliederung „Zusammenspiel – Anregungen zu einer Sozialen Dreigliederung des öffentlichen Lebens.“
Christine Pflug: Erstmal grundsätzlich: Was ist Soziale Dreigliederung?
Jonas Rybak: Die Soziale Dreigliederung ist Rudolf Steiners Versuch, wirklichkeitsgemäß das soziale Leben zu beschreiben und Wege aufzuzeigen, wie wir gemeinsam sozial richtige Entscheidungen treffen und zusammenarbeiten können. Was sie so wirklichkeitsnah und lebenstauglich macht, ist die Möglichkeit der Differenzierung, verschiedene Perspektiven einzunehmen. Das ist für mich etwas völlig Neues. Ansonsten kannte ich nur immer soziale Ideen, die sagten, so oder so wollen wir die Gesellschaft haben, jetzt brauchen wir Macht, um das zu erzwingen. Mit der Dreigliederung habe ich zum ersten Mal ein echtes Verständniswerkzeug kennengelernt.
„Das wirkliche Leben erzeugt Widersprüche.“
An einer Stelle in seinem einzigen Buch zu dieser Sozialen Dreigliederung „Die Kernpunkte der sozialen Frage“ sagt Steiner: Es müssten sich natürlich Stimmen gegen die Dreigliederung erheben. Sie richte sich nach der Wirklichkeit und „das wirkliche Leben erzeugt Widersprüche.“ (GA 23, Aufl. 7, S. 123.) Er versucht diese Widersprüche nicht zu unterdrücken, sondern regt zu verschiedenen Arten des Miteinanders an, bei denen je die eine die Widersprüchlichkeiten der anderen ausgleichen kann.
Viele meinen, die sozialen Probleme seien gelöst, wenn wir uns vor allem nach den wirtschaftlichen Notwendigkeiten richten.
Das steht gegenläufig zu unserem Wunsch nach einer möglichst widerspruchslosen einheitlichen Lösung für alle sozialen Probleme, was sich zeigt in dem Wunsch nach einem nationalen Einheitsstaat. In dem sollen dann nur unsere (Einzel-)Interessen möglichst an der Macht sein. Gerade las ich im Jahresbericht des deutschen Bauernverbands von Joachim Rukwied: „Es ist dringend an der Zeit, dass Praktiker mehr Gehör finden und ihre Expertise vermehrt in politische Entscheidungen einfließt.“ Das fordern viele, die meinen, die sozialen Probleme seien gelöst, wenn wir uns vor allem nach den wirtschaftlichen Notwendigkeiten richten. „Follow the Science“ ist als Forderung sehr ähnlich, nur für politischen Einfluss von „Expert:innen“ oder Wissenschaftler:innen. Zusätzlich zu mehr Einfluss von Theorie und Praxis wollen wir auch noch mehr demokratische Mitbestimmungsmöglichkeiten. Und obwohl alle Forderungen berechtigt scheinen, ist völlig klar, dass wir Unmögliches und Antisoziales von einem Staat erwarten, wenn er alle diesen Forderungen gerecht werden soll. Weil das wirkliche Leben eben Widersprüche erzeugt.
C. P.: Und wie geht man dann mit diesen realen, widersprüchlichen Interessen um?
J. Rybak: Steiner schlug drei verschiedene Methoden für die Zusammenarbeit vor. Jeder Mensch muss sich an allen drei aktiv beteiligen können, damit es sozial bleibt. Für Einfluss der praktischen wirtschaftlichen Notwendigkeiten brauchen wir eine Kontaktmöglichkeit zwischen den Konsuminteressen, den verschiedenen Produktionen und dem Handel. Das muss in unserer industrialisierten Weltwirtschaft mit Vermittlungsposten passieren, weil nicht mehr jeder jeden kennen kann. Steiner nannte die Methode „assoziieren“. Also eine Vermittlung zwischen den gegenseitigen Interessen, die alle praktischen Notwendigkeiten zum gemeinsamen Urteilen an einen Tisch bringt. Durch diese Art der vermittelnden Verbindung können wir Verständnis für die Interessen der Mitmenschen bekommen und ein Miteinander entwickeln, das Steiner anknüpfend an die Ideale der französischen Revolution „Brüderlichkeit“ nannte.
