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Wie kommt das Neue in die Welt?
Liebe Leserinnen und Leser,
„Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ Dieser weisheitsvolle Ausspruch von Albert Einstein stand für mich im Hintergrund, als ich die folgenden Autorinnen und Autoren bat, einen kleinen Beitrag zu schreiben.
Wir leben in einer Zeit vielfacher Krisen: Umwelt- und Klimaschäden, die Pandemie und ihre Folgen, es gibt Krieg in Europa, Flüchtlinge … alles das ist nur vordergründig sichtbar, es lässt sich ahnen, was im Hintergrund schwelt. „Wie kommt das Neue in die Welt?“ – diese Frage drängt sich auf. Es reicht nicht, Flickschusterei oder Aktionen zu veranstalten, „alten Wein in neuen Schläuche“ zu gießen, wie Christoph Bernhardt schreibt.
Wie aber finden wir einen Zugang zu diesem radikal Neuen?
Die Autorinnen und Autoren der folgenden Beiträge zeigen auf vielen Ebenen, wie das möglich ist. Dankenswerterweise reicht die Palette von der philosophischen, religiösen, künstlerischen Sicht bis zur ganz praktischen Ebene. Das alles braucht es. Und wie gut, dass Menschen einerseits den Ansatz für das Neue gedanklich fassen und in Sprache bringen können und andererseits Neues in der alltäglichen Arbeit mit viel Engagement und Idealismus praktizieren.
Ich wünsche Ihnen viele Anregungen beim Lesen,
Ihre Christine Pflug
Wie kommt im Sinne der Philosophie der Freiheit das Neue in die Welt?
Beitrag von Dr. med. Christoph Bernhardt, anthroposophischer Allgemeinarzt in Hamburg
Versteht man den Menschen als einen Werdenden, der in stetiger Entwicklung begriffen ist, so ist er seiner Natur nach darauf ausgerichtet, Neues zu realisieren. Er bewahrt in sich die Erfahrungen und Errungenschaften der Vergangenheit und öffnet sich für Zukunftsimpulse.
Neues entsteht dabei auf zweifache Weise. Einmal durch Fortentwicklung des Wissens und der Erfahrungen der Vergangenheit. Hierbei entstehen durch Fortsetzung der gewohnten Denkweise Neuerungen, die in der Entwicklungslinie des bisher Gedachten und Gewohnten liegen. Es entsteht dabei also eigentlich dem Wesen nach Altes, nur in neuem Gewand, oder mit einem biblischen Ausdruck gesagt, es entsteht dabei alter Wein in neuen Schläuchen.
Das im eigentlichen Sinn Neue entsteht hingegen nur, wenn wirklich neue Ideen in die Welt kommen und wenn diese Ideen auch gleichzeitig zu einer neuen Denkweise führen. Wenn der Mensch sich neuen Ideen und Impulsen zuwenden will, muss er sich zunächst von alten Gewohnheiten befreien. Die Frage nach neuen Handlungsimpulsen für die Welt ist daher eng verwandt mit der Frage nach der Freiheit des Menschen. Wie Rudolf Steiner in der Philosophie der Freiheit betont, ist die Freiheit dem Menschen nicht von Natur aus geschenkt, sondern er muss sich erst zu ihr empor entwickeln. Diese Entwicklung hängt mit der Fähigkeit zusammen, neue Ideen zu erfassen und zu realisieren. Denn eine freie Handlung ist im Sinne der Philosophie der Freiheit eine Handlung, die eine aus der geistigen Ideenwelt individuell geschöpfte moralische Intuition verwirklicht. Sie ist daher immer auch damit verknüpft, dass etwas schöpferisch Neues in die Welt kommt.
