Willkommen auf der Seite für Adressen, Veranstaltungen und Berichte aus Einrichtungen auf anthroposophischer Grundlage im Raum Hamburg
Kampf der Kulturen? Teil I und II
Ost-West-Konflikte und ihre Inszenierungen
Interview mit Lars Grünewald
Wieso erstreben die USA die Weltherrschaft? Welche Funktion hat dabei der islamistische Terrorismus? Welche Rollen spielen Deutschland, Russland und die Ukraine? Wo positionieren sich die Medien und Geheimdienste?
Lars Grünwald hielt am 3. März 2015 im Ledigenheim in der Rehhoffstraße einen Vortrag mit dem Titel „Kampf der Kulturen oder Spaltung der Gesellschaft?“ . Mit Zitaten und Veröffentlichungen amerikanischer und deutscher Berater, Autoren und Journalisten sowie Ausführungen Rudolf Steiners zeigt er Zusammenhänge zwischen diesen Spannungsfeldern auf.
Interivewpartner: Lars Grünewald, geb. 1962, Studium der Musikwissenschaften und Erziehungswissenschaften, danach privates Philosophiestudium. Seminare und Vorträge zu philosophischen und sozialwissenschaftlichen Themen. Außerdem Tätigkeit in schulischen Zusammenhängen (Unterricht, Lehrerbildung, Schulberatung)
Christine Pflug: Im Titel deines Vortrages geht es um einen „Kampf der Kulturen“. Rudolf Steiner hat die Situation, die sich diesbezüglich heute politisch abspielt, schon 1917 beschrieben. Was hat er gesagt?
Lars Grünewald: Er hat im Wesentlichen drei Dinge dazu gesagt, nämlich dass es 1. ein anglo-amerikanisches Streben nach Weltherrschaft gibt, 2. dass diese Weltherrschaft nur zu verhindern ist, wenn es zu einer Art von kultureller Allianz zwischen Mitteleuropa, vor allem von Deutschland einerseits, und Osteuropa, insbesondere Russland, andererseits kommt, sowie 3. dass genau aus diesem Grund, damit es nämlich zu dieser Allianz nicht kommt, die anglo-amerikanische Politik versucht, diese Allianz mit allen Mitteln zu verhindern.
„ Die einzige Weltmacht“
C. P.: Du hast dann ausgeführt, dass amerikanische Politiker und politische Berater im Prinzip Ähnliches sagen und auch schriftlich publizieren. Kannst Du einige Beispiele nennen?
L. Grünewald: Der große Klassiker ist das 1997 veröffentlichte Buch »The Grand Chessboard« von Zbigniew Brzezinski, in der deutschen Übersetzung „Die einzige Weltmacht“. Brzezinski war Berater von Jimmy Carter, Lehrer von Barack Obama und ist auch heute wieder als dessen Berater tätig. Inhaltlich geht er genau von den gleichen Dingen aus, die auch Steiner bereits genannt hat, und entwirft dazu eine umfassende Geostrategie. Markus Osterrieder hat in seinem 2014 erschienenen Buch „Welt im Umbruch“ zahlreiche Dokumente zusammengestellt, in denen englische und amerikanische Politiker solche Überlegungen ausführen und sich Gedanken darüber machen, wie man die Welt, die Meinung der Bevölkerung und die Medien so formen kann, dass eine solche US-amerikanische Herrschaft möglich wird, um so eine Allianz zwischen Mitte und Osten zu verhindern. Aus derselben Richtung kommt Brzezinski, nennt ebenfalls diese Ziele und geht dann systematisch durch die einzelnen geographischen Regionen, um aufzuzeigen, wie die USA dort in Zukunft agieren muss.
