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Humor und Religion
Interview mit Ulrich Meier, Pfarrer der Christengemeinschaft und in der Leitung des Priesterseminars
Humor und Religion – zwei Dinge, die nicht zusammenpassen? Sind in der Religion nur der Ernst und das Tragische zu finden? Humor und Spaß sind wichtige Bestandteile des Lebens. An welcher Stelle haben sie auch im Religiösen ihren Platz?
Interviewpartner: Ulrich Meier, Pfarrer der Christengemeinschaft seit 1990. Davor Ausbildung zum staatlich anerkannten Erzieher und zwei Jahre Tätigkeit im Landschulheim Schloss Hamborn. 16 Jahre Gemeindepfarrer in Hannover, seit 2006 in Hamburg Mitarbeit in der Leitung des Priesterseminars und Gemeindepfarrer in Hamburg-Mitte. Redakteur der Zeitschrift „Die Christengemeinschaft“.
Christine Pflug: Die Frage nach dem Humor und der Freude in der Religion hat sich mir regelrecht aufgedrängt, als wir vor etlichen Jahren in die Bretagne fuhren und unterwegs in kleinen Orten die Kirchen anschauten. Es war in einem anderen Land und dadurch quasi der distanzierte Blick von außen. Überall auf Bildern und Skulpturen sah ich Gräber und Tod, Menschen mit Schmerzen, weinende Frauen, Trauer, Leid, alles voller Tristesse und Verzweiflung.
Ulrich Meier: Aber die Wasserspeier! In den großen Kathedralen gibt es wunderschöne Karikaturen in Gestalt von Wasserspeiern – abgesehen von kleinen Steinen mit Mäusen usw. Wenigstens in der christlichen Architektur gibt es vereinzelt das Element der Verzerrung und des Karikaturhaften. Ich denke vor allem an Notre Dame in Paris mit seinen Wasserspeiern …
C. P.: Das mag ja ein Gegengewicht sein. Aber trotzdem bleibt die Frage: Religion soll den Menschen aufbauen, stärken, ihm Zuversicht und Kraft geben. Und das geht ja über Positives, Freude und nicht über Leid. Wie kommt es, dass das so wenig in den Religionen vorkommt?
Bei Gott muss es den Humor geben.
U. Meier: Es gibt mancherlei Versuche, den Humor in der Religion zu verorten, die meisten davon erlebe ich als künstlich und gewollt. Das tut mir selber leid, weil ich große Freude am Humor habe und auch bei Derbheiten nicht gleich davonlaufe. Aber ich tröste mich mit dem Gedanken: Man kann den religiösen Schriften und Riten ruhig den ernsten Part überlassen, Humor kann ja getrost hinzufügen, wem der Sinn danach steht. Für mich gehört es jedenfalls zu den religiösen Gefährdungen, wenn man den Humor verliert und einem die menschliche Mitte verlorengeht. Das geht nicht nur gegen den Humor, sondern auch gegen die Freude, was einem wesentlichen Anteil religiöser Zielsetzung widerspricht. Für mich stellt Humor einen wertvollen Teil des Weltganzen und der Schöpfung dar. Anders gesagt: Bei Gott muss es den Humor geben, ich mag ihn nicht den Widersachern überlassen.
C. P.: Das ist sehr tröstlich, dass Gott Humor hat. Aber trotzdem nochmal zu der Anfangsfrage: Warum sind die religiösen Darstellungen, bzw. die Kunst meistens so trist und lebensverneinend?
U. Meier: Das ist letztlich auch eine Modeerscheinung der jeweiligen Zeitepoche – vielleicht besonders im Christentum – dass es zu einer Strenge, bis hin zu einer übertriebenen Freudlosigkeit neigen kann. Im Mittelalter herrschte eine Welt-, Körper- und Lustfeindlichkeit, dabei war Spaß auf der Negativseite und nur zu Karneval erlaubt. Mit dieser kulturellen Gesinnung, die heute immer noch fortwirkt, ist eine Verspannung eingetreten, über die man sich heute unterhalten muss; die kann man nicht so stehen lassen und meinen, dass sei das ganze Christentum.
Die Protestanten hatten später ihre eigene Engführung. In Luthers Tischreden gibt es derbe Scherze, aber er war nicht der einzige Reformator. Es gab auch Calvin. Bis heute hält sich ein strenger evangelischer Arbeitsethos. Meine Mutter hat mir den giftigen Satz mitgegeben: „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.“ Das bedeutet, dass man sich seine Existenzberechtigung erarbeiten muss, man findet nie ein Ende der Arbeit, und dann fällt das Vergnügen aus oder wird verheimlicht, aber dadurch geht es nicht weniger extrem zu.