Das zukünftig Neue ruht im Schoß der geistigen Ideenwelt bevor es durch moralische Intuition auf die Erde heruntergeholt wird. Dieser Prozess erfolgt in drei Stufen. Die erste Stufe ist die moralische Intuition, also die Erfassung einer allgemeinen Handlungsmaxime. Damit diese Handlungsmaxime unter den konkreten Gegebenheiten der Situation des Handelnden fruchtbar werden kann, bedarf es der moralischen Phantasie. Die moralische Phantasie verwandelt die allgemeine Handlungsmaxime zu einer konkreten Handlungsidee, die zugleich die Innovation von etwas Neuem umfasst. Zu einer erfolgreichen Umsetzung bedarf es dann noch der moralischen Technik, d. h. des Wissens und Könnens des Einzelnen, damit die Realisierung der Idee nicht an der technischen Umsetzung scheitert.
An der Umsetzung einer freien Handlung ist also der ganze Mensch beteiligt. Das Ich schöpft die moralische Intuition aus der geistigen Ideenwelt. Die moralische Phantasie wird von der Seele entfaltet, die dabei ähnlich wie beim phantasievollen künstlerischen Schaffen schöpferisch tätig wird. Die moralische Technik greift auf das Wissen und die Erfahrungen der im Ätherleib ruhenden Gedächtnisinhalte des Menschen zurück. Am Ende dieses Prozesses von den oberen zu den unteren Wesensgliedern setzt der physische Leib die Handlung um.
Rudolf Steiner hat in diesem Sinne aus der geistigen Welt zunächst das allgemeine Ideengebäude der Anthroposophie geschöpft und dann im Sinne der moralischen Phantasie und Technik eine Neuimpulsierung verschiedenster Lebensfelder von der Pädagogik, über die Medizin und die Landwirtschaft bis zur Kunst und Religion aus dem Geist der Anthroposophie heraus inauguriert.
Da wir alle erst auf dem Entwicklungsweg zu der Fähigkeit sind, moralische Intuitionen aus der Geistwelt herauszuholen, können wir unsere moralische Phantasie auch an den von Rudolf Steiner für uns aus der Geistwelt herausgeschöpften Ideen befruchten. Wir können uns aus dem Trott und der Knechtschaft der hergebrachten Denkweise, die in unserer Zeit ja vielfach von der materialistischen Naturwissenschaft geprägt ist, also auch befreien, wenn wir die spirituellen Ideen der Anthroposophie aufnehmen und versuchen, sie umzusetzen, so gut es unsere moralische Phantasie und unsere moralische Technik uns ermöglichen. Wir finden dabei in der Anthroposophie eine reiche Quelle geistiger Ideen, die unseren Idealismus befeuern können. Aus ihr kann der Gegenwartsmensch in einer für das Bewusstsein der heutigen Zeit angemessenen Form neue spirituelle Ideale schöpfen, sowohl für sein persönliches Leben als auch für viele Berufs- und Lebensfelder.
Solange der Mensch in seinen Handlungen noch den alten Denkgewohnheiten folgt oder seinen noch nicht überwundenen egoistischen Neigungen ist er noch nicht wirklich frei. Freiheit entsteht erst durch Überwindung des Egoismus, wenn sich der Handelnde nicht mehr fragt, wie ist die Handlung für mich vorteilhaft, sondern wie ist sie für die Welt und die gegenwärtige Zeitlage notwendig. Freie Geister entwickeln dadurch Sympathie und Enthusiasmus für Handlungen, die im Sinne der Zeitnotwendigkeiten erforderlich sind, da sie ihre egoistischen Neigungen überwinden können. „Der Freie richtet sich nach den Forderungen und Erfordernissen der Welt, die er zuerst lieben muss“. ¹ Die Liebe zur Welt befähigt uns, uns von den Fesseln des eigenen Egoismus zu befreien und unser Handeln aus freiem Entschluss in den Dienst der Welt zu stellen.
