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… über Kunst und Geld
Impressionen von der Biennale in Venedig "All the World´s Futures"
Artikel von Tille Barkhoff, Eurythmistin
Umweltschutz ist ein Thema, das uns alle angeht. Jeder sollte lernen, Naturkreisläufe besser zu verstehen, um nachhaltig mit unseren Ressourcen umzugehen und unsere natürliche Umgebung zu pflegen. Neben der Natur haben wir aber auch eine reiche, von Menschen geschaffene Umwelt: die Kultur! Ist es nicht auch unser aller Aufgabe, die Kultur zu pflegen und zu schützen, über den Denkmalschutz hinaus? Ein zentraler Teil dieser vom Menschen geschaffenen Welt ist der Geldverkehr. Wie können wir damit nachhaltig so umgehen, dass unsere Kultur eine Zukunft hat? Wir alle gehen täglich mit Geld um und bestimmen dadurch, wo wir es ausgeben wie, wo und was in Zukunft damit produziert wird. Deshalb geht uns alle, besonders in Zeiten der Bankenkrise, ein gesunder Umgang mit Geld genauso etwas an wie der Umweltschutz. Vor allem die Kunst, Bildung etc., die Herzstücke unseres Kulturbetriebs, sind sehr von unserem Umgang mit Geld abhängig, weil Spenden, staatliche Zuschüsse etc. sie erst ermöglichen.
Tille Barkhoff: freiberufliche Eurythmistin, Heileurythmistin. Mitglied im Treuhandrat der Gemeinnützigen Treuhandstelle Hamburg. „Als Eurythmistin habe ich viele Projekte durchgeführt und dabei erlebt, wie wichtig es ist, wenn eine künstlerische, pädagogische, wissenschaftliche etc. Initiative durch finanzielle Hilfe Rückenwind bekommt. Spendengelder machen Mut weiter zu gehen. Sie helfen nicht nur durch ihre Kaufkraft, sondern auch durch das Vertrauen, das der Spender damit dem Initiativnehmer entgegenbringt. Und auch als Mitglied des Treuhandrates der Treuhandstelle Hamburg beschäftigt mich das Thema Geld. Denn dort geht es, neben der Unterstützung guter Zwecke, immer auch darum, einen nachhaltigen Umgang mit dem Geld selber zu pflegen und zu fördern. Hier möchte ich nun einige persönliche Gedanken dazu schildern.“
Ich war in diesem Sommer auf der Biennale in Venedig, deren Thema „All the World´s Futures“ war. Künstler aus aller Welt sollten jeweils mit der Darstellung ihrer Zukunft dazu beitragen. Im Australischen Pavillon gestaltete die Künstlerin Fiona Hall in einer vielfältigen Installation „ihre Zukunft“ und verwendete dabei zweimal, in ganz unterschiedlicher Weise, Geldscheine: Einmal wurden Geldscheine aus verschiedenen Ländern zu Malblättern, auf welche sie mit brauner Gouache-Farbe botanisch genaue Baum- oder Blumenblätter zeichnete.
Diese feinen Malereien auf den Scheinen waren ästhetisch überzeugend, da ihre feine Struktur eine grafische Beziehung zu den Zeichnungen auf den Banknoten aufnahm. Die Beziehung dieser Papier- und Baumblätter war auf verschiedenen Bedeutungsebenen stimmig, sie waren sich sowohl äußerlich wie „innerlich“ ähnlich.
Der „lebendige“ Zyklus des Geldes
Beide kamen jeweils aus dem gleichen Land, und beide waren jeweils nur ein kleiner Ausschnitt aus einem großen Kreislauf, der dahinter stand. Die Künstlerin hatte so einen Bezug hergestellt zwischen dem an jedem Ort der Erde sich anders zeigenden Kreislauf der lebendigen Natur, und dem vielleicht genauso „lebendigen“ Zyklus des Geldes, der sich vielleicht auch überall dem Ort anpassen muss. Wir sehen insbesondere an den Blättern der Pflanzen, die Phasen von Werden und Vergehen im Jahreslauf. Geldscheine machen den Kreislauf von Geben und Nehmen zwischen Menschen sichtbar. Was hat dieser Kreislauf der Geldscheine mit dem Zyklus der natürlichen Blätter gemeinsam? Haben beide ähnliche Stationen von Werden und Vergehen? Wann sind sie gesund, bzw. krank? Was gibt diesen Prozessen die „Lebensenergie“, um immer weiter aktiv zu sein? Sind beide vielleicht sogar voneinander abhängig?