C. P.: Wofür braucht die Seele Humor? Wo ist Ernst berechtigt, und wie verhält es sich mit der Trauer? Müssen nicht alle Varianten des Lebens – Freude, Schmerz, Ekstase, Leichtigkeit etc. – von einer Religion repräsentiert sein?
Da mischt sich etwas – Trauer und Freude.
U. Meier: Ich beginne mal mit der Traurigkeit und den Friedhöfen. Ungefähr seit 40 Jahren beobachte ich, wie man an Verstorbene denkt, im privaten Kreis, in Organisationen, auch beispielsweise bei Totengedenken in Waldorfschulen etc. Vor 40 Jahren wurden noch durchwegs schwarze Anzüge getragen und staatstragende Worte gesprochen, und man merkte bei all dieser Ernsthaftigkeit, dass ein Teil des Lebens darin nicht vorkommt. Aber da hat sich im Laufe der Zeit vieles gewandelt: Es gibt inzwischen kaum ein Gedenken an eine verstorbene Kollegin oder einen Kollegen, bei dem nicht auch gelacht wird. Man delegiert die Wortbeiträge nicht mehr an Einzelne, die gut reden können, sondern erzählt sich gegenseitig die Erinnerungen und die Geschichten, die einen mit diesem Menschen verbinden. Das sind natürlich auch humorvolle und komische Augenblicke, und ich habe das Gefühl: Wir lachen mit den Verstorbenen gemeinsam. Natürlich ist es genauso wertvoll, wenn wir gemeinsam Schmerz empfinden, weil wir uns nicht mehr in derselben Weise nah sein können, wie wir es uns wünschen. Da mischt sich etwas – Trauer und Freude – was ja die zarten Gefühle sind. Das tief Tragische und das völlig Alberne sind Extreme, die beide menschlich und berechtigt sind, aber natürlich ein Stück aus der Mitte herausrücken, in der sich Freude und Traurigkeit die Waage halten.
In der Christengemeinschaft ist von diesem Leben in seelischen Polaritäten die Rede, wenn die Jugendlichen in der Konfirmation mit den Worten gesegnet werden, dass Christus der „Spender der Daseinsfreuden“ und der „Tröster im Daseinsleide“ ist. Das heißt für mich: Christus ist zunächst schlicht der Quell der Freude – auch das Tragische lässt er zu, aber er tröstet und führt das Seelenempfinden immer wieder in die Mitte.
Und wenn der wiederkommt, ist Freude und Feiern angesagt.
C. P.: Das ist ja ein wunderbarer Satz. Aber warum kommt die Freude so wenig in einem Gottesdienst, in christlichen Gepflogenheiten, in der Bibel vor?
U. Meier: Die Freude kommt relativ häufig vor im Neuen Testament. Beispielsweise in den Gleichnissen, wenn etwas verloren geht: Die Freude über den einen, der umgekehrt ist. Es ist ein Schaf verloren gegangen, eine Münze, sogar der Sohn. Und wenn der wiederkommt, ist Freude und Feiern angesagt. Beim verlorenen Sohn wird deutlich, wie wichtig es ist, nicht die Extreme zu leben. Der zu Hause gebliebene Sohn wollte nicht zu dem Fest: „Für mich machst du kein Fest, aber für den, der dein Geld durchgebracht hat, feierst du.“, wirft er sauertöpfisch seinem Vater vor. Der sagt zu dem eher humorlosen Bruder: „Dein Bruder war tot und ist wieder lebendig, war verloren und ist wiedergefunden worden. Und jetzt „muss ein Fest gefeiert werden“ – das erscheint an dieser Stelle als eine Art kulturell-religiöses Gesetz: Es ist nötig, zu feiern.
Aber Witze oder Komödiantisches finden sich nicht in der Bibel. Da ist der ernste Ton stärker. Ich kenne keine religiösen Urkunden, in denen Späße vorkommen. Sie bilden diese Seite des Lebens nicht ab. Es ist wohl eher die Milde, die Barmherzigkeit, das Lächeln, das vorkommt.
C. P.: Im Alten Testament beispielsweise lacht Sarah, als sie erfährt, dass sie schwanger ist. Was für ein Lachen ist das?
