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„Wo Kinder sind, da ist ein goldenes Zeitalter“
Unterstützung für Menschen in Schwangerschaften – die Novalis-Stiftung von 2001
Interview mit Anna von Oertzen, Barbara Herling, Tobias Langer
Immer wieder kommen Schwangere und ihre Partner in seelische oder wirtschaftliche Notsituationen. In den Räumen der Novalis Stiftung von 2001 können sie Hilfe erhalten. Die Mitarbeiter unterstützen mit Beratungsgesprächen. Hat sich die schwangere Frau für das Kind entschieden, wird sie von einer „Patin“ begleitet. Auch wirtschaftliche Hilfen oder Vermittlung zu anderen Institutionen, Kurse, Publikationen sorgen dafür, dass das ungeborene Kind und die Mutter entlastet werden und dass ein gesellschaftliches Milieu entsteht, in dem Kinder willkommen sind.
Interviewpartner:
Anna von Oertzen, Heilpraktikerin, Biografiebegleiterin, Tagesmutter, Mitarbeiterin seit 2002. Mutter eines Sohnes und Großmutter eines Enkels.
Barbara Herling, Geschäftsführerin seit Herbst 2005; zuständig für Ehrenamtmanagement, Erstkontakt zu Hilfesuchenden, Koordination zwischen Hilfesuchenden und Beratern, Administration im Tagesgeschäft, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie Fundraising. Mutter eines Sohnes.
Tobias Langer, Lehrer, Mitarbeiter im Initiativkreis, unterstützt die Stiftung in inhaltlichen Fragen und im Bereich Forschung. Vater von zwei Kindern.
Weitere Mitarbeiter/Vorstandsmitglieder: Gottfried Stockmar, Dozent, Heilpädagoge. Dr. Dr. Wolf-Ulrich Klünker, Delos Forschungsstelle für Psychologie
Christine Pflug: Worin besteht das Angebot der Novalis Stiftung?
Barbara Herling: Wir helfen, beraten und begleiten Menschen, die durch Schwangerschaft, Geburt oder Erziehung eines Kindes in eine Krisensituation geraten. In dem ehemaligen Ladenlokal im Uni-Viertel befinden sich der Beratungsraum und das Stiftungsbüro. Das hat den Vorteil einer bekannten Umgebung, denn die Hilfesuchenden kommen nicht unmittelbar aus diesem Bezirk, sondern aus verschiedenen Stadtteilen Hamburgs.
Paten für die ungeborenen Kinder
C. P.: Ein sehr wichtiges Element Ihrer Arbeit sind die Paten.
Anna von Oertzen: Das sind Paten für die ungeborenen Kinder. Die Mütter sind oft allein stehend oder die Väter wollen Schwangerschaft und Familie nicht mittragen. Diese Mütter kommen hierher, und wir haben Ehrenamtliche, die sich unterstützend an ihre Seite stellen. Die Paten werden auch geschult. Wichtig ist, dass sie mit sich „im Reinen sind“, beispielsweise sich gut abgrenzen können. Im Augenblick sind wir dabei, eine Paten-Check-Liste auszuarbeiten. Man muss dazu sagen, dass wir immer noch ein wenig in „den Kinderschuhen stecken“; langsam wachsen wir und entwickeln uns immer mehr zu unseren Stiftungszielen hin.
T. Langer: Grundsätzlich gelten diese Patenschaften nur während der Schwangerschaft, bzw. bis eine Notsituation aufgelöst werden konnte. Es ist keine Patenschaft, wie sie in der christlichen Tradition bekannt ist.
C. P.: Wie viele Paten gibt es?
B. Herling: Derzeit haben wir eine verlässliche Gruppe von ca. 10 – 12 Paten. Das wird sich in Kürze auf etwa 15 Ehrenamtliche erweitern. Es ist sehr wichtig, bei diesen ehrenamtlichen Mitarbeitern, die gerne helfen möchten, genau hinzuschauen, ob diese Personen selbst hilfebedürftig sind. Nicht selten kommen zu Einrichtungen mit sozialen Anliegen solche Menschen, die selbst Hilfe benötigen. Einige Male wurde uns deutlich, dass Bewerberinnen solch eine Unterstützung gar nicht leisten konnten, weil sie selbst noch zu sehr in ihrer eigenen Geschichte gefangen waren. Es ist nicht der richtige Ansatz, zu helfen, indem man von der eigenen Geschichte erzählt. Andererseits achten wir sehr darauf, dass die ehrenamtlichen Paten selbst Mütter sind. So können sie aus ihrer Erfahrung als Schwangere und als Mutter die Situation verständnisvoll und hilfreich begleiten.