Frei handeln bedeutet also im Sinne der Zeitnotwendigkeiten zu handeln. Durch solche von der Liebe zur Welt getragenen Handlungen kommt das wirklich schöpferisch Neue, das der jeweiligen Zeitsituation angemessen ist, in die Welt. Es wird von den freien Geistern, zu denen wir uns in der Zukunft mehr und mehr entwickeln sollen, aus Liebe und Begeisterung für die Schönheit einer Handlungsidee und im Geiste der Toleranz verwirklicht, getreu dem Motto, das Rudolf Steiner in der Philosophie der Freiheit gegeben hat: „Leben in der Liebe zum Handeln und Lebenlassen im Verständnisse des fremden Wollens ist die Grundmaxime des freien Menschen.“ ²
¹ Steiner, R. Meditative Betrachtungen und Anleitungen zur Vertiefung der Heilkunst. GA 316. 1. Aufl. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1967, S. 114
² Steiner, R. Philosophie der Freiheit. GA 4. 13.Aufl. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1973, S. 131
„Die Stelle, bei der in jedem Menschen das Neue entsteht.“
Interview mit Tom Tritschel, Pfarrer und Künstler
Christine Pflug: Kann man sagen, dass aus christlich-theologischer Sicht der Christus die Kraft oder die Gestalt ist, die das Neue in die Welt bringt?
Tom Tritschel: Ja, ich würde sogar behaupten, ausschließlich Christus. Das mag sich überzogen anhören, aber wenn ich davon ausgehe, dass Christus der Creator schlechthin ist, im Sinne des Johannes-Evangeliums der Schöpfer-Gott, der „Schaffende in allem Schaffenden“, wie es in der trinitarischen Epistel heißt, dann ist das so. Das ist dann die Stelle, bei der in jedem Menschen das Neue entsteht. Da stellt sich die Frage, wie man sich mit diesem Schöpferwesen in ein Benehmen setzt und wo man ihm begegnet.
C. P.: Ein Beitrag in diesem Heft beruft sich auf die Philosophie der Freiheit, wie in den drei Stufen Intuition, moralische Fantasie und soziale Technik das Neue in die Welt kommt. Würden Sie sagen, dass auch darin der Christus wirkt?
T. Tritschel: Es gibt verschiedene Methoden, wie man sich dieser schöpferischen Wesenheit nähert. Die Meditation ist eine Möglichkeit. Die Imagination ist die Schicht, wo man der schöpferischen Kraft im Bildbereich begegnen kann, es gibt weiterhin die Schichten der Inspiration und Intuition. Er hat Wirkensmöglichkeiten in verschiedenen hierarchischen Schichten.
C.P .: Wie wäre explizit der christliche Weg?
T. Tritschel: Der hat in sich auch wieder verschiedene Möglichkeiten. Auch ein meditativ-rosenkreuzerischer Weg gehört dazu, natürlich gibt es auch einen kultischen Weg. In der Menschenweihehandlung entsteht ein Geistbewusstsein, indem die Menschen gemeinsam eine solche Unternehmung machen. Es ist überhaupt das christliche Zukunftsmodell, dass man gemeinsam Methoden entwickelt und dann zusammenarbeitet. Und das geschieht in der Menschenweihehandlung, indem die Menschen ihre Intentionen, Empfindungen und Gedanken auf einen gemeinsamen Inhalt richten. Damit entsteht ein größeres Erkenntnisorgan, als der Einzelne überhaupt herzustellen in der Lage ist. Wenn sich eine Gruppe in einem gemeinsamen Denken, Erwägen, Ringen um ein Ergebnis vereint, da hinein ist die Wirksamkeit des Christus möglich.
C. P..: Und wie sehen Sie das bei der Kunst, die das Schöpferische an sich ist?
T. Tritschel: Das ist sie im radikalsten Sinne. Joseph Beuys spricht im entschiedenen Sinne von dem Christus als Creator und dem Creator-Prinzip als das Schöpferische schlechthin. Beuys hat den Kunstbegriff radikal erweitert um eine Dimension, die größer ist als alles Bisherige. Die eigentliche Wirksamkeit der Kunst kommt in dem zum Tragen, was er die soziale Plastik nennt. Da wird die künstlerische Fähigkeit im Sozialen angewendet, um dieses zu gestalten – auch in großen gesellschaftlichen Zusammenhängen. Wie gestalten wir die Zusammenhänge in unserem Land, in Europa und überall? Wir müssen auch die ganze Evolution weitergestalten. Das ist der größte Ausblick auf das, was möglich ist.
