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Zeige Deine Wunde
Rüdiger Sünners Film über Joseph Beuys
Interview mit Rüdiger Sünner und Dr. Volker Harlan
„Der Film „Zeige deine Wunde“ nimmt uns mit auf eine Reise zum „verwundeten Heiler“ Beuys, zu Orten und Landschaften seiner Kindheit sowie nach Irland und Schottland, wo er wichtige Impulse durch die keltische Kultur empfing. Vor allem aber zu seinen Hauptwerken, die gerade in unserer auf Effizienz und ökonomische Verwertbarkeit ausgerichteten Zeit erneut zu Objekten der Meditation werden können.“
Am 25. April wird der Film mit einem anschließenden Gespräch im Rudolf Steiner Haus gezeigt.
ZEIGE DEINE WUNDE
Kunst und Spiritualität bei Joseph Beuys
Ein Film von Rüdiger Sünner; mit Rhea Thönges-Stringaris, Sonja Mataré, Johannes Stüttgen, Rainer Rappmann, Wolfgang Zumdick, Volker Harlan, Franz Joseph van der Grinten, Sprecher: Hans-Peter Bögel. DVD bei Absolut Medien, Buch zum Film beim Europa-Verlag Berlin. Trailer auf youtube
Christine Pflug: Was war der Anlass, einen Film über Beuys zu machen? Was interessiert Sie persönlich an Beuys?
Rüdiger Sünner: Die geheimnisvolle Kunst von Joseph Beuys begleitet mich schon seit früher Jugendzeit, als ich mit 16 Jahren das erste Mal dessen Installation „Das Rudel“ in einer Kölner Kunstausstellung sah.
Hier öffnete sich ein neuer Imaginationsraum: Als Heranwachsender spürte ich besonders intensiv die Farben von Einsamkeit, Verwundung, Ausgesetztsein, aber auch von Rettung, Wärme und Geborgenheit. Ganz normale Schlitten, Taschenlampen, Filzdecken, ein alter VW-Bus waren so angeordnet, dass in meinem Kopf ein ganzer Film zu laufen begann.
C. P.: Der Titel Ihres Filmes „Zeige deine Wunde“ betont den Heilungsimpuls von Beuys. Wie verstehen Sie diesen?
Rüdiger Sünner: Beuys erscheint mir als Künstler, der aufgrund eigener körperlicher und seelischer Verletzungen in der Lage war, mit seiner Kunst Heilungsimpulse auszulösen.
Er selbst hat gesagt: „Ich sehe die Aufgabe des Künstlers im Aufzeigen der Traumata der Zeit und der Initiation eines Heilungsprozesses. Das ist bezogen auf das, was die Leute schamanistisch nennen.“
Er leidet unter bestimmten Krankheitserscheinungen unserer Zeit: an einer nur auf das Messbare hin orientierten Wissenschaft, dem sich auf alles ausdehnenden Ökonomismus, der unterentwickelten Förderung von Kreativität, Phantasie und Imagination schon an den Schulen, unter der Ausbeutung und Zerstörung der Natur usw. Dagegen will er als „Heiler“ Wärmeimpulse setzen, nennt daher seine Werke „Wärmezeitmaschinen“. Die Heilung besteht aus der poetischen Entfesselung unserer Imaginationskräfte, aus der Verknüpfung und Versöhnung getrennter Bereiche, aber auch ganz handfest im Pflanzen von 7000 Eichen im Großraum Kassel („Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“).
C. P.: Worin sehen Sie die Spiritualität in dem Werk von Beuys?
R. Sünner: Im Gegensatz zu den damals, 1969, populären Künstlern wie beispielsweise Robert Rauschenberg, Roy Lichtenstein, Claes Oldenburg und Andy Warhol mit ihrer bunten, hedonistisch-ironischen Ästhetik, schien Beuys aus einer anderen Welt zu kommen: aus dunklen Wäldern, verschneiten Steppen, aus einer tiefen Verbundenheit mit Pflanze und Tier, aus spirituellen Traditionen der Mythologie, des Schamanismus, der romantischen Naturphilosophie.
