„Die Nebenübungen als Kraftquelle im individuellen und sozialen Leben“
Zusammenfassung eines Vortrages von Frau Dr. med. Michaela Glöckler
Wir sind als Menschen unvollkommene Wesen. Die Natur hat uns nicht festgelegt, wie wir zu sein haben. Krone der Schöpfung bedeutet also, dass die Natur, die Schöpfung, im wahrsten Sinne des Wortes in jedem von uns zu einem Ende gekommen ist. Wenn Freiheit als neue Qualität in dieser Schöpfung entstehen soll, als etwas, das nur durch den Menschen und seine Art der Entwicklung möglich werden kann – dann muss es im Menschen einen Bereich geben, über den nur er allein verfügen kann. Diesen seelischen Freiraum bewusst zu machen und zu üben, ihn gut zu gebrauchen – das scheint Hintergrund und Sinn der Nebenübungen zu sein. Indem wir diese Übungen machen, erleben wir unmittelbar, in welchem Maße unsere gesamte geistig-seelische Entwicklung von unserem freien Willen abhängt. Der Mensch ist der Ort der Verwandlung, wo bisherige Schöpfung an ihr Ende kommt und eine neue Schöpfung beginnt.
Michaela Glöckler hielt diesen Vortrag und ein Seminar am 20. und 21. September im Rudolf Steiner Haus. Er ist Hintergrund und Vorbereitung auf das Thema: „Die Nebenübungen als Kraftquelle im individuellen und sozialen Leben“
Dr. med. Michaela Glöckler, Kinderärztin; bis 1987 am Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke und schulärztliche Tätigkeit an der Rudolf Steiner Schule Witten; 1988 bis 2016 Leitung der Medizinischen Sektion am Goetheanum/Schweiz; Mitbegründerin der Alliance for Childhood und der Europäischen Allianz von Initiativen angewandter Anthroposophie/ELIANT; internationale Vortrags- und Seminartätigkeit; diverse Publikationen zu Fragen der Medizin, Pädagogik, Erziehung, u.a. Mitautorin der bekannten Erziehungsratgeber «Kindersprechstunde» und «Elternsprechstunde“
Ein freies, selbstbestimmtes Wesen kann nur ich aus mir selbst machen, die Natur kann es nicht, die Gesellschaft kann es nicht – ich darf und ich muss es selber machen. Wenn ich es aber nicht mache – welche Identität habe ich dann? Wir haben die drei Worte für unsere Identität: Ich, wahres Selbst und Höheres Selbst. Das wahre Selbst ist das, was ich mir als Ideal in innerster Wahrhaftigkeit und Gewissensfreiheit selber vornehme „zu werden“. Meist sind es Zeiten der Krise, in denen wir merken: „Wenn ich mich jetzt nicht wirklich ergreife, mir selber sage, was und wer ich werden will, dann herrschen andere über mich oder ich werde krank oder rutsche völlig ab.“ Wenn wir in diesen dunklen Stunden bestehen wollen, sind wir gefordert, diesen Schritt der Selbstbestimmung zu wagen – wenn nichts mehr trägt, lernen wir, uns in uns selbst zu halten und unserem Werde-Ideal, das uns trägt, zu vertrauen. Weiterlesen „Das eigene Menschsein entwickeln Teil II“
„Die Nebenübungen als Kraftquelle im individuellen und sozialen Leben“
Zusammenfassung eines Vortrages von Frau Dr. med. Michaela Glöckler
Wir sind als Menschen unvollkommene Wesen. Die Natur hat uns, im Gegensatz zur sonstigen Schöpfung, nicht festgelegt, wie wir zu sein haben. Wir sind als Menschen fähig zu liebevollsten Handlungen und zu massivster Zerstörung. Wohin wollen und können wir uns entwickeln, welchen Sinn wollen wir unserem Dasein geben? Was ist meine Identität, mein „Leitbild“, wie ich als Mensch auf Erden sein möchte? Wir müssen mit unseren Bewusstseinskräften ersetzen, was der Körper instinktiv nicht leistet. Dieses Phänomen ist der Hintergrund für die Notwendigkeit, an sich zu arbeiten.
Michaela Glöckler hielt diesen Vortrag und ein Seminar am 20. und 21. September im Rudolf Steiner Haus. Er ist Hintergrund und Vorbereitung auf das Thema: „Die Nebenübungen als Kraftquelle im individuellen und sozialen Leben“
Dr. med. Michaela Glöckler, Kinderärztin; bis 1987 am Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke und schulärztliche Tätigkeit an der Rudolf Steiner Schule Witten; 1988 bis 2016 Leitung der Medizinischen Sektion am Goetheanum/Schweiz; Mitbegründerin der Alliance for Childhood und der Europäischen Allianz von Initiativen angewandter Anthroposophie/ELIANT; internationale Vortrags- und Seminartätigkeit; diverse Publikationen zu Fragen der Medizin, Pädagogik, Erziehung, u.a. Mitautorin der bekannten Erziehungsratgeber «Kindersprechstunde» und «Elternsprechstunde“
Ich freue mich, dass wir zu diesem schönen und hilfreichen Thema zusammengekommen sind.
Warum ist dieses Thema so wichtig? Weil wir Menschen sehr interessante Wesen sind. Was macht die Sonderstellung des Menschen aus? In biblischer Tradition heißt der Mensch sogar „Krone der Schöpfung“. Und dann sehen wir, wie wir unsere Erde zerstören, Mord und Totschlag anrichten und immer wieder herumrätseln, was eigentlich der Mensch ist. Schaut man in die Natur, stellt man fest: Die Schöpfung gelingt mühelos.
Zusammenfassung eines Vortrages von Silke Stremlau, Vorsitzende des Sustainable-Finance-Beirates der Bundesregierung
Wie leben in einer Umbruchssituation: die ökologischen Belastungsgrenzen unseres Planeten sind zum Teil überschritten oder stehen in einigen Bereichen kurz davor. Wir brauchen eine Transformation, um das zu bewältigen. Wie aber finanzieren wir diese?
Silke Stremlau hielt im Rahmen der Mitgliederversammlung der Gemeinnützige Treuhandstelle Hamburg e.V. am 18. Juni 2024 dazu einen Vortrag.
Fotografie: Jana Mai
Silke Stremlau ist Vorsitzende des Sustainable-Finance-Beirates der Bundesregierung. Aktuell hat sie ein Senior Fellowship der Stiftung Mercator. Von 2018 bis 2013 war sie Vorständin der Hannoverschen Pensionskassen (siehe Interview mit ihr im Hinweis März 2022). Die studierte Sozialwissenschaftlerin war zuvor Generalbevollmächtigte der Bank im Bistum Essen eG. Von 2000 bis 2015 war sie für die ESG-Ratingagentur imug tätig und hat dort den Bereich Nachhaltiges Investment aufgebaut.
Wir stehen vor massiven Umwälzungen in den Bereichen: Verkehr, Energie, Landwirtschaft, Konsum, Vermögensverteilung, Migration usw. Wir haben in Paris die Ziele festgelegt: eine dekarbonisierte Wirtschaft, wir wollen unsere CO2-Emission jährlich um 6 % reduzieren.
Aber wir sind global gesehen weit hinter diesen gesteckten Zielen.
Interview mit Dr. Jens Heisterkamp, Redakteur, Verleger, Buchautor
Der Gedanke des Karmas stammt ursprünglich aus östlichen Religionen. Inzwischen ist er aber bei uns populär bis in die Alltagssprache hinein, in Kinofilmen tauchen Reinkarnationsmotive auf etc. Auch wird er mitunter fälschlicherweise zu irrationalen Ideen, Spekulationen über letzte Leben usw. benutzt. Was aber ist Karma, so wie Rudolf Steiner es beschrieben hat? In jedem Fall ist es ein komplexes Thema, bei dem viele Aspekte und Dimensionen miteinbezogen werden müssen und wo wir noch am Anfang des Verstehens sind.
Beiträge von Wolfgang Müller und Christopher von Bar
Die anthroposophische Heilpädagogik feiert in diesem Jahr ihr 100-jähriges Bestehen. 1924 hielt Rudolf Steiner vor jungen Menschen den Heilpädagogischen Kurs. Diese jungen Menschen gründeten kurze Zeit später die ersten heilpädagogischen Einrichtungen. Seit dieser Zeit hat sich eine weltweite Bewegung mit über 650 Einrichtungen in 50 Ländern entwickelt! (Heilpädagogik für Kinder und Sozialtherapie für erwachsene Menschen mit Behinderung) „Auch wenn vieles heute sicher anders gesagt werden würde … legt der der heilpädagogische Kurs Grundlagen für die therapeutische und pädagogische Arbeit“ (C. von Bar)
Wie steht die Anthroposophie zu Menschen mit Behinderung?
Beitrag von Wolfgang Müller aus seinem Buch „Nachgefragt: Anthroposophie“ (siehe Hinweis Mai 2024)
Foto: Jens Heisterkamp
Das tiefe Interesse am jeweiligen Individuum, das die Anthroposophie charakterisiert, zeigt sich auch und gerade dort, wo es um Menschen mit bestimmten Einschränkungen oder Behinderungen geht. So forderte Steiner auch – damals ganz ungewöhnlich – einen Namen zu finden, der diese Menschen „nicht gleich abstempelt“. Seine Mitarbeiter sprachen daher von Anfang an von „Seelenpflege-bedürftigen“ Kindern bzw. Erwachsenen und lenkten den Blick weg vom Defizit zum Bedarf.
Bezeichnenderweise erkannte Steiner auch viel früher als andere die Gefahren durch die Eugenik, also durch Programme zu einer genetischen Verbesserung der Menschheit, die damals weithin als progressiv galten. Aus Sicht dieser Eugeniker waren Behinderungen nichts als eine Fehlleistung der Natur, die zu eliminieren war. „Begonnen hat ja nach dieser Richtung Verschiedenes“, sagte Steiner mit Blick auf den großen Eugenik-Kongress in London 1912. Er warnte vor den Folgen, wenn aus solchen Theorien soziale Praxis werde: „Und da wird kaum die erste Hälfte dieses Jahrhunderts zu Ende gehen, ohne dass auf diesen Gebieten dasjenige geschieht, was für den Einsichtigen ein Furchtbares ist.“ So Steiner 1917.
Die anthroposophische Medizin und Heilpädagogik versuchte eine humanere Praxis zu verwirklichen. Eines der bekanntesten Beispiele ist der Kinderarzt und Anthroposoph Karl König. Wegen seiner jüdischen Herkunft musste er nach dem deutschen Einmarsch 1938 aus Wien fliehen und gründete in Schottland die wegweisende Camphill-Bewegung. Jedes Kind, so König, „ist unser Bruder und Schwester“. „Und wie sehr auch seine Individualität verdeckt sein mag durch viele Schichten des Unvermögens, der Gelähmtheit, von unkontrollierten Gefühlen, wir müssen trotzdem versuchen, durch diese Schichten durchzubrechen, um das Heiligste jedes Menschen zu erreichen…“
Eine filmreife Geschichte ist die des Anthroposophen Hubert Bollig. Er hatte bei Karlsruhe ein Heim für „schwer erziehbare“ Kinder gegründet. Als es mit Kriegsbeginn 1939 geräumt werden musste, konnte er 33 der 40 Kinder bei deren Verwandten unterbringen. Dann begann mit den übrigen sieben eine Odyssee; ohne festen Wohnsitz zog die kleine Gruppe mitten in der Hitlerzeit durch den Schwarzwald und den Bodenseeraum. Als Bollig weitere fünf Kinder in andere Obhut geben konnte, blieben zwei, die durch die T4-Euthanasie-Aktion der Nazis bedroht waren. Für eines davon fand er ein Heim in der sicheren Schweiz. Es blieb der junge Otto Nicolai, mit Down-Syndrom. Für ihn organisierte Bollig ein ärztliches Gutachten, das ihn als unentbehrlichen Helfer für seine gehbehinderte Frau auswies. Bollig musste noch einige Wochen Gestapo-Haft überstehen, kam aber wieder frei. Der bei den Bolligs lebende Junge überlebte die NS-Zeit, er starb 1980.
Heute gibt es, auf viele Länder verteilt, mehr als siebenhundert Einrichtungen der anthroposophischen Heilpädagogik und Sozialtherapie. Sie versuchen ihren Bewohnerinnen und Bewohnern ein menschlich verlässliches, gut strukturiertes, anregungsreiches Zuhause zu bieten, soweit möglich auch mit Einbindung in bestimmte Arbeitsfelder. Und eben getragen von einem Geist, der alle Menschen mit ihren besonderen Eigenschaften in ihrem ureigenen Wesen zu sehen und zu fördern versucht.
Damit gehören diese Einrichtungen zu den kraftvollsten Orten, an denen eine gelebte Humanität erfahrbar wird. Manche Außenstehende, die damit persönlich in Berührung kamen, wurden zu starken Unterstützern des anthroposophischen Impulses, auch mit bedeutenden Stiftungen. Man könnte auch eine Geschichte der Anthroposophie nur unter dem Gesichtspunkt der Dankbarkeit schreiben.
„Menschen mit Assistenzbedarf können den anderen einen Spiegel vorhalten“
Interview mit Christopher v. Bar, Heilpädagoge und Geschäftsführer von Franziskus e.V. in Sülldorf
Foto: privat
Christine Pflug: Was geben diese Menschen mit Assistenzbedarf den anderen, der Gesellschaft?
Christopher von Bar: Zunächst einmal denke ich, dass Menschen mit Assistenzbedarf so individuell sind wie der Rest der Gesellschaft auch. Sie sind sozial und unsozial, fröhlich und traurig, freundlich und abweisend … Menschen mit Assistenzbedarf sind aber auch immer wieder erfrischend offen und direkt. Während ich selbst bei jeder Begegnung bewusst oder unbewusst überlege, wie ich bei dem anderen ankomme, sagt der Mensch mit Assistenzbedarf oft genau dass, was er im Augenblick fühlt! Diese Direktheit kann dem Gegenüber im ersten Augenblick irritieren, kann dann aber, da von Herzen kommend, als ehrliche Rückmeldung erlebt werden. Aber auch auf einer anderen Ebenen können Menschen mit Assistenzbedarf der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten: in einer Gesellschaft in der alles immer schneller, besser, optimierter laufen muss, bilden sie ein Gegengewicht: schaut her, es kann auch ganz anders gehen!
Die Frage für mich ist eigentlich, wie wir Menschen mit Assistenzbedarf sehen und welchen Raum wir ihnen in unserer Gesellschaft geben und einräumen wollen. Aktion Mensch hat Inklusion wie folgt beschrieben: „Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch ganz natürlich dazu gehört. Oder anders: Inklusion ist, wenn alle mitmachen dürfen. Egal wie du aussiehst, welche Sprache du sprichst oder ob du eine Behinderung hast. Zum Beispiel: Kinder mit und ohne Behinderung lernen zusammen in der Schule. Wenn jeder Mensch überall dabei sein kann, am Arbeitsplatz, beim Wohnen oder in der Freizeit: Das ist Inklusion.“
Wenn wir das nicht nur in unseren therapeutischen Gemeinschaften erreichen würden, sondern in kleinen Schritten auch in unserem Umfeld, dann würden wir der beobachtbaren Entsolidarisierung in der Gesellschaft etwas Positives entgegensetzen.
C. P.: Wie hat sich die soziale Arbeit im Laufe der Jahrzehnte entwickelt? Was braucht es für die Zukunft?
Christopher von Bar: Ich arbeite nun seit 46 Jahren in der Heilpädagogik und Sozialtherapie. In dieser Zeit hat sich das Bild des Menschen mit Behinderung immer wieder gewandelt und weiterentwickelt. Die anthroposophische Arbeit mit Menschen mit Handicap war bis in die 1980 Jahr fortschrittlich und innovativ. In ganz Deutschland und weltweit haben sich Dorfgemeinschaften gegründet, in denen Menschen mit und ohne Handicap zusammenlebten. Dann habe ich aber die Wahrnehmung, dass in vielen anthroposophischen Einrichtungen und Gemeinschaften eine Weiterentwicklung stagnierte oder ausgeblieben ist. Eine Fokussierung auf die Selbstwirksamkeit und Individualisierung wurde in vielen Einrichtungen als Widerspruch zur Gemeinschaftsbildung empfunden, und von daher hat man eher versucht sie zu verhindern als zu fördern. Andere Träger wie z. B. die Lebenshilfe betonten die Individualisierung intensiv, weil der Gemeinschaftsgedanke nicht in ihrem Fokus stand. In den letzten Jahren, auch noch einmal impulsiert durch die UN-Behindertenrechts-Konvention, gab es aber deutliche und gute Entwicklungsschritte. Insbesondere unser Bundesverband Anthropoi hat Menschen mit Assistenzbedarf eine immer stärkere Stimme gegeben. So sind die Menschen mit Assistenzbedarf in fast allen Gremien des Verbandes als Selbstvertreter:innen mit dabei.
Es bleibt aber weiterhin eine lebendige Gratwanderung, auf der einen Seite die Menschen mit Assistenzbedarf in ihrer Selbstwirksamkeit zu stärken, auf der anderen Seite die Gemeinschaft zu pflegen und weiterzuentwickeln.
Das Jahr 2024 ist für alle anthroposophischen heilpädagogischen und sozialtherapeutischen Gemeinschaften ein besonderes Festjahr und gibt die Möglichkeit zu einer Retrospektive! Denn vom 25. Juni bis 7. Juli 1924 hat Rudolf Steiner vor einer kleinen Gruppe von Menschen 12 Fachvorträge in Dornach/Schweiz gehalten. Dabei standen menschenkundliche und medizinische Fragestellungen im Vordergrund. Die Vorträge bilden die Grundlage, aus der sich eine weltweite Bewegung mit 650 Einrichtungen in 50 Ländern entwickelt hat!
Auch wenn vieles heute sicher anders gesagt werden würde, der heilpädagogische Kurs vermittelt keine Rezepte, sondern legt Grundlagen für die therapeutische und pädagogische Arbeit. Wie vielfältig diese Impulse aufgegriffen wurden, sehen wir an der Vielzahl der unterschiedlichen Einrichtungen und Gemeinschaften in der ganzen Welt, ob in Pakistan, Südafrika, Neuseeland oder Amerika, überall gibt es Frühfördereinrichtungen, Schulen, Berufsschulen, verschiedenste Wohnprojekte und Gemeinschaften für ältere Menschen mit Assistenzbedarf. Der damalige Impuls von Steiner ist immer noch lebendig und führt zu neuen Formen in der Begleitung von Menschen mit Assistenzbedarf.
Interview mit Tabea Hattenhauer, Pfarrerin der Christengemeinschaft
Wir leben in einer bedrohlichen Zeit. Klimawandel, Kriege, es wird in allen Ländern aufgerüstet, es stehen Wahlen an, die keine gedeihlichen Folgen versprechen; besonders bei Jugendlichen zeigt sich, dass sie die Pandemie nicht verkraftet haben, die KI könnte uns überrollen, die Ressourcen gehen dem Ende zu – um nur einige Beispiels zu nennen. Das kann zu Ängsten führen, man kann das wiederum alles verdrängen oder ignorieren. Wie geht man damit um und stellt sich dazu? Welche Hinweise kann die Religion, das Christentum, dazu geben?
Interviewpartnerin: Tabea Hattenhauer, geb. Gössling, ist in Berlin in einer großen Musikerfamilie aufgewachsen. Sie besuchte dort die Waldorfschule und studierte zunächst Architektur. Später folgten eine Ausbildung am Waldorflehrerseminar und ein Studium am Priesterseminar der Christengemeinschaft in Hamburg. Seit 2010 ist Tabea Hattenhauer als Religionslehrerin tätig, 2017 wurde sie Pfarrerin der Christengemeinschaft. Ihre erste Berufserfahrung sammelte sie in Blankenese, seit 2018 arbeitet sie in der Markus-Gemeinde in Hamburg-Harburg. Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.
Christine Pflug: Wie erleben Sie in Ihren Begegnungen und Gesprächen, wie Menschen mit der derzeitigen Lage umgehen?
