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Transhumanismus – die Optimierung des Menschen?
Zusammenfassung eines Vortrages von Dr. Sebastian Lorenz
Der Mensch soll optimiert werden, er soll sein Aussehen, seine physischen, seelischen Möglichkeiten selbst bestimmen, Alterung und Tod verhindern. Und das mit den Mitteln der Technologie. Die Idee von einem Jungbrunnen oder einem Lebenselixier sind uralt und gehen bis auf das Gilgamesch-Epos zurück. Die technologischen Mittel aber werden immer besser, genialer und ermöglichen eine Lebensqualität, von der wir alle profitieren. Eine Weiterentwicklung des Menschen ist auch das Ziel der Anthroposophie. Was aber ist der Unterschied zum Transhumanismus? Wie steht der einzelne Mensch darin, einerseits der technischen Entwicklung nicht ausweichen zu können, sich von dieser aber nicht überrollen zu lassen? Und inwiefern ist der Mensch in all diesem „umkämpft“?
Dr. Lorenz ging diesen Fragen nach am 15. September in der Lukas-Kirche in der Reihe: Umkämpftes Menschenbild. Transhumanismus – Die Optimierung des Menschen?
Dr. med. Sebastian Lorenz, Jg. 1968, ist Arzt, Berater und Autor mit freier Forschungstätigkeit. Er arbeitet seit 1998 psychiatrisch im Kanton St. Gallen/Schweiz und wirkt mit Seminar- und Vortragstätigkeit im deutsch- und englischsprachigen Raum zu spirituellen, christlichen und zeitaktuellen Themen. Studium der Medizin, Philosophie, Theologie, Sprachen, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten von Zürich, Freiburg (Brsg.), Stuttgart (FH) und Harvard. Gegenwärtige Arbeitsschwerpunkte sind das Christuswesen, die Künstliche Intelligenz und die seelische Gesundheit des Menschen.
Zu Beginn des 9. Kapitels des Johannesevangeliums wird erzählt, wie Jesus einen Menschen heilt, der von Geburt an blind war. Man könnte daher mit etwas Übertreibung sagen, dass Christus der „ultimative Transhumanist“ ist. Wenn man dieses Bild der Heilung eines Blinden in sich belebt, kann man begeistert sein und sich freuen an dem Erfolg der Heilung. Diese Begeisterung und die Freude über den Erfolg an einer Heilung leben heute weiter in ganz vielen Menschen, die nichts wissen vom Christus, aber voller Tatendrang sind, solche Wunder zu vollbringen. Und solche Wunder werden heute von tatkräftigen Menschen vollbracht mit den Mitteln der Technologie.
„Ich mache Blinde sehend.“
Sie leben unter uns als Ingenieure, Erfinder und Unternehmer. Vielfach sammeln sie sich an bestimmten Orten, z. B. im Silicon Valley, aber auch an anderen Orten in Japan, Deutschland, Frankreich. Sie leben ihre Begeisterung aus, und wenn man mit ihnen spricht, spürt man: Sie tun dies nicht nur für Geld. Wenn sie sehr reich werden, gefällt ihnen das zwar, aber es geht um etwas anderes. Einer der einflussreichen Transhumanisten und Zukunftsforscher, Raymond Kurzweil, hat auch von sich selbst gesagt: Ich mache Blinde sehend. Er hat Methoden erfunden, wie Maschinen Schrift lesen können, wie man das wiederum vertonen kann, so dass ein gesprochenes Wort von einem gedruckten Text kommt: „optical character recognition & text to speech“. Kurzweils Erfindung gilt bis heute als Meilenstein zur gesellschaftlichen Integration Sehbehinderter. Manch andere entwickeln Prothesen, mit denen man fühlen kann; es ist dann nicht nur ein Stumpf, sondern der Mensch kann auch Wärme, Kälte und Unebenheiten spüren. Es gibt ein Hörgerät, das Cochlearimplantat, welches das Innenohr umgeht; wenn Menschen gar keine Hörfähigkeit haben, wird die Außenwelt mit einem Verstärker und einem Knochenreizsystem an das Gehirn angeschlossen. Plötzlich kann dieser Mensch wieder hören; das ist der „Taubgeborene“, den haben wir nicht im Evangelium.