Wahrheit darf sich nicht nach unseren Bedürfnissen und Notwendigkeiten richten
Der Einfluss der Wissenschaft kann dann möglichst groß sein, wenn sie sich wie alles, was mit Fähigkeiten zu tun hat, auf die freie Einsicht der Mitmenschen stützt. Wahrheit darf sich nicht nach unseren Bedürfnissen und Notwendigkeiten richten, sie muss ganz in Freiheit und Eigenverantwortung gesucht und anerkannt werden. Gerade die Eigenverantwortung gibt Lehrpersonen oder auch Wissenschaftler:innen ihre soziale Tragkraft und Glaubwürdigkeit. Stattdessen stützen wir uns heute im Geistesleben auf alle möglichen externen Grundlagen, auf unsere staatliche Legitimation durch Verbeamtung oder Professorentitel. Dadurch verliert das Geistesleben extrem an Kraft und kann nur noch mit wirtschaftlichen und staatlichen Hilfsmitteln überleben. Mein Kompositionsstudium war ein Bachelorstudiengang. Ich hab aber früh beschlossen, den Abschluss wegzulassen und hätte so eigentlich sehr frei studieren können müssen. Das hat auch keiner verboten, aber die Angebote durften kaum die Dozierenden selbst verantworten, sondern mussten sich nach Prüfungsrelevanz richten und hatten es so sehr schwer, ihr eigenes Interessensfeuer weiterzugeben. Steiner betonte ganz stark immer wieder die Notwendigkeit einer geistigen Gemeinschaftsbildung durch alle vermeintlichen Gesellschaftsklassen hindurch. Diese Gemeinschaftsbildung entsteht, wenn ich nur dadurch Gehör bekomme, weil meine Mitmenschen mir vertrauen. So müssen sich alle die Mühe geben, auch von den vermeintlich weniger Fähigen verstanden zu werden. Jede Einteilung hingegen in Gymnasium oder Hauptschule, in höheren oder niedrigeren Berufsabschluss, führt eigentlich zu einer Spaltung. Und die so verlorene geistige Schlagkraft versucht man dann mit staatlich gesicherten Vorrechten wiederzuerlangen.
Natürlich dürfen diese drei Bereiche niemals getrennt voneinander stehen.
Wenn sich der Staat oder das Rechtsleben nicht mehr um wirtschaftliche Notwendigkeiten und die Einteilung in fähige und unfähige Menschen kümmern muss, kann er unserem Bedürfnis nach demokratischer Mitbestimmung erst wirklich Rechnung tragen. Dann können Probleme demokratisch ausgehandelt werden, zu denen alle mündigen Menschen ein Gefühl haben und die eine geregelte Lösung, ein Gesetz verlangen. Natürlich dürfen diese drei Methoden niemals getrennt voneinander stehen. Aber sie müssen sich eigenständig ausleben und nur in ihren Ergebnissen aufeinander wirken. Wenn es durch das Geistesleben Erkenntnisse dazu gibt, dass eine bestimmte Substanz die Böden schädigt, ändern sich die Forderungen, die in Verhandlungen zwischen Landwirtschaft und Konsum aufkommen. Genauso beruht jede Wahl, die ich im Rechtsleben treffe, auf Einsichten, die ich im Geistesleben gewonnen habe. Und wenn wir im Rechtsleben beispielsweise einen gesetzlichen Schutz vor zu langer Arbeitszeit aushandeln, muss die Wirtschaft das als Voraussetzung akzeptieren. Dadurch, dass sie ihrer eigenen Dynamik folgen, können die Glieder sogar stärkeren Einfluss aufeinander haben. Ein Staat, der gleichzeitig wirtschaften muss, kann kaum Gesetze beschließen, die die Wirtschaft einschränken.
unsere verknotete soziale Weltsituation begreifen können
Das ist aber natürlich alles nur beispielhaft und hängt maßgeblich davon ab, was die beteiligten Menschen wollen. Die Dreigliederungsgedanken sind vor allem eine Hilfestellung, unsere verknotete soziale Weltsituation begreifen zu können. Denn unverstandenes Handeln im Sozialen scheint heute immer schädlicher zu werden. In unserem Dokumentarfilm versuchen wir die Soziale Dreigliederung aus einer ganz anderen Perspektive über Individualisierung, Globalisierung und Industrialisierung verständlich zu machen.
C. P.: Warum und wofür hat Rudolf Steiner die Dreigliederung (als Idee) in die Welt gebracht? Was soll sie fördern, ermöglichen?
