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Zinssystem, Geldschöpfung und Weltfinanzkrise
Interview mit Bernd Senf, Referent für Volkswirtschaftslehre
Im Rahmen der „Hamburger Utopiewochen“ wird Bernd Senf am 11. Januar einen Vortrag zu diesem Thema halten. In diesem Interview, das er uns zur Verfügung stellt, zeigt er auf, wie die grundlegend problematische Struktur und Dynamik des bestehenden Geldsystems, das 2009 zur Bankenkrise führte, immer noch nicht gelöst sind. Die Verknüpfung von Geld und Zins treibt fünf Krisentendenzen hervor, die sich immer weiter zuspitzen müssen: Die Krise der Wirtschaft, der Umwelt, der Gesellschaft, des Staates und der Dritten Welt.
Bernd Senf, geboren 1944, lehrte von 1973 bis März 2009 als Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule für Wirtschaft (FHW) Berlin. Seit April 2009 ist er nur noch frei schaffend tätig – mit Vorträgen, Seminaren, Workshops, Veröffentlichungen und der Begleitung zukunftsweisender Projekte. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit liegt in der allgemeinverständlichen Vermittlung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Zusammenhänge. Sein besonderes Interesse gilt einem tieferen Verständnis lebendiger Prozesse und ihrem Verhältnis zur herrschenden Wissenschaft, Ökonomie, Technologie und Moral.
Seine disziplinübergreifenden Veranstaltungen finden immer wieder ein breites öffentliches Interesse. Zwischen dem Fließen des Geldes im sozialen Organismus einer Wirtschaft und dem Fließen der Lebensenergie im Organismus eines Menschen sieht Bernd Senf erstaunliche funktionelle Identitäten: Die Blockierung des Fließprozesses macht den betreffenden Organismus krank und destruktiv. Aus dieser Erkenntnis leitet er die Folgerung ab: Die Lösung der Blockierung ist die Lösung – behutsam, nicht gewaltsam.
Christine Pflug: Waren Sie überrascht, als es damals zum Ausbruch der Weltfinanzkrise kam?
Bernd Senf: Nein, ich habe schon lange vorher – wo sich mir die Gelegenheit bot – eindringlich darauf hingewiesen, dass eine Zuspitzung der Krise unvermeidlich sein wird, wenn nicht grundlegende Veränderungen im Geldsystem eingeleitet und durchgesetzt werden.
C.P.: Wie schätzen Sie die bisherigen Diskussionen um die Ursachen der Krise ein?
Bernd Senf: Die Diskussionen haben sich bisher (von wenigen Ausnahmen abgesehen) viel zu sehr an der Oberfläche bewegt – oder besser gesagt: sind dabei stehen geblieben. Ich beobachte bei vielen Wirtschafts- und Finanzexperten, in der Politik und in den meisten Medien ein Ausweichen vor dem Wesentlichen. Die angeblichen Ursachen (zum Beispiel Gier von Bankmanagern, die leichtfertige Kreditvergabe, das Verschleiern von Kreditrisiken durch Rating-Agenturen, die mangelnde Transparenz bei Finanzprodukten) scheinen mir mehr Symptome und Folgen tiefer liegender Ursachen zu sein, die bisher wie hinter einer Nebelwand verborgen geblieben sind. Es gibt einen dichten Nebel um die grundlegend problematische Struktur und Dynamik des bestehenden Geldsystems, und diesen „Nebel um das Geld“ gilt es zu lichten.
C.P.: Können Sie das näher erläutern?
Bernd Senf: In meinem Buch „Der Nebel um das Geld“ habe ich schon im Titelbild angedeutet, dass die Verknüpfung von Geld und Zins fünf Krisentendenzen hervor treibt, die sich immer weiter zuspitzen müssen: Die Krise der Wirtschaft, der Umwelt, der Gesellschaft, des Staates und der Dritten Welt.
Die Dynamik, die der Zinseszins langfristig – innerhalb von ungefähr einem halben Jahrhundert – in einzelnen Ländern bzw. global hervor treibt, ist in vieler Hinsicht destruktiv.
C.P.: Inwiefern?