Beuys entnahm diesen Strömungen, zu denen auch Rudolf Steiners Anthroposophie gehört, nicht einfach nur Bildmotive für seine Kunst. Er glaubte – wie sie – ebenso an eine Welt geistiger Kräfte hinter der sichtbaren Oberfläche.
Seit seiner Kindheit war er vertraut mit der Tatsache, dass eine Sonnenblume, eine Biene, eine Eiche oder ein Hirsch nicht einfach nur aus Molekülen zusammengesetzte Organismen sind, sondern wundersame Verkörperungen von Kräften, die man nicht nur rational erfassen kann. Sie rühren uns an, dienen uns als Sinnbilder für Seelisches, was auf eine tiefere Verbindung zwischen unserer inneren und der äußeren Natur hinweist.
Beuys‘ Kunst konfrontiert uns mit Tieren und Pflanzen als unseren „Aussenorganen“, ohne die wir physisch und seelisch nicht leben könnten. So tragen seine Bilder, Aktionen und Rituale in Zeiten zunehmender ökologischer und psychischer Krisen Heilungsimpulse in die Welt:
„Die Bäume sind nicht wichtig, um dieses Leben auf der Erde aufrechtzuerhalten, nein, die Bäume sind wichtig, um die menschliche Seele zu retten. Dieser Spinatökologismus, der interessiert ja nicht … Das einzige, was sich lohnt aufzurichten, ist die menschliche Seele.“
Christine Pflug: Warum benutzt Beuys für seine Kunst Materialien wie Filzlappen, Schrott, altes Metall, Fett usw.?
Rüdiger Sünner: Beuys verneigt sich nicht nur vor Tieren und Pflanzen, sondern auch vor Dingen und Substanzen , die in unserer Wegwerfgesellschaft als „niedrig“, „verbraucht“, „wertlos“, und „abstoßend“ gelten.
Auf seine Arbeit passt der alte Alchemistenspruch: „Schätze die Asche nicht gering, denn sie ist das Diadem deines Herzens.“ Bis heute fühlen sich viele Menschen dadurch provoziert, dass dieser Künstler auch Fett, Filz, Tierschädel, alte Fundstücke aus Kellern und Rumpelkammern, Verblichenes und Verrostetes in sein Werk mit einbezieht.
Indem er diese „verworfenen“ Materialien neu gruppiert, haucht er ihnen wieder ihre verlorene Würde ein und lehrt uns damit, auch unser „Niedrigstes“ und „Verbrauchtes“ zu akzeptieren. Ein konkreter Recycling-Akt, der zu einer therapeutischen Erfahrung werden kann.
Der Film nimmt uns mit auf eine Reise, zu seinen Hauptwerken, die gerade in unserer auf Effizienz und ökonomische Verwertbarkeit ausgerichteten Zeit erneut zu Objekten der Meditation werden können.
Interview mit Dr. Volker Harlan
Dr. Volker Harlan ist im Film „Zeige Deine Wunde“ Interviewpartner.
Er ist Pfarrer in der Christengemeinschaft i.R. und freier Mitarbeiter am Institut für Evolutionsbiologie und Morphologie der Universität Witten/Herdecke. Dozent für Gestaltbiologie der Pflanzen, Gegenwarts-Kunst und für die Alchemie von Substanzprozessen. Befreundet mit Beuys seit 1972. Schrieb u.a. Soziale Plastik, Materialien zu Joseph Beuys (mit Peter Schata and Rainer Rappmann), Achberg 1976, Was ist Kunst – Werkstattgespräch mit Beuys, Stuttgart 1986/72011, Das Bild der Pflanze in Wissenschaft und Kunst – bei Aristoteles und Goethe, der wissenschaftlichen Botanik des 19. und 20. Jahrhunderts und bei Paul Klee und Joseph Beuys, Stuttgart, Berlin 2002.