J. Rybak: Weil er merkte, wie notwendig es heute ist, dass alle das soziale Leben verstehen können. Und gleichzeitig musste er erleben, wie eine Katastrophe auf die andere folgte, weil Menschen handelten, ohne zu verstehen. Er versuchte dann schon im ersten Weltkrieg sein Verständnis vom Sozialen einigen Menschen in Machtpositionen nahezubringen. Nach dem Krieg versuchte er erst mit einem von angesehen Persönlichkeiten unterzeichneten Aufruf an die breite Öffentlichkeit heranzutreten und schließlich mit hunderten Vorträgen, Aufsätzen und dem schon zitierten Buch, das eine viel größere Verbreitung bekam als seine bisherigen Schriften. Mit allem bemühte er sich, den Menschen beim Verstehen der sozialen Wirklichkeiten zu helfen. Ich denke, er sah in der Dreigliederung die einzige Möglichkeit für soziales Handeln aus gemeinsamer Erkenntnis.
C. P.: Wenn die soziale Dreigliederung nicht praktiziert wird, was der Fall ist, welche (unguten) Konsequenzen hat das?
J. Rybak: Dass wir es heute immer noch, oder vielleicht sogar noch mehr, mit unverstandenem sozialen Handeln zu tun haben, wird an jeder Krise und Katastrophe deutlich. Ich finde zum Beispiel zwei Ereignisse ganz aufschlussreich, die sich gerade abspielen, während ich diese Fragen beantworte: Die Proteste zu gekürzten Steuervergünstigungen für die Landwirtschaft und der Streik der Lokomotivführer:innen für weniger krankmachende Arbeitszeiten.
Assoziationen, die die Interessen vertreten
Die Landwirt:innen richten sich an die Politik, weil sie keine assoziative Möglichkeit haben, ihre Probleme an der Stelle zu artikulieren, wo sie gehört werden müssten: beim Handel und bei den Konsuminteressen. Niemand will, dass die Landwirtschaft pleitegeht oder hyperkapitalistisch arbeiten muss, aber wir stehen nicht im vermittelten Kontakt zur Landwirtschaft, sondern blind vorm freien Markt, der verhindert, dass wir uns über das Notwendige austauschen können. Die Eingriffe, die so notwendig werden, wirken teils absurd. 2017 wurden zum Beispiel für über 100 Millionen Euro Milch und Fleisch staatlich aufgekauft, weil sonst wegen Überproduktion die Preise zu niedrig geworden wären. In dieser Weise muss ein blinder Markt immer wieder reguliert werden und wird dadurch noch undurchschaubarer. Die Betriebe, die sich in diesem System durch umweltschädliche Überindustrialisierung doch über Wasser halten können, wirken nicht vom Hungertod bedroht, aber sie leiden trotzdem, weil sie keine Kommunikationsmöglichkeit für ihre Lage haben. Gehör kann ihnen aber nicht der Wirtschaftsminister verschaffen, sondern eine Assoziation. Dafür lässt sich vielleicht ein bisschen von der Solidarischen Landwirtschaft lernen, aber es braucht, denke ich, deutlich mehr Vermittlung und Austausch auf größerer Ebene, damit wir von einer wirklichen Assoziation sprechen können, die nicht nur lokale Einzelprobleme, sondern das gesellschaftliche Grundproblem zu lösen hilft.
Dazu kommt, dass der Landwirtschaft jährlich mehr als das Siebenfache an Geld, was gerade gekürzt werden könnte, durch Bodenpacht gestohlen wird. Weil Boden in unserem Recht wie eine käufliche Ware gehandelt wird. Boden ist aber keine Ware, man kann ihn nicht essen. Man kauft ihn sich nicht aus Bedarf, sondern zum Spekulieren, und das lässt die Preise und damit auch die Pacht in die Höhe schießen. Ohne einen rechtlichen Schutz vorm Verkauf der Böden, wird die Landwirtschaft immer weiter in eine kapitalistische Ausbeutung des Bodens gedrängt. Auch die Art, wie wir heute Geld durch Kredite schöpfen, bringt die Landwirtschaft in Bedrängnis, weil ihr wichtigstes Produktionsmittel, nämlich der Boden, nicht vermehrt werden kann. Das als drei Aspekte, wie wir der Landwirtschaft ständig schaden, weil wir kein Verständnis für die Soziale Dreigliederung haben.