C. P.: Das wäre im Sinne von Beuys die Erneuerung, die mit der Kraft von Christus gestaltet wird?
T. Tritschel: Das ist letztlich das Ostergeheimnis. Er ist in die Menschen hineingestorben. Und es besteht für die Menschen die Möglichkeit, als ein kreatives Wesen aufzuerstehen und produktiv zu werden. Das geht nur durch den Menschen. In der Schöpfung wird heute nicht mehr irgendetwas von außen hinzugefügt, die alte Schöpfung ist eine Art Auslaufmodell. Wie es weitergeht, hängt radikal von uns ab.
Was bringt das Neue in die Welt?
Das fragten wir Amadeus Templeton, Mitgründer von TONALi.
Hier seine Antwort in 3000 Zeichen
Wie kommt das Neue in die Biografie?
von Christine Pflug, Biografieberatung und HP Psychotherapie
Immer wieder klopft in unserem Leben etwas Neues an. Wie können und wollen wir damit umgehen? „Natürlich“ kommt Neues erst mal durch biologische Veränderungen. Wenn mit 7 Jahren die Milchzähne ausfallen, wird das Kind schulreif, mit ca. 14 Jahren bringt die Pubertät allerlei Turbulenzen, in den mittleren Jahrzehnten des Lebens stehen dem Menschen bestimmte seelische Qualitäten als Potential zur Verfügung, die er ergreifen kann. Und spätestens mit dem biologischen Abbau wird uns allen deutlich, dass wir mehr sind und mehr sein wollen als ein Naturwesen.
Schicksalsereignisse prägen eine Biografie. Wird ein Mensch geboren, trifft er auf innere und äußere vorgegebene Umstände. Im Laufe des Lebens passieren alle Arten von Veränderungen.
Dass der Mensch mehr ist als ein Naturwesen, zeigt schon die Tatsache, dass wir frei entscheiden, wie wir mit all dem umgehen. Wir können das „Neue“, das auf uns zukommt, zur Weiterentwicklung unserer Individualität, die wir alle letztlich ersehnen, aufgreifen.
Wie kann man sich das vorstellen? Eine Veränderung, vom kleinen Alltäglichen bis hin zu einem großen Lebensumschwung , bringt Verunsicherung. Das Gewohnte, das bisher getragen hat, ist nicht mehr da. Diese Verunsicherung, die bis zur Angst gehen kann, ist ein unangenehmes Gefühl. Man kann die Situation nicht einschätzen, weiß nicht, wie man handeln soll. Wir sind in einer Leere, fühlen zunächst eine Ausweglosigkeit. Es ist wie eine nächtliche Meerfahrt ohne Sicht. Verständlicherweise ist man zunächst geneigt, auf Altbewährtes zurückzugreifen, die bisherigen Strategien zur Krisenbewältigung noch mehr zu verstärken oder auch dieser Unsicherheit auszuweichen. Wir alle kennen unsere eigenen Ablenkungs- oder Verleugnungsmanöver, die mehr oder weniger bewusst, klein oder auch drastisch sein können.
Wie können wir das Neue, das anklopft in diesem verunsichernden Raum, erfassen?
Es ist zunächst eine Willensanstrengung, in dieser Verunsicherung „stehen“ zu bleiben. Der Wille kann sich nicht im üblichen Sinne auf etwas richten, man kann nicht einfach schnell etwas machen oder erreichen. Hilfreich bis notwendig ist es, auf dieser nächtlichen Meerfahrt „die Sterne“ im Blick zu haben. „Habe ich Ideale, Werte, auch wenn ich im Moment keine konkrete Umsetzungsmöglichkeit weiß?“ Wenn solche Prozesse an Idealen orientiert sind, beziehen sie andere Menschen, das Umfeld, die jeweilige Situation auf förderliche Weise mit ein.