Tabea Hattenhauer: Ja, die Weltlage ist auf vielen Ebenen eine bedrohliche geworden. Wir sprechen von einer Polykrise und meinen damit, dass es nicht nur eine einzelne Krise gibt, sondern dass sich momentan viele Bedrohungen und Probleme überlagern. Es ist schon schwer genug vorherzusagen, wie sich ein einzelnes Problem in der Zukunft entwickeln wird. Wenn aber mehrere Krisen sich durchdringen und gegenseitig beeinflussen, macht es das Ganze natürlich unendlich kompliziert und verwirrend.
Die gegenwärtigen gesellschaftlichen Krisen bringen gewohnte Sicherheiten des Lebens zum Wanken und erschüttern Vertrauen: Können wir uns angesichts der Klimakrise auf unseren Lebensraum verlassen? Können wir bei den vielen Konflikte im Zwischenmenschlichen, im Gesellschaftlichen und den kriegerischen Auseinandersetzungen auf menschliche Beziehungen bauen? Sind die zahllosen Informationen, die wir täglich erhalten, vertrauenswürdig? Zu den Krisen der Gegenwart gehört auch die Vertrauenskrise.
Dr. Matthias Girke ist Mitbegründer des Gemeinschaftskrankenhauses Havelhöhe, Klinik für Anthroposophische Medizin, und war dort über 21 Jahre Leitender Arzt der Allgemeinen Inneren Medizin. 2016 übernahm er die Leitung der Medizinischen Sektion am Goetheanum in der Schweiz und seit 2017 ist er Vorstandsmitglied der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft.
Vertrauen kann abnehmen, sogar zerstört werden. Umso mehr entsteht dann die Frage: Woher kommen neue Kräfte des Vertrauens und wie lassen sich ihre Quellen erschließen?
Zusammenfassung eines Vortrages von Bastian Barucker
In unserer Gesellschaft gibt es Gruppierungen, die konträre Ansichten vertreten, und die sich damit gegenseitig bekämpfen und diffamieren. Spätestens seit der Corona-Krise wurde das sichtbar. Diese Polarisierung setzt sich inzwischen mit anderen Themen fort, Klima, Antisemitismus, derzeitige Kriege usw. Was steht hinter dieser Polarisierung? Wie entstehen sie? Wie können wir sie überwinden?
Der Vortrag zu obigem mit anschließendem Gespräch fand statt am 1. Februar im Rudolf Steiner Haus und wurde von ca. 130 TeilnehmerInnen besucht. Es war eine Gastveranstaltung der Initiative „Mut zu Zwischentönen“; die u. a. das Thema Corona-Krise aufzuarbeiten versucht, denn „was nicht angeschaut wird, ist in Gefahr sich zu wiederholen“.
Bastian Barucker ist Wildnispädagoge, Prozessbegleiter in Gefühls- und Körperarbeit, hat Lehraufträge an Hochschulen, ist Vorstandsmitglied eines Naturkindergartens. Er hat viele Male bis zu einem Jahr mit Gruppen im Wald gelebt. Er hat Bücher geschrieben zu Themen „Wie lebt man als Gruppe zusammen? Was prägt das Verhalten des Menschen?“
Spaltung ist ein großes Thema, und wir können uns dem nur annähern. Ich stelle im Folgenden dar: Was ist meine Perspektive auf Spaltung? Wie entsteht sie? Was ist individuelle und was ist gesellschaftliche Abgespaltenheit? Was kann getan werden? Wie sieht eine Kommunikation aus, die Brücken baut?
Anthroposophische Meditation ist innerlich aktiv und konzentriert. Es geht darum, über das bloße Gedanken- und Vorstellungsbewusstsein hinauszukommen und dass die Inhalte innerlich lebendig, bildhaft und erlebbar werden. Wer regelmäßig meditiert, wird eine spürbare innere Bereicherung erfahren.
Interviewpartner: Dr. Christoph Hueck studierte Biologie und Chemie, promovierte im Fach Genetik, forschte in Deutschland und den USA. Tätigkeiten als Waldorflehrer, Dozent für Waldorfpädagogik und anthroposophische Meditation, Redakteur der Zeitschrift „Die Drei“ und Mitbegründer der Akanthos-Akademie für anthroposophische Forschung und Entwicklung in Stuttgart.
Christine Pflug: Es gibt viele Arten zu meditieren. Was ist Mediation? Was speziell ist anthroposophische Mediation?
Interview mit Annette Horster-Schepermann, Traumatherapeutin
Das Wort „Trauma“ wird seit einiger Zeit häufig verwendet. Flucht und Kriege sind häufig Ursachen von Traumatisierungen, aber auch andere Ereignisse führen zu seelischen Verletzungen. Wann aber kann man von einem Trauma sprechen und was sind Traumafolgestörungen? Die heutige Traumatherapie kann diese Verletzungen heilen oder zumindest deutlich lindern. Und: „Wir dürfen uns heute bewusst machen: Wir geben nicht nur unverarbeitete Traumatisierungen, sondern auch deren Überwindung und unsere dabei errungene Ich-Stärke und Resilienz transgenerational an unsere Kinder und zukünftige Generationen weiter!“
Interviewpartnerin: Annette Horster-Schepermann, Studium der Psychologie in den USA und Hamburg. Seither tätig als Psychologin im Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst in Eppendorf und in der waldorforientierten Psychotherapeutischen Praxisgemeinschaft Bergstedt. Weiterbildungen in Anthroposophischer Psychotherapie, Familientherapie und Kinder-, Jugendlichen- und Erwachsenen-Traumatherapie, waldorforientierte analytische Kunsttherapeutin, Sterbebegleiterin. Mitbegründerin und fachliche Leitung des Isis-Institutes Hamburg und des Pegasos-Netzwerkes für spirituell erweiterte integrative Traumatherapie. Seit 2022 fachliche Leitung der beiden Weiterbildungsgänge in waldorforientierter Traumapädagogik und Traumatherapie des Isis-Institutes Hamburg (www.isis-institut-hamburg.de), Mitautorin des Lehrbuches für waldorforientierte Trauma- und Notfallpädagogik „Kinder stärken – Zukunft gestalten“, Dozentin zur Pentagramm-Traumaarbeit im Studiengang Notfall- und Traumakunsttherapie an der Alanus-Hochschule in Alfter.
Christine Pflug: Die Begriffe Trauma und Traumatisierung werden in der letzten Zeit häufig benutzt, manchmal habe ich den Eindruck, auch unangemessen und inflationär. Was genau ist ein Trauma?Weiterlesen „Traumata“
Interview mit Ulrich Meier, Pfarrer der Christengemeinschaft und in der Leitung des Priesterseminars
Humor und Religion – zwei Dinge, die nicht zusammenpassen? Sind in der Religion nur der Ernst und das Tragische zu finden? Humor und Spaß sind wichtige Bestandteile des Lebens. An welcher Stelle haben sie auch im Religiösen ihren Platz?
Interviewpartner: Ulrich Meier, Pfarrer der Christengemeinschaft seit 1990. Davor Ausbildung zum staatlich anerkannten Erzieher und zwei Jahre Tätigkeit im Landschulheim Schloss Hamborn. 16 Jahre Gemeindepfarrer in Hannover, seit 2006 in Hamburg Mitarbeit in der Leitung des Priesterseminars und Gemeindepfarrer in Hamburg-Mitte. Redakteur der Zeitschrift „Die Christengemeinschaft“.
Christine Pflug: Die Frage nach dem Humor und der Freude in der Religion hat sich mir regelrecht aufgedrängt, als wir vor etlichen Jahren in die Bretagne fuhren und unterwegs in kleinen Orten die Kirchen anschauten. Es war in einem anderen Land und dadurch quasi der distanzierte Blick von außen. Überall auf Bildern und Skulpturen sah ich Gräber und Tod, Menschen mit Schmerzen, weinende Frauen, Trauer, Leid, alles voller Tristesse und Verzweiflung.
Interview mit Sarah van Hamme, Oberstufenlehrerin und Dozentin
Die Jugendlichen und die Kinder sind diejenigen, die am meisten in der Corona-Zeit gelitten haben. Sogar unser Gesundheitsminister hat sich bei ihnen entschuldigt, dass die Maßnahmen zu drastisch waren. Aber auch andere Themen betreffen besonders diese „woken“, reflektierten, politisch aktiven jungen Menschen. Die „letzte Generation“ macht mit ihren Aktionen auf die Klimakrise aufmerksam. Konventionelle Geschlechtszugehörigkeiten werden infrage gestellt und aufgelöst. Und seit letztem Winter gibt es ChatGPT, das bisherige Unterrichtsmethoden obsolet macht. Herausforderungen auf vielen Ebenen, für die Jungen und auch für die „Alten“!
Interviewpartnerin Sarah van Hamme: Studium der Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte, nebenbei arbeitete sie Jahre beim Fernsehen. „Dann wollte ich eigentlich promovieren. Als ich aber im Doktoranden-Kolloquium saß, hatte ich plötzlich die Eingebung, dass ich mit Jugendlichen arbeiten möchte und Lehrerin werden will.“ So begann sie 2012 die Vollzeitausbildung am Waldorfseminar in Hamburg; absolvierte das SPJ in der Steiner Schule Bergstedt, unterrichtete anschließend 8 Jahre in Altona in der Oberstufe Deutsch, Geschichte, Philosophie, auch Sozialkunde, Kunstgeschichte. Seit 2022 ist sie freie Lehrerin mit Gastepochen an verschiedenen Rudolf Steiner Schulen und Dozentin im Waldorfseminar und an der Berufsschule für Erzieher. Neben dem Unterrichten ist sie Künstlerin.
Christine Pflug: Die Kinder und die Jugendlichen haben am meisten unter den Corona-Maßnahmen gelitten. Wie geht es ihnen?
„Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ Dieser weisheitsvolle Ausspruch von Albert Einstein stand für mich im Hintergrund, als ich die folgenden Autorinnen und Autoren bat, einen kleinen Beitrag zu schreiben.
Wir leben in einer Zeit vielfacher Krisen: Umwelt- und Klimaschäden, die Pandemie und ihre Folgen, es gibt Krieg in Europa, Flüchtlinge … alles das ist nur vordergründig sichtbar, es lässt sich ahnen, was im Hintergrund schwelt. „Wie kommt das Neue in die Welt?“ – diese Frage drängt sich auf. Es reicht nicht, Flickschusterei oder Aktionen zu veranstalten, „alten Wein in neuen Schläuche“ zu gießen, wie Christoph Bernhardt schreibt.
Wie aber finden wir einen Zugang zu diesem radikal Neuen?
Die Autorinnen und Autoren der folgenden Beiträge zeigen auf vielen Ebenen, wie das möglich ist. Dankenswerterweise reicht die Palette von der philosophischen, religiösen, künstlerischen Sicht bis zur ganz praktischen Ebene. Das alles braucht es. Und wie gut, dass Menschen einerseits den Ansatz für das Neue gedanklich fassen und in Sprache bringen können und andererseits Neues in der alltäglichen Arbeit mit viel Engagement und Idealismus praktizieren.
Zusammenfassung eines Vortrages von Dr. med. Wolfgang Rißmann, Psychiater
Ist die moderne Psychologie eine Naturwissenschaft, deren Ziel die Voraussage und Kontrolle des Verhaltens ist? Oder kommt es auf das Erleben des Menschen an? Welche Rolle spielt der Geist, insofern man diesen überhaupt anerkennt, in seinem Verhältnis zum Leib und zur Seele des Menschen? Es gibt dazu verschiedene Meinungen und Strömungen, die bis heute nicht geklärt sind. Wie hat sich Rudolf Steiner zu diesen Fragen geäußert? Er gibt keine Definitionen, sondern weist auf Wege hin, sich diesen Themen zu nähern.
Wolfgang Rißmann hielt diesen Vortrag am 7. September 2022, veranstaltet vom Zweig am Rudolf Steiner Haus.
Dr. med. Wolfgang Rißmann ist Facharzt für Psychiatrie und war leitender Arzt und Qualitätsmanager an der Friedrich-Husemann-Klinik in Buchenbach bei Freiburg i.Br. Er ist in der Ausbildung von Medizinstudenten, Ärzten, Pflegenden und Therapeuten tätig. Vielfältige Vortrags- und Seminartätigkeit zu den Themen der allgemeinen Anthroposophie und Prävention psychischer Krankheiten. Besonderer Arbeitsschwerpunkt ist die Entwicklung von anthroposophischen Arzneimitteln bei psychischen Krankheiten. Seit Februar 2014 Privatpraxis für Psychiatrie in Hamburg-Volksdorf.
Den ersten Teil dieses Vortrages finden Sie im Hinweis-Heft März, in der Print-Ausgabe oder online unter www.hinweis-hamburg.de
Durch das Christentum erhielt die Frage nach der Seele eine ganz neue Wendung. Es galt, die Seele von ihren Unvollkommenheiten zu reinigen und in ihren Fähigkeiten weiterzuentwickeln im Hinblick auf den geistigen Auftrag der Menschheit. Bei dem achten ökumenischen Konzil von Konstantinopel 869 unterschied man nicht mehr zwischen Seele und Geist, sondern anerkannte nur noch die Seele. Man sprach von der Seele, die dem Leib gegenüberstehe. Damit begann der Leib-Seele-Dualismus.
Teil I. Zusammenfassung eines Vortrages von Dr. med. Wolfgang Rißmann, Psychiater
„Die Psychologie findet heute allenthalben Interesse, sie gilt als etwas, woran wir alle Anteil haben … denn wir alle sind der Stoff, von dem die Psychologie handelt.“ So die Aussage von zwei Psychologie-Professoren. Was aber ist die Seele? Die alten griechischen Philosophen sprachen von ihr, aber in der Wissenschaft der Neuzeit wird ausgeschlossen, dass eine Seele existiert.
Wolfgang Rißmann hielt diesen Vortrag am 7. September 2022, veranstaltet vom Zweig am Rudolf Steiner Haus.
Dr. med. Wolfgang Rißmann ist Facharzt für Psychiatrie und war leitender Arzt und Qualitätsmanager an der Friedrich-Husemann-Klinik in Buchenbach bei Freiburg i.Br. Er ist in der Ausbildung von Medizinstudenten, Ärzten, Pflegenden und Therapeuten tätig. Vielfältige Vortrags- und Seminartätigkeit zu den Themen der allgemeinen Anthroposophie und Prävention psychischer Krankheiten. Besonderer Arbeitsschwerpunkt ist die Entwicklung von anthroposophischen Arzneimitteln bei psychischen Krankheiten. Seit Februar 2014 Privatpraxis für Psychiatrie in Hamburg-Volksdorf.
Interview mit Katrin von Kamen und Volker Thon, Mitarbeiter:in der Fachstellen für Gewaltprävention
Gewalt gehört zu unseren alltäglichen Erscheinungen. Leider! Wir wissen von brutaler Gewalt in weltweiten Zusammenhängen, lesen, was immer wieder in Institutionen geschieht und jede:r von uns hat mindestens Gewalt in Form von Übergriffigkeiten erlebt. Ab wann beginnt Gewalt, in welchen Stufen tritt sie auf? Und vor allem: Was braucht es, um sie zu verhindern und andere Möglichkeiten des Umgangs zu finden? Katrin von Kamen und Voker Thon berichten aus ihrer langjährigen Erfahrung in Einrichtungen.
Mit Matthias Bölts, Musiker und Ulrich Meier, Pfarrer
Gerade jetzt am Jahresende erleben wir die Zeit sehr verschieden. In unserer Zivilisation verläuft die Vorweihnachtszeit meistens hektisch, danach sollte Stille eintreten. Am Jahresende blicken wir auf das vergangene Jahr zurück und denken über die Zukunft nach. Die 12 Heiligen Nächte gelten als ein besonderer, herausgehobener Zeitraum.
Wie können wir mit Zeit schöpferisch umgehen, ihr gegenüber ein aktives Verhältnis gewinnen? Wie gehen wir angemessen mit Vergangenem, Zukünftigem und Gegenwärtigem um? Welche Dimension hat Zeit in der Meditation?
Matthias Bölts und Ulrich Meier hatten in diesem Jahr im Rudolf Steiner Haus zwei Seminare zum Thema „Zeitbewusstsein entwickeln“ gegeben. Ein drittes wird in 2023 folgen.
Interviewpartner: Ulrich Meier, Pfarrer der Christengemeinschaft seit 1990. Davor Ausbildung zum staatlich anerkannten Erzieher und zwei Jahre Tätigkeit im Landschulheim Schloss Hamborn. 16 Jahre Gemeindepfarrer in Hannover, seit 2006 in Hamburg Mitarbeit in der Leitung des Priesterseminars und Gemeindepfarrer in Hamburg-Mitte. Redakteur der Zeitschrift „Die Christengemeinschaft“.
Matthias Bölts: Musiker; Orgel-, Chorleitungs- und Kompositionsstudium in Berlin; Mitarbeit in der Leitung von MenschMusik Hamburg; Dozent für Musikalische Phänomenologie und Musiktheorie; Seminare und Publikationen zu Fragen des inneren Lebens und der anthroposophischen Meditation; Matthias Bölts lebt mit seiner Familie in Hamburg.
Christine Pflug: Gerade jetzt am Jahresende erleben wir unterschiedliche Zeitqualitäten: Die Vorweihnachtszeit ist im Allgemeinen stressig, danach kommt Ruhe. Man kann das mit äußeren Umständen begründen, aber ist das die einzige Ursache? Wie kann man an diesem Jahresabschnitt festmachen, dass wir Zeit so verschieden erleben?
Zusammenfassung eines Vortrages von Dr. Sebastian Lorenz
Der Mensch soll optimiert werden, er soll sein Aussehen, seine physischen, seelischen Möglichkeiten selbst bestimmen, Alterung und Tod verhindern. Und das mit den Mitteln der Technologie. Die Idee von einem Jungbrunnen oder einem Lebenselixier sind uralt und gehen bis auf das Gilgamesch-Epos zurück. Die technologischen Mittel aber werden immer besser, genialer und ermöglichen eine Lebensqualität, von der wir alle profitieren. Eine Weiterentwicklung des Menschen ist auch das Ziel der Anthroposophie. Was aber ist der Unterschied zum Transhumanismus? Wie steht der einzelne Mensch darin, einerseits der technischen Entwicklung nicht ausweichen zu können, sich von dieser aber nicht überrollen zu lassen? Und inwiefern ist der Mensch in all diesem „umkämpft“?
Dr. Lorenz ging diesen Fragen nach am 15. September in der Lukas-Kirche in der Reihe: Umkämpftes Menschenbild. Transhumanismus – Die Optimierung des Menschen?
Dr. med. Sebastian Lorenz, Jg. 1968, ist Arzt, Berater und Autor mit freier Forschungstätigkeit. Er arbeitet seit 1998 psychiatrisch im Kanton St. Gallen/Schweiz und wirkt mit Seminar- und Vortragstätigkeit im deutsch- und englischsprachigen Raum zu spirituellen, christlichen und zeitaktuellen Themen. Studium der Medizin, Philosophie, Theologie, Sprachen, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten von Zürich, Freiburg (Brsg.), Stuttgart (FH) und Harvard. Gegenwärtige Arbeitsschwerpunkte sind das Christuswesen, die Künstliche Intelligenz und die seelische Gesundheit des Menschen.
Zu Beginn des 9. Kapitels des Johannesevangeliums wird erzählt, wie Jesus einen Menschen heilt, der von Geburt an blind war. Man könnte daher mit etwas Übertreibung sagen, dass Christus der „ultimative Transhumanist“ ist. Wenn man dieses Bild der Heilung eines Blinden in sich belebt, kann man begeistert sein und sich freuen an dem Erfolg der Heilung. Diese Begeisterung und die Freude über den Erfolg an einer Heilung leben heute weiter in ganz vielen Menschen, die nichts wissen vom Christus, aber voller Tatendrang sind, solche Wunder zu vollbringen. Und solche Wunder werden heute von tatkräftigen Menschen vollbracht mit den Mitteln der Technologie.
