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Monets Heuschober und der Beginn aller Schöpfung
eine weihnachtliche Bildbetrachtung
Artikel von Martin Straube, Arzt
Dies soll ein kleiner Weihnachtsgruß sein. Warum dazu das Bild eines Heuschobers, wie wir ihn gar nicht mehr kennen, gemalt 1891 von Monet? (siehe Seite 6)
Das hat mehrere Gründe. Zum einen ist ein Weihnachtsgruß auch ein Neujahrsgruß, bei dem man auf das vergangene Jahr schaut und auf den Jahreswechsel selber.
Aber u.a. hat dieses Bild auch etwas mit Weihnachten zu tun und kann in dieser hektischen, etwas dramatischen Zeit einer der wenigen Augenblicke werden, die uns in weihnachtliche Stimmung versetzen kann. Und sollte es gelingen, irgendjemand dadurch auch in weihnachtliche Stimmung zu versetzen, so wäre der Weihnachtsgruß ja geglückt.
Was hat nun also der Heuschober mit Weihnachten zu tun? Ich kann beruhigen: nichts. Der Heuschober nicht, aber das Bild. Hätte Monet hier wirklich einen Heuschober abbilden wollen, so wäre das Bild auch völlig misslungen! Wer schneidet schon das Motiv oben ab, wer setzt es so hoch ins Bild? Wenn es um den Schatten geht, warum ist auch er abgeschnitten? Unter dem Gesichtspunkt des Heuschobers enthält das Bild alle Fehler, die man bereits in billigen Anleitungen zu guten Bildern als unbedingt vermeidbar nachlesen kann. Jetzt kann man denken, dass ich mit einem schlechten Bild das Weihnachtsfest verderben wollte. Weit gefehlt. Denn es ist kein Heuschober, sondern ein Bild. Und das ist ein großer Unterschied, der sich nur ergibt, wenn man den Blick verändert – und diese Veränderung ist für mich Weihnachten.
Monet hätte in einer heutigen pisagebeutelten Schule keine Chance gehabt. Er war ein Unterrichtsverweigerer, hat nichts gelernt, sondern hat den Unterricht geschwänzt, streifte an der normannischen Küste herum, und wenn er in der Schule sein musste, hat er seine Hefte voll gekritzelt. Heute hätte er das Jugendamt, Ritalin, Ergotherapie und Heileurythmie an den Hals bekommen, um ein ordentlicher Schüler zu werden. Dann hätte es jetzt bestimmt kein Heuschoberbild als Weihnachtsgruß gegeben. Auch als er nach Paris ging, um die Malerei gegen den Willen der Eltern zu studieren, hat er die Ausbildung abgebrochen. Ein Verlierer? Er brach ab, weil er im Aktmalen einen hässlichen Mann mit zu großen Füßen hässlich und mit zu großen Füßen gemalt hat. Das war nicht Ziel der Ausbildung. Das Modell war nur die Anregung, etwas Schönes und Edles zu malen. Als er dafür gerügt wurde, hat er alles hingeschmissen und fing an, die Welt zu malen, wie man sie sieht, ohne sie zu beschönigen. Das war ein Skandal. Warum die Welt so malen, wie man sie sieht? Da kann man ja raus gehen und die Welt anschauen, wozu das ins Wohnzimmer oder ins Museum hängen? Kein Mensch wollte das sehen oder gar kaufen. Als er bettelarm war, seine uneheliche Partnerin und das gemeinsame Kind nicht ernähren konnte, aus der Wohnung, dem Atelier und aus allen Absteigen herausgeflogen war, keine Farben mehr bekam, weil kein Farbenhändler den Kredit verlängern wollte, sprang er in die Seine, um sich das Leben zu nehmen. Er wurde gerettet. Und statt jetzt aufzuhören mit dem Malen, kam das: „jetzt erst recht!“ – und die Hochphase des Impressionismus begann, die wir heute bewundern, für die aber die Protagonisten nur Hohn und Spott ernteten.
Am Ende dieser Hochphase starb Monets Frau. Das war eine tiefe Krise. Danach fing eine neue Periode an. Jetzt wurde er ernst, akribisch und arbeitete wild. 15 Heuschoberbilder, 30-mal die Kathedrale von Rouen, 37-mal dasselbe Motiv in London. Denn wenn er den Heuschober malte, war nach kurzer Zeit das Licht anders – dann nahm er eben eine neue Leinwand.