Interessant war, dass in der Peripherie dieser Installation, an allen Wänden, lauter Uhren aufgestellt waren. Ganz unterschiedliche Zeitmesser: solche, die immer nur gleichwertige Minuten zählten, Natur-Uhren, Geld-Uhren, Uhren der bedeutenden Geschichtsereignisse, Katastrophen-Uhren, Uhren der „verlorenen Zeit“ und viele andere. All diese permanent tickenden und manchmal laut läutenden „Zeiten“ waren also der optische und akustische Hintergrund, auf dem man weiter über obige Kreisläufe „sinnen“ konnte.
Die „wrong way time“-Uhr
Die letzte Uhr in dieser Reihe, nach der die Künstlerin ihre ganze Installation benannt hat, war die „wrong way time“-Uhr mit einem Pfeil, der in die umgekehrte Richtung zeigte. Ihre Zeit geht also nicht von der Vergangenheit in die Zukunft, sondern falsch herum, sodass „die Ursachen“ in diesem Zeitstrom „in der Zukunft liegen“ (J. Beuys). Die Zukunft gibt hier den Antrieb und die Energie für die Taten der Gegenwart, sie erzeugt schon Initiativkraft bevor wir das, was da werden will, genau kennen und verstehen. Diese saugende Zeit war also das Thema von Fiona Halls Beitrag zu „All the World´s Futures“. Neben den bemalten Geldscheinen hat sie außerdem Geld-Nester ausgestellt (siehe Foto). Ähnlich wie Webervögelnester waren sie aus geschredderten Geldscheinstreifen kunstvoll ineinander gewebt, aus den verschiedensten Richtungen. Sie erinnerten an lebendige Organe.
So wie die Uhren im Umkreis der gesamten Installation an den Wänden standen und hingen, baumelten in ihrem Zentrum verschiedenste schamanisch anmutende Menschengestalten, mit drei Augen, flügelartigen Ohren, Hörnern und anderen speziellen Organen. Darstellungen anderer menschlicher Organe lagen ähnlich wie die Geldnester in weiteren Vitrinen. So war auch eine silberne Lunge über einem Kohlestein ausgestellt. Dieser Kontext schien die Assoziation von den Nestern zur menschlichen Organbildung zu bestätigen.
Welche Organe bildet ein gesunder Geldfluss aus?
In der Embryologie bilden sich Organe dann aus, wenn verschiedene Fließrichtungen der ersten Substanzen im Embryo aufeinander treffen, sich stauen, ineinander wirbeln und dadurch Ablagerungen bilden. Sie wachsen also dort, wo das Strömen der ersten Zellen immer mehr zum Stillstand kommt und übernehmen nachher eine Funktion, die dem Prozess entspricht, der sie gebildet hat. Der erste schöpferische Prozess wird damit selber zu einem festgelegten Organ, das eine ganz bestimmte Funktionen für den Gesamtorganismus übernimmt, und das Organ bleibt dabei, solange es in dieser Weise tätig ist, auch weiterhin mehr oder weniger im Fluss. Das erste „lebendige Strömen“ wird durch die Organbildung also nicht beendet, sondern nur mehr ausdifferenziert und spezifischer. Alle Organe bleiben weiterhin durch verschiedene Kreisläufe miteinander verbunden und verändern sich, umwelt-, alters-bedingt usw., auch weiterhin.
Demnach würde ein Organ also erst durch den Organismus, in dem es seine Aufgabe erfüllt, und durch seinen Entstehungsprozess verständlich. Welche Organe bildet ein gesunder Geldfluss aus? Mit welchen Organen in der Natur oder im Menschen wären sie zu vergleichen? Ist das Geld mit dem Blutkreislauf vergleichbar, d.h. dem flüssigen Organ, das den Körper über die Lunge mit Energie und damit mit Zukunft versorgt?