Eine Allianz zwischen Deutschland und Russland verhindern
C. P.: Nennt er ganz konkrete Länder?
L. Grünewald: Er gliedert das in Schlüsselregionen und geht dann bei jedem einzelnen Land darauf ein, welche Bedeutung es in Zukunft für die Weltpolitik haben wird, welche Eigeninteressen es verfolgt und wie die USA damit umgehen müssen. Auf YouTube ist ein inzwischen recht populäres Video erschienen, eine Pressekonferenz des prominenten amerikanischen Politikberaters George Friedman. Friedman erklärt, dass das Hauptproblem der US-amerikanischen Politik in den letzten hundert Jahren darin bestehe, eine enge, vor allem wirtschaftliche Allianz zwischen Deutschland und Russland zu verhindern. Und wie Deutschland sich diesbezüglich verhält, sei nach seiner Auffassung die „Schicksalsfrage“ für die Zukunft der amerikanischen Weltherrschaftsbestrebungen. (Linkadresse: https://www.youtube.com/watch?v=oaL5wCY99l8)
C. P.: Wenn es genaue geographische Regionen gibt, die der amerikanischen Weltherrschaft dienen – lässt sich damit auch der Ukraine-Konflikt erklären?
L. Grünewald: Ja, und zwar in zweifacher Hinsicht: Wenn man davon ausgeht, dass zunächst die Wiedervereinigung erfolgt ist, dann die NATO-Integration Polens, steht jetzt eigentlich nur noch die Ukraine zwischen der NATO und Russland. Wenn es gelingt, die Ukraine an den Westen zu binden, bedeutet das, dass Russland aus Europa vollständig herausgedrängt ist. Das führt Brzezinski auch aus und schreibt, dass Russland dann nur noch übrig bliebe, sich nach Osten in den asiatischen Raum hinein zu orientieren. Dort aber würde es derartig in Konflikte mit östlichen Nachbarn hineingezogen werden, dass es keine uneingeschränkte Vormachtstellung mehr haben könne. Das ist also gewissermaßen ein Versuch, Russland in der Weltpolitik als „Mitbewerber“ um eine globale Herrschaftsposition auszuschalten.
Der zweite wesentliche Gesichtspunkt ist derjenige, dass der US-Geostratege Samuel Huntington, der in seinem 1996 erscheinen Buch „Clash of civilisations“ den „Kampf der Kulturen“ als politisches Konzept formuliert hat, “, auch genau dort die Grenze markiert hat, wo gewissermaßen die Front dieses Kulturkampfes verläuft: Die geht mitten durch die Ukraine hindurch. Da existiert also ein Spannungsgebiet, in dem westliche und östliche Impulse aufeinander treffen, und indem man diese Spannungen zum Austrag bringt und nicht löst, wird zwischen Deutschland und Russland eine permanente Krisenregion geschaffen, die eine ruhige, konstruktive Nachbarschaft und Partnerschaft entschieden erschwert.
Die Barbarenvölker in Eurasien und die diffuse Gewalt der Islamisten
C. P.: Du hast auf Deinem Vortrag ein weiteres Zitat von Brzezinski gebracht: „Wenn sich diese Barbarenvölker in Eurasien nicht zusammenschließen sollen, braucht es die diffuse Gewalt der Islamisten“. Was bedeutet das? Kommt der islamistische Terrorismus Amerika gelegen?
L. Grünewald: Auf jeden Fall. Wer keinen ernstzunehmenden Gegner in Asien haben möchte und nicht will, dass der Islam sich zu einem einheitlichen Staat zusammenschließt und dadurch eine zentrale Macht bilden würde, der muss diese Region destabilisieren. Das heißt, man muss die dort herrschenden Kräfte, wie damals Irak und Iran, in ein konfrontatives Verhältnis zueinander bringen und sich dann auf einer der beiden Seiten positionieren.
Einen starken islamischen Staat verhindern
C. P.: Warum soll der Islam aus Sicht der USA keine starke Macht werden?
L. Grünewald: Der Islam ist ein grundsätzlicher Gegenimpuls zur US-amerikanischen Kultur, die einseitig auf physisches Wohlergehen ausgerichtet ist. Er ist zunächst eine ganz weltabgewandte Kultur, die dem US-amerikanischen Kulturimpuls direkt entgegensteht. Wenn der Islam sich zu einem großen Staat formieren würde, mit eigener Armee und eigenen Atomwaffen usw., dann gäbe es einen weiteren starken Mitbewerber um die geopolitische Herrschaft oder die USA könnte zumindest diesen Raum nicht mehr beherrschen.