Zusammenfassung eines Vortrages von Helmut Eller, Vortragsredner und ehem. Waldorflehrer
„Wir leben in einer apokalyptischen Zeit“, so wurde der Vortrag von Herrn Eller vorgestellt. „Wie gut, dass wir in einer apokalyptischen Zeit leben. Dann sieht man die Dinge. Und nur, wenn man die Dinge sieht, kann man daran arbeiten. Apokalypse ist jugendhaft, da ist immer viel Sturm und Drang, dann hat man auch die Jugendkräfte, neu anzufangen und etwas zu ändern.“
Diese Sichtweise, die sich auf die Chancen richtet, war die Einleitung zu der Vortragsreihe der Lukas-Kirche Volksdorf: „Umkämpftes Menschenbild“. In dieser Reihe hielt Helmut Eller am 1. September seinen Vortrag, in dem er besonders auf die Dreiheit in dem anthroposophischen Verständnis über das Bild des Menschen einging.
Helmut Eller war 40 Jahre lang Waldorflehrer; während dieser Zeit hatte er parallel 25 Jahre an der Universität einen Lehrauftrag für Waldorfpädagogik. Bis heute gibt er Seminare in unterschiedlichen Zusammenhängen, hält anthroposophische Vorträge und u. a. war er dafür zehnmal in Japan. Er hat verschiedene Bücher geschrieben, u.a. ein Buch über die Entwicklung des Kindes.
Wie kann die Dreiheit, also die Dreigliederung, dazu beitragen, dass man die Welt anders verstehen kann?
Artikel von Prof. Dr. Michael Kirn, Professor emer. für Öffentliches Recht
Prof. Dr. Michael Kirn, geb. in Ravensburg 1939, Jura- und Philosophiestudium in Tübingen und Berlin (1958-64), Professur an der Helmut Schmidt Universität seit 1974; Begegnung mit der Anthroposophie 1972. Seit 30 Jahren Kurs „Philosophie der Freiheit“ im Rudolf Steiner Haus. Vom Autor ist zuletzt erschienen: „Das Ich in den Strukturen des Daseins. Rudolf Steiner, ‚Die Philosophie der Freiheit‘, 1. Teil, systemisch erläutert“, 2016, Berliner Wissenschaftsverlag
Als die PhdF (Philosophie der Freiheit) 1893 in Berlin erschien, war die Zeit der philosophischen Weltanschauungen schon lange abgelaufen. Aber das Erbe war groß. Aristoteles hatte in seinen Werken so etwas wie ein Grundbuch der realen Welt geschaffen, war jedoch an das geistige Wesen des Menschen nicht wirklich herangekommen. Immanuel Kant hatte es als Hauptaufgabe der Philosophie der Neuzeit auf sich genommen, das menschliche Erkenntnisvermögen neu zu vermessen, aber von da aus kein System mehr zustande gebracht. Hierüber setzten sich die Philosophen des Deutschen Idealismus hinweg. Sie machten sich zu „Meisterdenkern“, indem sie die Endlichkeit des Menschen als Faktor des Daseins ausblendeten, um sich so dem freien Flug der Ideen hingeben zu können. Dass dies ein geistiger Rückflug in ein abgelebtes religiöses Modell war, brachte der Dichter Franz Grillparzer in seinem Distichon „Hegel“ treffend zum Ausdruck: „Möglich, dass du uns lehrst, prophetisch das göttliche Denken; / Aber das menschliche, Freund, richtest du wahrlich zu Grund!“
Aber damit ist die ‚Fallhöhe des Geistes‘ noch nicht hinreichend vermessen, und es ist auch für den heutigen Leser notwendig, einen vorläufigen Begriff davon zu haben, aus welcher Tiefe die Freiheitsphilosophie Steiners sich und uns erhebt.
Texte aus der Werkstatt für biografisch-kreatives Schreiben
Wie kann man dem eigenen Leben auf die Spur kommen? Biografisch-kreatives Schreiben ist dafür eine Möglichkeit. Letzten Sommer begannen wir mit unserer Schreibwerkstatt, die dann in verschiedenen Formen bis April dieses Jahres fortdauerte. Die Teilnehmer:innen schrieben Geschichten aus ihrem Leben, es wurden immer wieder neue Aspekte und Aufgaben gegeben. Wir Kursleiterinnen vermittelten „Erzählelemente“, wie man beispielsweise Dialoge einbaut, Szenen ausführt, in bildhaft-sinnliche Beschreibungen eintaucht, aus verschiedenen Perspektiven schreibt und vieles mehr. Jede:r hatte eine begrenzte Zeit für die jeweilige Geschichte, im anschließenden Gespräch vertieften wir die Erfahrungen. Wir begannen mit der Kindheit („Eine Kinderfreundschaft“), wir erinnerten uns an eine wichtige Lehrerpersönlichkeit, an einen „besonderen Ort“, an ein „Wagnis“. Beim erwachsenen Leben haben wir beispielweise geschrieben über Umbrüche, prägende Impulse, eine Reise oder einen Lieblingsort, „Wo habe ich Heimat erlebt?“ „Wann ist mir Welt begegnet?“ Schreibend tauchten Erinnerungen und scheinbar Vergessenes wieder auf. Manches erschien in einem neuen Licht und konnte durch das Schreiben wie „befreit“, neu eingeordnet und mitunter sogar versöhnt werden. In dieser Werkstatt sind manchmal tiefgehende, manchmal humorvolle, erstaunliche oder abenteuerliche kleine literarische Kunstwerke entstanden. Sie sind es wert, veröffentlicht zu werden. Vielleicht, liebe Leser:innen, werden Sie durch diese Lektüre inspiriert, an einem freien Sommertag auch in Ihre biografischen Erinnerungen einzutauchen. Die Blumenbilder des Hamburger Malers Patrick Hanke mögen Sie in dieser (hoffentlich) launigen Sommerzeit ebenfalls anregen und erfreuen. (Leitung der Werkstatt: Christine Pflug und Maria Schulenburg)
Interview mit Eva Bolten, Studentin am Priesterseminar, Frank Hörtreiter, Christian Bartholl, beide Pfarrer der Christengemeinschaft
Was ist die Grundgeste von Religion? Wofür brauchen wir Menschen sie im 21. Jahrhundert? Die Christengemeinschaft hat in den letzten 100 Jahren ein religiöses Leben aufgebaut. Vieles hat sich in dieser Zeit verändert. Beginnend mit der Gründung nach dem ersten Weltkrieg, dann in den Wirrungen der Nazizeit und nach den konservativen Nachkriegsjahren hat sie sich heute zu einer paritätischen Gemeinschaft entwickelt, in der Mitglieder in Zusammenarbeit mit der Priesterschaft das Gemeindeleben gestalten. Die Freiheit des Einzelnen und ein individuell entwickeltes Verhältnis zur göttlichen Welt bilden die Grundlage für die Zusammenarbeit in einer Gemeinschaft. Dabei ist die Ausführung der Sakramente der zentrale und bleibende Kern in allen diesen Verwandlungen.
Interview mit Silke Stremlau, Sozialwissenschaftlerin und Vorständin der Hannoverschen Kassen
Unbeständig, unsicher, komplex und mehrdeutig – so erleben wir immer mehr unsere Welt. Das sind Bedingungen in unserer Gesellschaft, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen, und diese spiegeln sich auch in Unternehmen und Organisationen. Die sogenannte VUCA-Welt beschreibt vier Herausforderungen, die wir in unserer Arbeit und auch im persönlichen Leben zu meistern haben. „Was gibt uns Sinn?“ und „Wie kann ich mich selbst führen?“ sind dabei wichtige Fragen.
Interviewpartnerin: Silke Stremlau (Jg. 1976) ist seit 2018 Vorständin der Hannoverschen Kassen – einer nachhaltigen Pensionskasse. Frau Stremlau verantwortet dort die Bereiche Kapitalanlage, Nachhaltigkeit und Personal. Zuvor war sie als Generalbevollmächtigte bei der BANK IM BISTUM ESSEN eG tätig. Zwischen 2000 und 2015 hat sie als Gesellschafterin bei der imug Beratungsgesellschaft den Bereich „Nachhaltiges Investment“ aufgebaut und geleitet und dort eine umfassende Expertise in Sachen Sustainable Finance entwickelt. Sie studierte an der Universität Oldenburg Sozialwissenschaften mit Schwerpunkt Umweltpolitik und an der Akademie deutscher Genossenschaften (ADG) erlangte sie den Grad Dipl. Bankbetriebswirtin Management. Silke Stremlau war zudem stellv. Vorsitzende des Sustainable Finance Beirates der letzten Bundesregierung und ist stellv. Aufsichtsratsvorsitzende bei der UmweltBank AG in Nürnberg
Christine Pflug: Sie haben eine Schrift verfasst in der Sie darstellen: Das, was in der Gesellschaft lebt, spiegelt sich in Unternehmen wider. Es gibt aus der Soziologie den Begriff VUCA, mit dem die derzeitige Gesellschaft beschrieben wird und der gleichzeitig auf die Unternehmenswelt zutrifft. Was ist VUCA?
Interview mit Luke Barr, Pfarrer der Christengemeinschaft
Wir alle haben in unserem Leben Rituale, auf die eine oder andere Weise. Beispielsweise wie wir morgens in den Tag kommen, familiäre Abläufe und Feiern gestalten, und gerade jetzt, in der dunklen Jahreszeit und auf das Ende des Jahres zu, begehen wir viele Rituale. Sie können einen religiösen Charakter haben, können Gewohnheiten sein, sind Brauchtum und Ausdruck verschiedener Kulturen. Diese festen Handlungsabläufe verleihen unserem Leben Struktur, geben uns ein Gefühl der Sicherheit und binden uns an etwas an, das über uns steht.
Interview mit Ulrike Steurer, Ärztin, Dr. med. Irene Stiltz, Ärztin, Jörgen Day, Pfarrer i.R.
… gib jedem seinen eignen Tod. Das Sterben, das aus jenem Leben geht, darin er Liebe hatte, Sinn und Not.“ ¹Rainer Maria Rilke
Welchen Tod wünschen wir uns? Ist in einer extremen Situation eine Selbsttötung, sei es durch eine Assistenz oder alleine durchgeführt, Ausdruck oder Verletzung der Menschenwürde? Im Februar 2020 hat das Bundesverfassungsgericht die „Beihilfe zur Selbsttötung“ auf geschäftsmäßiger Grundlage für nicht mehr strafbar erklärt. Seitdem wird über den Handlungsbedarf und die Rahmenbedingungen auf gesellschaftlicher und politischer Ebene diskutiert.
Interview mit Ulrich Meier, Pfarrer der Christengemeinschaft
Die Zukunft kommt uns nicht entgegen, sie liegt nicht vor uns, sondern sie strömt von hinten über unser Haupt.
Rahel Varnhagen, Berliner Salondame des ausgehenden 18. Jahrhunderts
Wie kann ich mir als Einzelner und wie können wir uns als Gesellschaft einen positiven Zugang zur Zukunft verschaffen? Diese Frage ist gerade in der jetzigen Zeit drängend. Der Zukunftsforscher Matthias Horx hat mit der Regnose einen Weg gefunden, wie man zum Akteur der eigenen Zukunft werden kann. Dabei ist es wichtig, die Vergangenheit so zu integrieren, dass man an ihr die Ressourcen entdeckt, um einen offenen, freien Blick für die Zukunft zu finden.
Beiträge von Tille Barkhoff, Elmar Lampson, Amadeus Templeton, Joachim Heppner, Roswitha Meyer-Wahl, Ulrich Rölfing
Dass die Kunst, bzw. die KünstlerInnen in den letzten eineinhalb Jahren gelitten haben, ist uns allen bekannt. Auch wenn jetzt wieder ein Aufschwung kommt, ist es unsicher, ob das kulturelle Leben weitergehen wird. Die Umsatzeinbußen durch Corona in der Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland können sich durch die Absage von zahlreichen Veranstaltungen und der Schließung von Kunst- und Kulturstätten in 2020 bis zu 28 Milliarden Euro belaufen. Wie erleben das die KünstlerInnen selbst, deren Arbeit als nicht systemrelevant eingestuft wird? Und was macht das mit uns als Gesellschaft, wenn wir die Kunst nicht mehr haben?
Zum Beispiel aus Nordafrika, Asien und Südosteuropa
Von Micaela Sauber, Erzählkünstlerin und Initiatorin von „Erzähler ohne Grenzen"
Überall auf der Welt, wo Menschen sind, sind auch Märchen, Legenden, Mythen und Sagen entstanden und wurden über Jahrhunderte weiter erzählt. Ich möchte Sie zu einem kleinen Streifzug mit zwei Märchenerzählungen in den Mittelmeerraum und nach Rumänien einladen. Es ist Sommer. Die Sehnsucht zieht mit der Sonne, den Wolken, dem Wind und den Sternen in die Ferne. Zahllos wie Sterne sind die Märchen der Welt. Der Himmel, an dem die Sterne leuchten, ist ihre gemeinsame Heimat und die Sternbilder der Fixsterne, der Charakter der Wandelsterne können vielfach gedeutet werden. Die Richtung und der Grund, von dem aus wir schauen, bestimmen die Sichtweise.
Auch dort, wo die digitalen Medien sich in den Seelen der Menschen längst breit gemacht haben, versammeln sich wieder Menschen, um direkt vom Mund ins Ohr Märchen zu erzählen, und zwar nicht nur für Kinder. In der Anthologie „Im Auge des Sturms – Schlüsselgeschichten von Erzähler ohne Grenzen“ berichten 35 AutorInnen von der Wirksamkeit des mündlichen Erzählens von Märchen.
Wie wird unser Selbstverständnis bestimmt? In der Mai-Ausgabe des Hinweis beschrieb Frau Michaela Glöckler, dass wir eine „alte“ Identität haben, die zum einen durch Erziehung und Einflüsse von außen gebildet wurde, und zum anderen darin besteht, wie wir uns selbst erleben. Beides ist sehr wechselhaft, weil die äußeren Umstände mehr oder weniger förderlich und sind und sich auch immer ändern. Erlebt der Mensch in seiner Biografie eine „zweite Geburt“, dann schafft er sich ein Selbstbewusstsein, das einen unzerstörbaren Mittelpunkt hat.
Die menschliche Biografie entwickelt sich in Gesetzmäßigkeiten. Wie verhält sich nun die biografische Entwicklung zu diesen beiden Formen der Identität?
Vorliegender Text ist eine Zusammenfassung eines online-Vortrages von Michaela Glöckler, gehalten auf einem webinar am 13./14. März, veranstaltet von der BVBA (Berufsvereinigung Biografiearbeit auf Grundlage der Anthroposophie www. biographiearbeit.de), an dem über 100 Teilnehmer*innen zuhörten. Der Titel hieß «Wer bin ich? Was ist mein Weg? Biografiearbeit als Schlüssel zu einem neuen Selbstverständnis».
Dr. med. Michaela Glöckler, Kinderärztin; bis 1987 am Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke und schulärztliche Tätigkeit an der Rudolf Steiner Schule Witten; 1988 bis 2016 Leitung der Medizinischen Sektion am Goetheanum/Schweiz; Mitbegründerin der Alliance for Childhood und der Europäischen Allianz von Initiativen angewandter Anthroposophie/ELIANT; internationale Vortrags- und Seminartätigkeit; diverse Publikationen zu Fragen der Medizin, Pädagogik, Erziehung, u.a. Mitautorin der bekannten Erziehungsratgeber «Kindersprechstunde» und «Elternsprechstunde»; mit der Biografiearbeit auf Grundlage der Anthroposophie seit deren Initiierung in den 1980er-Jahren durch den Psychiater Bernard C. Lievegoed verbunden.
Wie können wir in der Biografie mit ihren Gesetzen in jedem Lebensalter neue Aspekte unserer Identität erüben und erfahren? Wie verhält sich die biografische Entwicklung zu diesen beiden Formen der Identität? Weiterlesen „Wer bin ich? Was ist mein Weg?“
Wir leben drei Leben: unser ganz persönliches Leben, unser soziales Leben und unser Leben als Zeitgenosse*in, durch das wir am Schicksal der ganzen Menschheit Anteil haben. Allen drei Wege provozieren die Frage nach der eigenen Identität: Wer bin ich? Wie werde ich von den Menschen in meinem Umkreis gesehen? Was ist der Mensch – was heißt es für mich, ein Mensch zu sein oder besser: ein Mensch zu werden? Wie kann man ein Selbstverständnis finden, das einen festen Mittelpunkt in sich selber hat, der nicht mehr zu verunsichern ist, der so stabil ist, dass man ihn sogar durch die Todespforte tragen kann? Es gibt in den spirituellen Traditionen und auch im Christentum die wunderbare Lehre von zwei Geburten und von zwei Toden, man kann zweimal geboren werden und zweimal sterben.
Vorliegender Text ist eine Zusammenfassung eines online-Vortrages von Michaela Glöckler, gehalten auf einem webinar am 13./14. März, veranstaltet von der BVBA (Berufsvereinigung Biografiearbeit auf Grundlage der Anthroposophie www. biographiearbeit.de), an dem über 100 Teilnehmer*innen zuhörten. Der Titel hieß «Wer bin ich? Was ist mein Weg? Biografiearbeit als Schlüssel zu einem neuen Selbstverständnis».
Dr. med. Michaela Glöckler, Kinderärztin; bis 1987 am Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke und schulärztliche Tätigkeit an der Rudolf Steiner Schule Witten; 1988 bis 2016 Leitung der Medizinischen Sektion am Goetheanum/Schweiz; Mitbegründerin der Alliance for Childhood und der Europäischen Allianz von Initiativen angewandter Anthroposophie/ELIANT; internationale Vortrags- und Seminartätigkeit; diverse Publikationen zu Fragen der Medizin, Pädagogik, Erziehung, u.a. Mitautorin der bekannten Erziehungsratgeber «Kindersprechstunde» und «Elternsprechstunde»; mit der Biografiearbeit auf Grundlage der Anthroposophie seit deren Initiierung in den 1980er-Jahren durch den Psychiater Bernard C. Lievegoed verbunden.
„Biografiearbeit als ein Schlüssel zu einem neuen Selbstverständnis“. Wenn man diesen Titel des Vortrages bedenkt, kann man das Wort „neu“ irritierend finden: Wieso müssen wir unser Selbstverständnis in ein altes und ein neues gliedern?
Wenn wir unsere menschliche Lebenszeit, die heute ungefähr 80 Jahre dauert, vergleichen mit der Lebenszeit von Tieren und Pflanzen, können wir einen deutlichen Unterschied beobachten. Die Lebenszeit bei Tieren und Pflanzen ist von der Natur wunderbar geregelt, d. h. wer nicht lebensfähig ist, geht in den Kreislauf der Natur zurück. Da gibt es keine Geburtshilfen oder Kliniken, keine erzieherischen und entwicklungsfördernden Maßnahmen; es gibt nur die natürliche Zuwendung der Muttertiere zu den Jungen. Alles ist großartig vom Instinkt her gesteuert. Und wenn keine Katastrophen oder andere Eingriffe passieren, haben die verschiedenen Arten eine für sie typische Lebenszeit. Tieren sterben in der Regel, wenn sie sich nicht mehr ernähren können, oder sie werden gefressen, weil sie in der Nahrungskette für andere Lebenswesen Futter sind.
Unser Immunsystem ist ein Instrument, mit welchem unser Ich die leiblich-seelische Individualität ständig schützt und gegen alles Fremde verteidigt. Man könnte auch sagen: Das Ich erkennt alles Nicht-Ich. Wie funktioniert diese Abwehr? Wie wird sie im Laufe des Lebens gebildet? Was schwächt sie? Und besonders bei der Pandemie stellt sich die Frage: Kann der Mensch in seiner Ichheit so ausreichend präsent und wach sein, um sich dadurch vor dem Corona-Virus zu schützen?
Interviewpartner: Prof. Dr. med. Volker Fintelmann, geboren 1935, studierte Medizin, promovierte 1961 in Hamburg und spezialisierte sich in Gastroenterologie. Im Krankenhaus Rissen war er als Leitender Arzt tätig und für zehn Jahre dessen Ärztlicher Direktor. Sein Anliegen ist die praktische und wissenschaftliche Ausarbeitung einer Anthroposophischen Medizin auf Grundlage der naturwissenschaftlichen Medizin. Er ist Autor zahlreicher Bücher und als Vortragsredner zu medizinischen und menschenkundlichen Themen tätig.
Christine Pflug: Was ist das Immunsystem und welche Aufgabe hat es?