Bernd Senf: Der Zinseszins lässt die Geldvermögen exponentiell, das heißt in beschleunigtem Maße anwachsen. Bei 5 % Zinseszins verdoppelt sich ein Geldvermögen jeweils alle (knapp) 15 Jahre, entsprechend der Folge 1 – 2 – 4 – 8 – 16 – 32 – 64 -128 – 256 – 512 – 1024 – …
Je höher der Zins, umso kürzer ist der jeweilige Verdoppelungszeitraum. Wie soll das auf Dauer möglich sein? Das Wachstum der Geldvermögen setzt ja voraus, dass irgendwo anders im Gesamtsystem die Verschuldung spiegelbildlich wächst, denn es sind letztendlich die Schuldner, die mit Zinsen und Tilgung der aufgenommenen Kredite das Wachstum der Geldvermögen auf Seiten der Gläubiger ermöglichen.
Zins ist der Krebs des sozialen Organismus
C.P.: Was folgt daraus für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung?
Bernd Senf: Dass die Verschuldung (des Staates, der privaten Unternehmen und der privaten Haushalte) ebenfalls exponentiell wachsen muss, wodurch der soziale Organismus einer Gesellschaft immer mehr mit Zinslasten belastet wird. Ich sage deswegen: Der Zins ist der Krebs des sozialen Organismus. Diesen wesentlichen Zusammenhang aufzuzeigen ist immer noch tabu: Ich nenne das „Zinstabu“.
immer mehr Schuldner müssen unter der wachsenden Schuldenlast zusammenbrechen
C.P.: Was hat der Zins mit der Weltfinanzkrise zu tun?
Bernd Senf: Das Zinssystem treibt innerhalb der einzelnen Länder und global eine wachsende Verschuldung hervor mit der unvermeidlichen Folge, dass immer mehr Schuldner unter der wachsenden Schuldenlast zusammenbrechen müssen. Denn das Wachstum der realen Produktion von Gütern und Dienstleistungen kann auf Dauer – in einer Welt begrenzter Ressourcen und Absatzmärkte – unmöglich mit dem vom Zins geforderten Wachstum mithalten. Das Entsprechende gilt für die dinglichen Sicherungen der Kredite, die deswegen systembedingt immer unzureichender werden müssen. Unter dem „monetären Stauungsdruck“ der Geldanleger werden die Banken und Investmentfonds geradezu zu immer leichtfertigerer Kreditvergabe gezwungen, wenn sie nicht auf den Geldern sitzen bleiben wollen.
C.P.: Sind die faulen Kredite – wie etwa bei der Hypothekenkrise in den USA – insofern systembedingt?
„Den Letzten beißen die Hunde“
Bernd Senf: Ja, so ist es. Die Hypothekenkrise war nicht etwa die Ursache, sondern sie war selbst nur eine Folge des Zinssystems. Und um die Fäulnis der Kredite zu verbergen, haben sich die Banken und Rating-Agenturen alle möglichen Schwindeleien einfallen lassen und die eigentlich schon zum Himmel stinkenden faulen Forderungen in Pakete mit einer schönen Verpackung geschnürt und etwas Parfüm der Marke AAA darüber gesprüht. Dann haben sie diesen gut getarnten finanziellen Giftmüll als „Finanzinnovation“ in die ganze Welt verkauft, und alle – auch scheinbar seriöse Banken – haben dieses Spiel mitgespielt, bis der ganze Schwindel aufflog. Und nun sollte der Staat einspringen und den Banken die Forderungsausfälle ausgleichen – auf Kosten der Steuerzahler. „Den Letzten beißen die Hunde“, und die Letzten sind in diesem Falle die meisten Staatsbürger, die wohl deswegen „Staatsbürger“ heißen, weil sie letztlich für die Staatsschuld bürgen.
C.P.: Was wären denn nach Ihrer Auffassung notwendige Konsequenzen aus der Weltfinanzkrise?
Bernd Senf: Wenn man schon lange Jahre und Jahrzehnte den Kritikern des bestehenden Geldsystems wenig Beachtung geschenkt und sie weitgehend ignoriert oder gar diffamiert hat, dann sollten man mindestens jetzt die von ihnen eingeforderten grundlegenden Reformen des Geldsystems ernst nehmen und öffentlich diskutieren – anstatt lediglich mit Unsummen von neu geschöpftem Geld lediglich die Symptome zu bekämpfen und dabei schlimme Risiken und Nebenwirkungen (wie Staatsbankrott oder Hyperinflation) zu provozieren.