C. P.: Haben die USA als Feindbild zum einen das „eurasische Barbarenvolk“ und zum anderen eine starke organisierte islamische Macht?
L. Grünewald: Ja, erstens wollen sie einen starken islamischen Staat verhindern, zweitens stellen sie sich in den Spaltungen, die sie dann provozieren, immer auf eine Seite, wie zum Beispiel Südkorea gegen Nordkorea oder Irak gegen Iran. Damit sind die USA in Asien ständig militärisch präsent, weil sie als Verbündeter einer Seite auftreten, und es ist ihnen möglich, dort dauerhaft Fuß zu fassen. Durch ihre ständige Anwesenheit provozieren sie natürlich ihre Ablehnung bis hin zum Hass der jeweiligen Bevölkerung, die die USA zu Recht als Eindringling empfindet. Da aber kein islamischer Staat existiert, kann es keinen Krieg eines islamischen Staates gegen den Westen geben, sondern nur vereinzelte diffuse Aktivitäten – das, was wir heute Terroranschläge nennen.
Einen weltweiten „Kampf gegen den Terror“ inszenieren, mit dem Abbau von Bürgerrechten, Abhöraktivitäten, Präventivschlägen usw.
Durch solche Anschläge wiederum hat die USA die Möglichkeit, einen weltweiten „Kampf gegen den Terror“ zu inszenieren, mit dem Abbau von Bürgerrechten, Abhöraktivitäten, Präventivschlägen usw. Ein wirklicher Weltkrieg, wie ihn Präsident Bush am 12. September 2001 ausgerufen hat, lässt sich nur gegen einen weltweit agierenden Gegner führen. Ein Staat ist immer begrenzt, d.h. ein Krieg gegen einen Staat hat ein bestimmtes Territorium als gegnerisches Terrain, während der „internationale Terrorismus“ weltweit agiert, also weltweit und überall bekämpft werden muss. Und damit haben die USA gewissermaßen den Schlüssel dazu, weltweit militärisch und geheimdienstlich tätig zu werden.
C. P.: … mit der Begründung, die ganze Welt vor dem islamistischen Terrorismus zu schützen?!
L. Grünewald: Zunächst einmal generell vor dem Terrorismus, aber natürlich erfüllt der islamische Terrorismus die Doppelfunktion, dass er einerseits eine globale Abwehr ermöglicht und andererseits die Antipathien in den USA selber und im europäischen Raum ganz stark gegen den Osten richtet. Denn wenn die Mitte die Bedrohung im Osten lokalisiert, dann wird sie sich enger an den Westen binden. Und es ist das Ziel der US-Politik, statt einer Mitte-Ost-Allianz eine Mitte-West-Allianz zustande zu bringen, und dazu muss sie einen Keil zwischen Mitte und Osten treiben. Das lässt sich nur dann realisieren, wenn die eine Seite die andere als so furchterregend empfindet, dass sie sich von ihr distanziert und ein feindseliges Verhältnis zu ihr entwickelt.
C. P.: Um es pointiert auszudrücken: Der US-Regierung ist der islamistische Terror willkommen!?
L. Grünewald: Sehr willkommen! Notwendig sogar, weil sich nur gegen eine diffuse Organisation ein diffuser Krieg inszenieren lässt. Ein Staat ist dagegen immer ein geographisch beschränkter Gegner.
C. P.: Würde das in der Konsequenz bedeuten: die US-Regierung will dieses feindschaftliche Verhältnis zum Islam am Laufen halten. Wie machen sie das?