Prof. Dr. Volker Fintelmann: Das Immunsystem ist eine der genialsten Organisationen, die wir leiblich-seelisch haben, weil sie alles vereinigt, was dazu dient, unsere Individualität vor allem zu schützen, was nicht unmittelbar zu ihr gehört. Jeder Mensch hat eine einzigartige Immunität; ein schwedischer Immunologe sagte, er kenne von dem Immunsystem des Menschen keine Kopie. Das Immunsystem ist etwas von dem Individuellsten, was der Mensch in sich trägt. Es stellt sich immer nur die eine große Aufgabe: Ich, dieser Mensch, mein Leib und meine Seele wollen uns gegenüber allem abgrenzen und nur wir ganz selbst sein. Weiterlesen „Sei du selbst! Spirituelle Immunologie und Covid-19“
Der Entschluss zum Meditieren beinhaltet den Entschluss, sich auf einen Weg des inneren Übens zu begeben. Und wenn der Weg, wenn das Üben beginnt, dann beginnt damit auch ein Prozess, in welchem das Vor-Setzen in das Um-Setzen übergeht. Dies ist oft mit dem Zauber und Rückenwind des Anfangs, aber auch mit manchen Widerständen verbunden. Es ist dann nur eine Frage der Zeit, bis die Motivation nachlässt und erste Anzeichen von Ermüdung auftauchen: Wie lange noch? Wann kann ich eine Pause machen? Oder anders gefragt: Woher nehme ich die Kraft, dranzubleiben, nicht aufzugeben und abzulassen von dem Vorgenommenen? Die nachfolgenden Gesichtspunkte sind aus der Überzeugung und der Erfahrung entstanden, dass Ausdauer als Kraft schrittweise ausbildbar ist. Ausdauer hat verschiedene Facetten und entspringt unterschiedlichen Quellorten. Diese Darstellung möge den Leser anregen, seine diesbezüglichen Gedanken zu überprüfen und seine eigene Ausdauerkraft Schritt für Schritt zu steigern.Weiterlesen „„Aus-Dauer“ Kraftquelle für Meditation und inneres Leben“
mit Roswitha Willmann und Annette Willand vom Bernard Lievegoed Institut
„Gewalt“, „Gewaltprävention“ und „Kinderschutz“ sind Themen, die in Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen und Heimen zunehmend bewegt werden. Das Bernard Lievegoed Institut beschäftigt sich seit vielen Jahren innerhalb der Elternberatung und Diagnostik, in Weiterbildungen und Kollegiumsfortbildungen für Pädagogen und Sozialtherapeuten mit dieser Thematik.
Interviewpartnerinnen:
Roswitha Willmann ist Mitglied in der Fachstelle für Gewaltprävention von Anthropoi und Dozentin im Bernard Lievegoed Institut. Sie macht darüber hinaus Entwicklungsdiagnostik und -beratung für Schulkinder, Kindertherapie, Biografie- und Paarberatung, Rhythmische Massage, Mediation und Supervision.
Annette Willand ist Diplompsychologin und Dozentin im Bernard Lievegoed Institut. Außerdem macht sie dort Entwicklungsdiagnostik und -beratung für Babys, Krippen- und Kindergartenkinder, Kindertherapie, Embodiment-Concept sowie Psychologische Diagnostik und Gutachten.
Vor 150 Jahren wurde Ernst Barlach in Wedel geboren. Gerade in Norddeutschland und speziell in Hamburg hat er seine künstlerischen Spuren hinterlassen, z. B. im Barlach-Haus im Jenisch-Park, im Ernst Barlach Museum in Wedel, die Barlach-Stele in der Nähe des Jungfernstiegs. Barlachs Arbeiten setzen sich mit dem Menschen, seinen Lebensbedingungen und seinen Haltungen zum Leben auseinander. Es sind vor allem seine markanten Holzplastiken und Bronzen, seine „Gestalten auf der Bühne des Menschseins“, die einen starken Eindruck erwecken. (Dieser Artikel enthält u. a. Auszüge aus einem Vortrag von Jörg Kirschmann, Pfarrer der Christengemeinschaft in Lübeck, der im August dieses Jahres einen Vortrag über Ernst Barlach in der Michaels-Kirche in Blankenese hielt.)
Was lebt in unserer Zeit? Was steht dahinter? Wozu werden wir herausgefordert?
Beiträge von Ulrich Meier, Maria Schulenburg, Thomas Mayer, Christine Rüter, Birgit Philipp, Matthias Bölts
Wir leben in einer sehr besonderen Zeit. Es ist die weltweite Pandemie, die unser Fühlen, Denken, Handeln, unser ganzes Leben in der Gegenwart stark beeinflusst. Es gab auch ein „Davor“, in dem man nach der Ursache für diese jetzige Lage sucht. In der Politik wird gegenwärtig heftig und kontrovers um einen angemessen Umgang gerungen. Und jeder stellt sich die Frage des „Wohin“: So, wie es davor war? Und wenn nicht: Was könnte das Neue sein? Viele von uns bemühen sich, die Bedeutung und den Hintergrund dieser besonderen Lage herauszufinden; man liest das in Zeitungen, tauscht sich in Gesprächen aus, und in kurzer Zeit sind schon einige Bücher dazu erschienen. So entstand auch die Idee, einige Menschen im Hamburger Umfeld nach ihren Erlebnissen und Gedanken zu fragen. Der Zeitgeist ist die Denk- und Fühlweise eines Zeitalters, die Eigenheit einer bestimmten Epoche. Aber interessanterweise hat nach den Forschungen Rudolf Steiners der „Zeitgeist“ auch noch eine andere Bedeutung: Es ist die Bezeichnung für ein geistiges Wesen, für einen Erzengel, der für eine Epoche die Menschheit prägt und bestimmte Entwicklungen anstößt. In diesem Spannungsfeld haben sich die sechs Autoren bemüht, auf ein „Dahinter“ zu schauen. Es war meine Bitte, sich tastend, fragend, auch fragmentarisch um einen Beitrag zu bemühen. Fertige Lösungen und schnelle Antworten wären verkürzt. So sind sehr unterschiedliche, individuelle, auch kontroverse Sichtweisen dabei zusammengekommen, und Sie können sich als Leser*in auf eine spannende Lektüre freuen. (Christine Pflug) (Die Beiträge sind im September oder Anfang Oktober geschrieben worden, die genannten Zahlen und der Sachstand beziehen sich auf diesen Zeitraum)
Interview mit Frank Hörtreiter, Öffentlichkeitsbeauftragter der Christengemeinschaft
Queer, Transgender, Transsexualität – alles Begriffe, die in den letzten Jahren immer öfter auftauchen und zeigen, dass diese Themen in der Öffentlichkeit angekommen sind und immer mehr diskutiert werden. 2017 kam es durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur Einführung eines dritten Geschlechts. Seit Anfang dieses Jahres muss auf allen behördlichen Formularen neben „männlich“ und „weiblich“ auch der Begriff „divers“ vermerkt werden. Hinter „divers“ verbergen sich vielfältige geschlechtliche Möglichkeiten, die biologischer und auch seelischer Natur sein können.
Bei der deutschen ZEIT-Vermächtnisstudie 2016 gaben von den 3.104 Befragten 3,3% an, „entweder ein anderes Geschlecht zu haben als bei ihrer Geburt zugewiesen oder sich schlicht nicht als weiblich oder männlich zu definieren. Das heißt: Knapp 2,5 Millionen Deutsche […]“. Tania Witte: Andersrum ist auch nicht besser: Willkommen im Mainstream. In: Zeit Online. 15. Juni 2017, abgerufen am 8. November 2019. In der ZEIT vom 20. Mai 2020 war in einem Artikel („Vom Recht, anders zu sein“) zu lesen, dass in „explodierenden Zahlen“ auch immer mehr Jugendliche mit ihrem Geschlecht nicht zurechtkommen. Sie lassen mit ärztlicher Behandlung eine Geschlechtsumwandlung durchführen. In Schweden stieg zwischen 2008 und 2018 die Zahl um 1.500 Prozent, in Deutschland ist der Trend ähnlich. Ein Thema, das auch bei Experten mehr Fragen als Antworten und kontroverse Positionen hervorruft.
Tritt mit dem Thema „Transidentität“ etwas in die Öffentlichkeit, was es immer schon gab, jetzt aber anerkannt wird und den Betreffenden eine neue Stimmigkeit in ihrem Körper und Leben verschafft?
Könnten es Anzeichen einer menschheitlichen Entwicklung sein, dass sich die Unterscheidung in zwei Geschlechter auflöst, wie Rudolf Steiner es für sehr zukünftige Zeiten beschrieben hat? Der Komponist Anton Webern, ein Schüler Schönbergs, sagte im letzten Jahrhundert: „Aus der Zweigeschlechtlichkeit ist ein Übergeschlecht entstanden.“ (Er sieht die Zwölftönigkeit als Fortführung der Dur-Moll-Tonalität, bei der Dur und Moll dem Männlichen und Weiblichen zugeordnet wird.) Beschleunigen sich heute Entwicklungen in einem Tempo, wie man es vor 100 Jahren nicht gedacht hätte?
Nächstes Jahr wird es von anthroposophischer Seite eine Fachtagung zu dem Thema geben „Mädchen, Junge, Divers? Das Geschlecht und seine Variationen“ (siehe am Ende des Interviews).
Wir haben es anscheinend mit einer kulturellen Entwicklung zu tun, die von uns verlangt, dass wir uns damit auseinandersetzen.
Interviewpartner: Frank Hörtreiter, geb. 1944, Studium der klassischen Philosophie und am Priesterseminar der Christengemeinschaft. Seit 1969 verheiratet, seit 1970 Priester, seit über 15 Jahren Öffentlichkeitsbeauftragter der Christengemeinschaft. Tätig als Pfarrer in Hamburg von 1970-1973 und 1996-2006, dazwischen 23 Jahre in Hannover und in Stuttgart und die letzten 14 Jahre wieder in Hannover; seit 5 Jahren emeritiert. Zurzeit schreibt er eine Studie Die Christengemeinschaft im Nationalsozialismus und ein Buch Geschichte der Christengemeinschaft. Seit ungefähr eineinhalb Jahren beschäftigt er sich mit dem Thema Transsexualität, seit ungefähr 25 Jahren mit gleichgeschlechtlicher Liebe.
Christine Pflug: Ich finde es interessant, dass Sie sich mit dem Thema gleichgeschlechtliche Liebe und Transsexualität nicht aus einer persönlichen Betroffenheit heraus beschäftigen (was abgesehen davon genauso gut wäre). Sie leben in einer „klassisch-konservativen“ Situation, sind seit über 50 Jahren mit derselben Ehefrau verheiratet, haben 4 Kinder, 8 Enkelkinder, wussten seit Jugendjahren, dass Sie Pfarrer werden wollen … Was ist Ihr Anliegen?
Wie Engel heute führen oder warum eine Führung „von oben“ nicht mehr klappt!
Interview mit Dr. Hans-Bernd Neumann, Pfarrer
Heute ist das Thema Engel wieder populär, nachdem es im 20. Jahrhundert nur von wenigen Literaten beachtet wurde. Seit einigen Jahrzehnten gibt es viele Bücher, Veröffentlichungen, sogar Kongresse dazu. Welche Wesen sind die Engel? Wie wirken sie? Wie können wir uns an sie wenden? Vielleicht gewinnen solche Fragen in Krisenzeiten wie der jetzigen an Bedeutung.
Der Vortrag von Herrn Dr. Neumann mit dem Titel „Engel – sie sind niemals sentimental. Wie Engel heute führen oder warum eine Führung „von oben“ nicht mehr klappt. Von der Ressourcennutzungs- zur Potentialentfaltungsgemeinschaft“ fand statt am 4. Juni 2020 in der Lukas-Kirche in Volksdorf.
Interviewpartner: Hans-Bernd Neumann, verheiratet, 4 erwachsene Kinder. 1999 wurde er zum Pfarrer geweiht, er arbeitete in Bielefeld, Tübingen und jetzt in Reutlingen. Im ersten Beruf Dr. der Physik, an sechs Universitäten studiert, „eigentlich wollte ich die Universitätskarriere durchziehen“. Als er bei DESY („Deutsches Elektronen-Synchroton“) in Hamburg als Physiker arbeitete, lernte er die Christengemeinschaft kennen. „Ich habe nie mit der Physik gebrochen, ich war dort nie frustriert, aber ich lernte in meiner Hamburger Zeit, dass es noch einen anderen Bereich des Seins zu entdecken gibt. Ich habe die Theologie mehr als eine Erweiterung der Physik erlebt und nicht als eine Begrenzung.“
Christine Pflug: Engel werden von Dichtern und in anderer Literatur mitunter als furchterregend beschrieben, z. B. heißt es bei Rilke: „Jeder Engel ist schrecklich“ oder „… und gingen wie Erzürnte durch das Haus und griffen dich als ob sie dich erschüfen und brächen dich aus deiner Form heraus.“ Wie sind Engel?
Zur Entwicklung und zum Aufbau seelischer Sinnesorgane
Zusammenfassung eines Vortrages von Steffen Hartmann
Das Thema Chakren ist populär. Wir wissen davon aus Medien, esoterischer Literatur, Yogakursen etc. Das Wissen um diese „Lotusblumen“, wie die Chakren auch genannt werden, ist uralt und wurde schon von Buddha gelehrt. Rudolf Steiner knüpfte an diese alten Traditionen an und entwickelte daraus einen Übungsweg, der für uns westliche Menschen zeitgemäß ist. Steffen Hartmann hielt dazu einen Vortrag am 27. November 2019 im Rudolf Steiner Haus
Steffen Hartmann studierte Klavier in Hamburg. 2007 gründete er zusammen mit Matthias Bölts das Institut MenschMusik Hamburg, das neue Wege in der Musikerausbildung beschreitet. Steffen Hartmann schreibt regelmäßig Aufsätze zu Grundfragen der Anthroposophie, zu Meditation und Musik. Zusammen mit Torben Maiwald gründete er die Edition Widar. Seit 2012 ist er im Zweig am Rudolf Steiner Haus Hamburg verantwortlich tätig; damit verbunden ist eine intensive, internationale Vortrags- und Seminartätigkeit.
Wie ging es Ihnen, als Sie in Ihrem Leben zum ersten Mal gehört haben, dass es Chakren gibt oder als Sie selbst erlebt haben: Ich habe Chakren, ich habe geistig-seelische Wahrnehmungsorgane? Vielleicht hat man davon gehört oder hat eigene Erlebnisse, die nicht auf den Sinnen des physischen Leibes beruhen. Wenn man von so einem Thema berührt wird, begleitet es einen viele Jahre und lässt einen nicht mehr los. Mich hat es schon als junger Mensch interessiert: Was sind das für Organe? Wie kann ich die wahrnehmen, und wie kann ich mit diesen Organen anderes wahrnehmen? Aus meiner Sicht ist es ein langer Weg, den man in der Klärung und Bearbeitung dieser Fragen gehen kann.
Was bedeutet eine Epidemie für den kulturellen und geistigen Fortschritt der Menschheit?
Einige Gedanken zu dem Thema von Dr. med. Wolfgang Rißmann, Psychiater
Bereits 1972 erstellten die Mitglieder des Club of Rome eine Studie zur Zukunft der Weltwirtschaft: „Die Grenzen des Wachstums“ (Originaltitel: englisch The Limits to Growth).
Das benutzte Weltmodell diente der Untersuchung von fünf Tendenzen mit globaler Wirkung: Industrialisierung, Bevölkerungswachstum, Unterernährung, Ausbeutung von Rohstoffreserven und Zerstörung von Lebensraum. So wurden Szenarien mit unterschiedlich hoch angesetzten Rohstoffvorräten der Erde berechnet, oder eine unterschiedliche Effizienz von landwirtschaftlicher Produktion, Geburtenkontrolle oder Umweltschutz angesetzt. Bis heute sind von diesem Buch über 30 Millionen Exemplare in 30 Sprachen verkauft worden.1973 wurde der Club of Rome dafür mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.
Trotz dieser warnenden Vorausschau können wir heute 48 Jahre später feststellen, dass diese Warnrufe wenig gehört wurden. Nach wie vor äußern sich führende Wirtschaftsfachleute und Politiker so, dass eine gesunde Wirtschaft wachsen müsse. Wie weit und wohin soll sie eigentlich wachsen?
Interview mit Dr. med. Wolfgang Rißmann, Psychiater
Es gibt immer wieder Menschen, die spontan hellsichtige Wahrnehmungen haben. Geht man einen Weg der geistigen Erkenntnis, so wie ihn Rudolf Steiner beschrieben hat, besteht der aus regelmäßigen Übungen, und eine Hellsichtigkeit kann stufenweise dazu kommen. Dieser Erkenntnisweg geht über die Stufen der normalen Wahrnehmung, dann zur Imagination, Inspiration, Intuition. Wenn wir im Alltag und im sozialen Miteinander sinnvoll und konstruktiv handeln, benutzen wir eigentlich schon, zumindest in Ansätzen, die Fähigkeiten dieser vier Stufen. Interviewpartner: Dr. med. Wolfgang Rißmann ist Facharzt für Psychiatrie und war leitender Arzt und Qualitätsmanager an der Friedrich-Husemann-Klinik in Buchenbach bei Freiburg. Er ist in der Ausbildung von Medizinstudenten, Ärzten und Therapeuten tätig. Vielfältige Vortrags- und Seminartätigkeit zu den Themen der allgemeinen Anthroposophie und Prävention psychischer Krankheiten. Besonderer Arbeitsschwerpunkt ist die Entwicklung von anthroposophischen Arzneimitteln bei psychischen Krankheiten. Seit Februar 2014 Privatpraxis für Psychiatrie in Hamburg-Volksdorf.
Christine Pflug: Es gibt immer wieder Menschen, die hellsichtige Wahrnehmungen haben. Auch gerade in Hamburg gibt es Seminare, Vorträge, Sitzungen, die das zum Inhalt haben, z. B. Channeling, Kontakt zu geistigen Meistern, Lesen der Aura etc. Auch im Internet findet man Anleitungen, wie man so etwas macht. Welche Phänomene sind das?
Interview mit Dr. med. Irene Stiltz und Thomas Klimpel, Anthroposophische Medizin (GAÄD)
„Nicht um eine Opposition gegen die mit den anerkannten wissenschaftlichen Methoden der Gegenwart arbeitende Medizin handelt es sich. … Allein wir fügen zu dem, was man mit den heute anerkannten wissenschaftlichen Methoden über den Menschen wissen kann, noch weitere Erkenntnisse hinzu, die durch andere Methoden gefunden werden und sehen uns daher gezwungen, aus dieser erweiterten Welt- und Menschenerkenntnis auch für eine Erweiterung der ärztlichen Kunst zu arbeiten.“
aus „Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst“ von Rudolf Steiner u. Ita Wegman
Heute wünschen sich die meisten Menschen eine Medizin, die wissenschaftlich und gleichzeitig ganzheitlich arbeitet. Seit 100 Jahren gibt es nun die Anthroposophische Medizin, und sie verbindet Schulmedizin und ergänzende Behandlungsformen. Der Mensch wird immer als Ganzes gesehen, mit Körper, Seele und Geist und daran orientiert sich die Diagnostik und Therapie. Krankheit hat einen Sinn für den betreffenden Menschen, und in der Heilung findet er zu einem neuen Gleichgewicht.
Interviewpartner: Dr. med. Irene Stiltz, niedergelassen seit 1996 als Allgemeinärztin mit Schwerpunkt Anthroposophische Medizin; war über 20 Jahre Schulärztin an der Bergedorfer Rudolf Steiner Schule, einige Zeit auch als Ärztin in der Sozialtherapie tätig. Mitarbeit in einem Team, das schwerkranke Patienten ambulant versorgt (Palliativmedizin). Im Zusammenhang damit entstand eine Mitarbeit in der Medizinischen Sektion in Dornach für Palliativmedizin; es wird dabei erarbeitet, was die Anthroposophische Medizin über die schulmedizinische Versorgung hinaus in der Palliativmedizin beitragen kann.
Thomas Klimpel, anthroposophischer Arzt, seit 2001 gemeinsam mit seiner Frau in einer Kassen-Hausarztpraxis in Hamburg niedergelassen. Facharzt-Ausbildung in der internistisch-anthroposophischen Abteilung im Krankenhaus Rissen. Seit 2000 auch ärztliche Versorgung von Erwachsenen mit Betreuungsbedarf in der sozialtherapeutischen Einrichtung Franziskus e.V.