Es gibt eine Meinung, die besagt: Das ist die Christuswesenheit, die tatsächlich aus der Zukunft in der Menschheit wirkt. Es wird dabei das Jahr 2045 genannt, als die Zeit, von der aus das Christuswesen angeblich auf die heutigen Ingenieure und Erfinder wirkt. Auch besagter Raymond Kurzweil sagt, dass die Maschinen, die Intelligenz der Computer, dann so kraftvoll sein werden, dass sie die menschliche Intelligenz übertrumpfen werden. Dieses Geschehen nennt er die „Singularität“, und auch er datiert das auf das Jahr 2045.
Man kann heute dieser Technik nicht mehr ausweichen.
Man kann diesen Forschern und Entwicklern die Begeisterung nicht absprechen. Es sind oft die Klügsten, Fleißigsten, Aufopferungswilligsten unter uns, die in diese große Firmen wie Google, Microsoft und Apple gehen, um dort Karriere zu machen. Dann erfinden sie diese Dinge. Man kann durchaus technikkritisch sein, aber man kann heute dieser Technik nicht mehr ausweichen.
Wenn Sie Kinder oder Enkel haben, die in Afrika oder Asien ein Praktikum machen, dann sind Sie selbstverständlich ab und zu über ZoomVideo, Skype, WhatsApp oder einer anderen Plattform mit ihnen verbunden. Besonders seit Corona haben wir gelernt, uns über Video zu verständigen. Wenn Sie Zahnersatz, eine Gleitsichtbrille oder ein Hörgerät haben, sind Sie bereits mit der neuen Technik verbunden – Sie sind technisch optimiert. Es gibt jede Menge Segnungen für die Menschheit, man kann die Begeisterung der Erfinder so übernehmen, und es macht einen unglaublichen Eindruck, was sie können. Als Beispiel: Wenn ein junger Mensch einen Beinstumpf hat, er sich weiterhin sportlich betätigen möchte, dann braucht er eine Prothese mit einer Titanfeder. Das kann man heute machen. Er muss dann mit dieser Prothese leben lernen, das fällt zunächst schwer, aber dank dieser Technik wird aus diesem Ersatzteil ein Teil des eigenen Leibes.
Leib und Körper
Ich benutze hier zwei Wörter bewusst verschieden: Leib und Körper, und die müssen wir für das Folgende auseinanderhalten. Es ist der Körper, der mit Ersatzteilen ergänzt wird. Die Prothetiker haben festgestellt, dass der Mensch, der so ein Körperersatzteil bekommt, in dem Moment eine Leibesempfindung entwickelt für dieses Teil, wenn es in das Gefühlsleben des Eigenbewegungssinnes eingebunden ist. Der Eigenbewegungssinn ist einer der unteren Sinne, der durch das Selbst-Bewegen oder Bewegt-werden aktiviert wird. Man hat Wege gefunden, dass man Prothesen so baut, dass sie in die Muskelkette von dem Reststumpf so eingebaut werden, dass sich alles Mögliche mitbewegt, wenn sich diese Prothese bewegt, auch Muskeln, die gar nicht beteiligt sind. Auch bei Kindern, die ohne Hände geboren sind, werden diese Hände so als Körperersatzglied gebaut, dass sie dann langsam zur Leibesempfindung beitragen. Die Oberfläche der Prothese hat Empfindungen – das ist ganz neu. Wenn der Mensch verschiedene Sinneseindrücke haben kann von seiner Prothese, vergisst er langsam, dass das es ein Ersatzteil ist.