L. Grünewald: Zum einen müssen mit einer gewissen Regelmäßigkeit immer wieder Anschläge erfolgen: Keine punktuelle Bedrohung wirkt ewig nach; irgendwann glätten sich die Wogen wieder. Es muss also von Zeit zu Zeit deutlich gemacht werden, dass diese Gefahr noch existiert. Ansonsten zählen aber auch künstlich hochgespielte politische Spannungen dazu; dafür sind die Medien das Hauptinstrument. Wenn die deutschen Medien schreiben: „Stoppt Putin jetzt!“, oder „Wir gegen den Terror!“ usw., dient das dem Aufbau von Fronten: Wir gegen den Osten.
C. P.: Das impliziert, dass der deutsche Journalismus sich an US-Amerika orientiert!?
L. Grünewald: Bei den großen deutschen Leitmedien ist das auch nachweislich der Fall. Uwe Krüger hat in seinem Buch „Meinungsmacht“ geschrieben, wie die leitenden Figuren des Journalismus, vor allem die Chefredakteure, in sog. Transatlantische Netzwerke eingebunden und verstrickt sind. Sie sind in jungen Jahren durch Stipendien von US-Universitäten gefördert worden, haben dort ihre Ausbildung genossen und sind von dort aus in die entsprechenden Netzwerke integriert worden. Insofern haben sie von vorneherein eine prowestliche amerikanische Orientierung und sind deshalb zu einem neutralen, unvoreingenommenen Journalismus nicht mehr in der Lage. Das bedeutet, sie kommentieren nicht nur US –freundlich, sondern sie fordern sogar die deutsche Politik dazu auf, noch US-konformer zu agieren und noch entschiedener gegen Russland vorzugehen. Und sie diffamieren jede Opposition gegen ein solches Vorgehen.
C. P.: Zum Beispiel?
L. Grünewald: Beispielsweise wird über Gegenveranstaltungen gar nicht oder nur am Rande berichtet, oder Menschen, insbesondere Journalisten, die sich um ein Verständnis für die russische Position bemühen, werden als „Putin-Versteher“ diskreditiert. Mit anderen Worten, es geht darum, diese gegnerischen Kräfte entweder zu ignorieren oder herabzusetzen. Wenn eine Position gar nicht untersucht, sondern sofort bewertet wird, kann von einem neutralen Journalismus – Rudolf Steiner würde sagen: von einem selbständigen Geistesleben – nicht mehr die Rede sein. Stattdessen haben wir Staatspropaganda; und dieses Wort kommt nicht von mir, sondern von Frank Schirrmacher, einem der prominentesten deutschen Journalisten, der allerdings seine eigene Aussage nur um wenige Wochen überlebt hat, danach ist er überraschend verstorben.
Die deutsche Regierung hat sich mit der Aussage Obamas, dass uneingeschränkt weiter überwacht werde, problemlos arrangiert.
C. P.: Wie steht die deutsche Regierung in all dem darin? Würdest Du sie auch als manipuliert betrachten?
L. Grünewald: Das ist sie ganz sicher. Das sieht man daran, wie sie auf den vielzitierten Abhörskandal bzw. auf die Enthüllungen durch Edward Snowden reagiert hat. Die deutsche Regierung hat keine Konsequenzen gezogen, sondern sich mit der Aussage Obamas, dass uneingeschränkt weiter überwacht werde, problemlos arrangiert. Übrigens wurde bereits 1955 vermeldet, dass 25% aller Bundestagsabgeordneten ebenfalls in den USA studiert haben, d. h. auch in diese Netzwerke einbezogen worden sind. Dazu kommt noch, dass es politische Geheimabkommen aus den 60-ziger Jahren gibt, die inzwischen offen gelegt worden sind, welche den US-Geheimdiensten uneingeschränkte Überwachungsrechte einräumen und die deutschen und amerikanischen Geheimdienste dazu verpflichten, ihre Informationen auszutauschen. Auch das zeigt, dass hier die deutschen Regierungen nicht die Interessen der deutschen Bevölkerung vertreten, sondern diejenigen der US-Regierung. Selbst wenn Frau Merkel es anders wollte, so dürfte sie es laut diesen Abkommen gar nicht, weil die dem US-amerikanischen Geheimdienst den Freifahrtschein geben, in unbegrenztem Umfang deutsche Privathaushalte und Unternehmen auszuspionieren.