Neue Nachhaltigkeitsansätze in der Wirtschafts- und Finanzwelt
Interview mit Dirk Grah, Regionalleiter der GLS-Bank Hamburg
Eigentlich ist das Thema Klimawandel schon seit vielen Jahren präsent. 2015 gab es das Klimaabkommen in Paris, Wissenschaftler, einige Politiker wie Al Gore, Umweltverbände kümmerten sich um diese Probleme, aber sie wurden wenig beachtet – bis vor einem Jahr, als sich ein Mädchen mit einem Pappschild in Schweden vor das Parlament setzte. Seitdem ist eine weltweite Dynamik entstanden, die sich jetzt auch in strengeren Reglementierungen für Wirtschaft und Finanzindustrie niederschlägt.
Interviewpartner: Dirk Grah, (Volkswirt und Biologielehrer), Regionalleiter der GLS Bank Hamburg seit 1993. Vorstand im Zukunftsrat Hamburg und Mitarbeit in der Handelskammer Hamburg.
Christine Pflug: Es werden strengere Regeln für ökologische und ethische Investitionen eingeführt. Woran liegt das? Hat Fridays for Future Druck gemacht, ist die Menschheit gar vernünftiger geworden …?
Dirk Grah: Man muss sich dazu die Entwicklung der letzten zwanzig Jahre anschauen. Al Gore z.B. (Albert Arnold „Al“ Gore Jr. * 31. März 1948 in Washington, D.C. ist ein US-amerikanischer Politiker (Demokratische Partei), Unternehmer sowie Umweltschützer. Von 1993 bis 2001 war er unter Präsident Bill Clinton der 45. Vizepräsident der Vereinigten Staaten. 2007 erhielt er den Friedensnobelpreis. Aus: Wikipedia) hat schon sehr früh angefangen, auf die Klimakrise aufmerksam zu machen. Er ist mit großem Wissen und viel Geld durch die Welt gereist, hat Filme gedreht, Unterstützer ausgebildet usw. Theoretisch war das Thema Klimawandel bei Wissenschaftlern, dann bei einigen Politikern wie Al Gore schon viele Jahre präsent, aber es war nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen; Umweltverbände, Aktivisten etc. kümmerten sich darum, aber die standen am Rande. 2015 gab es das Klimaabkommen in Paris, die Weltgesellschaft hatte intellektuell verstanden, dass etwas passieren muss, aber es fehlten die nötigen Konsequenzen. Weiterlesen „Wir müssen die gesellschaftliche Transformation schaffen!“
Interview mit Christian Bartholl, Pfarrer der Christengemeinschaft
In der Zeit zwischen dem alten und dem neuen Jahr liegt es nahe, dass wir zurückblicken. Was ist im letzten Jahr in der Welt geschehen? Gab es erfreuliche Entwicklungen, Vorbildliches, Erschreckendes, Zerstörung? Was habe ich persönlich damit zu tun? Wir alle haben zu verantworten, wie es mit uns und der Erde weitergeht. Welche Vorhaben möchten wir alleine und auch in Gemeinschaft in Zukunft realisieren?
Interviewpartner: Christian Bartholl wurde in Stade geboren, 2006 als Pfarrer geweiht, 5 Jahre war er tätig in München und seit 8 Jahren in Hamburg-Volksdorf. Seit 2 Jahren trägt er Verantwortung für die Christengemeinschaft Norddeutschland. Er war im früheren Beruf Grafik-Designer und arbeitete für Zeitschriften- und Buchverlage.
Christine Pflug: In den Gemeinden der Christengemeinschaft werden am 31. Dezember Sylvesterpredigten gehalten. Was macht so eine Sylvesterpredigt aus?
Christian Bartholl: In der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr neigt man dazu, eine Rückschau zu halten, auch für sich persönlich: Wo stehe ich in meinem Leben und was wird mir das nächste Jahr bringen? Was war substanziell im letzten Jahr? Ich versuche, auf einer gesellschaftlichen Ebene die wichtigen Motive des Jahres zu finden und zum Inhalt der Sylvesterpredigt zu machen. So ein Rückblick könnte auch eine andere Form haben, in manchen Gemeinden trifft man sich und tauscht sich gemeinsam aus.
P.: Auf was blicken Sie in 2019 zurück?
Bartholl: Mir ist als eindrückliches Bild die Waldbrände im Amazonas-Gebiet geblieben, stellvertretend dafür, wie wir heute mit der Erde umgehen. Auch in den Jahren davor war das ein wichtiges Thema, aber es spitzt sich immer mehr zu. Man merkt, wie groß die Zerstörung der Welt und ihrer Ressourcen ist. Man könnte auch sagen: Die Erde brennt! Und die Art und Weise, wie wir heute in unserer Zivilisation leben, ist auch eine übermäßige Verbrennung von Rohstoffen. Wenn man auf den Körper schaut, findet da auch Verbrennung statt: Wie verbrennen Nahrungsmittel, damit wir leben können. Man könnte sagen: Damit überhaupt geistiges Leben und Zivilisation entstehen kann, muss Verbrennung sein, aber es werden so viele Ressourcen aufgebraucht, dass für später nicht mehr viel übrig bleibt. Das Gleichgewicht geht verloren.
C. P.: Nun hängt ja in Brasilien der Amazonas-Brand, der immer noch nicht gelöscht wird, mit der dortigen Regierung zusammen, die allerdings demokratisch vom Volk gewählt wurde. Immer mehr rechtsradikale Regierungen sind in 2019 an die Macht gekommen. Auch das ist ein Symptom.
die Zerstörung der Ressourcen und politisch gesehen die Vereinzelung
C. Bartholl: Diese „Verbrennung“ wird nicht dafür eingesetzt, dass mehr heilender Geist entsteht, zu dem auch die Menschheit beitragen kann, sondern es steht Egoismus dahinter: „Mir soll es gut gehen, und wie es dem anderen geht, ist mir egal“ – das ist die Grundgeste, die man an vielen Stellen der Welt sieht. Insofern hängt das eine Phänomen mit dem anderen zusammen. Auf der einen Seite steht die Zerstörung der Ressourcen, auf der anderen Seite politisch gesehen die Vereinzelung, und wir schaffen es nicht, etwas für die Gemeinschaft entstehen zu lassen. Es ist z. B. traurig, wenn man die Wahlergebnisse im Herbst 2019 im Osten anschaut: Eine Gesellschaft driftet auseinander; viele fühlen sich nicht verstanden, und andere können es nicht richtig hören. Auch das ist ein Grundproblem: Wir können nicht richtig hinhören. Die Frage ist: Wie können wir eine vertiefte Form des Hinhörens üben, einmal im persönlichen Kontakt, aber auch im Größeren?
In der Politik haben wir eine Form der Diskussion: Ein Argument kommt auf das nächste, und der mit den scheinbar besseren Argumenten gewinnt. Häufig ist es so, dass dann ein großer Teil der Bevölkerung sich darin nicht wiederfinden kann. Das führt zu Spaltungen. Statt Diskussion sollte der Dialog geführt werden. Im Dialog geht es darum, den anderen wirklich zu verstehen und gut zuzuhören.
C. P.: Damit wären wir bei den Wünschen für die Zukunft. Welche Ereignisse fanden sie in 2019 noch bemerkenswert?
Menschen stehen ein für ihre Sache und übernehmen Verantwortung!
C. Bartholl: Zusammenhängend mit dem übermäßigen Verbrauch von Ressourcen ist die Fridays-for-Future-Bewegung entstanden. Junge Menschen sind so erschüttert von dem, was sie von Wissenschaftlern an Zukunftsszenarien hören, dass sie sich zusammengetan haben. Die Erde verwandelt sich in einem rapiden Maße so, dass die jungen Menschen nicht mehr sehen, wie sie darin ihr Leben gestalten können.
Ein weiteres Schlaglicht des letzten Jahres ist die Kapitänin der Seawatch, Carola Rakete. Daran finde ich interessant, wie jemand aus einer persönlichen Betroffenheit handelt und das auf eine sehr selbstbewusste Weise. Sie ist sehr jung, hat eine große Verantwortung, tut, was getan werden muss, um Menschenleben zu retten und fragt nicht nach den politischen und juristischen Bedingungen. Das macht mir Mut: Menschen stehen ein für ihre Sache und übernehmen Verantwortung! Und sie sind bereit, die Konsequenzen zu tragen, was in ihrem Fall nicht einfach ist. In anthroposophischen Zusammenhängen würde man das als eine michaelische Qualität bezeichnen: Ich sehe, was passiert, handle aus einem Selbstbewusstsein heraus und stehe dann dafür ein.
Dieses Prinzip vervielfältigte sich dann
C. P.: Ähnliches kann man auch von Greta Thunberg sagen …
C. Bartholl: Ein Ursprung ihres Erfolgs war, dass sie sich ganz einsam vor den schwedischen Reichstag hingestellt hat und auch die Konsequenzen, die vom Fehlen im Unterricht kommen, auf sich genommen hat. „Dies hier ist wichtiger, als die Konsequenzen, die ihr mir androht.“ Dieses Prinzip vervielfältigte sich dann auch bei den anderen Schülern.
C. P.: Ist der Brexit auch ein Phänomen der beschriebenen Vereinzelung?
C. Bartholl: Der Brexit ist der Ausstieg Groß Britanniens aus der europäischen Union. Die europäische Gemeinschaft hat sich gebildet, weil sie gemeinsam für Europa einstehen will, eine gemeinsame Außen- und Wirtschaftspolitik gestalten möchte, die starken Länder sollen die förderungsbedürftigen Regionen unterstützen – es ist ein Gemeinschaftsprojekt. Großbritannien will sich herausziehen, weil es ihnen mehr um den eigenen Vorteil in der Welt geht.
In diesem Sinne sollten wir Gemeinschaften anstreben.
C. P.: Wie sehen Sie als Pfarrer der Christengemeinschaft die Wege, aus diesen schwierigen Situationen heraus zu kommen?
C. Bartholl: Das Heilmittel würde darin liegen, eine neue Verbindung zur geistigen Welt aufzubauen, um von dort die Impulse zu bekommen. Dafür gibt es das Bild des „Salavator Mundi“, Christus als der Heiler der Welt.
Wenn wir wollen, dass die Christus-Impulse in der Welt wirksam werden, dann müssen sich Gemeinschaften bilden, damit ein Gefäß entstehen kann für die Inspirationen aus der geistigen Welt. Diese Gemeinschaften können zum Beispiel Gemeinden sein. Wir kennen das: Wenn mehrere, die sich gut abgestimmt haben, zusammen arbeiten, entsteht mehr, als wenn nur ein Einzelner etwas tut. In diesem Sinne sollten wir Gemeinschaften anstreben.
C. P.: Fridays-for-Future hat das praktiziert …
C. Bartholl: … und zwar sehr erfolgreich, es ist ja eine riesige Gemeinschaft. Eine kleinere Gemeinschaft ist sinnvoll, um wirklich neue Impulse in die Welt zu holen und zu entwickeln; das Hinhören auf das, was entstehen will, gelingt besser. Obwohl weniger Menschen beteiligt sind, können sie gute Ideen finden. Je größer eine Gemeinschaft ist, desto komplexer werden die Gemeinschaftsbeziehungen untereinander. Das Wahrnehmungsorgan großer Gemeinschaften ist dadurch diffuser.
C. P.: Was müssen diese Gemeinschaften haben, damit die beschriebene Spaltung aufhört?
C. Bartholl: Die Menschen in der Gemeinschaft sollten die Fähigkeit haben hinzuhören. Und dieser Freiraum, der dann entsteht, sollte von Sicherheit und Vertrauen geprägt sein. Wenn man so eine Gemeinschaft hat, z. B. erlebe ich das in Evangelienkreisen, kann ein Gedanke „in der Mitte entstehen“. Man hat dann das Gefühl, dass das nicht mehr der eigene Gedanke ist, sondern dass er wie in diesen Raum hinein „gebeten“ wurde. Dazu gehören bestimmte Fähigkeiten, z. B. jemanden ausreden lassen, zuhören, am Thema bleiben und nicht ein neues hineinbringen. Das muss natürlich immer wieder geübt werden. Wir machen es uns in der Gemeinde bewusst, dass wir auf diese Weise miteinander reden wollen, und es sind bestimmte Regeln, an die man sich hält. Beispielsweise gibt es solche Techniken, dass jeder eine gewisse Zeit zur Verfügung hat und die anderen hören konzentriert zu.
In der Gemeinde haben wir den Vorteil, diese Dinge ausprobieren zu können. In anderen Kontexten ist es viel schwieriger, sich auf bestimmte Formen des Gesprächs zu einigen. Ich sehe darin auch eine gesellschaftliche Aufgabe nicht nur bei der Christengemeinschaft, sondern auch in anderen Gemeinschaften, solche neuen Formen auszubilden.
das Bild des „Salavator Mundi“, Christus als der Heiler der Welt
C.P.: Salvator Mundi – der Heiler der Welt. Wie genau ist das zu verstehen in Hinblick auf die Zeitlage?
C. Bartholl: Es gibt ein Bild, das da Vinci zugeschrieben wird: Es ist der Christus abgebildet, der in der linken Hand eine Weltenkugel hält und mit der rechten Hand den Christusgruß zeigt. Es gibt aber auch verschiedene andere Künstler, die den Salvator Mundi gemalt haben.
Wir erleben, dass die Welt in Unordnung geraten ist und Krankheitssymptome trägt, im Sinne der Zerstörung der Erde. Und die Frage ist: Wie kann Gesundung eintreten? Was soll heil werden? In der Anlage der Welt, so wie die Schöpfung begann, wurde der Mensch von Gott getrennt – so ist es in der Paradiesesvertreibung geschildert. Zuvor hatten sich die Menschen mit der Gottheit eins gefühlt, und dann sind sie aus dieser Einheit herausgefallen. Wir haben seitdem eine Sehnsucht nach der Einheit, wir fühlen uns getrennt, einsam und leben nicht in einem guten Zusammenhang mit der Welt. Wie können wir diese Trennung überwinden? Durch Liebe und indem wir auf den anderen zugehen. Diese Art der Liebe beschreibt Erich Fromm in seinem Buch „Die Kunst des Liebens“. Es geht darum, dass ich den anderen nicht überwältige oder einvernehme, sondern das Wesen des anderen respektiere. Auch symbiotische Beziehungen sind keine Liebe, weil sie den anderen nicht frei lassen.
Wie können wir auch das, was als Geistiges in der Welt lebt, so einbeziehen, dass es heilend wirksam ist? Die Ursache für das, was wir heute erleben, ist eine immer größere Geistferne, weil wir zunehmend nur auf die Materie schauen.
C. P.: Wie kann die Verbindung mit dem Geistigen entstehen?
C. Bartholl: Das Christuswesen ist deshalb auf die Erde gekommen, weil er in seinem Leben der Menschheit zeigen wollte, wie diese Verbindung mit der Gottheit wieder entstehen kann. Gott wird Mensch, damit die Menschen sich in Freiheit weiterentwickeln können und eine neue Vereinigung mit der göttlichen Welt erreichen können. Das eine Bild, von dem wir kommen, ist das Paradies, und das Bild, wohin wir uns entwickeln sollen, ist das himmlische Jerusalem. Durch eigene Entwicklung gibt man Bausteine für das himmlische Jerusalem. Und die bedeutendste Lehre des Christus ist die Liebe. Wenn wir Gemeinschaften bilden, die inspirationsfähig sind, können wir aus der geistigen Welt Impulse holen, die uns helfen, an dieser aus dem Geist gebauten Stadt zu bauen.
C. P.: In der Christengemeinschaft wendet man sich direkt an den Christus als den Heilenden. Es gibt aber viele Gemeinschaften, die auch das Wohl des Ganzen im Blick haben, z. B. Greenpeace, BUND oder andere NGO´s – sind die auch von dieser Kraft inspiriert, auch wenn sie das nicht so nennen würden?
Das Christuswesen ist eine Energie, eine Kraft, die sich in den Prozessen des Lebens ausdrückt.
C. Bartholl: Das Christuswesen ist eine Energie, eine Kraft, die sich in den Prozessen des Lebens ausdrückt. Er zeigt sich auch in Situationen, die nicht seinen Namen tragen, aber diese Energie wird spürbar.
Es gibt ein Grundprinzip, nach dem auch die Menschenweihehandlung angelegt ist. Am Anfang ist die Verkündigung (Lesung einer Evangelienstelle), dann kommt die Opferung, ein Öffnungsprozess. Wenn ich in einer Krisensituation stehe, brauche ich zuerst die Bereitschaft, mir diese Situation anzuschauen und mir meine Hilflosigkeit zuzugestehen – das ist der Beginn der Öffnung. Denn da, wo ich keine Frage habe, kann sich auch keine Verwandlung bilden. Das ist die Grundlage dafür, dass dann eine Wandlung geschehen kann – es kann etwas hinzukommen, was über die eigenen Kräfte hinausgeht. In diesem nächsten Schritt der Wandlung verbinden sich die menschliche und die göttliche Hingabe. Im letzten Schritt, in der Kommunion, bekommt man die göttliche Antwort.
C. P.: Wenn man das auf die alltäglichen Verhältnisse bezieht – könnte man sagen, dass man vor einer scheinbar ausweglosen Situation steht, wie z. B. die Jugendlichen von Fridays-for-Future, in der man nicht mehr weiter weiß, dann sich dieser Ohnmacht stellt und durch diese Offenheit eine inspirierte Antwort bekommt, die man wiederum mit anderen teilt?
Diese zweite Schöpfung entsteht dadurch, dass sich Menschen verabreden und so miteinander umgehen, dass sie inspirationsfähig werden in sozialer und kultureller Form.
C. Bartholl: Das wäre der ideale Weg. Natürlich können wir auch als Einzelne so einen Prozess beschreiten: Was bin ich bereit, in meinem Leben zu ändern? Wenn man die Umweltsituation als Beispiel nimmt, muss man Altgewohntes loslassen, damit etwas Neues möglich wird. Es ist immer ein guter Weg, mit kleinen Schritten bei sich selbst anzufangen. Und doch ist es so, dass einerseits jeder Einzelne etwas tun kann, aber es braucht Verabredungen in einer Gemeinschaft. Sie werden im Rechtsleben geregelt, aber zuvor braucht es das Gespräch, und zwar einen gesellschaftlichen und politischen Dialog.
Wenn man das Ziel der Entwicklung der Welt in ein Bild bringt, so ist es ihre freie Gestaltung in Liebefähigkeit. Ein spirituelles Leben, die Entwicklung von Kultur, Musik, Kunst, das Gestalten des sozialen Miteinanders hilft, diese Prozesse zu entwickeln. Kultur ist ja letztlich, dass man gemeinschaftliche Prozesse und die Umgebung so gestaltet, dass sie das Wohl von allem einbezieht. Dazu gehört auch, mit was man sich umgibt, wie die Städte aussehen, wie die sozialen Prozesse in diesen Städten gestaltet werden usw. – das wird in Zukunft immer wichtiger werden.
Das erste Urbild in der Bibel ist ein Naturbild, nämlich das Paradies. Das Bild der zukünftigen Entwicklung ist eine Stadt, also ein Kulturgebilde, nämlich das neue Jerusalem. Gott hat in der ersten Schöpfung die Welt geschaffen, jetzt geht es um die zweite Schöpfung, die durch die Menschheit geschieht. Diese zweite Schöpfung entsteht dadurch, dass sich Menschen verabreden und so miteinander umgehen, dass sie inspirationsfähig werden in sozialer und kultureller Form.
Interview mit Dr. Ernst Schuberth, Mitbegründer der Freien Hochschule für anthroposophische Pädagogik in Mannheim
Mehr zu erfahren als das, was ich mit meinen Sinnen wahrnehmen kann – eigentlich ist das für jeden Menschen ein verstehbares und manchmal auch wünschenswertes Erlebnis. Einweihung war schon in alten Kulturen und auch heute ein Weg, durch gezielte Schulung das eigene Bewusstsein für übersinnliche Bereiche zu erweitern. Und, so betont Rudolf Steiner immer wieder, bei manchen Menschen geschieht diese Einweihung in ihrem alltäglichen Leben, weil Erfahrungen und Lebensverhältnisse ihnen besondere Kräfte abfordern.