Wir sprechen in der anthroposophischen Menschenkunde von verschiedenen Leibern. Und wir sagen auch, dass der Christus in seinem Leib auferstanden ist, nicht in seinem Körper. „Siehe, dies ist mein Leib“, so heißt es in der Messe. Wir meinen in der deutschen Sprache mit Leib das lebendige, vom Ich beherrschte, ausgedehnte Dasein. Dieser Leib ist umkämpft – so lautet auch die Überschrift dieser Vortragsreihe. Was ist denn so wichtig, dass man darum kämpfen muss? Bei diesem „Kampf“ werden Energien frei, als ob es um alles geht. Das ist tatsächlich der Fall, denn dieser Leib ist eine „spirituelle Unmöglichkeit“. Der Leib ist etwas, was nie so richtig verstanden wird, am wenigsten von den Medizinern: Sie arbeiten am Körper. Der Leib ist die höchste Frucht dessen, was das Christuswesen erreicht hat: Als letzte Tat am Kreuz ist der Leib vollendet. Wenn er sagt: „Lasst den Becher an mir vorübergehen“, geht es ihm darum, nicht zu früh zu sterben. Es ist das äußerst Anstrengende, dieses Christuswesen in dieser leiblichen Hülle zu halten. Der schwäbische Theologe Oetinger hat das so formuliert: „Leiblichkeit ist das Ende der Werke Gottes“ – ihre Vollendung. Im Leib, so ist die Aussage Oetingers zu verstehen, lebt ein Geist. Dieser Christus am Kreuz in seiner Vollendung ist eminent Mensch und zugleich Gott. Das ist in der Menschheitsentwicklung einmal geschehen. Und das ist das Umkämpfte – dieser geisthaltige Leib, der zugleich physisch, sinnlich und mineralisch ist.
Alles, was der Transhumanismus als Ideologie möchte, gibt es auch in der Anthroposophie – auf ganz andere Weise.
Die Idee, dass der Mensch als Mangelwesen verbessert werden muss, ist alt. Diese große Kraft und die enormen Geldströme bekommt diese Bewegung aber erst ungefähr seit dem Jahr 1996. Als der Technologie-Boom begonnen hatte, wuchsen diese Firmen heran. Anfangs waren es Garagengründungen von jungen Männern, die nicht einmal die Hochschule abgeschlossen hatten – Bill Gates ist ohne Abschluss aus Harvard gegangen. Wenn man deren Firmen heute anschaut, haben sie ein Umsatzvolumen im Bereich von mittleren Staaten. Belgien hat beispielsweise weniger Volksvermögen als eine dieser Firmen. Es sind wirksame Entitäten auf dieser Welt, und sie sind so stark und mächtig, dass es keinen Weg ohne sie gibt. Wer in einem Büro arbeiten möchte und „Microsoft Office“ nicht kennt, braucht nicht antreten. Gleichzeitig kommt von diesen Menschen, die diese Firmen betreiben, eine Ideologie oder auch Philosophie daher – der Transhumanismus als Weltanschauung. Es soll auf sechs verschiedene Weisen überwunden werden, was da ist. Und alles, was der Transhumanismus als Ideologie möchte, gibt es auch in der Anthroposophie – auf ganz andere Weise. Die Transhumanisten haben sich mit den richtigen Fragen beschäftigt. Wir Anthroposophen haben es aber nicht geschafft, diese Ziele populär zu machen.
die Weltanschauung des Transhumanismus
1- Sie wollen die Geschlechtergrenzen überwinden, es soll ein Transgenderismus entstehen. In der Anthroposophie geht man davon aus, dass man als Frau geboren wird und in der letzten Inkarnation ein Mann war, bzw. umgekehrt. Bei „uns“ ist das Transgenderthema sozusagen Trans-inkarnationsmäßig erfasst worden. Außerdem haben wir ein Menschenbild, das auf bestimmten Ebenen von der Frage Mann oder Frau absieht. Es kommt auf das Menschliche an und nicht auf das Geschlecht: z. B. versteht man das Priestertum der Christengemeinschaft so, dass bei den Priestern, so lange sie vor dem Altar stehen, der Gender keine Rolle spielt. Da ist eine Form von Überwindung gegeben.