C. P.: Das alles sind massive Tatsachen, die auch völlig öffentlich sind, z. B. in den von Dir genannten Büchern. Wieso gibt es dazu keine Gegenbewegung, sowohl in Deutschland als auch in Amerika?
L. Grünewald: Das ist ein komplexes Problem. Erstens ist Geostrategie viel weniger publikumswirksam als irgendwelche Sensationsereignisse, wie z. B. Flugzeugabstürze. Selbst wenn diese Dinge veröffentlich werden, sind sie noch nicht automatisch Publikumsrenner, denn man muss hier ganz kühl, nüchtern und abstrakt denken, ohne dass es etwas gäbe, was einem als Sensation bildhaft vor Augen geführt würde. Und die meisten Menschen sind nun mal so, dass sie sich eher an der Sinneswahrnehmung als am Denken orientieren. Von daher ist der Publikumskreis für solche Veröffentlichungen nicht sehr groß. Zweitens kann man sehen, in Internetforen usw., dass viele Interessierte solche Informationen schon zur Kenntnis nehmen, aber die nächste Frage ist, wie sachlich sie damit umgehen. Häufig erschöpfen sich die Reaktionen in irgendwelchen hasserfüllten Tiraden gegen Amerika. Damit ist natürlich nichts gewonnen, im Gegenteil, die Polarisierung wird noch weiter erhöht.
Drittens können wir schlecht wissen, wie viel Opposition es tatsächlich gibt, denn wir nehmen nur das zur Kenntnis, was uns die Medien liefern, und die schweigen möglicherweise einiges tot. Von daher weiß ich gar nicht, wie groß das Ausmaß der Opposition tatsächlich ist.
Und viertens, selbst wenn die Menschen mehr oder weniger geschlossen der Auffassung wären, dass es so nicht gehen soll, dann beantwortet das noch nicht die Frage, wie es dann tatsächlich gehen sollte: Eine Alternative zustande zu bekommen erfordert unendlich viel mehr Arbeit, als einfach nur gegen etwas zu sein. Und dazu scheint es mir in der Bevölkerung größtenteils an Geschlossenheit und an gedanklicher Disziplin zu fehlen. Wo es solche Diskussionen gibt, ist man sich schnell einig, wogegen man ist, aber wenn dann diskutiert wird, wie es tatsächlich gehen soll, haben sich dieselben Leute ganz schnell in den Haaren und es kommt nichts dabei heraus. Das ist letzten Endes das Schlüsselproblem, dass die ganze Opposition nur einen greifbaren Sinn haben könnte, wenn es eine konstruktive Alternative gäbe, bei deren Verwirklichung die Menschen dann auch real zusammenarbeiten würden.
C. P.: Hast Du damit die Frage, was man tun könnte, beantwortet?
L. Grünewald: Ich glaube, dass Zusammenarbeit im Großen nur funktionieren kann, wenn sie auch im Kleinen funktioniert. Und dieses Übungsfeld in seinem Umkreis, d.h. in seinen zwischenmenschlichen Beziehungen ganz bewusst einzurichten und Projekte in Zusammenarbeit erfolgreich gemeinsam durchzuführen, das ist eine Fähigkeit, die zunächst entwickelt werden müsste und die sich dann auch ins Größere erweitern ließe. Aber jeder, der in nicht-hierarchischen Institutionen mit anderen zusammenarbeitet, weiß, zu welchen Verwerfungen es hierbei regelmäßig kommt. Deshalb ist es nach meiner Auffassung in erster Linie ein Selbsterziehungsproblem, inwiefern ein Mensch bereit ist, an sich selbst zu arbeiten, um mit anderen Menschen, die ein ganz anderes Wesen und ganz andere Vorstellungen haben, trotzdem etwas Gemeinsames zustande zu bringen. Wie lassen sich Freiheit des Einzelnen und konstruktive Zusammenarbeit mehrerer Menschen miteinander verbinden? Nur über diese Frage können nach meiner Auffassung die politischen Themen gelöst werden, weil sich sonst keine realistische Alternative zu dem entwickeln kann, was wir gerade erleben.