Interview mit Lars Grünewald, Kulturwissenschaftler
Soziale Dreigliederung – man könnte sie als das politische Konzept von Rudolf Steiner bezeichnen. Aber mitunter ist es so, dass Politik irgendwie „die Anderen“ und äußere Umstände sind. So stellt sich die Frage: Was kann man selbst machen, die Prinzipien der Sozialen Dreigliederung täglich im persönlichen Leben umzusetzen? Welche Fähigkeiten gilt es dafür zu entwickeln? Und letztlich geht es darum, wie man dadurch eine Grundlage für politische Veränderungen schaffen kann.
Interview mit Mona Doosry, Oberstufenlehrerin an der Rudolf Steiner Schule Hamburg-Wandsbek
Die heutige Jugend macht wieder von sich Reden. Hatte man vor ungefähr zehn bis zwanzig Jahren den Eindruck, soziales und politisches Engagement sei für sie bedeutungslos, zeigen die jungen Leute heute ganz andere Bestrebungen. Welche Beobachtungen kann man bei den letzten Jugend-Generationen machen? Wie wirkt sich die Digitalisierung aus? Wie ist das Verhältnis zwischen Jugendlichen und Gesellschaft? Vor welchen Herausforderungen stehen dabei der Unterricht und die Waldorfpädagogik?
Rückblick auf die Tagung in Stuttgart von Dörte von Wietersheim
„ImPuls für die Zukunft“ war das Thema einer Tagung zum 100. Jahrestag der Idee der Sozialen Dreigliederung, die von Rudolf Steiner entwickelt wurde.
Was ist aus der Sozialen Dreigliederung geworden? Was haben ihre Mitstreiter heute zu sagen? In welchen Projekten und Unternehmen wird sie verwirklicht? Weiterlesen „„ImPuls für die Zukunft““
Die meisten von uns können damit einhergehen und auch nachempfinden, dass in Landschaften, an speziellen Orten, in Räumen Stimmungen herrschen. Aber wie entstehen die? Was steht dahinter? Kann es sein, dass die Natur beseelt ist und wir durch eine meditative Aufmerksamkeit mit diesen Kräften in Beziehung treten können? Weiterlesen „Elementarwesen“
Man kann sich dem, was als das „Böse“ bezeichnet wird, von vielen Seiten nähern – philosophisch, religiös, künstlerisch, in unterschiedlichen Kulturen und Zeitepochen hat es verschiedene Färbungen. Auch die Literatur hat sich immer wieder damit beschäftigt. Spannend ist dabei die Frage: Wie und wo findet sich das Böse in der heutigen Zeit? Weiterlesen „Das Böse“
Interview mit Kai Ehlers, Autor und Vortragsredner
Wir erleben heute eine Zeitenwende in der globalen Politik, die radikale Rechte feiert weltweite Erfolge. Politiker werden gewählt, die radikal und ausschließlich die Privilegien ihres eigenen Landes durchsetzen wollen, das Nationalgefühl stärken und alte Ressentiments neu beleben. Was sind die Ursachen für diese weltweite Entwicklung?
Nach Darwin ist der Mensch das Zufallsprodukt eines blinden Naturprozesses. Nach der christlichen Tradition wurde er von Gott geschaffen und hat eine Sonderstellung in der Natur, weil er das einzige Wesen ist, das Gut und Böse, Wahrheit und Irrtum bewusst unterscheiden und danach handeln kann. Rudolf Steiner entwickelte durch Goethes Metamorphosenlehre eine Synthese, in der Darwins Sicht einen höheren, geistigen Sinn und der christliche Glaube eine empirische Faktenbasis erhält. Weiterlesen „Über die Evolution des Menschen und der Tiere“
Interview mit Roswitha Willmann und Annette Willand, Elternberatung
Nicht nur unter Eltern, sondern auch unter (Waldorf-) Pädagogen gehören Lob und Tadel zum täglichen Umgang mit den Kindern: „So ist es prima!“, „Das hast du fein gemacht!“, „Du bist ja eine ganz Gescheite!“ einerseits, andererseits „Du weißt doch, dass man nicht haut!, „Kannst du nicht mal stillsitzen!?“, „Du bist doch schon so groß, da solltest du das aber besser können!“. Nützen Tadel nichts – gibt es Konsequenzen wie „Auszeiten“, Fernseh-verbot o.ä., die zum gewünschten Erfolg … führen? Führen sollen?
Interview mit Michael Knöbel, Oberstufenlehrer für Naturwissenschaften
Advent Reichlich senkt sich der Schnee. Erde erblindet. Unter der himmlischen Last Weißer Vergessenheit Schwindet ihr Leben. Tod wird Licht.
Stiller blicken die Augen auf, Wenn Mitternachts Das überfüllte Firmament Zahllos geistige Flammen schießt. Gestirne rücken zusammen, Abermals, zu unendlichem Kräftenetz. Demütig kreist Inmitten die Erde, Der trübe, auserwählte Stern, Im scheuen Glanz noch junger Strahlen. Erde, geringe Krippe! Wieder bettet sich Gott, Das Kind, in dich, Im Angesicht der seligsten Planeten.
Karl Thylmann
Wird es Winter, haben wir das Gefühl, dass die Natur erstirbt. Aber es passiert etwas in der Erde. Die Prozesse von Salz, Schwefel und Quecksilber, so führt Rudolf Steiner in seiner Weihnachtsimagination aus, verändern sich. Und damit helfen sie dem Menschen, zu einem inneren Erleben zu kommen.
Interviewpartner: Michael Knöbel, Diplom Biologe; seit über 30 Jahren Lehrer an der Rudolf Steiner Schule Nienstedten in der Oberstufe mit den Fächern Biologie, Chemie, Geographie. Seit vielen Jahren Dozent am Lehrerseminar für Waldorfpädagogik.
Christine Pflug: Sie haben zur Veranschaulichung das Adventsgedicht von Karl Thylmann gewählt. Warum gerade dieses?
Michael Knöbel: Es sind darin verschiedene Aspekt enthalten, die ich wichtig finde: Im Winter schaut man besonders auf den Sternenhimmel, der viel deutlicher und länger da ist. Der Dichter wendet dann den Blick, dass man nämlich von außen auf die Erde schaut – es ist wie ein globales Welterleben, „die Erde kreist demütig“ im Weltraum. Dies führt dann zu der Sicht, dass in der Winterzeit eine Christgeburt stattfinden kann. Es liegt der Gedanke zugrunde, dass der Makrokosmos und der Mikrokosmos einen Bezug haben, also das Weltall und der einzelne Mensch.
Von außen auf die Welt schauen
C. P.: Dieses Gedicht bringt das auf künstlerische Weise zum Ausdruck. Rudolf Steiner hat das in seiner Weihnachtsimagination (GA 229, Vortrag vom 6. Oktober 1923) mit der Beschreibung von chemisch-alchemistische Prozessen getan. Wie kann man diese allgemeinverständlich ausdrücken?
M. Knöbel: Steiner macht zunächst etwas ganz Ähnliches: Er schaut von außen auf die Welt und sagt, sie sei eigentlich ein Wassertropfen im Weltall.
C. P.: Was heißt auf die Welt von außen schauen: Ist das imaginativ oder könnte man das beispielsweise auch von einer Raumstation, wie der ISS aus sehen?
M. Knöbel: Steiner und auch Karl Thylmann machen das imaginativ, denn damals gab es noch keine Raumfahrt. Aber es gibt ja heute tatsächlich Menschen, die dieses Erlebnis real haben und davon auch berichten. Zudem zeichnet das, was Steiner als „Wassertropfen“ beschreibt, die Erde besonders aus. Es werden viele Forschungsgelder investiert, um im Weltraum Wasser zu suchen, und bisher haben wir den Kenntnisstand, dass die Lebensprozesse, auch die geologischen Prozesse, nur mit Wasser stattfinden können. Und nur die Erde ist es, auf der das passiert.
Die drei Weltprinzipien – „tria Principia“
Dann aber geht Steiner weiter und sagt, man könne die Erde als Quecksilbertropfen bezeichnen. Dies erscheint zunächst höchst unverständlich, aber ich glaube, er bezieht sich hier auf die alten Alchemisten, z.B. Paracelsus, der drei Weltprinzipien hatte – „tria Principia“. Das erste Prinzip hängt zusammen mit Wärme, Verbrennung, Auflösung und Zerstörung – das ist der Schwefel, bzw. Sulfur. Das zweite, was mit Kälte, Verhärtung, Verfestigung, Erstarrung zusammenhängt, ist das Salprinzip, also Salz. Das sind zwei polare Prinzipien, die vermittelt werden durch das dritte, den Mercur – und das ist das Quecksilber, um das es hier besonders geht.
Alle drei Prozesse sind qualitativ zu sehen und nicht als die Stoffe, die sie sind – wobei die Stoffe sehr gute Symbole dafür sind. Schwefel ist die einzige, nichtorganische Substanz, die brennbar ist. Schwefelablagerungen aus einem Vulkan können wir einfach mit einem Streichholz anzünden. Salz ist eine chemische Verbindung, aber auch eine Manifestation von Kristallisierung und Formbildung – wie man zum Beispiel bei einem Salzwürfel sieht.
Mercur, also Quecksilber, zeigt sich in den Kräften des Wassers, die auf der Erde das Leben von Tieren, Pflanzen und Menschen ermöglichen, und es sind die verbindenden Kräfte, die zwischen den beiden anderen Polen einen Ausgleich schaffen.
Diese drei Prinzipien benutzt Steiner, um die Jahreszeiten zu betrachten: im Sommer sind sie anders als im Winter.
Diese drei Prinzipien im Sommer und im Winter
C. P.: Wie kann man das erkennen, wenn man nicht hellsichtig ist?
M. Knöbel: Beispielsweise an dem Prozess, der ganz wesentlich für unsere Erde sind, nämlich die Photosynthese. Sie ist an die grünen Blätter gebunden: Mit dem Chlorophyll wird die Energie gesammelt, und es werden unter Aufnahme von Kohlendioxid die Stoffe gebildet, die wir brauchen für die Nahrungsmittel, aber auch für das Holz, aus dem wir etwas bauen. Diese organischen, nahrhaften Stoffe bilden nur die Pflanzen, und Tier und Mensch leben davon. Für dieses Wachstum der Pflanze sind einerseits die Mineralsalze des Bodens notwendig, die müssen mit den Wurzeln mobilisiert werden. Es ist auch die Wärme nötig, damit sich die Blätter entfalten, um dann das Licht zu sammeln. Und in dem ganzen Pflanzenkörper strömt das Wasser. Rudolf Steiner führt in seiner Jahreszeiten-Imagination aus, dass diese drei Prinzipien im Sommer durchmischt sind: In der Pflanze steigen Salze auf, bzw. werden mit dem Wasser aufgenommen, Luft und Wärme gehen bis in die Wurzeln und in die Erde herein. Licht und Wärme führen zur Entfaltung der Blüten und zur Reife der Früchte. Und das Wasser verbindet das alles. Das ist eine Durchmischung, wie sie im Sommer stattfindet und die insgesamt das Leben der Erde kennzeichnet.
C. P.: Was passiert mit diesen drei Prinzipien Sulfur, Salz und Wasser, bzw. Mercur im Winter?
M. Knöbel: Rudolf Steiner zeichnet für den Winter folgendes Bild: Es trennen sich diese Prozesse. Durch die tief stehende Sonne ist keine Wärme mehr da, auch das Licht ist ganz anders. Die Pflanzen ziehen in den Boden ein, die Blätter werden dürr und fallen trocken und erstarrt ab. Die Mineralien werden nicht mehr von der Pflanze mobilisiert, sondern sammeln sich im Boden. Das Wasser kann in der Kälte die Salze nicht mehr aufzunehmen und steigt auch nicht mehr so stark auf, weil es vielleicht gefriert oder es sogar zu Schnee kommt. Gerade in der Schneedecke können wir nach Steiner etwas entdecken, wenn wir beispielsweise bei den Dächern, Zaunpfählen und Ästen auf die abgerundeten weißen Schneehauben schauen. Hier zeigt sich der Mercur, die (halb-)kugelige Form ist ein Symbolum für den sich abrundenden Quecksilbertropfen.
Es vermittelt zwischen leicht und schwer und erstarrt selbst nicht
C. P.: Was Sie zu Salz und Schwefel, bzw. Erstarrung und Auflösung sagen, ist nachvollziehbar. Aber wie kommt Rudolf Steiner darauf, dass Quecksilber in diesen Vorgängen steckt?
M. Knöbel: Er sagt zwar, dass Quecksilber überall in feinster Verteilung vorhanden ist, was ja durch unsere technische Handhabung der Stoffe heute leider durchaus zu konstatieren ist. Ich glaube aber m. E. nicht, dass Steiner das meint, und es geht auch nicht darum hier wieder etwas zu beweisen. Es geht vielmehr darum die Prozesse auf der Empfindungsebene zu verstehen: Der alte griechische Name zu Quecksilber ist auch Hydrangyrum: „flüssiges Silber“. Die Alchemisten haben in den Substanzen die physiognomische Bedeutung gesucht, d.h. welche Weltzusammenhänge sich in dem Stoff zeigen. Und da kann man feststellen: Quecksilber ist das einzige auf der Erde natürlich vorkommende chemische Element, das flüssig ist. Es ist ein ganz merkwürdiges Metall, weil es einerseits unglaublich schwer ist: 13,5 Gramm pro Kubikzentimeter, fast doppelt so schwer wie Eisen. Aber neben dieser Schwere, die eine Eisenkugel nur zur Hälfte eingetaucht in ihm schwimmen lässt, trägt es gleichzeitig eine „Leichte“ in sich, die ihm erlaubt aufzusteigen, zu verdunsten, zu sublimieren, sodass wir seine giftigen Dämpfe fürchten müssen. Hier zeigt es eine Polarität, es vermittelt zwischen leicht und schwer und erstarrt selbst nicht. Wenn wir dies nachempfinden wollen, können wir auch erfassen, dass es zwischen irdischen und geistigen Kräften vermittelt, dass es trotz seiner Schwere uns kosmische Impulse – sagen wir – spiegelt!
Was die Alchemisten versucht haben
C. P.: Können Sie zu einem besseren Verständnis an dieser Stelle noch einmal erklären, um was es den Alchemisten ging?
M. Knöbel: Die Alchemisten haben versucht, in chemischen Experimenten quasi symbolhaft Prozesse zu bewerkstelligen, die dann auch auf ihr Seelisches zurückwirkten. Beispielsweise haben sie destilliert: Aus einem vergorenen Produkt kam ein aufsteigendes, feines Gas, was dann hinterher ganz klar war. Früher nannte man Alkohol auch Geist. Diesen Prozess der Destillation suchten sie als Läuterung auch im Seelischen auf. Das andere Beispiel ist das Herstellen von Gold. Man sagt manchmal, die Alchemisten seien dekadent, weil sie das nicht hinbekommen hätten, aber eigentlich ging es auch da um das Prinzip: Wie schafft man es, aus wertlosen Substanzen etwas zu kreieren, was dann glänzt. Oder auch: wie kann ich mein seelisches Wirrwarr so läutern, dass ich als Mensch hinterher besser bin und „glänze“?
In diesem Sinne haben die Alchemisten doppelt gesucht: einerseits, was man mit den Stoffen machen kann und andererseits, wie man sich innerlich durch diese Tätigkeit verwandeln kann, und zwar in einer Korrespondenz zu den Stoffen.
In diesem Sinne verstehe ich auch das mit dem Quecksilber, dass einerseits von dem Stoff die Rede ist, andererseits von dem Wirkungsprinzip.
Hier sind aus einer anderen Sicht sehr ähnliche Weltzusammenhänge beschrieben
C. P.: Gibt es in anderen Kulturen auch solche Prinzipien?
M. Knöbel: Ja, sicher, und sie sind besser bekannt als die der Alchemie. In der alten chinesischen Medizin und Philosophie gibt es Yin und Yang: Das ist die Polarität zwischen dunkel und hell, kalt und heiß. Viele kennen das Symbol dieser sich gegenseitig bedingenden Gegensätze, und es gibt auch den Mercur – das sind die zwei Punkte in den jeweiligen Feldern. Ich glaube, hier sind aus einer anderen Sicht sehr ähnliche Weltzusammenhänge beschrieben. Heute kommt es darauf an, diese uralten Weisheiten zu verstehen und damit kulturelle Gegensätze zu überwinden. Denn wir wissen heute nur zu gut, dass wir alle auf einer Erde leben, ihre offenbaren und eher geheimen Zusammenhänge gelten für alle Menschen.
Die Wirkung auf den Menschen
C. P.: Wenn man sich dann die Vorgänge dieser drei Substanzen im Winter vorstellt, stößt man auf die Frage: Wirkt das auf den Menschen? Was kann er daran erleben?
M. Knöbel: Das, was sich draußen in der Natur als Trennung der drei Prinzipien zeigt, das finden wir auch im Menschen.
Mit unserer Sinneswahrnehmung stehen wir im Winter ganz anders in der Welt: Beispielsweise erleben wir die Sonne durch ihren tiefen Stand über dem Horizont völlig anders, sie ist uns quasi ein Gegenüber, wenn sie in unser Zimmer scheint und Schattenrisse an die Wand zeichnet. Auch unser Stoffwechsel ist verändert, was wir dadurch merken, dass wir mehr Schlaf brauchen und vielleicht auch leichter krank werden.
Besonders deutlich wird das im mittleren Menschen, dem ja das verbindende Merkurprinzip entspricht!
Im Winter lebt man mehr im Haus, geschützt vor der Kälte, hat Zeit nachzudenken, zu lesen, Kerzen anzuzünden – man ist nicht mehr so auf die Außenwelt orientiert, die Tage sind kurz. Natürlicherweise sind wir nicht mehr so mit der Welt und anderen Menschen verbunden wie im Sommer. Dadurch kommt man zu sich und hat mehr Achtsamkeit für die eigenen, inneren Empfindungen. Das Seelische ist mehr für sich. Äußerlich erleben wir den Tod der Natur, innerlich erleben wir einen Reichtum an tiefen Gedanken und Empfindungen, denen wir im Sommer gar keine Beachtung schenken konnten. Das ist für mich in der dunklen Jahreszeit mit ihren langen kalten Nächten das Urerlebnis von Weihnachten. Dem entspricht das Bild der Christ-Geburt im Stall, der Maria mit dem Kind.
In seiner Weihnachtsimagination weist Rudolf Steiner gerade auf das Bild der Sixtinischen Madonna von Raffael hin, dem er eine besonders hohe Erkenntnis der alten Zeit zuschreibt. Hier findet er in dem Gemälde die Signatur der getrennten Prinzipien von Sal und Sulfur und Mercur in der Herzregion der Maria.
Der Vorhang bei der Sixtinischen Madonna
C. P.: Wie zeigen sich diese drei Prinzipien bei der Sixtinischen Madonna?
M. Knöbel: Dieses Gemälde ist vielfältig zu deuten, aber einen Aspekt möchte ich herausgreifen. Man kann darüber nachdenken: Was bedeutet in diesem Bild der merkwürdige Vorhang, der zur Seite gezogen ist? Wenn man das äußere Tagesgeschehen ein Stück weit wegschiebt und sich dem inneren Erleben zuwendet, dann kann eine Stimmung der Zuversicht, der inneren Erneuerung und Verlebendigung stattfinden.
C. P.: Ist hier wieder die Verbindung zu dem Gedicht von Karl Thylmann?
Tod wird Licht
M. Knöbel: Er sagt: Tod wird Licht. Das heißt, die Natur erstirbt, das Grüne, Lebendige wird „zur Seite gezogen“, wir haben in der äußeren Welt nur noch diese verhärtenden, salartigen Prozesse in den dürren Blättern und den kahlen Baumsilhouetten . Im Inneren kann es im Mensch empfindsam, hell und warm werden, wie eine Geburt des inneren Kindes.
Ist das heute zeitgemäß?
