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Ökologische Rendite schaffen
Das Modell der Mehrwert Aktiengesellschaft
Interview mit Georg Lutz, Landwirt
Wir verlieren die Landwirtschaft immer mehr aus dem Blick.
Waren vor ca. 50 Jahren noch 4% bis 5% der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig, liegt die Quote heute unter 1%.
Die Landwirte kommen immer mehr unter Druck durch steigende Pachtpreise, und erstmalig in seiner Entwicklung verliert der ökologische Landbau in Schleswig Holstein Flächen.
Das Modell der Mehrwert AG, gegründet von dem Freiburger Demeter-Gärtner Christian Hiß, bietet alternative Wege: Man stellt dem Kapital die ökologischen und sozialen Inhalte dazu, sog. Nachhaltigkeitsstandards. Die Aktionäre unterstützen damit das, was mit ihrem Geld gemacht wird. Es gibt einen Mehrwert, der bisher in keiner Wirtschaftlichkeitsrechnung berücksichtig wurde. So eine Mehrwert AG hat einen Schneeballeffekt für die gesamte Region, wie es sich in Baden Württemberg bereits gezeigt hat.
Interviewpartner: Georg Lutz, Dipl. Agraringenieur, 56 Jahre, verh., 4 Kinder, 1 Enkelkind, Pächter von Gut Wulfsdorf seit knapp 25 Jahren, hat das Gut umgestellt auf biologisch-dynamische Wirtschaftsweise. Hatte davor in der Lüneburger Heide einen Hof gepachtet und ebenfalls umgestellt; aufgewachsen auf einem konventionellen Milchbetriebshof.
Christine Pflug: Du hattest am LEMIMO, das ist das Treffen der Bauern Norddeutschlands am „letzte Mittwoch im Monat“, Christian Hiß als Gründer der Mehrwert AG eingeladen …
Georg Lutz: Das war nicht nur meine Idee, sondern die Landesarbeitsgemeinschaft der Demeter-Bauern, „die Bäuerliche Gesellschaft“, hatte in 2012 beschlossen, an diesem Thema zu arbeiten, weil es die Menschen interessiert.
Eine wirkliche Notlage steht dahinter
C. P.: Es scheint aber nicht nur ein gedankliches Interesse dahinter zu stehen, sondern eine wirkliche Notlage. Worin besteht die?
G. Lutz: Die Impulse dafür kamen von verschiedenen Seiten. Zum einen muss man ganz klar sagen, dass die Landwirte immer mehr unter Druck kommen durch den „Bodenmarkt“, d. h. die Pachtpreise schnellen in die Höhe. Der ökologische Landbau in Schleswig Holstein hat erstmalig in seiner Entwicklung rückläufige Zahlen: Es gab Verluste von Flächen. Die Bio- Bauern können mit den Pachtpreisen, wie sie die spezialisierten Milchviehbetriebe und noch viel heftiger die Biogasbetreiber zahlen, nicht mehr mithalten.
Das Land wird immer mehr gekauft von Menschen, die nichts mit Landwirtschaft zu tun haben, sondern eine gute Kapitalanlage darin sehen
Es gibt wenig Betriebe, die in der Lage sind, Land zu kaufen. Der Kaufpreis steht in keiner Relation zu dem, was man darauf erwirtschaften kann. Das Land wird immer mehr gekauft von Menschen, die nichts mit Landwirtschaft zu tun haben, sondern eine gute Kapitalanlage darin sehen. Es wäre eine gute Entwicklung, wenn ein Hof im Jahr 1%-2% in der Fläche wachsen würde, aber diese Fläche könnte er nie aus eigenen Mitteln erwirtschaften; das würde fast seinen gesamten Betriebsgewinn binden. Früher hat man etwa 250,- bis 400,- Pacht pro Hektar im Jahr bezahlt, mittlerweile liegt der Preis bei vielleicht ca. 600,-, und es wird finanziell grenzwertig, bzw. unrentabel, auf diesen Flächen ökologische Landwirtschaft zu betreiben; Biogasbetriebe bieten mittlerweile 1000,- und mehr.
Ein großer Druck auf die Betriebe
Die Pachtverträge haben immer kürzere Laufzeiten, gleichzeitig braucht eine Betriebsentwicklung mit ökologischen oder biologisch-dynamischen Inhalten eine sehr langfristige Bindung. Dafür benötigt man neben dem Land auch viel Fremdkapital. Man legt sich dadurch sehr lange fest und hat viel investiert – beispielsweise in größere Maschinen, Hallen etc. Wenn ein Betrieb dann Flächen verliert, fehlen die Einnahmen, um die Investitionskosten auszugleichen.
So entsteht ein großer Druck auf die Betriebe.