Bei den Forderungen der Lokomotivführer:innen ist es vielleicht etwas einfacher. Sie müssen wirtschaftlich mit der Bahn über ihre Arbeitszeit verhandeln. Es wird also zwischen den wirtschaftlichen Notwendigkeiten der Bahn und den Gesundheitsschäden, die durch fast 40 Stunden in der Woche in unregelmäßiger Schichtarbeit entstehen, verhandelt. Dabei müssten sie eigentlich von einem demokratischen Rechtsleben vor Überarbeitung geschützt werden und sich nicht Gehör erstreiken. Wir müssten demokratisch aushandeln, wie viel Nachtschichtarbeitszeit wir für rechtens halten und das dem Bahnunternehmen wie eine Wetterlage als Grundlage stellen, mit der sie nicht verhandeln kann. Gibt es diese demokratische Schutzmöglichkeit nicht, setzt sich in Verhandlungen die wirtschaftliche Notwendigkeit durch und Rechte werden abgeschwächt. Auch die 40 Stunden Woche musste ja ehemals rechtlich erkämpft werden, weil es aus wirtschaftlicher Sicht natürlich praktischer wäre, 50 Stunden auf die Arbeitskraft zugreifen zu können.
C. P.: Gibt es (kleinere) Bereiche, in denen die Dreigliederung praktiziert wird? Wie stellt sich das dann dar?
J. Rybak: Vielleicht vor den Versuchen, die denke ich auf jeden Fall beim Verstehen helfen können, ein Zitat von Steiner:
„Klares, scharfes Verstehen der Lebenswirklichkeit ist es, worauf es heute ankommt. Also wirklich sine ira, mit der Bitte, ja nicht diese Dinge persönlich zu nehmen, möchte ich zum Beispiel folgendes sagen. Ich bin gefragt worden, ob denn nicht innerhalb unserer Gesellschaft die Dreigliederung verwirklicht werden könnte: Wirtschaftsleben, Rechtsleben, geistiges Leben. […] Ja, meine lieben Freunde, wollen Sie denn das Allerschlimmste machen, wirtschaftliche Sektiererei treiben, indem Sie in dieser Gesellschaft eine gemeinschaftliche Wirtschaft führen innerhalb der anderen Wirtschaft draußen? Wollen Sie denn gar nicht verstehen, daß man sich heute nicht in egoistischer, wenn auch gruppenegoistischer Weise abschließen kann und das andere alles unberücksichtigt lassen! Sie wirtschaften doch mit der anderen Wirtschaft des hiesigen Territoriums. Sie beziehen doch Ihre Milch, Käse, Gemüse, dasjenige, was Sie brauchen, von einem Wirtschaftskörper, von dem Sie sich doch nicht isolieren können! Sie können doch wahrhaftig die Zeit nicht reformieren dadurch, daß Sie sich aus dieser Zeit herauslösen. […] Und das Rechtsleben: Gründen Sie einmal innerhalb unserer Gesellschaft den Rechtsstaat! Wenn Sie etwas stehlen, wird es ganz und gar bedeutungslos sein, wenn hier drei Leute zusammentreten und urteilen über dieses Stehlen. Es wird das äußere Gericht Sie schon in Anspruch nehmen und urteilen.“ (GA 190, Aufl. 3, S. 210 f.)
Soziale Dreigliederung soll für die Gesamtgesellschaft sein.
Also die Soziale Dreigliederung war und ist etwas, das der Menschheit helfen soll und nicht anthroposophischen Gruppen. Erschreckend oft höre ich von Schulen, Wohnprojekten oder ähnlichem: Wir haben die Dreigliederung bei uns verwirklicht. Abgesehen davon, dass das nicht geht, wendet man sich so schnell von der Gesamtgesellschaft ab, auf die es ankommt. Steiner betonte, dass ein freies Geistesleben natürlich durch so etwas wie die Anthroposophische Gesellschaft angefangen werden kann. Im Film haben wir ein paar weitere Beispiele versucht aufzuzeigen, wo teilweise in die Richtung der Dreigliederung schon im kleineren Kreis gearbeitet wird. Aber es bleibt natürlich immer die Frage: Arbeitet das wirklich für die Gesamtgesellschaft? Die Waldorfschulbewegung war ein Versuch von Steiner, für ein wirklich freies Bildungswesen zu kämpfen. Sein Anliegen zur Weiterführung war, einen Weltschulverein zu gründen, der sich weltweit für eine Befreiung aller Bildung einsetzt. Stattdessen kämpfen die Waldorfschulen heute für eine Sicherung ihrer staatlichen Privilegien und setzen sich wenig für die Freiheit anderer Schulen ein.