A. von Oertzen: Die Paten setzen da an, wo früher die Großfamilie funktionierte. Manchmal ist es auch schon so, dass über den Zeitpunkt der Geburt eines Kindes hinaus eine Bindung entsteht und der Kontakt weiterhin bleibt. Aber das ist eine persönliche Entscheidung der Ehrenamtlichen und Hilfesuchenden.
C. P.: Wer ist Ihre Zielgruppe?
B. Herling: Unser hauptsächliches Anliegen ist die Hilfe für Schwangere in Krisensituationen. Deshalb hat die Novalis Stiftung von 2001 das Patenkonzept für Ungeborene ins Leben gerufen. Darüber hinaus stehen wir auch Alleinerziehenden und Familien mit Erziehungs- und/oder Partnerschaftsproblemen zur Seite.
C. P.: Wenn diese schwangeren Frauen kommen, haben sie dann schon entschieden, nicht abzutreiben?
wir sind dann ganz freilassend
A. von Oertzen: Das ist offen. Manche haben definitiv entschieden, das Kind zu bekommen und möchten dann jemand, der ihnen dazu noch Mut und Kraft gibt. Und es gibt auch einige, die noch nicht wissen, wie sie sich entscheiden.
Es ist wichtig zu betonen, dass wir dann ganz freilassend sind. Wir drängen die Frauen nicht dazu, das Kind auszutragen, sondern die Beratung lässt die Hilfesuchende in ihrer Entscheidung frei. Es ist ein Hinhören und ein Unterstützen dahingehend, dass die Schwangere zu ihrer eigenen Antwort findet. Selbstverständlich bietet die Novalis Stiftung von 2001 alle ihr möglichen Hilfen an.
T. Langer: Es gehört ausdrücklich zu unserem Konzept, dass wir Schwangere in Konfliktsituationen beraten, d. h. das sind dann natürlich Frauen, die nicht wissen, ob sie das Kind bekommen wollen.
Es gibt Schwangerschaftsberatung und Schwangerenkonfliktberatung
C. P.: Erfüllen Sie dann in diesem Bereich die gleiche Aufgabe wie ProFamilia?
B. Herling: Da muss man genau unterscheiden: Es gibt Schwangerschaftsberatung und Schwangerenkonfliktberatung. ProFamilia macht das Letztere und dafür gibt es ganz bestimmte gesetzliche Auflagen. Unsere Hilfe beinhaltet mehr als nur die Beratung. Wir vermitteln ehrenamtliche Helferinnen an die werdenden Mütter, die diese dann bis über den Zeitpunkt der Geburt des Kindes hinaus begleiten.
T. Langer: Dazu muss man bei der Behörde einen Antrag stellen. So weit sind wir aber noch nicht. Zurzeit können wir noch keinen Beratungsschein ausstellen.
C. P.: Wenn eine Frau bei Ihnen zur Entscheidung kommt, dass sie abtreiben möchte, muss sie noch einmal zu ProFamilia gehen um sich einen Schein ausstellen zu lassen?
T. Langer: Ja, so ist es. Weil das dann ein doppelter Weg ist, streben wir die Anerkennung an. Grundsätzlich sind wir eine Beratungsstelle für diese „ambivalenten“ Frauen, d. h. die Entscheidung ist noch offen.
Das Patenschaftsmodell bieten wir auf drei Ebenen an
C. P.: Worin bestehen Ihre andere Hilfeleistungen?
T. Langer: Das Patenschaftsmodell bieten wir auf drei Ebenen an. Es kann beispielsweise wirtschaftliche Gründe geben, die es einer Frau oder einer Familie unmöglich machen, in der konkreten Situation Ja zu dem Kind zu sagen. Dann könnte die Stiftung die Patenschaft im Sinne einer finanziellen Unterstützung übernehmen. Dafür besitzt die Stiftung jedoch nur begrenzte Möglichkeiten, wir sind in dem Punkt auch auf weitere Zustiftungen angewiesen.
B. Herling: Wir helfen auch in Form von Sachspenden, da wir Kontakt haben zu Organisationen, die unseren Hilfesuchenden diese Mittel zur Verfügung stellen, z.B. eine Erstlingsausstattung. Außerdem geben wir Schwangeren Unterlagen mit, die ihnen helfen, Gelder zu beantragen, z.B. bei der Bundesstiftung „Mutter und Kind“ Wir bieten auch Hilfe an, die sich nicht direkt auf unsere Mittel bezieht.
T. Langer: Neben dieser ersten Ebene, der wirtschaftlichen Unterstützung, gibt es die zweite Ebene. Jemand fühlt: Ich schaffe es einfach nicht, ich bin mir unsicher, sehe keine Realisierungsmöglichkeiten usw. Vielleicht ist die Frau noch im Studium oder steckt in einer beruflichen Neuorientierung, aus der sie nicht aussteigen kann oder will.