Diese neue Orientierung ist eine innere (Willens-)Aktivität, sie gleicht einem fühlenden Tasten. Mancher beginnt auch etwas wie zu sehen oder zu hören, das sich verdichtet. Es stellt sich ein Gefühl von Stimmigkeit ein, das man zunächst nicht erklären kann. Vielleicht spürt man, dass sich innerlich etwas neu zurechtrückt. Es ist der eigene Wahrheitssinn, der Orientierung gibt. Ein Verstehen kommt später dazu. Wir alle kennen solche Prozesse im Alltag und im Kleinen. Je weitgreifender und tiefer so ein Umschwung ist, desto mehr Ambivalenzen hat er und braucht länger.
Haben wir diesem Neuen einen Raum in unserem Leben gegeben, entsteht ein Gefühl und eine Einsicht: „Jetzt ist es stimmig. Ich bin ein Stück weit bei mir selbst angekommen und habe gleichzeitig etwas erweitert. “
Das Neue aus landwirtschaftlicher Perspektive
Von Julia de Vries, Betriebsleiterin auf dem Demeter-Hof Domäne Fredeburg
Als Mitglied der landwirtschaftlichen Betriebsgemeinschaft der Domäne Fredeburg (biol-dyn. Landwirtschaft seit 32 Jahren) möchte ich einige Gedanken zu dieser Frage aus der landwirtschaftlichen Perspektive äußern und dazu anregen, das eigene Denken und Handeln zu reflektieren. Sicher gibt es je nach Berufs- und Lebensumfeld unterschiedliche Schwerpunkte, doch der innere und äußere Prozess, der für eine Veränderung notwendig ist, dürfte überall der gleiche sein.
In der Landwirtschaft merken wir durch die klimatischen Veränderungen deutlich, dass wir nicht so weiter machen können wie bisher. Es wird notwendig, mit ganz neuen Bearbeitungsschritten und ggf. sogar anderen Sorten für den Anbau von Getreide, Futterpflanzen und Gemüsesorten auf diese Veränderungen zu reagieren. Es ist unerlässlich geworden, schonend mit der Bodenfeuchtigkeit umzugehen, das vorhandene Wasser zu halten und den Boden mit Pflanzen möglichst ganzjährig zu bedecken, um längeren Hitzeperioden und dem Verlust von wertvollem Humus durch Windverwehungen oder Ausschwemmungen zu begegnen. Nicht überall können wir auf Erfahrungen zurückgreifen, sondern müssen diese erst machen um zu sehen, ob wir auf dem richtigen Weg sind.
Wichtiger wird zunehmend die Souveränität in den Bereichen von Saatgut und Züchtung. Die Monopolisierung durch große Konzerne schafft Abhängigkeiten und gibt keinen eigenen Gestaltungsspielraum. Mit standortangepassten Züchtungen können wir den Klimaveränderungen am ehesten begegnen. Je autarker wir werden, umso freier sind wir in der Gestaltung unseres Arbeits- und Lebensumfeldes. Immer sind wir dabei Teil eines sehr komplexen Systems, in welches wir durch unser Handeln eingreifen, und es braucht zu jeder Zeit einen guten Überblick über die Zusammenhänge, um diese zu fördern und nicht zu stören.
Das alles kann nur auf eine sinnvolle und zukunftsfähige Weise gelingen, wenn wir bereit sind, ganz neu hinzuschauen und neu zu denken. Wir können das Neue nur finden, wenn wir bereit sind, Altes loszulassen und uns für Ungekanntes zu öffnen. Das ist ein aktiver Akt, der nicht von alleine geschieht. Es braucht dazu eine innere Bewegung des sich Öffnens, Momente der Stille und des inneren „Lauschens“, damit wir wahrnehmen können, was uns entgegenkommen will.
