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„Ich male für die Zukunft“
Die schwedische Malerin Hilma af Klint
Zusammenfassung eines Vortrages von Tabea Hattenhauer
Wer war diese schwedische Malerin, wegen der die Kunstgeschichte umgeschrieben werden muss? Sie war vor Kandinsky, Malewitsch, Jawlensky und anderen eine Pionierin der Abstraktion. Warum waren ihre 1.300 Werken jahrzehntelang unbekannt, brachten aber im Jahr 2019 dem Guggenheim Museum die meistbesuchte Ausstellung seiner Geschichte? Zentral ist die Spiritualität in der Malerei von Hilma af Klint, die schon als 17-jährige an okkulten Sitzungen teilnahm. Sie beschäftigte sich unter anderem mit Anthroposophie, hatte eine Begegnung mit Rudolf Steiner und besuchte viele Jahre seine Vorträge.
Grundlage für folgenden Artikel ist ein Vortrag von Tabea Hattenhauer, Pfarrerin in der Christengemeinschaft Harburg, den sie dort am 25. November 2021 hielt.
Hilma af Klint (1862-1944) war eine schwedische Malerin, deren Neuentdeckung als die kunsthistorische Sensation der vergangenen Jahre gilt. Als sie Anfang des 20. Jahrhunderts begann, abstrakt zu malen, gab es „keine Vorbilder in der Kunstgeschichte, nicht bei den alten Meistern und auch nicht bei den modernen Zeitgenossen.“ ¹ Das Unsichtbare lag in der Luft: Das elektrische Licht wurde erfunden, ebenso das Telefon und die Röntgentechnik. Hilma af Klint wollte das Unsichtbare auf die Leinwand bannen.
Sie wusste, dass sie ihrer Zeit voraus war: Mit siebzig Jahren verfügte sie, dass ihre Bilder erst 20 Jahre nach ihrem Tod zu sehen sein sollten. Als sie 1944 starb, hatte sie ihre Bilder wie in eine Zeitkapsel gesteckt: Sie ruhten sorgfältig in Holzkisten verpackt auf einem Dachboden hoch über den Boulevards von Stockholm. 1966 öffnete ihr Erbe und Neffe Erik af Klint die Kisten mit den 1.300 Gemälden und 124 Notiz- und Skizzenbüchern. Nichts sollte davon verkauft werden, alles sollte zusammenbleiben. 1972 gründete er die Hilma af Klint Stiftung, in deren Besitz noch heute das Werk ist.
Bei den ersten Versuchen, die Bilder auszustellen, stieß man auf kein Interesse. „Daran merkt man, wie der Kunstmarkt arbeitet, nämlich viel mit Geschichten. Beispielsweise ist es wichtig, wer die Person ist. Kandinsky hatte von sich postuliert, er habe die Abstraktion erfunden, erklärt, warum er bestimmte Formen gewählt hat. Hilma af Klints Bilder hatten sehr große Ausmaße; man war sich damals nicht sicher, wie man diese Bilder einzuordnen hatte, sie passten nicht in die erzählte Geschichte. Es war auch in dieser Zeitepoche äußerst unüblich, dass Frauen überhaupt an einer Kunstakademie studierten, geschweige denn Beachtenswertes erschufen.“ (Tabea Hattenhauer)
Tabea Hattenhauer
Hilma af Klint hat ein einziges Selbstportrait gemalt; ihre Person sollte nicht im Zentrum stehen. Sie wollte hinter ihrer Kunst verschwinden. Ihre privaten Tagebücher hat sie allesamt vernichtet. Als einziges blieben die Notizbücher zu ihrer Arbeit und ihrer spirituellen Entwicklung.