Und ist die Bank das Herz darin, das sich aus dem Blutfluss gebildet hat und durch diesen seinen Puls erhält? Hat auch der Bankprozess einen Puls, der wie der des Herzens, davon abhängt, wann sich etwas in den peripheren Blutgefäßen staut oder ob irgendwo ein „Leck“ ist? In der Pulsdiagnose nehmen Heiler der chinesischen Medizin diese Druckverhältnisse wahr und lesen daraus sogar die gesamte Gesundheitssituation eines Organismus ab. In der Anthroposophischen Medizin wird das Herz als ausgleichendes Wahrnehmungsorgan verstanden und Herz und Lunge zusammen als das ausgleichende „Rhythmische System“, über das die meisten Heilungsprozesse angeregt werden. Wie agiert/reagiert das Herz, um den Organismus über den Blutfluss zu regenerieren?
Gibt es neben dem „Banken-Herz“, das den Geldkreislauf wahrnimmt, auch eine Lunge im Geldkreislauf?
Gibt es neben dem „Banken-Herz“, das den Geldkreislauf wahrnimmt, auch eine Lunge im Geldkreislauf, die den Geldstrom neu vitalisiert? Was ist dem energiespendenden Sauerstoff, den die Blätter der Natur aus unserer giftigen CO2-haltigen Atemluft herstellen dem Geldkreislauf vergleichbar? Haben Schenkungsprozesse eine solche vitalisierende Wirkung? Wann stirbt das Geld, wie die Blätter im Herbst?
Einen Geldschein nicht nur auf seinen materiellen Kaufwert reduzieren, sondern auch den Zeitprozess, in dem er steht, miteinbeziehen.
Mich regte diese künstlerische „Imagination“, diese Mensch, Natur und Kultur umfassende Installation Fiona Halls dazu an, differenzierter darüber nachzudenken, dass es sich beim „Geldausgeben“ immer auch um einen vielschichtigen Prozess handelt. Es geht nicht nur um den guten Zweck einer Spende, es geht auch um die Art und Weise, wie wir ein Ziel erreichen, um den Weg, der zum Ziel führt, darum, ob er den „Geldorganismus“ gesunder oder noch kranker macht! Fiona Hall regte mich an, einen Geldschein nicht nur auf seinen materiellen Kaufwert zu reduzieren, sondern immer auch den Zeitprozess, in dem er steht, miteinzubeziehen. Wäre ein solcher erweiterter, prozessorientierter Geld-Begriff ein entscheidender Beitrag zu einem nachhaltigen Umgang mit Geld? Was habe ich mit meinem letzten Einkauf bewirkt, mit meinen Versicherungszahlungen, meinen Geldanlagen etc.? Und lassen wir uns nicht oft von den festgefahrenen Funktionen der Banken, Versicherungen oder anderer „Organe“ des allgemeinen Geldverkehrs bestimmen, anstatt sie durch unsere Taten zu neuen Aktivitäten und Strukturen anzuregen? Solche künstlerischen Imaginationen könnten, wenn man sie ernst nimmt und danach handelt, vielleicht „Ursachen in der Zukunft“ werden, die neue Bank-Institute hervorbringen und alte sterben lassen. Neue Banken, die Freiräume schaffen, in denen es um die Zukunftsvisionen der Kunden geht, um Spender und Förderungsbedürftige, um Käufer und Produzenten, etc. und nicht um die Zwecke der Banken selber. Bei solchen Geldgeschäften stände dann, wie bei Fiona Halls Installation, der Mensch im Zentrum!
Zuletzt möchte ich noch einmal auf die Lunge, die über dem Kohlekristall stand, dem Mineral unserer Ausatmungsluft, und die wie ein umgekehrter vom Himmel herunter wachsender Baum aussah, zurück kommen. Denn Fiona Hall hat ihr mehrere andere Skulpturen gegenüber gestellt: In diesen kleinen Skulpturen waren unten statt des natürlichen Steins menschengemachte Konservendosen zu sehen, in denen getötetes Leben eingesperrt war: Sardinen, Tunfische etc. und sogar Menschen. Manche dieser Konservendosen waren aber auch „schon wieder“ geöffnet, sodass aus ihnen neues Leben wachsen konnte, Bäume, die wie umgekehrte Lungen aus dem Toten heraus wuchsen, um uns neue Atemluft zu schenken.