U. Meier: Als die alte Sarah von ihrer Schwangerschaft erfährt, kann sie lächeln und muss es nicht von sich weisen. Es ist eher eine zart-freudige Einstimmung: Oh, ich soll noch Mutter werden! Und das bringt ihr ein Lächeln auf die Lippen.
Rudolf Steiner hat Witze erzählt.
C. P.: Wofür brauchen wir den Humor?
U. Meier: Wir brauchen das Lachen als Lösung von Verfestigung und Starre. Humor ist wörtlich ein „Verflüssiger“. Ich behaupte aber, mit der Seelenalchemie von C.G. Jung im Hintergrund, dass Lachen auch eine Sublimatio, eine „Lüftung“ ist. Es ist ein Luftbewegungselement, das wir brauchen. Es geht vom Zwerchfell über die Lunge, bis in die Stimme hinein und ist es etwas Heilendes. Wenn wir aufhören zu lachen, ist es genauso dramatisch, wie wenn wir aufhören zu singen oder zu weinen.
Rudolf Steiner hat mehrmals bei den Priestern in der Vorbereitung der Gründung der Christengemeinschaft Witze erzählt. Ein Beispiel: „Zwei Priester unterhalten sich, und der eine sagt etwas großtuerisch: ‚Ich predige nur noch aus dem Heiligen Geist.‘ Der andere: ‚Damit habe ich schlechte Erfahrungen gemacht.‘ ‚Wie das?‘ ‚Ich habe tatsächlich einmal versucht, aus dem Heiligen Geist zu predigen, und der Heilige Geist hat mir auch wirklich etwas gesagt. Weißt du, was er sagte? Er sagte: Du bist ein faules Luder‘.“ Ich verstehe das so, dass damit ein Hinweis auf Gefahren für religiöse Menschen verbunden ist, zum Beispiel, wenn sie sich selbst erhöhen. Wenn man sich auf der Suche nach Spiritualität zu starke Gewichte auferlegt, kann man an der eigenen Humorlosigkeit ersticken.
C. P.: Wenn alles verfestigt, einfriert und solche Regungen nicht mehr möglich sind, ist das krank, bzw. depressiv. Aber umso mehr die Frage, warum keine Religion das abbildet?
„Lies bitte Don Camillo und Peppone.“
U. Meier: Das ist mir ein Stück rätselhaft. Dazu eine Geschichte aus meiner eigenen Biografie. Als ich zum Priesterseminar ging, gab mir ein guter Freund einen Buchtipp mit: „Lies bitte Don Camillo und Peppone, sonst kommst du dort nicht durch!“ Das habe ich beherzigt. Und ich möchte ein Beispiel herausgreifen, das mit der Beichte zu tun hat. Das religiös brisante Thema dabei ist, wenn man sich unfrei und ohnmächtig fühlt, weil sie verordnet wird und man sie nicht frei aufsuchen darf. Hier die Geschichte: „Die Kinder haben Don Camillo ein Huhn gestohlen und überlegen, was zu tun sei, wenn er ihnen auf die Schliche kommt. Eines von den Kindern kommt auf die Idee, einfach zu ihm in die Beichte zu gehen. Zuerst fragt es: ‚Don Camillo, stimmt es, dass du nichts weitersagen darfst, was du in der Beichte hörst?‘ ‚Ja, natürlich, das ist ein wichtiges Gesetz.‘ ‚Don Camillo, wir haben ein Huhn gestohlen. Und möchtest du nicht wissen, von wem das Huhn ist? – Es ist dein Huhn.‘“ Und nun ist Don Camillo hilflos, sein eigenes Gesetz bindet ihn. Die Kinder nehmen ihm mit Humor seine Macht.
Noch ein religiöser Witz: Der Priester hält eine fulminante Predigt zu Pfingsten, mitten im Satz stockt er, hebt die Hände, verstummt und muss von der Kanzel abtreten. In der Gemeinde geht das Gerede los, und schließlich fasst sich einer das Herz und fragt ihn: „Hochwürden, wir haben gerätselt, was das war in der Kirche. Und einer fragte, ob Sie eine Erscheinung hätten.“ Darauf sagt der Priester: „Ja, ich hatte wirklich eine Erscheinung – eine Alterserscheinung.“ Er nimmt sich selber auf den Arm. Das gehört zum erlösenden Humor, dass man nicht auf Kosten anderer lacht, sondern über sich selbst lachen kann. Und gerade in der Religion ist das wichtig, weil sonst das Heilige künstlich und lebensfremd wirkt.