C. P.: Ist das alles heute zeitgemäß? Jeder hat Erfahrungen, dass gerade in der Weihnachtszeit mitunter Gegenteiliges passiert …
M. Knöbel: Es gibt diese alten Bilder, die man als traditionell oder sogar als verkitscht ansehen kann, aber ich glaube, sie sind trotz seiner weltlichen Korrumpierung hochaktuell. Dieses Innenleben und innere Wahrnehmen wird von dem zeitgenössischen Philosophen Peter Trawny (* 17. Dezember 1964 in Gelsenkirchen) ist ein deutscher Philosoph und Hochschullehrer an der Bergischen Universität Wuppertal) in seinem Büchlein „Ins Wasser geschrieben“ gefordert: „Wenn ich mich von dem abwende, was mich nicht zu mir kommen lässt, was mich mir entzieht, mich mir entwendet, mich dir raubt. Ich bin bei dir, wenn ich bei mir bin, bei mir, wenn ich bei dir bin.“ Er bezeichnet diesen inneren Raum als Intimität, an anderer Stelle auch als „Innigkeit“, die unser wahres Menschsein ausmacht: „Das Innerste ist Ort der Gottesbegegnung“. Er zitiert Augustinus: „Geh nicht nach draußen, kehr wieder ein bei dir selbst. Im inneren Menschen wohnt die Wahrheit“ … „Dabei geht es nicht so sehr um die innere Erfahrung“, als um die Entdeckung eines „inneren Menschen“. Was der Mensch ist, lässt sich nicht draußen in der Welt erfassen, dort zerstreut er sich in und mit Tätigkeiten, die von der Wahrheit ablenken. Der Mensch ist nur zu erkennen, wenn er in sich geht.“
In der Weihnachtszeit, der Tiefwinterzeit, fällt es uns naturgemäß leichter, diesen inneren Menschen zu erleben, aber gleichzeitig ist auf der Südhalbkugel Sommer! Wir sind heute von der Natur so gelöst und emanzipiert, dass wir prinzipiell diesen Prozess in uns selbst ergreifen und hervorrufen können – und müssen, unabhängig von der Jahreszeit.
Unser gegenwärtiges Leben hat die Tendenz, und das kritisiert Trawny, dass es uns in der technisch medialen Kultur zu sehr nach draußen zieht und wir diese innere Achtsamkeit vergessen. Da kommt wieder das Mercur-Prinzip: Wir müssen aktiv wechseln zwischen der Tätigkeit in der äußeren Welt und dem Besinnen im Inneren, um selbstbewusst und verantwortlich zu handeln
Die Weihnachtsbilder, und auch die Sixtinische Madonna, sind ein Ausdruck des inneren Menschen. Gerade in der heutigen Zeit, wo sich Religionen bekämpfen, ist es wichtig, darauf einen globalen Blick zu richten. Die Erde als „Quecksilbertropfen im Weltall“ birgt die Möglichkeit, dass sich im Menschen der ganze Kosmos spiegelt, Geistiges und Physisches sich verbinden. Und wenn das geschieht, dann wird es Weihnachten.
„Wenn ein Leben abgeschlossen ist, zeigt es im Rückblick eine ganz neue Gestalt.“ Dem Hamburger Maler Ulrich Rölfing ist es gelungen, nach dem Tod seiner Mutter diese Bedeutung auf künstlerische Weise auszudrücken.
Mit Beiträgen von Christine Pflug, Tille Barkhoff, Elmar Lampson, SchülerInnen der 11. Klasse Rudolf Steiner Schule Wandsbek
Am 5. Juni wurde in den Schnittke-Akademie das 30-jährige Jubiläum des hinweis gefeiert, zu dem Sie, als LeserInnen, auch die AnzeigenkundInnen, Interviewpartner und Vertreter der Einrichtungen eingeladen waren. Es war eine gelungene, heitere Feier mit über 100 BesucherInnen, musikalisch begleitet von dem a-cappella-Terzett Livella Kadó.
Zu dem Motto „Kultur leben“ gab es verschiedene Beiträge. Sie zeigten den großen Umfang und die Impulse des anthroposophischen Kulturlebens in Hamburg auf, von den Anfängen, kraftvollen und krisenhaften Zeiten bis in die Gegenwart und mit Wünschen für die Zukunft.
Entwicklungen im Vorgeburtlichen und Nachtodlichen
Interview mit Helmut Eller, Vortragsredner und ehem. Waldorflehrer
Passiert etwas mit uns vor der Geburt und nach dem Tod? Es gibt Berichte von Eltern, die mit ihren zukünftigen Kindern, mitunter sogar bevor sich diese physisch angekündigt haben, Kontakt haben. Und wir kennen heute von vielen Berichten aus der Nahtodesforschung, dass die Betroffenen nach dem Tod immer wieder ähnliche Erlebnisse haben.
Wir sind also in einer anderen Weise existent und durchlaufen Stufen. Man lernt das vorige Erdenleben anzuschauen, bekommt Gesichtspunkte für ein neues und nach vielen Schritten wird ein nächstes vorbereitet.
Die digitale Revolution verbaut unseren Kindern die Zukunft
Artikel von Frau Gertraud Teuchert-Noodt, Professorin emer. für Neurobiologie
Allzu verständlich sind die Ängste der Eltern, die ihre Kinder chancenlos in der digitalen Welt glauben, wenn die nicht schon im Kindergartenalter Apps programmieren. Doch ganz selten nur beginnt der Bauherr seinen Hausbau mit dem Dach. Warum nur glauben so viele kluge Pädagogen, die kindliche Entwicklung könne beschleunigt werden, indem man deren Fundament einfach weglässt? Mit den Grundsätzen der Evolution erklären Neurobiologen anschaulich, warum Eltern und Lehrer sich vehement gegen frühkindliche Nutzung von Bildschirm-Medien wehren sollten – damit es nicht zu Sucht, Lernstörungen, Aggressivität oder autistischen Störungen bei den Kleinen kommt.
Interview mit Dr. med. Wolfgang Rißmann, Psychiater
Wir erleben Grenzsituationen im Alltag, am Arbeitsplatz, im persönlichen Leben oder auch in extremen Situationen wie Krankheit, Unfällen, Tod. Man ist – zunächst – unfähig, dieser Situation zu begegnen, und die Perspektive verdunkelt sich.
Interview zur Schüler-Mediation mit zwei Schülerinnen und zwei Ausbilderinnen
Schule ist ein wichtiger Teil der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen. Und wie in allen sozialen Zusammenhängen gibt es dort Konflikte und Interessengegensätze. Wenn die Schüler erlernen, diese selbst zu bewältigen, stärkt das ihre Empathie, Toleranz, Selbstwahrnehmung und Kritikfähigkeit.
Mediation – vermitteln in Konflikten – wurde im schulischen Bereich in Deutschland seit Mitte der 90iger Jahre erfolgreich eingeführt und ist auch unter Peer-Mediation oder Streitschlichtung bekannt. Weiterlesen „Schüler lösen ihre Konflikte“
Interview mit Prof. Dr. Michael Kirn, Professor emer. für Öffentliches Recht
Die heutige Justiz orientiert sich methodisch immer noch am Römischen Recht, sie bildet ihre Begriffe nach dem Muster Unverbrüchlickkeit des Eigentums und Vertragsfreiheit.
Aber bei Vielem haben wir heute völlig andere Verhältnisse. Das Klimaproblem, die Verteilung von Wasser, asymmetrische Kriege etc. sind weltweite Angelegenheiten und brauchen globale und sozial orientierte Regelungen. Beim Thema Grund und Boden werden Entscheidungen durch finanzielle Vorgaben dominiert. Besonders im digitalen Bereich entziehen sich manipulative Machenschaften der Kontrolle.
Wie kann das Rechtsleben als selbständiges Element im gesellschaftlichen Leben funktionieren und nicht mehr von wirtschaftlichen Gesichtspunkten bestimmt werden? Versachlichung in diesem Sinn heißt: Dezentralisierung. Entsprechend müssen Entscheidungsverfahren organisiert werden, die mit urteilsfähigen Bürgern rechnen. Weiterlesen „Alles was recht ist ….“
Interview mit Henning Kullak-Ublick, Vorstand und Sprecher Bund der Freien Waldorfschulen
In zweieinhalb Jahren wird „die Waldorfschule“ 100 Jahre jung! Heute ist diese Pädagogik mit rund 1.100 Waldorfschulen und fast 2.000 Waldorfkindergärten in über 80 Ländern ein weltweiter pädagogischer Impuls. Und es werden nach wie vor mehr! Das anstehende 100-jährige Jubiläum bietet die Chance, den pädagogischen Impuls Rudolf Steiners in einem globalen Austausch weiter zu entwickeln. In welcher Welt werden die Schulkinder leben, wenn sie erwachsen sind? Und wie können wir sie darauf vorbereiten? Wie wird die Waldorfpädagogik heute praktisch umgesetzt, damit sie den Anforderungen der Zeit begegnen kann?
Von jetzt an ziehen sich gemeinschaftsbildende Aktionen über die nächsten Jahre bis September 2019. Alle Aktionen folgen dem gemeinsamen Motto „Waldorf100 – Learn to change the world“. Weiterlesen „„Waldorf100 – Learn to change the world“ Teil I und II“
Interview mit Dr. Stefan Schmidt-Troschke, Arzt und Christoph Kranich, Gesundheitsmanager
Eigentlich müsste das Gesundheitssystem den Patienten in den Mittelpunkt stellen und nach seinen Bedürfnissen ausrichten! Aber seit den 90er Jahren wird die Medizin immer mehr ökonomisiert und orientiert sich an den Bedürfnissen der Kostenträger und der Leistungserbringer. Es werden in Praxen und Krankenhäusern nur noch die Dienstleistungen gerne gemacht, die Geld bringen. Wir brauchen an dieser Stelle einen Systemwechsel: weg von der ökonomischen Orientierung, mehr Mitbestimmung im Gesundheitswesen, Erprobung von Modellen, die auf einer kleineren, teilweise kommunalen Ebene gemeinsam das Gesundheits- und Sozialsystem neu gestalten. Weiterlesen „Was wünschen wir uns vom Gesundheitssystem?“
Interview mit Jörg Andrees, Regisseur und Schauspieltrainer
Gelungen ist Theater dann, wenn etwas Neues zwischen dem Zuschauer und der Bühne entsteht. Inwiefern ist der Schauspieler Künstler, wenn der Text und die Handlungen vorgegeben sind? Kann ein Schauspieler, in einer guten oder bösen Rolle, etwas vermitteln, was sein eigen-künstlerisches Verständnis der Welt und des Lebens spiegelt? Das wäre ein wesentlicher Aspekt der Kunst des Schauspielers. Weiterlesen „Ein verdichtetes Bild des Seins“
Interview mit Peter Benkhofer, ehem. Lehrer und Jörgen Day, Pfarrer emer.
Die Flüchtlinge, die aus großer Not zu uns kommen, brauchen unsere Hilfe. Von vielen Menschen wird ehrenamtlich Flüchtlingsarbeit gemacht, auch im Rahmen der Christengemeinschaft und Anthroposophie. Wie man in schwierigen, dramatischen Lebenslagen Beistand leisten kann, als ganze Gruppe oder Einzelperson, berichten Peter Benkhofer und Jörgen Day. Weiterlesen „Flüchtlingsarbeit“
Über die Bedeutung der dialogischen Kultur in Alteneinrichtungen
Interview mit Rembert Rauchbach, Geschäftsführer und Projektbegleiter von Alterseinrichtungen
Einsamkeit im Alter – das Kernproblem, dem wir immer mehr begegnen. Wie kommt man im Alter zu Begegnungen und Beziehungen, sei es in einer betreuten Wohnform oder in der Altenpflege. „Dialogische Kultur“ ist das Stichwort, das Einrichtungen für alte Menschen ermöglichen müssen, um attraktiv und gut zu werden.
Auch für uns selbst mit unserer Angst vor dem Alter ist die beste Prophylaxe die Umdrehung der Verhältnisse: nicht das Verdrängen wovor man sich fürchtet, sondern fragend auf den Mit-Menschen zugehen. „Das Du – das andere Ich – erhält und entwickelt mich, mein ICH.“ Weiterlesen „Worum geht es im Alter?“
Im November ist das Gedenken an die Verstorbenen allgemeines christliches Kulturgut. Wie aber kann man auf die richtige Art und Weise Kontakt zu einem Verstorbenen aufbauen, ohne medialen Mitteln oder Spökenkiekereien zu verfallen? Das entscheidende Motiv ist, dass man davon ausgeht, den Verstorbenen hilfreich zu begleiten auf seinem Werdegang im Nachtodlichen.
Gleichzeitig können aber die Verstorbenen ihrerseits uns auf der Erde Lebenden Impulse vermitteln. Das ist ein behutsamer Prozess, der Aufmerksamkeit erfordert und dem man Raum geben muss. Weiterlesen „Der Toten gedenken“
Interview mit Dr. med. Wolfgang Rißmann, Psychiater
Angst ist ein ganz zentrales Gefühl, das jeder Mensch kennt, und es ist ein normaler Zustand, den wir fortwährend erleben. Angst ist ein Negativ – Phänomen, d. h., wenn das Selbstgefühl nicht ganz da ist, dann ist eben „nichts“, und dieses Vakuum saugt die Angst an. Weiterlesen „Unsere Angst“
Viele Menschen und Gruppierungen streben eine Veränderung unserer Gesellschaft an. Wirkungsvolle Änderungen zeigen sich aber nicht in Form abstrakter Gesellschaftsstrukturen, sondern können nur auf individueller Initiative und der Verbesserung zwischenmenschlicher Beziehungen aufbauen und daraus hervorgehen.
Unsere Gesellschaft wird von drei Grundprinzipien dominiert, aus denen sämtliche gesellschaftliche Probleme, mit denen wir es gegenwärtig zu tun haben, entstehen.
Die Dominanz dieser Prinzipien kann nur durch individuelle Selbsterziehung überwunden werden. Weiterlesen „Wie entsteht gesellschaftliche Veränderung?“
Artikel von Christine Pflug, Biografieberaterin, HP für Psychotherapie
Wir alle haben mitunter den Wunsch, hinter die Kulissen des (eigenen) Schicksals zu schauen. Vielleicht hat man ein rein wissenschaftliches Interesse an der Erforschung des Karmas, vielleicht will man seine Leben besser verstehen oder Erleichterung in einer bedrängenden Lage finden; mitunter sind auch allzumenschliche Regungen wie Neugier, Sensationslust, Gedankenspielerei dabei. Weiterlesen „Karma – Aspekte und Gedanken“
Das Herz kann ein Organ der inneren Orientierung werden in einer Zeit, in der sich alles rasant verändert. Durch bestimmte Übungen kann man das Herz schulen für Wahrnehmung den Menschen und der Erde gegenüber und auch für spirituelle Erkenntnisse. Ganz konkrete Ergebnisse der modernen Naturwissenschaft begegnen sich bei der Herzforschung mit alten spirituellen Weisheiten.
Das führt auch zu einem anderen Denken über das Herz und seine Krankheiten, wie beispielsweise Bluthochdruck oder Angina pectoris. Weiterlesen „Das Herz – Zentralorgan des Lebens“
Rhythmen im Organismus sind ein Ordnungssystem, sind Grundlage unseres Lebens, sie gliedern Tag und Nacht, Leben und Tod, sie ordnen alle vegetativen Funktionen, versorgen uns mit Kraft, machen uns immer ganz.
Der rhythmische Wechsel von Nähe und Distanz ist grundlegend für alles soziale Handeln. So schafft Rhythmus immer auch das Ganze, denn es verbindet die gegensätzlichen Pole.
Das alles sind wichtige Aspekte, die über Gesundheit und Krankheit entscheiden. Weiterlesen „Der Rhythmus“
Bedeutet Freiheit, dass man machen kann, was man will? Laut Wikipedia benennt die Philosophie Freiheit als einen „Zustand der Autonomie eines Subjekts“. Rudolf Steiner schrieb 1894 „frei ist nur der Mensch, insofern er in jedem Augenblicke seines Lebens sich selbst zu folgen in der Lage ist“.
Wie erringt man sich Freiheit? Was ist eine freie Handlung? Wie wirkt sich diese auf andere und auf die Gesellschaft aus? Wie weit darf Selbstbestimmung gehen, zum Beispiel beim Auswählen des eigenen Todeszeitpunktes? Was ist Erziehung zur Freiheit? Weiterlesen „Freiheitsfragen“
Interview mit Dr. med. Wolfgang Rißmann, Psychiater
Immer mehr Menschen sind heute von einer emotionalen und körperlichen Erschöpfung bedroht. Waren es vor einigen Jahrzehnten vor allem diejenigen, die in einem sozialen Beruf arbeiteten, leiden heute alle Personengruppen an einer Überlastung, die zu einem Burnout-Syndrom führen kann.
Die Menschen sind in ihrem Ich-Gefühl unsicher und zu stark außen orientiert. Es ist der moderne Mensch, anthroposophisch gesprochen die Bewusstseinsseelenentwicklung, der immer mehr auf sich selbst gestellt, aber noch hilflos ist, sich selber zu gestalten und deswegen wie „herausgesaugt oder –gepresst“ wird in die Welt. Er weiß nicht, wie er aus sich heraus die Kraft finden soll, sich selber zu definieren und mit sich umzugehen. In diesem Sinne ist ein Burnout-Syndrom eine Chance, das für sich zu finden. Weiterlesen „Burnout“
Perspektiven und Praxis aus Sufitum, Anthroposophie und moderner Herzforschung
Interview mit Dr. Seyed Mostafa Azmayesh, Sufimeister, und Markus Peters, Arzt
Mystische Traditionen und moderne wissenschaftliche Erkenntnisse kommen zu gleichen Ergebnissen. Das Herz ist das Zentralorgan, welches eine wesentliche Rolle in der Salutogenese spielt und darüber hinaus in seiner tiefsten Dimension einen Zugang zum Schöpferischen, zum Übersinnlichen bereithält.
Das Interview ist ein Vorausblick auf die gleichnamige Veranstaltung, die am Freitag, 7. Februar um 19.00 im Rudolf Steiner Haus stattfinden wird. Weiterlesen „Herzensweisheiten“
„Sollten nicht endlich uns diese ältesten Schmerzen fruchtbarer werden?“ (Rilke Duineser Elegien)
Martin Straube, geb. 1955, anthroposophischer Arzt in Fischerhude und in Hamburg (Institut Diogenes). Mitarbeiter der Carus-Akademie. Vorstand in der Thylmann-Gesellschaft und zuständig für die Patientenakademie. Seit vielen Jahren Referent in der Fort- und Weiterbildung für Ärzte, Apotheker, Heilpraktiker und Kunsttherapeuten. Autor von Büchern und zahlreichen Aufsätzen. Vortragsredner in Hamburg. Weiterlesen „Das Trauma I und II“
Notfallpädagogik in Kriegs- und Katastrophenregionen
Interview mit Bernd Ruf
Täglich werden Millionen von Kindern und Jugendlichen Opfer von Gewalt, Misshandlungen, Krieg, Vertreibung oder Naturkatastrophen. Was sie erleben, ist nahezu unbeschreiblich. Fast alle werden mit ihren Erfahrungen und Erinnerungen alleine gelassen. Wie können diese Wunden heilen?
Notfallpädagogik versucht traumatisierten Kindern in Kriegs- und Katastrophengebieten mit Methoden der Waldorfpädagogik bei der Verarbeitung ihrer traumatischen Erlebnisse zu helfen, damit sie nicht für ihr weiteres Leben schwere Störungen erleiden und wieder selbst zu Tätern werden. Weiterlesen „Erste Hilfe für die Seele“
Interviews mit Dr. med. Helmut Kirschner, Dr. med. Nicola Herion, Jörgen Day, Pfarrer
„Wollen Sie OrganspenderIn sein?“ Das wird uns unsere Krankenkasse in diesem Jahr zum ersten Mal fragen. Auch in den Medien ist die Organspende aktuelles Thema. So aus dem Bauch heraus hat jede/r schon eine Antwort gefunden. Aber sind wir wirklich gut informiert? Sind uns die verschiedenen Blickrichtungen des Themas bekannt?
„Organspende – wie entscheide ich mich? Medizinische, ethische und juristische Kriterien“ lautet der Titel einer Veranstaltung am 17. November im Rudolf Steiner Haus. Gespräche mit den drei Interviewpartnern zeigen verschiedene Blickrichtungen auf das Thema. Weiterlesen „Organspende“
Multitasking, Stress, nicht endende Anforderungen, Angst – das führt in unserer westlichen Welt immer mehr zu Herzerkrankungen.