C. P.: Welche Notlagen außer der Bodenverteuerung gibt es noch?
Ein enormer Mehrwert, der bisher aber in keiner Wirtschaftlichkeitsrechnung berücksichtig wird
G. Lutz: Es geht auch um die gesamte finanzielle Betriebsausstattung. Je mehr man anonymes Geld in den Betrieb investiert, desto mehr geht auch die Beziehung zu den Geldgebern verloren. Eine Bank will in der Regel nur eine Rendite des Kapitals. Christian Hiß erzählt immer das Beispiel, dass sie einen Kuhstall bauen wollten, und die Bank rechnete aus, dass das keinen finanziellen Mehrwert hat. Ihn ärgerte das, weil er den Mehrwert an ganz anderen Stellen sah: Der Boden wird aufgebaut, indem man mit dem Mist die Pflanzen düngt; es hat einen ökologischen Mehrwert für den ganzen Umkreis, z. B. für die CO2 Bilanz, die Emission wird reduziert. Es gibt also einen enormen Mehrwert, der bisher aber in keiner Wirtschaftlichkeitsrechnung berücksichtig wird. Diese Art von Mehrwert denkt keiner.
C. P.: Die Not, bzw. der Druck, die Flächen zu verlieren, ist für viele Betriebe ein Grund, sich um Alternativen zu bemühen. Hast Du außerdem noch eigene Motive?
G. Lutz: Mir ist die Idee als solche wichtig, bzw. die nachhaltige Förderung der Landwirtschaft. Unsere spezielle Situation im sog. Speckgürtel von Hamburg mit einem Betrieb, der sehr langfristig die Pacht sicher hat, ist eine positive Ausnahme, die es nicht oft gibt. Für uns hier am Stadtrand ist es so, dass Menschen sich mit uns verbinden wollen, auch auf der Ebene des Kapitals.
Die Menschen verbinden sich immer weniger mit der Landschaft
Mir ist auch wichtig, auf die Landwirtschaft im Allgemeinen zu schauen. In meiner Jugend arbeitete noch ein Anteil der Bevölkerung von 4%-5% in der Landwirtschaft, heute liegt die Quote unter 1%. Man kann nicht nur sagen, dass die Böden und die Landschaft veröden, weil die Strukturen immer großflächiger werden, sondern auch, dass die Menschen sich immer weniger mit der Landschaft verbinden. Um die Biobetriebe gibt es eine gegenläufige Tendenz, dass nämlich Menschen im Umkreis den Hof mittragen und unterstützen. Das geht hin bis zu Wirtschaftsgemeinschaften, CSA (community supported Agriculture), bei denen die Kunden nicht das Produkt bezahlen, sondern den Bauern und dem Hof das Wirtschaften ermöglichen: Der Bauer pflegt als Dienstleister das Land und die Tiere; daraus entstehen Produkte, und diese werden verteilt. Die Kosten werden getragen von den verschiedenen Familien, die sich davon ernähren. Das ist eine ganz enge Beziehung.
C. P.: Was wäre das Neue bei einer Regionalwert Aktiengesellschaft?
G. Lutz: Die übliche Form einer Aktiengesellschaft wäre, dass man Kapital in einen Betrieb gibt und man an dem wirtschaftlichen Ergebnis beteiligt ist. In der herkömmlichen Aktiengesellschaft haben die Aktionäre keine Beziehung zu dem, wie das Geld wirkt. Es geht darum, dass man eine möglichst hohe Rendite bekommt, und die Vorstände werden dafür bezahlt, dass sie einen möglichst hohen Gewinn rausholen.
Das Neue an der Mehrwert AG von Christian Hiß besteht darin, dass man dem Kapital die ökologischen, sozialen Inhalte dazu stellt. Als Aktionär würde man damit das unterstützen, was mit dem Geld gemacht wird.
„Nachhaltigkeitsstandards“
C. P.: Was genau sind die Inhalte bei der Mehrwert AG? Christian Hiß nennt das „Nachhaltigkeitsstandards“ …
G. Lutz: Das ist beispielsweise die Humus-Bilanz des Betriebes, d. h. ob der Boden fruchtbarer und damit besser geworden ist. Das wiederum trägt auch zur Reduktion des CO2-Ausschusses bei. Wir haben global betrachtet abnehmende Humus-Gehalte in den Böden, diese müssten aber steigen, u.a. um Kohlenstoffdioxid zu binden.
Dazu gehört der Artenschutz: Biologen und Ornithologen könnten in größeren Abständen Erhebungen machen, um zu erfassen, ob die Artenvielfalt zunimmt oder schrumpft.
Die Nachhaltigkeit bezieht sich auch auf die Arbeitsplätze. Arbeitet man mit billigen Arbeitskräften aus Osteuropa – auch wenn das nicht überall und immer zu ändern ist – oder bildet man selber aus? Menschen, die auf einem Hof ausgebildet wurden, bleiben u. U. länger da.