Abgrenzung vom Rechtsradikalismus
C. P.: Wie grenzt sich die Soziale Dreigliederung per se von rechtsradikalen Gedanken ab? Und kann die Soziale Dreigliederung zur Überwindung des Nationalismus und anderer rechter Strömungen beitragen?
Primär ist die Soziale Dreigliederung einfach durch ihren Gedankeninhalt das genaue Gegenteil von rechten Strömungen.
Dass beispielsweise das völkische Bestreben nach idyllischen reaktionären Dorfgemeinschaften, die sich aus der industrialisierten Welt herausträumen, mit der Dreigliederung nicht vereinbar ist, wird ja mit dem vorigen Zitat sehr deutlich. Mit der Gliederung des Sozialen kommen auch solche Notwendigkeiten auf, wie dass ein deutsches Rechtsgebiet nicht mehr die deutsche Sprache oder deutsche Kultur staatlich erzwingen kann. Sondern da muss sich in einem freien Geistesleben ergeben, in welcher Sprache die Menschen kommunizieren, ob sie Kopftücher tragen usw. Integration wird so auch ein fragliches Wort, denn worin soll integriert werden, wenn die Gemeinschaft nicht festgelegt ist, sondern erst im Zusammenspiel entsteht?
Überwindung vor allem des Nationalismus
Nationalistisches Wirtschaftsdenken wird mit den Assoziationen undenkbar. Die bestehen eigentlich nur aus Vernetzung. Bei Steiner findet man nicht nationale Selbstversorgung sondern: „Überall sehen wir, wie es dringende Forderung der neueren Zeit ist, der Weltwirtschaft Rechnung zu tragen, Einrichtungen zu treffen, unter denen die Weltwirtschaft möglich ist.“ (GA 332a, Aufl. 4, S.192) Und er zeigt dann mit dem Assoziieren, wie eine globale Zusammenarbeit ohne Ausbeutung möglich ist.
Diese Hinweise zu einer möglichen Überwindung vor allem des Nationalismus finde ich immer hilfreicher. Da entdecke ich auch immer wieder Aspekte, in denen ich bislang nationaler gedacht habe als Steiner vor 100 Jahren. Zum Beispiel, wenn für mich die Nationalität einer Automarke stärker in den Vordergrund rückte, als die reale wirtschaftliche Vernetzung. Die schon angesprochene Entkopplung von Geistesleben und Staat, also auch eine Loslösung der ganzen Nationalitätsfragen und Kulturfragen vom Staat, ist ein sehr starkes Hilfsmittel gegen Nationalismus. Ein Staat, der sich auch um die nationale Kultur zu kümmern versucht, droht immer in Nationalismus zu verfallen. Das ist in Deutschland vielleicht subtiler als in China, aber dadurch nicht weg. Zwei weitere Aspekte zur Überwindung des Nationalismus beschreibt Steiner in dem wirklich extrem empfehlenswerten und auch lesbaren Abschlussvortrag des Vortragszyklus „Soziale Zukunft“, aus dem auch das Zitat zur Weltwirtschaft stammt.
Da schreibt Steiner, wie wir als Menschen gegenseitig unseren Egoismus kennenlernen und durch die vermittelnden Assoziationen verstehen lernen können. Weltwirtschaft braucht Verständnis für die Bedürfnisse und den Egoismus am anderen Ende der Welt. Dieses Vermittlungsnetz, das die Assoziationen über die Erde spannen, reicht nicht allein, sondern parallel muss auch das freie Geistesleben, das nicht mehr von nationalstaatlichen Förderungen und Steuerungsversuchen beeinflusst wird, die nationalen Grenzen überbrücken und eine globale Geistgemeinschaft bilden, was die Anthroposophie ja manchmal schon in Ansätzen schafft. Diese Aussicht auf eine Doppelüberbrückung finde ich sehr ermutigend. Bei Steiner liest sich das wesentlich geistreicher und schöner 😉