2- Die Transhumanisten möchten, dass alles besser wird als vorher: intelligenter, gesünder, leistungsfähiger, schöner. Das nennt man „Enhancement“. Die Menschen sollen glücklicher sein, weil ihnen alles besser von der Hand geht, mehr Erfolg haben, die Zähne sollen nie kaputt gehen, die Haare niemals ausfallen. Wir als Anthroposophen kennen die Arbeit am Selbst, an der eigenen Charakterform; wir wollen uns auch verbessern, sozial verträglicher sein, weniger jähzornig, weniger faul etc. Aber wir sind nicht so energisch dabei, unsere körperliche Gesundheit in den Mittelpunkt zu stellen.
3- Das dritte Thema ist der Humanismus. Dieser entstand als Ideologie in der Zeit der Aufklärung. Dazu gehört das Primat der Vernunft, Wissenschaftlichkeit, Fortschrittsglaube, die Wertschätzung des gegenwärtigen Lebens. Dagegen kann man nichts einwenden. Und wir als Anthroposophen arbeiten in die gleiche Richtung, aber wir lassen uns Zeit, gehen über mehrere Lebenszyklen, mehrere Inkarnationen. Die jungen Leute benutzen heute oft das Wort „YOLO“. Wenn man sie fragt, warum sie Donnerstag, Freitag und auch noch Samstagabend in die Disco gehen müssen, erwidern sie „YOLO – You Only Live Once“ – Du lebst nur einmal. Das ist die Begründung dafür, dass man jetzt noch mal richtig auf den Putz hauen will, schlafen kann man, wenn man tot ist. Dieses „YOLO-Motiv“ ist sehr stark bei Menschen unter dreißig.
4- Die Extropie – sie steht im Gegensatz zur Entropie; diese besagt, dass mit der Zeit alles verfällt, die Sonne immer kälter wird, das Energieniveau einfach verpufft und wir alle irgendwann nicht mehr existieren. Extropianer sind der Meinung, dass man das umkehren kann, dass man nämlich die Evolution energetisieren kann und dass man sie proaktiv in die eigene Hand nimmt, bis zu dem Punkt, wo der Mensch sich selber abschafft und abgelöst wird von einer Maschine. Man nennt das auch „forcierte Evolution“.
5- Es muss immer die modernster Technik eingesetzt werden. Die Programme, die die Computer haben, werden immer größer und komplizierter; es gibt ein besseres iPhone, die Kamera wird immer besser, man kann damit Videos drehen – alles muss immer weiter gehen und ständig auf dem neusten Stand sein.
6- Das vollendete Ziel ist die Unsterblichkeit. Das ist das eigentliche Kernstück des Transhumanismus. Der Körper sollte niemals aufhören zu funktionieren, und wenn das nicht erreicht werden kann, dann soll wenigstens unser Gehirn sozusagen „ausgelagert“ werden, nämlich auf Computer. Und damit werden die Menschen – zumindest digital – unsterblich. Das Wissen und die Intelligenz werden für immer gespeichert, weit über den Tod der jeweiligen Person hinaus.
Das ist das Projekt von dem Russen Dmitry Itskov, der die Website 2045.com hat: Er will einen künstlichen Körper bauen, dem auch ein menschliches Bewusstsein übertragen werden soll. Diesen Körper kann man durch Ersatzteile immer am Laufen halten.
Alle sechs Punkte des Transhumanismus sollen den Menschen nicht nur optimieren, sondern auch überwinden, denn der Mensch ist mangelhaft. Das Wort „trans“ bedeutet ja „jenseits“.