In Bezug auf die Natur braucht es uns Menschen mehr denn je als sich in sie ein- und mitfühlende Wesen. Viel zu lange haben wir uns nicht als ein Teil der Natur und des großen Kreislaufes verstanden, sondern uns über Alles gestellt, ohne die großen Zusammenhänge wirklich zu sehen und zu respektieren. In dem Moment, in dem ich mich mit der Natur und damit mit unserer Lebensgrundlage Mutter Erde verbinde, kann ich nicht anders, als sie zu schützen und zu pflegen. Ein Gefühl der Liebe und Dankbarkeit für das, was sie für mich bereithält, entsteht in meinem Herzen.
Wie oft laufen wir durch den Wald, freuen uns an Naturschauspielen und wunderbaren Landschaften, aber wie sehr fühlen wir uns wirklich als Einheit mit der Natur? Oder erleben wir sie vielmehr als wechselnde Kulisse in unserem Leben? Schöne Bilder, manchmal auch Dramen, aber meistens sind wir doch (noch) nicht nachhaltig beeinträchtigt in unseren Breiten.
Auch ohne Landwirt zu sein hat jeder Mensch viele Möglichkeiten, gesundend auf die Natur zu wirken. Ein Bereich ist das eigenen Einkaufsverhalten. Wie weit sind z.B. Regionalität und Saisonalität für mich als VerbraucherIn ein Maßstab? Unterstütze ich den Bauern in meiner Nähe und verhindere damit unnötige, klimaschädliche Transporte? Wenn ich konkret sehe, wie „mein“ Gemüse wächst und die Tiere im Stall und auf der Weide erlebe, fühle ich eine persönliche Verbindung und bestenfalls eine Mitverantwortung und werde selber alles dafür tun, dass auch mein Beitrag für die Natur ein hilfreicher ist. Hier geht es ums „Wollen“ und damit ums konkrete Handeln jedes Einzelnen.
Neues Denken, Fühlen und Wollen brauchen wir, damit das Neue in die Welt kommen kann, ohne uns zu sehr zu überraschen. Denn es wird kommen, und je besser wir vorbereitet sind, umso leichter können wir es mit offenen Armen empfangen und mitgestalten.
Unser Kopfdenken hat uns in eine Sackgasse geführt. Nun wird es höchste Zeit, dass wir unser „Herzdenken“ üben und zu Wort kommen lassen. „Der kleine Prinz“ in dem Buch von Antoine de Saint-Exupery, hat seinem Freund dem Fuchs eine wichtige Lebensweisheit mitgegeben: „Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“ und „…ich bin für das verantwortlich, was ich mir vertraut gemacht habe“. In dem Moment, in dem ich mich aus tiefstem Herzen verbunden (vertraut gemacht) habe, werde ich alles tun, um mein Handeln so auszurichten, dass es lebensdienlich ist. Verbinde ich mich in Liebe mit dem Wesen der Naturreiche, ermögliche ich damit auch den geistigen Wesenheiten in der Natur wieder ein heilsames Mitwirken. Davon bin ich überzeugt.
Mögen wir den Mut aufbringen, aus den alten Denkmustern auszusteigen, uns wieder tief mit der Erde als unserer Lebensgrundlage zu verbinden und unser Herz für Unbekanntes und Neues zu öffnen. Dann kann durch unser Tun das Neue in die Welt kommen!
Zukunftsfähigkeit in der Textilbranche durch Nachhaltigkeit
Beitrag von Uli Ott, Mitinhaberin eines Hamburger Geschäfts für Mode aus nachhaltiger Produktion
Die Nachhaltigkeit von Mode und Textilien ist in den letzten Jahren zu einem wichtigen Thema geworden. Im Hinblick auf den textilen Einzelhandel ist es besonders wichtig, zukunftsfähige Lösungen zu finden, um die Umweltbelastung zu reduzieren und die Lieferketten ethisch und ökologisch zu gestalten. Die aktuellen Ereignisse rund um den Krieg in der Ukraine haben zudem gezeigt, dass die Stabilität der Lieferketten in der Modebranche gefährdet sein kann. Umso wichtiger ist es, auf nachhaltige Materialien und Produktionsweisen zu setzen.