„Ich schufte viel, verharre bei einer Serie verschiedener Effekte, aber in dieser Jahreszeit geht die Sonne so schnell unter, dass ich ihr nicht folgen kann. Ich werde langsam beim Arbeiten, dass ich verzweifle. Je älter ich werde, desto mehr begreife ich, dass man viel arbeiten muss, um dahin zu gelangen, das wiederzugeben, was ich suche: die Momentanität, speziell die atmosphärische Einbettung der Dinge und dasselbe sich überallhin ausbreitende Licht. Mehr denn je sind mir die Sachen, die gleich auf den ersten Anhieb gelingen, zuwider. Mein Bemühen geht kurz gesagt dahin, das wiederzugeben, was ich empfinde.“
„Während Ihr Anderen nach der Welt an sich forscht, gilt meine Anstrengung einfach einem Höchstmaß ihrer Erscheinungsweisen in ihren Beziehungen zu unbekannten Wirklichkeiten. Wenn man mit den Erscheinungen harmoniert, so kann man nicht mehr sehr weit von der Wirklichkeit oder zumindest nicht mehr sehr weit von dem entfernt sein, was wir von ihr zu erkennen vermögen. Ich habe immer nur beobachtet, was mir die Welt sichtbar gemacht hat, um mit meiner Malerei davon Zeugnis abzulegen. Euer Fehler ist, dass Ihr die Welt auf Euer Maß zurückführen wollt, obgleich doch mit einer wachsenden Erkenntnis der Dinge, auch Eure Selbsterkenntnis zunehmen müsste.“
„Er lag vor seinem Motiv auf der Lauer, wartete auf die Sonne und auf die Schatten, und mit wenigen Pinselhieben fing er den Lichtstrahl oder die vorbeiziehende Wolke ein…. Ich sah ihn einmal, wie er einen glitzernden Lichtschauer auf den Klippen erfasste und ihn in einer Flut von gelben Tönen festhielt, die überraschenderweise die flüchtige Wirkung dieses unfassbaren und die augenblendenden Glanzes genau wiedergaben. Ein anderes Mal erfasste er einen Wolkenbruch, der aufs Meer niederging, spritzte Farbe auf die Leinwand, und es war tatsächlich Regen, den er auf diese Art gemalt hat.“
Schrieb Maupassant.
Es war das Licht, waren die Farben, die ihn inspirierten. Egal, ob es ein Heuschober, eine Pappelreihe oder eine Kathedrale war! Der Heuschober ist für dieses Ansinnen gleich wertvoll, wie eine Kathedrale.
Kandinsky:
„Vorher kannte ich nur die realistische Kunst. (…) Und plötzlich zum ersten Mal sah ich ein Bild. Dass das ein Heuhaufen war, belehrte mich der Katalog. Dieses Nichterkennen war mir peinlich. Ich fand auch, dass der Maler kein Recht habe, so undeutlich zu malen. Ich empfand dumpf, dass der Gegenstand in diesem Bild fehlt. Und merkte mit Erstaunen und Verwirrung, dass das Bild nicht nur packt, sondern sich unverwischbar in das Gedächtnis einprägt und immer ganz unerwartet bis zur letzten Einzelheit vor den Augen schwebt. (…) Unbewusst war aber auch der Gegenstand als unvermeidliches Element des Bildes diskreditiert.“
Und das sehen wir auch auf diesem Bild. Der scheinbar falsch gewählte Ausschnitt ist nicht dem Gegenstand, sondern dem Bild geschuldet. Und welche Farbenpracht! Der Schatten enthält alle Farben der Palette – nicht, wie es vielleicht der Vorstellung entspräche in Grau oder Schwarz, sondern Monet hat hingesehen. Was aus der Abbildung nicht hervorgeht, sieht man, wenn man vor dem Bild steht: das Glühen der Kanten, das Leuchten im Widerschein der Sonne. Die Farben werden lebendig, der Heuschober wird nebensächlich. Sich auf die Farben einlassen, und man kommt in eine andere Welt. Kurze Zeit später waren die Farben anders – da konnte er nicht weitermalen, sondern nahm eine neue Leinwand – eine unendliche Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit!