Was bei all diesen Tätigkeiten herauskommt, ist eine Menge Fortschritt.
Was bei all diesen Tätigkeiten herauskommt, ist eine Menge Fortschritt. Betrachtet man die Realität, kann man nicht sagen, dass wir alle konsequent gegen Technik sind, und das ist unabhängig vom Alter. Wir leben ständig damit und benutzen die Vorteile.
In diesem Bereich sind die Dinge sehr schwer zu verstehen, und die Urteilsbildung ist anstrengend. Wenn man sich mit Klimawandel, Technologie oder Covid beschäftigt, kommt man schnell in eine Überfülle von Informationen, und das Wissen, diese Dinge wirklich sachgemäß zu beurteilen, haben wir nicht. Auch die Experten können das nicht. Es gibt Kritiker, die behaupten, es gibt keine menschengemachte Erderwärmung, und vielleicht haben sie recht oder auch nicht – es gibt für alles Beweise. Ich denke, wir müssen diese Dinge gemeinschaftlich erarbeiten, verschiedene Gruppen beschäftigen sich mit Detailfragen, und dann kommen alle wieder zusammen.
Widerstand gegen Technologie ist zwecklos. Das beste Bild ist das: Was macht man beim Tsunami, wenn man auf See ist und sich das Wasser zurückzieht? Man muss auf die Welle drauf, und wenn man schnell genug ist, schafft man es, über die Welle drüber zu kommen. Das Fatale passiert, wenn man vor der Welle davon läuft.
Eine weitere Frage ist: Können wir diese Entwicklung mitgestalten? Wir haben als Verbraucher sehr viel Macht. Ein Beispiel: Es gab die Shell-Bohrinsel in der Nordsee, die umgekippte und auslief. Die Deutschen und Schweizer haben damals so reagiert: „So lange ihr das auslaufen lasst, tanken wir nicht mehr bei Shell.“ In einigen Tagen hatte Shell gewaltige Umsatzeinbrüche; sie haben sofort reagiert, den Bohrturm sauber gemacht und abgeschleppt.
Wichtig ist, dass wir als Menschen miteinander in echtem Kontakt und in einem realen Gespräch bleiben. Wenn man Video-Konferenzen macht, sieht man briefmarkengroße Köpfchen auf dem Bildschirm. Aber der Menschen muss den anderen Menschen riechen, sehen – wir nehmen so viel voneinander auf, was man auf diesen kleinen Briefmarkenvideos gar nicht kann. Dieses wirkliche Gespräch ist auch etwas, was wir tun können, um Herzmenschen zu sein und zu bleiben.
Erfahrungen und Erkenntnisse, die über das Sinnliche hinausgehen
Wir sind dazu angelegt, unser Sinnesleben auszudehnen, um noch andere Erfahrungen und Erkenntnisse zu bekommen, die über das Sinnliche hinausgehen. Wenn wir dieser Welt der Technik nichts entgegenstellen, schneidet sie uns von diesen höheren Erkenntnissen ab. Auf Dauer möchte man als Mensch zu Imaginationen kommen. Im Denken haben wir schon anfänglich diese Fähigkeit. Wenn wir beispielsweise das Wort „Teil“ hören, denken wir gleich weiter: „Teil von was?“ Der Begriff Teil hat nur Sinn in Bezug auf ein Ganzes; man denkt das Begriffspaar „Teil und Ganzes“, die fordern einander, und die Wesenheit des Ichs bewirkt, dass sie zueinander finden. Und so kann man auch die Fähigkeiten der Inspiration und Intuition in der Erfahrung immer stärker ausbilden.
