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Sich ernähren – vegan, vegetarisch oder mit Fleisch?
Interview mit Dr. Petra Kühne, Ernährungswissenschaftlerin
Als Verbraucher ist man heutzutage hin und her gerissen bei der Frage, wie man sich ernähren soll. Es gibt vielfältige und extreme Empfehlungen von allen Seiten; man kann Lebensmittel aus sozialpolitischen Gesichtspunkten wählen: regionale Lebensmittel kaufen, Fleisch prinzipiell aus umweltschonenden Gründen meiden, bis dahin, dass man aus ethischen Gründen überhaupt keine tierischen Produkte mehr zu sich nehmen sollte. Wie kann man sich als Verbraucher darin orientieren? Gibt es noch so etwas wie ein „gesundes Gefühl“, was mir sagt, was gerade für mich individuell zuträglich ist?
Interviewpartnerin: Dr. sc. agr. Petra Kühne, ist Ernährungswissenschaftlerin, und leitet den Arbeitskreis für Ernährungsforschung e.V. in Bad Vilbel. Das ist ein unabhängiger Verein, der auf dem Gebiet der anthroposophischen Ernährung arbeitet. Ein Schwerpunkt ist die Kinderernährung; die Mitarbeiter des Vereins geben Fortbildungskurse und veröffentlichen Bücher zur gesunden Ernährung (www.ak-ernaehrung.de). Petra Kühne ist Redakteurin vom „Ernährungsrundbrief“, veröffentlicht Beiträge in Zeitschriften, hat Vortrags- und Kurstätigkeit. Buchveröffentlichungen: Anthroposophische Ernährung – Lebensmittel und ihre Qualität (2008), Gewürze und Kräuter (2. Aufl. 2008), Vitamine (2015), Säuglingsernährung (12. Aufl. 2016)
Christine Pflug: Als Verbraucher ist man heutzutage hin und her gerissen bei der Frage, wie man sich ernähren soll. Es gibt vielfältige und extreme Empfehlungen von allen Seiten, von Makrobiotik, Rohkost, bis zu Ernährung nach Blutgruppen, Steinzeiternährung (Paleo-Ernährung) etc. Dazu wird berichtet über degeneriertes Gemüse, Gammelfleisch im schlimmsten Falle, falsche Ernährung als Ursache für viele Krankheiten etc.; man kann Lebensmittel aus sozialpolitischen Gesichtspunkten wählen: regionale Lebensmittel kaufen, Fleisch prinzipiell aus umweltschonenden Gründen meiden, bis dahin, dass man aus ethischen Gründen überhaupt keine tierischen Produkte mehr zu sich nehmen sollte. Wie kann man als Verbraucher sich darin orientieren? Gibt es noch so etwas wie ein „gesundes Gefühl“, was mir sagt, was gerade für mich individuell zuträglich ist? Wie kommt man (wieder) zu diesem Gefühl?
Petra Kühne: Das Gefühl kann man sich antrainieren. Dazu gehört, sich Zeit zum Essen nehmen, bewusst zu schmecken, eine achtsame Haltung dabei zu haben. Es ist leichter, wenn man Gerichte isst, die nicht zu viele Zutaten enthalten. Vor allem bei manchen Fertigprodukten mit Aromastoffen ist es schwer, weil diese Zusätze vieles überdecken. Aber man kann z.B. bei einem Stück Obst „üben“: Wie schmeckt der Apfel, wie süß oder sauer ist er, gibt es einen Beigeschmack u.s.w.?
vegane Ernährung
C. P.: Warum ernähren sich Menschen vegan? Was spricht dafür?
P. Kühne: Über vegane Ernährung wird zurzeit viel berichtet. Nach Schätzungen ernähren sich ungefähr 750000 Menschen von über 80 Mill. so. Es ist also eine kleine Gruppe. Die Zahl der Vegetarier ist etwa 10x höher. Etliche Menschen wollen die Massentierhaltung einschränken und verzichten deshalb auf tierische Nahrung, andere haben ethische Gründe bezüglich der Welternährung. So spricht manches dafür, aber auch etliches z.B. bezüglich der tierischen Düngung dagegen. Auch werden oft nicht alle Nährstoffe gedeckt, und es wird dann zur Nahrungsergänzung geraten.
C. P.: Muss man bei veganer Ernährung nicht viele Kohlehydrate zu sich nehmen und kann das wiederum einseitig werden?
P. Kühne: Man kann eine vegane Ernährung auch mit viel Gemüse, Nüssen, pflanzlichen Fetten gestalten. Gegen komplexe Kohlenhydrate (z.B. enthalten in Getreide, Hülsenfrüchte wie Linsen, Bohnen, Erbsen) spricht jedoch nichts. Es geht vor allem um die vielen Zuckermengen, die bei uns gegessen werden und dringend aus gesundheitlichen Gründen gemindert werden sollten. Dies sind gesüßte Getränke, Süßigkeiten, Gebäck etc.