Die marktradikalen Prediger des Neoliberalismus, die der ganzen Welt erzählt haben, dass deregulierte Märkte (einschließlich der spekulativen Finanzmärkte) im Zuge der Globalisierung zu weltweit wachsendem allgemeinen Wohlstand führen würden, sollten ein für alle Mal ausgedient haben. Diese Ideologie und ihre globale Umsetzung ist gescheitert. Umso absurder ist es, wenn nun manche ihrer Vertreter als Sachverständige zur Rettung herangezogen werden. Das ist gerade so, als würde man die Brandstifter zu Feuerwehrmännern und Feuerschutzbeauftragten machen.
C.P.: Welche Reformen des Geldsystems würden Sie als notwendig einfordern?
Bernd Senf: Das kann ich hier nur thesenartig in den Raum stellen. In meinen Veröffentlichungen und in meinen Internet-Videos zur Weltfinanzkrise habe ich die Zusammenhänge jeweils ausführlich abgeleitet und begründet:
– Überwindung des Zinssystems durch umlaufgesicherte Indexwährung – Geldschöpfung nur in öffentliche Hand
– Zinsfreies Geld für den Staatshaushalt
– Unterbindung der Giralgeldschöpfung der Geschäftsbanken aus dem Nichts
– Staatliche Förderung alternativer Geldsysteme (Regionalwährungen u.a.)
– Schließen von Steuerflucht-Oasen
– Börsen- und Devisenumsatzsteuer zur Dämpfung von Spekulation
die seit langem praktizierte Geldschöpfung der Zentralbanken und Geschäftsbanken aus dem Nichts
C.P.: Welche Bedeutung hat die Geldschöpfung im Zusammenhang der Finanzkrise?
Bernd Senf: Die seit langem praktizierte (aber kaum thematisierte) Geldschöpfung der Zentralbanken und Geschäftsbanken aus dem Nichts und das Einfließen dieses Geldes (bzw. Giralgeldes) in den Wirtschaftskreislauf auf dem Weg über Schuld und Kredit („Schuldgeld“) ist eine weitere wesentliche Ursache für die Zuspitzung der Krise, für das Jahrzehnte lange Füttern von Spekulationsblasen und für das Hinauszögern von längst fälligen Entwertungen spekulativ überhöhter Kurse an den Börsen (allem voran durch die amerikanische Notenbank Fed – eine von einem privaten Bankenkartell gegründete Zentralbank). Wir kennen alle den Spruch: „Geld regiert die Welt“. Aber kaum jemand hat bisher gefragt: „Und wer regiert das Geld – und wie und mit welchen Konsequenzen?“ Auch diese viel zu lange verdrängten Fragen gehören mehr und mehr in die öffentliche Diskussion.
Im Übrigen steht ein Geldsystem, bei dem die Sichtguthaben auf den Girokonten nur zu einem Bruchteil durch Zentralbankgeld gedeckt sind, auf einem gefährlich schwankenden Boden. Es ist, also würde man einen Wolkenkratzer auf Sand oder Schlamm bauen. Ein plötzlich verstärkter Abzug von Bargeld von den Girokonten zwingt die Banken, ihre Kreditvergabe um ein Vielfaches davon zurück zu fahren – und damit die Kreditversorgung der Wirtschaft abzuwürgen. In einem „Vollgeld-System“ mit 100%iger Deckung des Giralgeldes könnte eine solche dramatische Situation in Folge eines Sturms auf die Banken gar nicht eintreten. Reformvorschläge in diese Richtung liegen schon lange vor. Sie sollten endlich zur Kenntnis genommen und umgesetzt werden. Wann, wenn nicht jetzt? Was braucht es noch für Krisen, um aus ihnen zu lernen?
Bücher von Bernd Senf:
Der Nebel um das Geld
Die blinden Flecken der Ökonomie
Der Tanz um den Gewinn
www.berndsenf.de (Schwerpunkte: „Wirtschaft & Gesellschaft“ sowie
„Die Problematik des Zinssystems“)