„ein hedonistisch und auf Erfolg orientierter Lebensstil“
C. P.: Wieso kommen die US-Amerikaner darauf, ihren amerikanischen Kulturimperialismus, den „american way of life“, Brzezinski nennt ihn „hedonistisch und auf Erfolg orientierter Lebensstil“, weltweit zu verbreiten? Wenn Brzezinski sogar geostrategische Pläne entwirft, um diesen Lebensstil überall durchzusetzten, wirkt das überheblich und anmaßend. Und es scheint ja die Seelenverfassung eines ganzen Volkes zu sein …
L. Grünewald: Interessanterweise ist diese Haltung aber im Charakter des Volkes selber sozusagen objektiv begründet. Rudolf Steiner prognostiziert die Weltherrschaft der anglo-amerikanischen Kultur, und zwar deswegen, weil wir im Moment in einer Kulturphase stehen, in der wir die Erde erobern, d. h. es geht uns dabei vor allem um unser wirtschaftliches, unser leibliches Wohlergehen. Das setzt die Fähigkeit voraus, ein weltweites Wirtschaftsleben durch Handel, Eroberung und Verarbeitung von Rohstoffen usw. zustande bringen zu können, und dazu hat dieses Volk eine ganz besondere Veranlagung – sie verfügen über wirtschaftliches Geschick. Das British Empire ist der Vorreiter dieses Impulses gewesen, sozusagen die erste wirtschaftlich interkontinentale Bewegung, und dort waren es Vertreter der intellektuellen und sozialen Elite, die der Überzeugung waren -das hat Markus Osterrieder in seinem Buch „Welt im Umbruch“ mit vielen Beispielen und Originalzitaten belegt -, dass ein Weltfriede nur möglich sei, wenn sich die englische Kultur weltweit ausbreitet und dafür sorgt, dass so etwas wie eine einheitliche Ausrichtung stattfindet.
C. P.: Wer sagt das?
L. Grünewald: Das waren Angehörige der britischen Oberschicht, ungefähr im vorletzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, die dann später zum Teil in hohe Regierungsämter gelangt sind. Sie haben elitäre Diskussionszirkel gebildet und sich überlegt, wie Weltfriede möglich sei. Ihre Prämisse war, dass sich dieser Weltfriede nur unter anlgoamerikanischer Weltherrschaft überhaupt durchsetzen ließe. Sie kamen überein, dass die Meinung der Weltbevölkerung in diesem Sinne geformt werden müsse. Aber Steiner weist auch darauf hin, dass dem letztlich ein egoistisches Gruppeninteresse zugrunde liegt, und zwar nicht dasjenige der betreffenden Völker, sondern ihrer Eliten. Denn es ist nicht das amerikanische oder englische Volk, das die Weltherrschaft anstrebt, ganz im Gegenteil, sondern es ist nur die wirtschaftliche und politische Führungsschicht dieser Völker.
C. P.: Ist es aber nicht so, dass das Volk dann von der allgemeinen Stimmung her das mitträgt?
L. Grünewald: Nur bedingt. Es ist aus der Geschichte einigermaßen bekannt, dass die amerikanischen Regierungen es sehr schwer hatten, ihre Einmischung in europäische Angelegenheiten vor dem eigenen Volk zu rechtfertigen. Im Gegenteil: Am Ende des ersten Weltkrieges war das amerikanische Volk so kriegs- und europamüde, dass die Regierung sich aus der europäischen Politik zurückgezogen hat. Die Versailler Friedensverhandlungen fanden ohne die USA statt, und die Vertreter der englischen Seite haben das mit großem Bedauern zur Kenntnis genommen und sich gefragt, wie sie die USA wieder in den weltpolitischen Prozess hineinbringen könnten, obwohl die amerikanische Bevölkerung das definitiv nicht wollte. Und vor Pearl Harbour war wiederum die amerikanische Bevölkerung in großer Mehrheit strikt dagegen, dass sich die USA in den zweiten Weltkrieg einschalten. Das beweist eigentlich, dass die amerikanische Bevölkerung im Prinzip nicht expansiv, sondern friedliebend ist.