Lebt in Bochum
Christine Pflug: Viele Menschen stehen vor den Kunstwerken Beuys und finden (zunächst) keinen Zugang dazu. Was muss man wissen, erkennen, vielleicht auch bei sich selbst schulen, um Beuys zu verstehen?
Dr. Volker Harlan: An Josef Beuys scheiden sich immer wieder die Geister. Wer seinem Werk und der in ihm mitgegebenen Information begegnen will, braucht Unvoreingenommenheit. Einerseits können die von ihm verwendeten Materialien irritieren, andererseits kann die Botschaft im Werk auf Übersinnliches weisen oder auf ein Gesellschaftsmodell, von dem man nur noch nichts gehört hatte. Auf einen Brief hin, den er empfangen hatte, schreibt er: „Ihre Worte haben mich tief berührt, weil Sie mir damit den Namen Rudolf Steiners zuriefen, über den ich seit meiner Kindheit immer wieder nachdenken muss, weil, wie ich weiß, gerade von ihm ein Auftrag an mich erging auf meine Weise den Menschen die Entfremdung und das Misstrauen gegenüber dem Übersinnlichen nach und nach wegzuräumen. Im politischen Denken, dem Acker den ich täglich zu bearbeiten habe, gilt es die Dreigliederung so schnell wie möglich Wirklichkeit werden zu lassen. Diese Idee muß aus den Menschen herausgeholt werden da sie in jedem einzelnen in verschiedenem Grade vorgebildet ist.
Behutsamkeit, Indirektheit, Unmerklichkeit, auch oft »Antitechniken« sind meine Möglichkeiten.
Sie muß erstehen als die freie Leistung des Menschen selbst. Die große Leistung Steiners ist es gewesen, garnichts »erfunden« zu haben sondern (nur!) aus der unendlich gesteigerten Wahrnehmung heraus vorgetragen zu haben, was des Menschen höhere Sehnsucht ist wenn er es auch noch nicht weiß. Behutsamkeit, Indirektheit, Unmerklichkeit, auch oft »Antitechniken« sind meine Möglichkeiten. [Hervorhebungen von Beuys selbst]. Zum Verständnis seines plastischen Werkes, muss man seine Plastische Theorie kennen lernen, die beschreibt, wie eine gestaltungsoffene Idee in einem Gestaltungsprozess langsam zur Form gerinnt. „Chaos – Bewegung – Form“ schreibt er zum Beispiel in seinem Diagramm zur Plastischen Theorie, dass auf vielen Wandtafeln und Interviewskizzen zu finden ist.
C. P.: Beuys hat im 20. Jahrhundert wie kaum ein anderer Künstler Impulse vermittelt. Warum? Welche waren das (hauptsächlich)?
Die Qualität der Substanz, mit der er arbeitete, wurde wichtig
Dr. Volker Harlan: In der klassischen Malerei war unabhängig von der jeweiligen Stilepoche das Sujet, der Bildinhalt, wichtig. Im Impressionismus und stärker noch im Expressionismus wurde die Farbe als solche bedeutend, in der abstrakten Malerei außerdem die Form. Bei Joseph Beuys wurde die Qualität der Substanz, mit der er arbeitete, wichtig, zum Beispiel Fett, Wachs und Filz oder Kupfer und Eisen. Diese und andere Materialien tauchen heute überall im plastischen Arbeiten auf. Auch die Art, wie er mit Wasserfarben umging, ja, dass man nicht mehr von Aquarell, sondern von Wasserfarbenbildern spricht, geht auf ihn zurück. Dass er mystische und Natursymbole verwendete, blieb nicht ohne Wirkung.
C. P.: Er war (in gewisser Hinsicht?) Anthroposoph und (in gewisser Hinsicht?) Christ. Wie war sein Umgang mit / seine Sicht auf die Anthroposophie, auf das Christentum?
Dieser Kunstbegriff ist keine Theorie, er ist eine Figuration des Denkens, aber natürlich keine, die irgendwo an der Wand hängt.