Zu ihrer Biografie
Hilma af Klint wurde am 26. Oktober 1862 an einem Sonntag geboren, auf Schloss Karlberg in der Nähe von Stockholm. Sie war das vierte Kind von Mathilda Sontag und Victor af Klint. Der Vater war Offizier bei der schwedischen Marine, die Familie war wohlhabend. Der Großvater Gustav fertigte Seekarten für die gesamte Nord- und Ostsee an. Hilma betrachtete schon früh diese Seekarten mit den feinen, gestrichelten Linien, die das Unsichtbare, nämlich die Tiefe der See sichtbar machen. Dieses Motiv der gestrichelten Linien tauchte in ihren späteren malerischen Werken immer wieder auf.
Hilma hatte ein großes zeichnerisches Talent. Sie wurde an der Kunstakademie in Stockholm aufgenommen, was damals eine sehr neue, revolutionäre Möglichkeit für Frauen war. Unter den männlichen Malern gab es starke Vorbehalte; z. B. hielt der schwedische Maler Karl Larsson, ein Zeitgenosse, es für Verschwendung, eine künstlerische Ausbildung an Frauen zu vergeben. (Das betraf in dieser Zeit nicht nur die Kunst, sondern auch die wissenschaftlichen Ausbildungen.) Hilma hatte an der Akademie großen Erfolg; sie bekam Preise, diese wurden ihr aber im Gegensatz zu den männlichen Mitstudenten in einem Nebengebäude verliehen. Ihre Bilder waren zunächst klassisch: Landschaften, Portraits, Motive aus Sagen. Es kamen zu dieser Zeit in der Malerei neue Tendenzen auf, z. B. bei Edvard Munch, aber die Motive waren immer noch gegenständlich.
Da sie eine gute Zeichnerin war, arbeitete sie nach Abschluss des Studiums als Illustratorin für das Veterinärmedizinische Institut. Sie verfertigte naturwissenschaftlich genaue Zeichnungen – damals gab es für solche Zwecke noch keine Fotografien. Und sie verkaufte Portraits und Landschaftsbilder. Auf diese Art hätte ihre künstlerische Laufbahn weitergehen können. Aber durch ihre innere Entwicklung, die parallel zu der äußeren Ausbildung verlief, eröffnete sich ihr ein anderer Weg.
Mit 17 Jahren nahm sie zum ersten Mal an einer spiritistischen Séance teil. Séancen waren Ende des 19. Jahrhunderts durchaus gängig, und es gab eine breite Akzeptanz, dass man von der geistigen Welt, d. h. in der Regel von Verstorbenen, Nachrichten erhielt. Madame Curie, eine Zeitgenossin, ging damals mit ihrem Mann auch zu solchen Sitzungen, ebenso etliche Künstler und Literaten. Es wurde in diesen Sitzungen aufgeschrieben oder gemalt, was aus der geistigen Welt kam. Als Hilma 18 Jahre alt war, starb ihr jüngste Schwester. Man kann sich vorstellen, dass das ihr Interesse an der Welt der Verstorbenen noch gesteigert hat.
eine neue Art zu malen
1896 gründet sie zusammen mit vier Freundinnen eine eigene spiritistische Gruppe „Die Fünf“ (de Fem). Sie richten in einer Wohnung einen Altar ein, „teilen so gut wie alles. Den Wunsch, Künstlerin zu werden. Den Glauben an die Zugänglichkeit höherer Welten. Das Ideal einer freiheitlichen Gesellschaft.“ ¹ Diese Zusammenkünfte bereiten Hilma auf eine neue Art zu malen vor. Es kommt der Moment, als eines der geistigen Wesen sie selbst erwähnt: „…. Ich bin hier. Ich will mit Hilma sprechen. Ich bin ihr Schutzgeist und habe ihre Vervollkommnung zum Auftrag. …. Es ist ein klares Licht auf deinen Weg gekommen, lasse es nicht durch die dunklen Schatten des Zweifels verdeckt werden, sondern wandere froh und demütig in seinem Schein ….“. Es entsteht langsam ein Prozess, der sie zu ihren Aufgaben führt. Verschiedene geistige Wesen geben ihr den Auftrag zu malen, aber ganz anders, als sie es in der Akademie gelernt hat. 1906 beginnt sie abstrakt zu malen. Für die Formen, die Hilma af Klint in ihrem Atelier in der Hamngatan auf das Papier bringt, gibt es keine Vorbilder in der Kunstgeschichte, weder in der Vergangenheit noch bei Zeitgenossen. Die kleine, zierliche Frau malt auf dem Fußboden ihre 3,15 mal 2,35 Meter großen Bilder, barfuß läuft sie über das Papier und zeichnet Linien, Schriftzeichen, Buchstaben, trägt Flächen auf. Sie steht dabei im Dialog mit ihrer inneren Stimme „Ich begann sofort mit der Arbeit und ging so vor, dass die Bilder direkt durch mich hindurch gemacht wurden, mit einer unglaublichen Kraft“. Für ein Bild von 2 mal 3 Metern braucht sie zwei Tage, den Zyklus von 10 Bildern schafft sie in zwei Monaten. 1915 schließt Hilma mit 193 Gemälden ihre erste große abstrakte Reihe ab.