C. P.: Die Formkraft ist ja ein wichtiges und bewundernswertes Element in der religiösen Praxis …
Dann muss ich mich mit Humor korrigieren.
U. Meier: Sie ist auch ein starkes spirituelles Schulungselement, ohne diesen Ernst kommt man in der inneren Übung nicht klar. Aber wenn ich mich einseitig zwinge, die Form einzuhalten, kann ich nicht mehr mit der ganzen Seele dabei sein, weil ich mich überanstrenge. Dann muss ich mich mit Humor korrigieren. Jesus sagt, dass man als Betender nicht an der Straßenecke stehen, sich das Gesicht schminken und einen Hungerkünstler darstellen soll, sondern man soll in die eigene Kammer gehen und dort schlicht und einfach das Gebet sprechen. Nicht das Gesetz, sondern die Selbstbestimmung ist hier gemeint. Gegen das Absurde der Vielzahl von Gesetzen wurden oft Witze erzählt. Zum Beispiel dieser:
Ein jüdischer Mann kommt in die Fleischerei, stellt sich vor den Tresen und zeigt mit dem Finger auf ein Stück Schweinefleisch und fragt: „Was kostet dieser Fisch?“ Der Fleischer: „Entschuldigung, das ist kein Fisch, das ist ein Schinken.“ Darauf der Käufer: „Ich habe nicht gefragt, wie der Fisch heißt, ich habe nur gefragt, wie teuer er ist.“ So kann man mit Humor von den strengen Geboten abweichen. Form, die lebensfeindlich ist, muss als solche entlarvt werden.
Humor in schwierigen Lagen
C. P.: Humor gibt es in verschiedenen Situationen. Die Menschen machen sich damit das Leben leichter, gerade in extrem harten Situationen wie Gefängnis, Krieg, Lager, Krankheiten etc.
U. Meier: Das ist der befreiende Humor, um in äußerer Gefahr und Bedrängnis wenigstens in der Seele das Element der Freiheit zu finden. Ähnlich ist es auch mit Humor und Witzen, die in der Nazizeit erzählt wurden. Ein derbes Beispiel für einen solchen Witz: Treffen sich zwei Leute, fragt der eine den anderen: „Wie geht es dir?“ Sagt der Andere: „Bandwurmmäßig.“ „Wieso das denn?“ „Na ja, man schlängelt sich durch die braune Masse und muss aufpassen, dass man nicht abgeführt wird.“ Der Clou: Man erzählt etwas über den Verdauungstrakt und jeder weiß, was gemeint ist, aber keiner kann einem etwas nachweisen.
Humor hilft auch in Situationen, in denen man sich nicht entscheiden kann. Dafür ein Beispiel: Kommen zwei Streithähne zum Rabbi und sagen: „Entscheide du, wer Recht hat.“ Der Eine beginnt und stellt seine Sicht dar. Der Rabbi: „Ja, da hast du recht. Jetzt erzähl du.“ Dann erzählt der Andere seine Geschichte, natürlich mit einer ganz anderen Sicht. Der Rabbi schaut ihn an und sagt: „Ja, da hast du recht.“ Dann sagt der Erste: „Rabbi, du kannst uns doch nicht beiden recht geben, das geht doch gar nicht.“ Darauf der Rabbi: „Stimmt, da hast du recht.“
C. P.: Wie kann man humorvoll werden?
U. Meier: Es gibt einige Elemente, die man studieren kann. Es braucht eine gewisse Übertreibung, man muss eine Sache auf die Spitze treiben und so ins Absurde führen. Das kann man beispielsweise an den Stücken von Molière sehen, „Der eingebildete Kranke“, „Der Geizige“. Die Protagonisten sind so furchtbar einseitig, dass man sich als Zuschauer wiedererkennt und dabei auch über sich selbst lachen kann. Es ist fast ein therapeutisches Mittel, das mit der wahren Komödie verbunden ist.
Wenn man Witze erzählt, braucht man außerdem das Element der Verzögerung. Es muss eine Spannung entstehen, und man muss dafür beim Erzählen verzögern. Die Pointe lässt auf sich warten, aber löst umso deutlicher auf, was vorher gestaut war. An dieser Stelle kommt der Geist dazu. Er teilt sich in der lösenden, luftigen Befreiung aus den zu starken Bindungen an Einseitigkeiten mit, die dem geglückten Leben hemmend im Wege stehen. Humor ist ein Stück Lebenskunst. Umgekehrt zeichnet sich der Lebenskünstler dadurch aus, dass er seine Milde und Weisheit mit Humor verbinden kann.