Hat man einen Low-input Betrieb, d. h. eine Landwirtschaft mit möglichst wenig Betriebsmittelaufwand und dadurch eine geringe Umweltverschmutzung und einen geringen Ressourcenverbrauch?
Es wird immer intensiver um das „Tierwohl“ diskutiert
Was die Menschen zurzeit bewegt, ist das Wohl der Tiere. Es wird immer intensiver um das „Tierwohl“ diskutiert. Es gibt große Kampagnen der konventionellen Landwirtschaft, um die Massentierhaltung in ein gutes Licht zur rücken.
Vegetarische und vegane Ernährung nehmen deutlich zu.
Tierhaltung ist für die bio-dynamische Landwirtschaft unverzichtbar, bildet sie doch die Grundlage der Bodenfruchtbarkeit.
Ich denke, dass das eine Gemeinschaftsaufgabe zwischen Bauern und Verbrauchern ist, den Tieren gute Haltungsbedingungen zu schaffen.
Es gibt noch viele andere Punkte für Nachhaltigkeit.
C. P.: Wie funktioniert diese Mehrwert AG? Gibt man eine beliebige Summe Geld hinein? Bekommt man Rendite?
G. Lutz: Da stellt sich wieder die Frage, was Rendite ist. Wäre es nicht auch eine Rendite, wenn das Geld im Wert erhalten bleibt und dadurch ökologische Werte geschaffen werden? Ist das nicht schon ganz viel Rendite? Ist es nicht so, weil durch den Industrialisierungsprozess die Landschaft so verödet und vereinsamt ist, dass Kapitalrendite absurd ist und es stattdessen darauf ankommt, die Ökologie wieder herzustellen?
Das sind schwierige, aber spannende Fragen.
C. P.: Ihr steht also noch nicht in den Startlöchern und habt die Auflagen für eine AG erfüllt?
Es entsteht ein Schneeballeffekt für andere Einrichtungen
G. Lutz: Wir finden diesen Impuls total spannend und halten ihn für einen Beitrag zu einer gesellschaftlichen Gesamtentwicklung. Zurzeit sind wir aber noch in der Phase des Anschauens und Erwägens. Man muss durch die Gründungsschwierigkeiten durch, z. B. die hohen Ideale auf den Boden bringen. Es gibt auf dem Hof Gut Wulfsdorf einen Umkreis von Menschen, die sich an so etwas beteiligen würden; dabei sind verschiedene Formen möglich, z. B. Aktionär werden, in Form einer „stillen Beteiligung“ Einlagen leisten etc.
Wenn die erste Hürde genommen ist, entsteht ein Schneeballeffekt für andere Einrichtungen. Die von Christian Hiß gegründete Regionalwert AG, hat bereits zwei Millionen Euro Kapital zusammengetragen.
Es gibt in Hamburg bereits eine Regionalwert Initiative i.Gr., die sich um vier Bauern, die „Öko Melkburen“, kristallisiert hat. (www.deoekomelkburen.de)
C. P.: Gibt es auch andere Modelle, die Landwirtschaft zu fördern?
G. Lutz: Vor einigen Jahren hatte die GLS-Bank den „Bodenfonds“ gegründet, um landwirtschaftliche Flächen aufzukaufen. Das hatte dazu geführt, dass die Pacht günstiger wurde. Das funktionierte aber nur in den neuen Bundesländern, im Westen wäre der Boden zu teuer gewesen. Die Rendite würde hier ca. 0,3% betragen, und dafür findet man keine Einleger.
Es gibt die bereits erwähnte „community supported agriculture“, ein Modell, was in einigen Höfen praktiziert wird.
Wilhelm Ernst Barkhoff, der Gründer der GLS-Bank, hatte damals die „Landbauforschungsgesellschaft“ mit folgenden Zielen gegründet: Der gesamte Hof wird gemeinnützig gemacht. Die Landbauforschungsgesellschaft betreibt Forschung unter sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Aspekten der biologisch-dynamischen Landwirtschaft und stellt hierfür Grund und Boden zur Verfügung. Sie will keinen Gewinn erwirtschaften, und ihre Gesellschafter erhalten keinerlei Vorteile vom Hof, nehmen auch keinen Einfluss auf die wirtschaftlichen Belange der Landwirtschaft. Die Arbeit wird betrieben mit Hilfe der Menschen, die dort in der Sozialarbeit/Sozialtherapie betreut werden.
Das war damals eine gute Idee, die auch noch heute einige Höfe trägt.
Solche Ideen entstehen unter dem Zeitgeist, und man muss wahrnehmen, wohin die gesellschaftliche Strömung fließt. Im Moment, das liest und hört man ständig in der Presse, gibt es einen starken Impuls, etwas für die Würde der Tiere zu tun.