Brzezinski sagt dazu, dass die amerikanische Bevölkerung überhaupt nicht für Kriege zu gewinnen wäre, es sei denn, sie hätte das Gefühl, dass ihre eigene Sicherheit existenziell bedroht sei. Und das ist der Terrorismus, der das angeblich bewirkt.
Ein Impuls des Geisteslebens steht dahinter steht und Politik und Wirtschaft werden zu Instrumenten, diese Art von Kultur durchzusetzen.
C. P.: Ist es also die amerikanische, wirtschaftliche Führungsschicht, die diesen Imperialismus vorantreibt?
L. Grünewald: Ich denke nicht, dass sich das auf Wirtschaft und Politik reduzieren lässt, im Gegenteil, ich habe den Eindruck, dass ein kultureller Impuls, Steiner würde sagen, ein Impuls des Geisteslebens, dahinter steht. Und nun werden Politik und Wirtschaft zu Instrumenten, diese Art von Kultur durchzusetzen.
C. P.: Aber wer bringt dann diesen Impuls?
L. Grünewald: Wenn wir auf der exoterischen, der physischen Ebene bleiben wollen, dann müssen wir das zurückverfolgen bis in genau diese relativ kleinen Zirkel, die diesen Impuls als ihre Mission empfinden. Das Motiv zur Weltherrschaft ist nicht die Überlegenheit der amerikanischen Politik und Wirtschaft, sondern die angemaßte Überlegenheit der amerikanischen Kultur, d. h. Politik und Wirtschaft sind Mittel zur Ausbreitung eines Kulturimpulses.
Wenn man auf die esoterischen Hintergründe schauen will, wäre die Frage, durch welche geistigen Quellen diejenigen Personen und Personenkreise wiederum inspiriert sind, d. h. mit wem oder was sie sich verbinden.
C. P.: Um noch mal auf den Anfang zurückzukommen: Du sagtest, Kulturen können nicht gegeneinander kämpfen, das können nur Menschen …
L. Grünewald: Einen Kampf der Kulturen im eigentlichen Sinne kann es nicht geben, weil sowohl Kulturen als auch Ideologien nicht gegeneinander kämpfen können, da sie keine handelnden Wesen sind. Einen Kampf der Kulturen im übertragenen Sinne hingegen gäbe es nur dann, wenn ein Großteil der Anhänger des Islam entschlossen wäre, gegen den Westen zu kämpfen und ein Großteil der europäischen Bevölkerung entschlossen wäre, gegen den Islam zu kämpfen. Davon kann aber überhaupt keine Rede sein;, stattdessen ist der Kampf der Kulturen etwas, das von den Medien inszeniert worden ist, in der Hoffnung, möglichst viele Menschen dazu zu bringen, sich an diesem Kampf gegeneinander zu beteiligen. Aber jeder, der die Ursachen durchschaut, kann begreifen, dass er sich hier in eine aussichtslose Gegnerschaft verstricken würde. Und insofern ist es wichtig zu durchschauen, dass der „Kampf der Kulturen“ ein rhetorisches Mittel ist, die Menschen in der Gesellschaft von ihren eigentlichen Gegnern – den politischen und wirtschaftlichen Eliten – abzulenken.
Website: www.selbstorganisierte-bildung.de
Literatur: Markus Osterrieder: Welt im Umbruch. Nationalitätenfrage, Ordnungspläne und Rudolf Steiners Haltung im Ersten Weltkrieg (Stuttgart 2014)
Zbigniew Brzezinski: Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft (Frankfurt/M. 1999)
Stefan Scheil: Transatlantische Wechselwirkungen. Der Elitenwechsel in Deutschland nach 1945 (Berlin 2012)
Uwe Krüger: Meinungsmacht. Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten – eine kritische Netzwerkanalyse (Köln 2013)
Josef Foschepoth: Überwachtes Deutschland: Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik (Göttingen 2013)