Sie unternimmt viel, um ihre Werke zeigen zu können, 1913 in Stockholm, 1928 in London, stößt aber auf Widerstände.
1938 zeigt sie ihrem Neffen Erik af Klint ihre Bilder und macht ihn später zu ihrem Alleinerben. Sie bestimmt auch, dass die Bilder immer zusammen bleiben sollen.
Am 21. Oktober 1944 stirbt sie im Alter von 81 Jahren an den Folgen eines Unfalls.
Hilma af Klint besaß eine ungewöhnlich breite Bildung. Sie war eine moderne Person: „Ging ins Kino, reiste, telefonierte und zeigte ihre Bilder mit Diaprojektoren“. 1 Sie war nüchtern, weltoffen, dachte klar und scharfsinnig, interessierte sich schon früh für Naturwissenschaften. Gleichzeitig setzte sie sich mit dem Christentum, der Theosophie, den Rosenkreuzern auseinander.
Begegnung mit Rudolf Steiner
1908 hört sie in Stockholm einen Vortrag von Rudolf Steiner. Sie schreibt ihm und bittet ihn um ein Urteil zu ihren Arbeiten. Tatsächlich kommt er dorthin, das Gespräch scheint aber eher ernüchternd zu sein: Sie hätte doch ihre Meister in der geistigen Welt, an die sie sich halten solle; aber dieses „mediumistische Arbeiten“ würde nicht begrüßen, sie solle mehr aus sich selber herausarbeiten.
Mit etwa 44 Jahren, während des ersten Weltkrieges, zieht sie aus Stockholm weg und bezieht ein selbstentworfenes Atelier auf der Insel Munsö. Zu dieser Zeit lernt sie ihre dritte Lebensgefährtin Thomasine Andersson kennen. Hilma war nie verheiratet, sondern hat ihr Leben immer mit Frauen verbracht. Es gab drei Frauen, die im Laufe ihres Lebens eine große Bedeutung hatten, „Dualseelen“ nannte sie diese Begegnungen. Thomasine Andersson spielt insofern eine wichtige Rolle, weil sie fließend Deutsch spricht. Die beiden Frauen machen von 1920 bis 1930 fast jedes Jahr eine Reise nach Dornach und hören dort Vorträge von Rudolf Steiner. Hilma schreibt nochmal an Rudolf Steiner, um zu erfragen, was mit ihren Arbeiten geschehen solle, „gibt es eine Verwendung oder soll ich sie zerstören?“ Sie bekommt aber keine Antwort. Nach dem Tod von Rudolf Steiner 1925 ist sie sehr enttäuscht, was in der Anthroposophischen Gesellschaft passierte, und so beschließen die beiden, dass sie nicht mehr hinfahren wollen.
Hilma muss sich eingehend mit der Anthroposophie beschäftig haben, denn in einem Verzeichnis ihrer Bibliothek findet man fast die komplette Gesamtausgabe von Rudolf Steiner.
ihr „Tempel“
Hilma af Klint hatte die Vorstellung, dass ihre Gemälde in einem Tempel hängen sollten. Mit zunehmendem Alter hat sie genaue Skizzen gemacht von so einem Gebäude, aber es hatte nicht die Form eines antiken Tempels mit Säulen, sondern war ein spiralförmiges Gebäude. Sie hatte die Vorstellung, dass ihre Bilder in einem spiralförmigen Weg zu sehen und zu erfahren sein sollten. Und im Zentrum sollten drei große Bilder hängen. Dieses Gebäude wurde damals nicht realisiert.