Die Stiftung kann ein Darlehen geben
In diesen Fällen wird in einem Beratungsgespräch nach einer Lösung gesucht. In diesem Beratungsgespräch sollen realisierbare Wege eröffnet werden. Beispielsweise: Wie kann eine Frau das Studium zu Ende führen, wenn sie gleichzeitig das Kind bekommen möchte? In diesem Fall kann die Stiftung ein Darlehen geben. Nach dem abgeschlossenen Studium könnte die Frau in die Berufstätigkeit einsteigen und das Darlehen in Raten zurückzahlen.
Wenn jemand einen Weg sucht im Sinne von „eigentlich geht das gar nicht, aber ich würde das Kind schon gerne bekommen“, dann überlegt man gemeinsam im Beratungsgespräch, unter welchen Bedingungen die Betroffene oder die Betroffenen selbstständig einen „Weg“ beschreiten können. Im Gespräch soll dieser nur eröffnet werden.
Neben der finanziellen Hilfe und dem Beratungsgespräch kann den Betroffenen dann zur seelischen Unterstützung eine Patin zur Seite gestellt werden. Diese hilft mit ihrer Unterstützung, man könnte sagen, „im Alltag“.
C. P.: Frau von Oertzen, worin besteht Ihre Beratungstätigkeit und wie ist der Ablauf?
A. von Oertzen: Die Frauen kommen hier her, und dann wird erst einmal geklärt, was ihr Anliegen ist. Beispielsweise hatten wir eine schwangere Schülerin bei uns, und es ging darum, herauszufinden, was sie wollte. Es ist dann ganz individuell, worum man gemeinsam ringt und was daraus entsteht. Einige Hilfesuchende haben sich aufgrund von Gesprächen entschieden, das Kind zu bekommen und brauchen dann doch keine Patin. Auch das gibt es. Vielleicht hat das Gespräch dann dazu geführt, dass die werdende Mutter dem Partner klar sagen konnte, dass sie das Kind auf die Welt bringen möchte.
Heute ist sie glücklich über den kleinen „Sonnenschein“, wie sie selbst sagt
C. P.: Können Sie einige Beispiele schildern?
A. v. Oertzen: Das ist sehr, sehr schwierig; denn wir wollen ja die Anonymität der Hilfesuchenden wahren. Deshalb kann es hier nur zu einigen Andeutungen kommen. Manchmal kommt eine Frau hierher, die schon allein erziehende Mutter eines Kindes ist und ein zweites erwartet – wieder unter dem Vorzeichen, dass sie auch dieses Kind allein erziehen wird. Dann ist die Entscheidung, ob Geburt oder Schwangerschaftsabbruch, ganz besonders schwierig. In einem konkreten Einzelfall konnte die Mutter – durch unsere Unterstützung und die regelmäßige Begleitung ihrer Lebenssituation durch eine unserer Patinnen – sich schließlich doch für das Kind entscheiden. Heute ist sie glücklich über den kleinen „Sonnenschein“, wie sie selbst sagt.
Ein anderes Beispiel: Eine allein erziehende Mutter eines 6jährigen Sohnes wendet sich an uns, weil sie in folgender Krisensituation lebt. Neben den Aufgaben rund um den Sohn studiert sie Wirtschaftswissenschaften und muss regelmäßig jobben. Durch diese Dreifachbelastung gelingt es ihr nicht, ihr Vordiplom erfolgreich abzulegen und eine Wiederholung des Examens unter den gleichen Bedingungen scheint wenig erfolgversprechend. Die Novalis Stiftung von 2001 gewährt ihr ein zinsloses Darlehen und so ist es ihr möglich, ihr Studium doch noch erfolgreich abzuschließen. Inzwischen hat sie eine ihrer Ausbildung entsprechende Tätigkeit bekommen und kann das Darlehen nun zurückführen.
C. P.: Bieten Sie auch Gespräche an für Frauen, die schon abgetrieben haben?
A. v. Oertzen: Wenn eine Hilfesuchende dies wünscht, sind wir selbstverständlich auch in dieser Krisensituation für sie da.
Abschiedsrituale
C. P.: Was würden Sie da beispielsweise tun?
A. v. Oertzen: Da haben wir kein allgemeines Beratungskonzept. Gerade in dieser sehr sensiblen Krisensituation muss ganz genau geschaut werden, welche Art der Beratung die richtige ist. Ich würde es nicht ausschließen, auch mit einem Abschiedsritual zu arbeiten, wenn dies eine Erleichterung bringen kann. Im Rahmen unserer Netzwerkkontakte sind wir gerade dabei, uns auch in diesem Bereich mit Fachleuten auszutauschen.