Im Anbau und der Weiterverarbeitung von Biobaumwolle werden beispielsweise im Gegensatz zur konventionellen Baumwolle keine schädlichen Insektizide und Pestizide eingesetzt. Auch der Wasserverbrauch ist erheblich geringer. In der Färbung der Garne und Stoffe werden nur umweltverträgliche Farbstoffe eingesetzt.
Neue Fasern und Materialien, wie beispielsweise Bambus, Tencel oder recycelte Materialien, bieten eine umweltfreundliche Alternative zu Materialien wie konventioneller Baumwolle oder Polyester.
Diese neueren Materialien sind oft ressourcenschonender und können unter Einhaltung ethischer Standards produziert werden. Bambus beispielsweise benötigt im Anbau wesentlich weniger Wasser als Baumwolle und kann ohne Pestizide und Herbizide angebaut werden. Tencel wird aus Holzfasern hergestellt und ist biologisch abbaubar. Recycelte Materialien, wie beispielsweise aus PET-Flaschen oder aus aus dem Meer gefischten Plastikmüll, können zu Garn verarbeitet werden und tragen zur Reduktion von Abfall bei.
Um diese neuen Fasern und Produktionsweisen in der Wirtschaft durchzusetzen, müssen jedoch noch einige Herausforderungen bewältigt werden. Während die Produktion von konventionellen Materialien und Kleidungsstücken oft auf Massenproduktion ausgelegt ist, müssen nachhaltige Materialien und Produktionsweisen in Zukunft noch auf größere Produktionsmengen ausgerichtet werden.
Hier sind auch wir Einzelhändler*innen gefragt, den Kund*innen die Vorteile von nachhaltiger Mode und Textilien zu vermitteln und zu zeigen, dass diese langfristig betrachtet oft günstiger und nachhaltiger sind, dabei aber im Tragekomfort und modischer Aussage mindestens genauso attraktiv wie die konventionell hergestellten.
Ein wichtiger Faktor ist die Transparenz in den Lieferketten. Kund*innen wollen wissen, woher die Kleidungsstücke kommen und unter welchen Bedingungen sie hergestellt wurden. Hier sind die Lieferfirmen gefragt, transparente Lieferketten aufzubauen, sie zu kommunizieren und an die Einzelhandelsgeschäfte weiterzugeben.
Die gestörten Lieferketten durch den Krieg in der Ukraine zeigen, wie wichtig es ist, in einer global ausgerichteten Wirtschaft wie der Textilwirtschaft auch alternative Lieferquellen und -wege zu haben. Die Reduktion der Abhängigkeit von bestimmten Regionen und Herstellern kann dazu beitragen, die Stabilität der Lieferketten zu erhöhen. Allerdings, wie im Falle der Baumwolle, Wolle und Seide ist das oft nur bedingt möglich, da manche Rohstoffe nur in bestimmten Regionen zu erhalten sind.
Daher bleibt letztendlich nur übrig, weltweit an einer Stabilisierung zu arbeiten, Frieden zu schaffen und zu sichern, da wie auch in anderen Wirtschaftsbereichen üblich, die Textilbranche global intensiv vernetzt und die einzelnen Produktionsbereiche voneinander abhängig sind.
Nur durch weltweit angestrebten Frieden und international gemeinsame Arbeit an ökologischer und nachhaltiger Warenproduktion ist es möglich, den Produzierenden in den Herstellungsländern langfristig eine auskömmliche Arbeit zu sichern, Artendiversität zu erhalten und uns Konsument*innen hier mit ethisch vertretbaren Produkten zu versorgen.