Wie kamen ihre Bilder an die Öffentlichkeit?
Zunächst interessiert sich niemand für Hilma af Klint. 1986 gibt es eine erste Ausstellung, doch die Kunstkritiker äußern sich abschätzig. Das führte dazu, dass ihr Werk wieder in der Versenkung verschwindet. 2013 gibt es dann eine Ausstellung in Stockholm, die bis 2016 in mehreren Ländern Europas Station macht. Diese Ausstellung hat über eine Millionen Besucher! Das ist ein bahnbrechender Erfolg, die Menschen sind plötzlich interessiert. Die Krönung geschieht 2018, als das Guggenheim Museum in New York das ganze Haus leerräumt und eine Einzelausstellung „Paintings for the Future“ ermöglicht. Das Besondere an dieser Situation: Dieser Bau von Frank Lloyd Wright ist eine Spirale. Es ist genau ihr Tempel, den sie sich für ihre Bilder gewünscht und erhofft hat! Mit über 600.000 Besuchern ist es die meistbesuchte Ausstellung dieses Museums und der Katalog ist die meistverkaufte Publikation dieses Hauses. Die Menschen stehen Tag für Tag, Woche für Woche um den Block, um in die Ausstellung zu kommen. Sie haben quasi „mit den Füßen abgestimmt“, während sich die Kunstkritiker unterhalten, ob man Hilma af Klint ernstnehmen könne und in welche Schublade man sie stecken solle. Die Zuschauer dagegen sind begeistert und können sich nicht sattsehen. 1906, als Hilma mit dem abstrakten Malen begann, notierte sie: „Die Versuche, die ich unternommen habe, werden die Menschheit in Erstaunen versetzen.“
Das Meditative, was diese Bilder ausstrahlen, und die Inhalte, die offensichtlich aus einer geistigen Welt geflossen sind, drücken etwas aus, was für uns in der hiesigen Welt unsichtbar ist. Hilma af Klint hat versucht, eine immaterielle Welt in eine malerische Sichtbarkeit zu übersetzen; sie nannte es auch ihre „astralen Gemälde“.
Warum sind die Bilder heute so populär?
„Auf einer äußeren Seite könnte man sagen, dass sie wie Pop-Art wirken; sie erscheinen modern, plakativ, man könnte daraus ein Poster machen. Aber das ist es nicht allein, sonst hätten sie nicht diese starke Wirkung. Es wird immer wieder beschrieben, dass Menschen sehr lange Zeit vor diesen Bildern zubringen und mitunter in Tränen ausbrechen. Ihre Seelenbilder, so könnte man ihre „astrale Bilder“ auch nennen, sprechen direkt bei den Menschen etwas an, was nicht über die Interpretation oder den Verstand kommt, sondern über die Farbe, die Form, die Bewegung. Vielleicht sind die Menschen heute dafür sogar offener als zur damaligen Zeit. Damals wurde mehr akademisch auf die Bilder geschaut, und wenn man unter diesem Gesichtspunkt nichts erkennen konnte, waren sie uninteressant. Sich in aller Offenheit einem Bild auszusetzen und sich berühren zu lassen, ist eine moderne Qualität, die in den letzten einhundert Jahren zunehmend gewachsen ist. Darauf hat sie vertraut und sagte damals auch: ‚Ich male für die Zukunft.‘“ (T. Hattenhauer)
Zusammenfassung des Vortrages: Christine Pflug
¹ Julia Voss: Hilma af Klint – „Die Menschheit in Erstaunen versetzen“ S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2020 ISBN 9783103973679
Es gibt zahlreiche Beiträge auf youtube zu Hilma af Klint