Gleichzeitig arbeitete er an seinem Garten in Giverny. Er schuf sich hier eine Natur, die er malen wollte. Die Natur draußen war ihm nicht genug, er machte die Natur selber zum Kunstwerk! Er erkrankte am Auge, wie Beethoven am Ohr. Ein grauer Star nahm ihm immer mehr das Augenlicht und er ließ sich nicht operieren. Aber er hatte immer nur dieselben wenigen Farben benutzt, er hatte sie immer gleich auf seiner Palette angeordnet und kannte sie alle, ihre Mischungen, und er kannte die Natur, die er selber geschaffen hat. So konnte er weitermalen, obwohl er kaum noch sah – er wusste, was vor ihm war, er kannte die Farben! Nach dem Tod seiner zweiten Frau entstanden dann so die berühmten Seerosenbilder. Jetzt werden die Formate noch anders. Weder Ufer, konstruktive Elemente, Vorder- oder Hintergründe sind mehr zu sehen, wir ahnen kaum, ob Manches Spiegelung von Bäumen oder Unterwasserpflanzen sind, räumliche Attribute fehlen ganz. Wir haben keinen Halt, können uns an nichts mehr orientieren, lösen uns im Betrachten in Farben, Linien, Formen auf, die den Gegenstand diskriminieren, wie Kandinsky schrieb.
Unser Erlebnis hat Beaudelaire so ausgedrückt, als landeten wir
Hoch über den Teichen, hoch über den Tälern,
Den Bergen, den Wäldern, den Wolken und Meeren,
Weit hinter der Sonne, weit hinter dem Äther,
Weit hinter den Grenzen der Sternensphären.
„Mein einziges Verdienst liegt darin, dass ich mich dem Instinkt unterwerfe, durch diese wiedergefundenen und vorherrschend intuitiven und geheimen Kräfte gelang es mir, mich mit der Schöpfung zu identifizieren und mit ihr zu verschmelzen… Und so bin ich am letzten Punkt der Abstraktion und der mit der Realität verbundenen Imagination angelangt“
sagt Monet.
Das Lebenselement Wasser wird zum Spiegel des Himmels und wird zugleich transparent für den Lebensreichtum darunter. Und wir? Wir lösen uns aus der Fixierung an Sächlichkeit, Materie, Bedeutung, Vernunft und Verstand, wir beginnen auch zwischen Himmel und Erde zu schwimmen, wie man es nur im Lebenselement Wasser kann. Wir finden uns in der Welt der Imaginationen wieder.
Monet führt uns von dem Gewordenen zum Werden, war doch „es werde Licht!“ der Beginn aller Schöpfung. In dieses Licht tauchen wir ein.
Eine lichtvolle Weihnachtszeit sich zu wünschen ist darum etwas mehr, als nur eine Floskel.
Martin Straube, Arzt; geb. 1955 in Bremen; Studium der Medizin in Freiburg und Kiel. Anstellungen in der Filderklinik, Städtisches Krankenhaus Pforzheim und Klinik Öschelbronn. Danach Praxistätigkeit in einer AIDS-Schwerpunktpraxis in Pforzheim im Rahmen der „Amfortas-Gemeinschaft“. Später Schularzt in Herne im Rahmen des „Kolisko-Institutes“. In Wuppertal im Rahmen der Akademie für Sozialtherapie und dem Ita-Wegman-Berufskollegs für Heilerziehungspflege eine Dozenten- und Lehrerstelle. Zudem Schularzt in Remscheid und Dozent im Institut für heilpädagogische Lehrerbildung in Witten. 2002 Praxis in Bochum und Schularzt in Bochum. Laufende Vortragstätigkeit an Schulen und im Rahmen der medizinischen Fortbildung. Seit Herbst 2010 wohnhaft in Fischerhude, mit einer kleinen Praxis. Verheiratet, 7 Kinder. Martin Straube ist seit 2011 tätig in Hamburg im Rahmen des freien klinisch-therapeutischen Instituts Diogenes als Arzt und Vortragsredner.