Was macht die aus der Technik hervortretende Kultur? Statt Bild/Imagination gibt sie uns den Bildschirm, statt realen Tönen/Inspirationen gibt sie uns Geräusche, z. B. aus dem Kopfhörer, und seit neustem gibt sie uns die virtuelle Realität, bzw. Ersatzwirklichkeit. Und die lähmt den Willen, das eigene Tun und die Initiativkraft des Menschen. Es gibt beispielsweise das „Metaversum“, das ist ein digitaler Raum, der durch das Zusammenwirken von virtueller, erweiterter und physischer Realität entsteht. Das ist eine angebotene Welt, man hat quasi ein Computerspiel so weit ausgedehnt, das alles, was man als Mensch unternehmen kann, Geburtstagsfeiern, Konzerte hören, Menschen besuchen, mit Ärzten Gespräche führen, sogar Gottesdienste, im Internet von allen Beteiligten gleichzeitig betreten wird. Man kann eine künstliche Währung dort einzahlen, z.B. Kryptogeld, und sich in dieser Ersatzwelt stundenlang aufhalten. Währenddessen sitzt man mit dem ganzen Leib still da, er ist wie gelähmt. Das ist die zukünftige Entwicklung: Zuerst wird das imaginative Vermögen verhindert, was man durch reales Sehen entwickelt, dann wird weiter durch die akustische Dauerberieselung von Musikboxen, Telefon das Inspirative ausgeblendet, und dann wird auch noch der Leib stillgelegt.
Um wieder auf den Titel, bzw. Ausgangspunkt zurückzukommen: Wenn es gelingt, den Leib komplett lahm zu legen, dann ist das sozusagen der Sieg der Widersachermächte im umkämpften Menschen. Es ist eigentlich der Leib mit seinen Sinnen, um den es geht. Der Leib ist das Instrument eines Geistwesens, was im Fleisch lebt; „Inkarnation“ bedeutet „im Fleisch sein“. Das ist die Paradoxie des Leibes. Den möchten die Widersachermächte „haben“, und deshalb werden wir bespaßt mit einem bunten, digitalen Programm.
Auf der anderen Seit müssen wir mit der Technik leben lernen.
Auf der anderen Seit müssen wir mit der Technik leben lernen und für diese beiden Seiten ständig die Mitte finden. Was ist es, das meine „Blindheit“ heilt, dass ich die reale Welt sehen darf und dass ich hören kann? Dass ich mich in der Willenseinigkeit mit den Geistwesen befinde? Das kann ich nur durch das ICH. Es ist das Christuswesen, dass in der Mitte steht und mit dessen Hilfe ich jeden Tag neu überlegen muss: Gebe ich mich heute der Technik hin und sitze zwei Stunden vor dem Netflix, weil das auch Spaß macht, und wann arbeite ich dann aber an den Fähigkeiten, die mich zu einem späteren Zeitpunkt zur Imagination befähigen?
Wir alle glauben, Imagination, Inspiration, Intuition sei etwas ganz Fernliegendes. Aber ich frage mich: Warum ist es dann so umkämpft? Es zeigt doch, dass die Wesen der Gegenseite genau wissen, was wir schon können, sonst würden sie sich nicht so anstrengen. Wir sind, ohne es zu wissen, sehr viel weiter mit dem Thema der übersinnlichen Wahrnehmung. „Achtsamkeit“ ist beispielweise so eine neue Idee: Man schaut, was sich im Inneren und Äußeren tut, bis in die Feinheiten hinein. Wir alle sind weiter sind, als wir denken, und es macht Mut, das zu wissen.
Zusammenfassung des Vortrages: Christine Pflug
Ariane Eichenberg, Christiane Haid (Hg.): Das Ende des Menschen? Wege durch und aus dem Transhumanismus. Verlag am Goetheanum. Dornach 2021. Beiträge u. a. von Sebastian Lorenz.
Nicanor Perlas: Der letzte Kampf der Menschheit? Die Antwort der Geisteswissenschaft auf die Künstliche Intelligenz, Übersetzung von Dr. Sebastian Lorenz. Verlag Urachhaus, Stuttgart 2022, erscheint voraussichtlich im November.