C. P.: Was sind die Vorteile vegetarischer Ernährung?
P. Kühne: Hierunter versteht man eine pflanzlich betonte Ernährung mit Milch und Milchprodukten, manchmal auch Eiern: also mit den sogenannten Tierprodukten. Etliche Studien zeigen, dass solche Ernährung gesundheitliche Vorteile hat für verschiedene Erkrankungen. Auch seelisch und geistig betonen viele, dass sie sich mit solcher Kost sehr wohl fühlen.
„Puddingvegetarier“
C. P.: Auf was sollte man achten, wenn man sich vegetarisch ernährt?
P. Kühne: Früher gab es den Begriff „Puddingvegetarier“ für Menschen, die sich vegetarisch ernährten, aber gar nicht auf Qualität und Vollwertigkeit achteten. Dies ist aber auch bei dieser Ernährungsform wichtig. So kommt es auf die Anbauqualität an, hier empfehle ich biologisch-dynamisch (Demeter) oder Bio (wie Bioland, Naturland) zu verwenden, möglichst vollwertig und regional.
C. P.: Es gibt Menschen, die unbedingt Fleisch möchten, ihrer Meinung nach auch brauchen … Was würden Sie diesen als einen vernünftigen Umgang raten?
P. Kühne: Wer auf Fleisch nicht verzichten möchte, sollte auf zwei Dinge achten: die Menge reduzieren und auf Qualität achten. Die deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt wöchentlich maximal 300 g Fleisch und Wurst zu essen für Frauen und 600 g für Männer. Statistisch wird fast doppelt so viel gegessen. Also daher die Empfehlung, auch einmal Gemüse oder vegetarische Burger zu grillen, das Brot auch mit Käse oder einem pflanzlichen Brotaufstrich (wie Bruschetta) zu belegen. Bio-Qualität bei Fleisch und Wurst ist erhältlich, aber teuer. Dies würde bedeuten, weniger davon zu essen, um sein Budget einzuhalten. Aber das sehr billige Fleisch bei uns hat eben woanders seinen Preis: niedrige Arbeitslöhne der Schlachter, Massentierhaltung etc. Hier muss jeder entscheiden, was er mit seinem Kauf unterstützt.
C. P.: Was halten Sie von Nahrungsergänzungsmitteln – oftmals empfohlen bei veganer oder vegetarischer Ernährung?
heimisches Superfood
P. Kühne: Ich empfehle lieber, hochwertige Lebensmittel zu essen, die besonders gut ausgestattet sind mit Nährstoffen. Dazu gehört sogenanntes heimisches Superfood wie Wildbeeren, Grünkohl, Rotkohl etc., und dazu kann man viele Wildkräuter und Gartenkräuter verwenden. Bei vegetarischer Ernährung braucht man keine Nahrungsergänzung. Bei veganer Ernährung fehlt es an Jod, Vitamin D, Vitamin B12. Dies ist schwierig zu lösen. Vitamin D kann noch durch Sonne gebildet werden. Aber das ist die Entscheidung von Veganern: Wenn sie die Lebensmittel, die z.B. Vitamin B12 enthalten wie Milch, Milchprodukte, Eier etc., nicht essen, dann müssen sie diese Nährstoffe woanders herbekommen.
C. P.: Auf was sollte man bei der Ernährung in der Lebensmitte, auf was im Alter achten (wann fängt das an?)
P. Kühne: Generell lassen bereits in den fünfziger Lebensjahren die Verdauungskräfte nach. Dies merkt man z.B. dass abends sehr fettes Essen nicht mehr gut vertragen wird, was in jüngeren Jahren ging. Also etwas leichter essen, etwas weniger essen, da der Grundumsatz des Körpers sinkt und weniger gebraucht wird. Macht man das nicht, steigt gerade in dieser Lebenszeit das Körpergewicht.
C. P.: Wie steht es mit den „Sünden“: Schwarzwälder Kirschtorte, Curry-Wurst mit Pommes, Eisbein mit Sauerkraut … Niemals essen oder empfehlen Sie einen bestimmten Umgang damit?
P. Kühne: Ich würde so etwas nicht als Sünde bezeichnen, aber solche deftigen oder gehaltvollen Essen sollten eben die Ausnahme sein. Kaum jemand arbeitet körperlich noch so intensiv, dass er diese Kalorienmengen braucht. Dazu wäre es sinnvoll, Gerichte wie Curry-Wurst mit Pommes wenigstens mit etwas Salat oder Gemüse zu ergänzen. Es kommt auf die gesamte Ernährung an. Es gibt dieses Sprichwort: „Es ist nicht so wichtig, was man zwischen Weihnachten und Silvester isst, es ist wichtig, was man zwischen Silvester und Weihnachten isst.“