Dr. Volker Harlan: Der anfangs zitierte Brief spricht darüber eine deutliche Sprache. In einem Gespräch fragt ihn Smerling: Du bist eigentlich ein Anthroposoph? Beuys: Ja, wahrscheinlich bin ich einer. Aber eigentlich mag ich nur die [anthroposophische] Gesellschaft nicht immer. Ich werde auch oft angefeindet durch diese Gesellschaft, man ist ja nicht deshalb gleich ein Anthroposoph, weil man in dieser Gesellschaft konsequent und logisch denkt. Andererseits: Unter diesen Voraussetzungen muß man ja eigentlich Anthroposoph sein. Jetzt könnte ich also ein neues Gesetz aufstellen: Nicht „jeder Mensch ist ein Künstler“, „ jeder Mensch ist Anthroposoph“.
Über das Christentum in seiner historischen Entwicklung und sein Verhältnis zum Christentum hat er sehr oft gesprochen, am deutlichsten und entschiedensten in dem unter dem Titel „Christus denken“ von Mennekes herausgegebenen Interview. Da ist es weniger die Person Jesus, auf die er hinweist, sondern das Christus-Prinzip, das ihm wichtig ist. Er nennt ihn das „Bewegungs-Prinzip“ und das „Evolution-Prinzip“ und sagt: „Das ist das Evolutionsprinzip schlechthin. Dieses Evolutionsprinzip kann nun aus dem Menschen quellen, es kann aus dem Menschen hervorbrechen, denn die alte Evolution ist bis heute abgeschlossen. Das ist der Grund der Krise. Alles was an Neuem auf der Erde sich vollzieht, muss sich durch den Menschen vollziehen. Es wird sich aber nicht vollziehen können, wenn die Quelle verstopft ist …. Also ich verlange ein bessere Form des Denkens, des Fühlens und des Willens. Sie sind die wirklichen ästhetischen Kriterien. Aber sie sind nicht nur bei den äußeren Formen zu beurteilen, sie sind schon im Inneren des Menschen selbst zu beurteilen und werden da anschaubar. Dann wissen wir auf einmal auch, dass wir geistige Wesen sind, und dass wir das, was in uns im Geiste anschaubar ist und bildhaft wird und seine innere höhere Mathematik hat, dass das uns die Fähigkeit bringt, auch die Christuskraft wahrzunehmen. Denn das ist ja die evolutionäre Kraft, das ist ja das Evolutionsprinzip, was heute aus dem Menschen herauskommt.“ Und wenn Mennekes ihn fragt: In welchem Werk sehen Sie Ihren wichtigsten Beitrag zum Christusbild? antwortet Beuys: Der erweiterte Kunstbegriff. Ganz einfach. – Als Theorie? – Dieser Kunstbegriff ist keine Theorie, er ist eine Figuration des Denkens, aber natürlich keine, die irgendwo an der Wand hängt.
Ästhetische Kunst, die keinen Sozialprozessen dient, ist überholt.
C. P.: Wie sollte nach Ihrer Meinung sein Werk weiter in die Zukunft wirken … falls es das nicht bereits tut?
Dr. Volker Harlan: Die Beantwortung ergibt sich aus der vorangegangenen Antwort: die Erweiterung des Kunstbegriffs über die ästhetische Schönheit der sinnlichen Welt hinaus in den Bereich dessen, was zwischen Menschen, Gesellschaftern, den Geschöpfen der Natur und den „Mitarbeitern/Kooperateuren“ in der übersinnlichen Welt als seelische „Wärmeplastik“ entwickelt werden muss. Ästhetische Kunst, die keinen Sozialprozessen dient, ist überholt. Das Ziel ist die „Soziale Plastik“, in der das Geistesleben vom Rechtsleben (von staatlicher Bevormundung) befreit werden muss, Verabredungen zwischen Menschen, Menschengruppen und Gesellschaften nicht dem Egoismus und dem Wirtschaftsleben unterworfen werden und ein Wirtschaftsleben, das wirksam für Brüderlichkeit sorgt.