C. P.: Können Sie Fälle nennen, wo Sie Familien geholfen haben?
A. v. Oertzen: Es hatte sich z.B. eine junge, verheiratete Frau an uns gewandt, die in ihrer neuen Aufgabe als Mutter sehr unsicher war. Weil die Familie auch erst vor kurzem nach Hamburg gezogen ist, gab es für sie noch keine sozialen Kontakte. Es war uns möglich, ihr für eine gewisse Zeit eine ehrenamtliche Helferin an die Seite zu stellen, so dass sie eine Entlastung erfahren konnte. Es muss an dieser Stelle aber gesagt werden, dass nicht alle Familien mit Kindern zu uns kommen können, weil sie einen Paten haben möchten. Wir können keine Babysitter-Agentur oder Oma-Hilfsdienste ersetzen, wohl aber Interims-Dienste leisten, für eine kurze Zeit oder Kontakte zu anderen Stiftungen herstellen, die sich diesem Aufgabenfeld widmen.
C. P.: Wie kam es zu dem Impuls? Stand die Forschung am Anfang?
T. Langer: Es hatte sich ein Kreis von Menschen gefunden, die sich mit dem Thema „Schwangerschaft, Geburt und Abtreibung“ auseinandergesetzt haben. Dieses Thema ist in unserer Gesellschaft auf bestimmte Weise geregelt worden, besonders durch den § 218. Der Paragraph regelt auf der juristischen Ebene, wann und unter welchen Umständen ein Abbruch nicht strafbar ist. Neben dieser Ebene gibt es aber noch weitere Fragen: Wird man gewissen Phänomenen in der Gesellschaft gerecht? Was ist z. B. mit sozial-seelischen Zusammenhängen in der Familie? Werden die Betroffenen nicht auf dieser Ebene alleine gelassen? Die traditionelle, verlässliche Partnerschaft mit zwei Kindern gibt es zwar auch noch, aber immer weniger. Gesellschaftlich begnügt man sich jedoch damit, das Problem auf einer juristischen Ebene abzuhandeln.
Aus diesen Fragen heraus hat sich ein Kreis für eine Stiftung gebildet, zu der damals wesentlich Gottfried Stockmar, Jutta Melzer und Dr. Dr. Wolf-Ulrich Klünker gehörten. Die Stiftungsgründung war dann im Jahre 2001. Nach zwei bis drei Jahren waren wir inhaltlich so weit, neben die juristische Regelung etwas Ergänzendes zu stellen, z. B. haben wir das besagte Patenmodell entwickelt. Die Mutter – nicht das Kind – erhält in ihrer Situation der Schwangerschaft Unterstützung. Zuerst steht die Beratung. Und wenn dann die Entscheidung getroffen ist, kommt die Begleitung durch unsere Ehrenamtliche.
Für diesen Forschungsbereich schreiben wir Essays für die Novalis-Stiftung, die man auf unserer Homepage lesen kann, z. B. darüber, was heute die Geburt von Kindern bedingt, was im Gegensatz zu früher die Motivation der Menschen für Schwangerschaft ist; das Grundeinkommen, weil das die wirtschaftliche Notsituation der Familien betrifft usw.
Die praktische Erfahrung selbst setzt dann neue Maßstäbe.
C. P.: Wie weit spielt der anthroposophische Hintergrund für Sie eine Rolle?
Wir sind offen für alle
B. Herling: Wir sind offen für alle, die Hilfe brauchen, ganz gleich welche Hautfarbe, Religion oder Weltanschauung die Hilfesuchenden haben. Dass im Hintergrund Menschen arbeiten, die der Anthroposophie mehr oder weniger nahe stehen, ist dem Hilfesuchenden gar nicht bekannt. Wenn beispielsweise eine Frau aus Mümmelmannsberg kommt, weiß sie gar nicht, dass es Anthroposophie gibt. Sie kommt nicht, weil wir ein bestimmtes Menschenbild haben, sondern weil sie Hilfe braucht.
C. P.: Warum haben Sie sich den Namen „Novalis“ gegeben?
B. Herling: Sinngemäß bedeutet dies „neues Land“. Wir betreten Neuland, da unser Patenprojekt für Ungeborene ein Novum ist. Und neu ist auch das Leben, welches zur Welt kommt. Der Dichter Novalis macht in seinem Werk Aussagen, die für uns ein Motto sind, beispielsweise sagt er: „Wo Kinder sind, da ist ein goldenes Zeitalter.“
Novalis-Stiftung von 2001
Beratungsstelle im Uni-Viertel
Rappstr. 16, 20146 Hamburg
Tel.: 22 69 37 55
www.novalisstiftung.de