Ist man vielleicht deshalb genötigt, sich mit dem Herzen zu beschäftigen, stößt man auf bahnbrechende Ergebnisse in der Wissenschaft, die über die persönliche Gesundung hinausführen. Beispielsweise reagiert das Herz auf Ereignisse, die erst in der Zukunft stattfinden. Das Herz wirkt weit über den eigenen Körper hinaus, es nimmt die Herzfrequenzen anderer Menschen wahr und auch die Veränderungen im Erdmagnetfeld. Durch bestimmte Übungen kann man das Herz und das emotionale Erleben beeinflussen und damit wirkt man auch verändernd auf die Umgebung. Weiterlesen „Mit dem Herzen sehen lernen“
Zusammenfassung eines Vortrages von Martin Straube, Arzt
Zu einem besseren Verständnis dieses Vortrages dienen die Gemälde, wie sie in der pdf-Ausgabe im Archiv zu sehen sind.
Es ist nicht leicht, sich selber in den Blick zu nehmen. Der Weg der Selbstreflexion steht in dem Spannungsfeld von zu viel Selbstkritik einerseits oder Selbstverliebtheit anderseits. Manches, was wir über uns ahnen, ist schwer in Worte zu kleiden, aber es ist leichter in Bildern zum Ausdruck zu bringen. So sind die Selbstbildnisse in der Kunst Reflexionen über das Bild, das der Künstler von sich selber hat. Weiterlesen „Die Suche nach dem eigenen Ich, Teil I und II“
Das Schicksal der Kriegskinder des Zweiten Weltkriegs
Interview mit Dr. med. Helga Spranger
Kriege verwunden – auch seelisch. Seit einigen Jahren dringt immer mehr an die Öffentlichkeit, was die damaligen Kinder im zweiten Weltkrieg erlebt haben und unter welchen Spätfolgen sie heute als ältere Menschen leiden. Viele erinnern sich erst jetzt an die lebensbedrohlichen Erfahrungen von damals. Oft bleiben solche seelischen Kriegstraumatisierungen über Jahre unbewusst, sind aber doch wirksam und lösen seelische Schäden oder psychosomatische Krankheitsbilder aus. Die Lebensgestaltung eines so traumatisierten Menschen bleibt durch die Kriegserlebnisse geprägt und kann an die nächste und übernächste Generation “vererbt“ werden. Die neue Sensibilisierung für das Thema ist eine Gelegenheit zur Verständigung zwischen den Generationen, damit aus dieser „stummen Krankheit“ (Spranger) heilende Konsequenzen gezogen werden können, sowohl auf einer individuellen als auch auf einer gesellschaftlichen Ebene. Weiterlesen „… jetzt schaffen sie es, darüber zu sprechen“
Nachhaltiges Konfliktmanagement durch metanoische Mediation
Zusammenfassung eines Vortrages von Prof. Dr. Friedrich Glasl
Manche Konflikte lösen sich von alleine durch eine vernünftige Vereinbarung. Wenn der Streit aber eskaliert ist und die Betroffenen weiterhin in einer Beziehung miteinander bleiben, muss noch zusätzlich etwas getan werden. Wie kann man beiden Parteien aus ihrem schwarz-weiß-Denken dem andern gegenüber heraushelfen, so dass sie ihren verengten Blick wieder weiten können? Wie können sie sogar selbst mitfühlen, was sie dem anderen an Leid angetan haben? Ist das erreicht, haben sie eine tiefgehende Wandlung durchgemacht, die auch für die Beziehung eine nachhaltige Grundlage schafft. Weiterlesen „Wie Konflikt zur Wandlung führt“
Was macht heute eine gute Beziehung zwischen Mann und Frau aus? Was ist eigentlich Menschlichkeit und welche Rolle spielt die Liebe dabei? Inwiefern ist dieses Mann-Frau-Spannungsfeld (un-)geeignet, Menschlichkeit zu entwickeln? Diese Fragen gehören zu den wichtigsten Themen unserer Zeit, und Michaela Glöckler beleuchtete sie in ihrem Vortrag unter verschiedenen Gesichtspunkten. Vor allem ging sie dabei auf die konstitutionellen Unterschiede zwischen Mann und Frau, auf heute wichtige Beziehungsqualitäten und die spirituellen Dimensionen ein. Weiterlesen „Mann und Frau, Liebe – Macht und Ohnmacht Teil I und II“
Beiträge von Cornelia Schrader, Brigitte Olle, Michaela Mayer
Maria Magdalena ist eine Frau im Evangelium, die gerade in der Osterzeit besonders bedeutungsvoll ist. Aber auch unabhängig davon ist auf sie, die vor der Begegnung mit Jesus Christus nach manchen Aussagen eine Prostituierte gewesen sein soll, ein starkes Interesse gerichtet. In Romanen, in esoterischer Literatur, in einem Kinofilm wird ihr Verhältnis zu Jesus Christus als erotisches, sogar sexuelles Verhältnis ausgelegt. Wer war diese Frau? Welche Verwandlungen hat sie in ihrer Biografie vollzogen? Findet sie so sehr unsere Beachtung, weil sie eine weibliche Komponente in das Christentum einbringt? Das alles sind Fragen, die nicht nur durch Wissen alleine beantwortet werden können. Weiterlesen „Maria Magdalena“
Interview über Sexualkundeunterricht mit Dr. med. Christine Klemm, Simone Hoffmann, Dr. med. Jost Deerberg
In unserer aufgeklärten Kultur werden wir von den Medien mit Informationen zum Thema Sexualität überhäuft, aber die Frage ist: Wie lebensgemäß sind diese für junge Menschen? Gerade weil es so viele Vorlagen gibt, ist es schwer, das angemessene Wissen für sich zu finden und die Intimsphäre selbst zu gestalten.
Die drei ÄrztInnen geben Unterricht, zu zweit oder alleine, in Beziehungs- und Sexualkunde in einigen Waldorfschulen. Immer wieder wird die Bitte an die drei ÄrztInnen herangetragen, Themen aus dem Umkreis der Sexualität im Unterricht zu vertreten. Dabei geht es nicht nur um sachliche Informationen, sondern auch darum, die Schüler und Schülerinnen auf ihrem Weg in eine individuelle Intimsphäre zu unterstützen.
Interviewpartner:
Dr. med. Christine Klemm, geb. 1971, Ärztin, derzeit in Elternzeit, ehem. Waldorfschülerin, 3 Kinder; arbeitet in der Hamburger Beratungsstelle der „Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD)“; beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema Sexualität und gibt seit 3 Jahren dazu in den Waldorfschulen Unterricht; seit 10 Jahren u.a. Dozentin für Gynäkologie in der Ausbildung für Physiotherapie.
Simone Hoffmann, Ärztin, geb. 1974, 2 Kinder. Autorin und Medizinjournalistin, jetzt halbtags Frauenärztin in der Praxisklinik Barmbek (konventionelle und anthroposophisch erweiterte Medizin). Außerdem Wissenschaftlerin am Institut für Sexualwissenschaft, UKE. Unterricht in Rudolf Steiner Schulen zum Thema Sexualität, Weiblichkeit, Schwangerschaft und Geburt.
Dr. med. Jost Christian Deerberg, geb. 1969, 1 Kind und zwei Zweittöchter, seit 2005 niedergelassener Kinderarzt in privater Praxis in Altona/Ottensen. Ebenfalls seit 2005 Schul- und Kindergartenarzt in den Rudolf-Steiner Schulen Altona und Wandsbek. Dozent in der berufsbegleitenden Ausbildung zum Heilpädagogen. Vortragstätigkeit.
Christine Pflug: Von wem werden Sie eingeladen, und wie gestaltet sich der äußere Rahmen Ihres Unterrichtes?
Simone Hoffmann: Bisher verläuft das noch ungeordnet. Wir arbeiten zur Zeit an einem Vorschlag für ein Konzept – denn bisher ist das Thema „Sexualität“ an den Waldorfschulen nicht verankert. Irgendwo entsteht der Bedarf an professioneller Aufklärungsarbeit in einer Klasse. Und dann werden wir angesprochen. Je nach Fragestellung kommen wir dann zu zweit oder auch alleine.
Dr. med. Jost Christian Deerberg: Der Ablauf ist normalerweise so, dass von Lehrer, Eltern oder Schülern der Impuls ausgeht, bestimmte Aspekte der Sexualität zu thematisieren. Dann werden wir als Ärzte angesprochen. Meistens findet zunächst ein Elternabend statt, dann wird der Unterricht geplant. Mehr als 2 – 4 Unterrichtsstunden haben wir leider selten.
Simone Hoffmann: Wenn wir dann als Mann und Frau in den Unterricht kommen, können wir uns aufteilen: Zuerst schauen wir uns gemeinsam das Allgemeine an, und dann trennen wir nach Jungen und Mädchen, um spezielle Fragen zu besprechen, die dann oft auch sehr schnell persönlich und individuell werden. Ich bin nicht dafür, so etwas wie den weiblichen Zyklus nur mit den Mädchen zu besprechen: Das geht alle etwas an. Aber die Qualität, die Gespräche bekommen, die Dringlichkeiten, sind anders, wenn man nur die Jungs oder nur die Mädchen unterrichtet.
der Umgang mit den sich verändernden Körpern ist eine echte Herausforderung
C. P.: Warum werden Sie in eine Klasse gerufen?
Dr. med. Christine Klemm: Von den Eltern kommen Fragen über das soziale Miteinander zwischen Mädchen und Jungen in der Pubertät, aber auch Konkurrenzsituationen von Mädchen untereinander werden mit Sorge gesehen. Der Umgang mit den sich verändernden Körpern ist eine echte Herausforderung; manchen Jugendlichen gelingt das gut und sie wirken sehr souverän, für andere wiederum ist dies (noch) gar kein Thema, einigen fällt es sichtlich schwer. Möglicherweise sorgen sich besonders Mädcheneltern um sich entwickelnde Magersucht.
J. Deerberg: Werden wir „gerufen“, geht es im Prinzip um sexuelle Aufklärung. Einmal wurde ich beispielsweise vor der Klassenreise der 8. Klasse, also für Schüler im Alter von 14 – 15 Jahren, gebeten noch schnell den Schülern zu erklären, wie „gefährlich“ sexueller Kontakt ist, d. h. dass Sex zu Schwangerschaften führen kann und wie man verhüten soll. Das war vor allem ein Anliegen der Eltern.
C. P.: Welche Fragen stellen Ihnen die Schülerinnen und Schüler?
C. Klemm: Sie haben Fragen zu vielen Themen: Schwangerschaft und Geburt; HIV, Verhütung, warum Zwillinge gleich aussehen, ob sie an verschiedenen Tagen geboren werden können etc. Es werden manchmal sensationelle oder auch verrückte Sachen gefragt – einfach, weil jemand Kompetentes da ist, der das beantworten kann. Das Interesse an der Entwicklung menschlichen Lebens ist riesengroß.
J. Deerberg: Angst ist ein großes Thema, z.B. die Angst vor einer Schwangerschaft (die ja meistens erstmal die Angst der Eltern ist). Da stößt man gleich auf ein Paradoxon, mit dem wir es zu tun haben: Wir sprechen von etwas Wunderschönem, von dem wir alle abstammen und was elementar wichtig ist und auf der anderen Seite mit großen Ängsten belegt ist.
S. Hoffmann: Solche Ängste sind ja einerseits traurig, aber eben auch berechtigt. Ich erlebe in meiner Praxis monatlich zwei bis vier unter 15 Jahre alte Mädchen, die schwanger sind. Und eigentlich alle entscheiden sich für einen Schwangerschaftsabbruch. Früh ausgelebte Sexualität ist in unserer Zeit sehr präsent – aber die mögliche Folge, nämlich als Jugendliche Mutter zu werden, ist in unserer Gesellschaft ein großes Stigma, das vom Umfeld in der Regel nicht getragen wird. Die vielen Teenagerschwangerschaften machen auch deutlich, dass übliche Aufklärungsmedien, z. B. die „Bravo“, auch viele Elternhäuser, entscheidende Dinge oft nicht vermitteln können.
Sicherheit auf Rezept statt Vertrauen und Information
Ich erlebe in meiner Mädchensprechstunde viele Mütter, die mit ihrer Tochter nach dem 13. Geburtstag zum Frauenarzt geben, um ihr die Pille verschreiben lassen, egal ob die Tochter überhaupt schon sexuelle Kontakte hat. Also: Sicherheit auf Rezept statt Vertrauen und Information. Das halte ich auch für dramatisch und einen wichtigen Grund für unseren Unterricht.
C. P.: Sind die Schüler der 8. Klasse nicht aufgeklärt?
die Zahl der Teenagerschwangerschaften steigt stark an
Dr. Christine Klemm: Sie sind technisch aufgeklärt darüber, wie es zur Schwangerschaft kommt. Das reicht aber nicht immer, um im konkreten Fall das theoretische Wissen über Verhütung in die Tat umzusetzen – schließlich geht es ja bei einer ersten intimen Begegnung um besonders aufregende Empfindungen und nicht in erster Linie um einen technischen Vorgang. Gerade weil Sexualität in den Medien eine so große Rolle spielt, haben Jugendliche (und Erwachsene oft nicht anders!) ein Gefühl, wie „es sein muss“, und das ist eine Belastung. Die Verhütung macht alles noch komplizierter, und trotzdem sind es nur 12% der Mädchen und 15% der Jungen, die beim ersten Mal gar nicht verhüten (BZgA, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung). Die meisten Jugendlichen gehen verantwortungsbewusst mit ihrer Sexualität um, doch steigt die Zahl der Teenagerschwangerschaften laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BZgA stark an.
J. Deerberg: Die Schüler kennen alles – wirklich alles – über die sogenannte Straßenaufklärung. Das geht von Mund zu Mund. Sie kennen jedes Jargonwort, aber haben kein inneres Erleben von dem sie sprechen, und es verschafft ihnen auch keinen Zugang zur Sexualität. Noch weniger verschafft es ihnen einen Zugang zu Partnerschaft und Beziehung … . Meistens sind die Kinder und Jugendlichen noch nicht von einer kompetenten Person „aufgeklärt worden“, also ohne Hemmungen mit diesem Thema konfrontiert worden – und dieses Thema ist eben viel größer – als „nur“ Sexualität.
C. P.: Auf welchem Wertehintergund sehen nach Ihrer Wahrnehmung die Jugendlichen das Thema Sexualität und Schwangerschaft?
J. Deerberg: Die letzte Shell-Studie von 2006 besagt, dass die Werte der Jugend sehr moralisch, bis hin zu konservativ sind: Wenn man zum ersten Mal mit jemand schläft, will man ihn lieben und mit ihm in einer guten und festen Beziehung stehen.
C. Klemm: Wenn man sie fragt, wollen sie später fast alle Kinder haben. Doch besonders für Frauen scheint dieser Wunsch nach Ausbildung und ersten Berufsjahren nicht so einfach zu verwirklichen zu sein – ein Fünftel der heute 40-49jährigen Frauen hat keine Kinder, bei Akademikerinnen in Westdeutschland sind es sogar 42%. Es passiert da also etwas auf dem Weg in die Erwachsenenzeit. Mir ist wichtig, Aufklärung so zu vermitteln, dass sie einerseits vor ungewollten Schwangerschaften bewahrt. Andererseits ist es schade, wenn sie so ins Blut übergeht, dass dann auch später Kinder eher als Gefahr, nicht als Bereicherung für die Biographie erlebt werden und der Mut sinkt, Elternschaft und die individuelle Entwicklung miteinander vereinen zu können. Die Frage ist doch: Wie kann ich selbst gestalten, wann, mit wem und unter welchen Umständen ich Kinder bekommen will?
S. Hoffmann: Genau. Und dazu gehört auch, zu vermitteln, dass Kinder bekommen ein Geheimnis ist, dass man nur bedingt planen kann. Jedes siebte Paar bleibt ungewollt kinderlos. Heute ist nur jede dritte Schwangerschaft, die in Deutschland entsteht, geplant. Kinder kann man nicht „machen“ – das ist vielen nicht bewusst.
C. P.: Ist Ihr Unterricht offiziell im Lehrplan enthalten?
nur 24 % der Männer vor dem 25 Lebensjahr ziehen aus dem Elternhaus aus
J. Deerberg: Es geht uns momentan darum, dass für jede Schule ein Konzept erarbeitet wird, bei dem die Lehrer dahinter stehen, mit der Unterstützung der Eltern. Aber es gibt noch kein allgemeines Konzept, wir schaffen mit unserer Unterrichtspraxis die Anfänge eines Bewusstseinsprozesses, der alle betrifft: Lehrer, Eltern und Schüler. Unser Unterricht ist häufig in die Biologie- und Menschenkundeepochen integriert. Meine Meinung ist, den Unterricht nicht „Sexualkunde“ zu nennen, sondern „Beziehungskunde“. Sexualität ist ein spezielles Phänomen der Beziehung zwischen zwei Menschen. Man muss mit den jungen Menschen ganz stark an der Beziehungsseite lernen und üben. So fordert, wie eben schon einmal erwähnt, Prof. Dr. Klaus Hurrelmann, der Soziologe in Bielefeld, eine Lebenskunde an Schulen. Prof. Hurrelmann bezieht sich auf die Tatsache, daß nur 24 % der Männer vor dem 25 Lebensjahr aus dem Elternhaus ausziehen!!
C. P.: Wie wird der Sexualkundeunterricht an Staatschulen gemacht?
S. Hoffmann: Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung stellt Material zur Aufklärung zur Verfügung, das man sich im Internet bestellen kann. Das am häufigsten verwendete Instrument ist der sog. Verhütungskoffer, in dem verschiedenste Verhütungsmittel enthalten sind. Beispielsweise gibt es darin Kondome, und jeder darf dann mal ein Kondom aufrollen über einen Holzstab. Das ist auch nicht verkehrt, und die Schüler sind trotz Gekicher froh, das einmal erklärt zu bekommen. Aus meiner Praxis weiß ich, dass viele das nicht wissen.
Das Wissen ist zwar zugänglich, aber es wird sehr selektiv wahrgenommen
C. P.: Es ist doch erstaunlich, was in unserer mit Informationen beladenen Welt alles nicht gewusst wird!?
S. Hoffmann: Das sind Punkte, die können einem regelrecht weh tun: Das Wissen ist zwar zugänglich, aber es wird sehr selektiv wahrgenommen. Was fast alle Leute – jung wie alt – wissen z. B., wie häufig Männer und Frauen miteinander schlafen, wie alt man im Durchschnitt beim ersten Mal ist, wie man sich richtig die Schamhaare rasiert usw. Diese „Leistungsmerkmale“ werden stark wahrgenommen und sind auch präsent – aber denen entspricht kaum ein Jugendlicher und auch kein Erwachsener.
Deshalb frage ich mich, ob man unseren Unterricht nicht doch Sexualkunde nennen muss: Beziehung ist ein großes Thema und wird auch im Deutschunterricht usw. behandelt. Aber da gibt es bisher einen Bruch: Ein pädagogischer Zugang über diese bestimmte Beziehung, die wir „Sexualität“ nennen und die für Biographien zentral ist – z. B. gäbe es uns nicht, wenn unsere Eltern diese bestimmte Beziehung nicht vor Jahren eingegangen wären –, wird bisher kaum als schulische Aufgabe angenommen.
J. Deerberg: Mein Anliegen ist, dass man dieses Thema – und jetzt zitiere ich Christian Breme – nicht von „unten nach oben“, sondern von „oben nach unten“ vermittelt. Von unten nach oben wäre, dass man auf der technischen Ebene von Sexualität schaut, wie die Mechanik und die Biologie funktioniert und wie man auf dieser Ebene verhüten kann. So arbeitet hauptsächlich Pro Familia; sie verlieren den Beziehungsaspekt nicht aus dem Blick, aber der Schwerpunkt liegt auf den Techniken und auf dem Vermitteln von Wissen. Es gibt Studien darüber, dass nach 30 Jahren Aufklärungsunterricht in Deutschland, also nach den 70-er Jahren das Wissen der Jugendlichen danach stagnierte: 20% haben ein abrufbares Wissen und die restlichen 80% wissen immer noch nicht, wann eine Frau fruchtbar ist, wie man Kinder gebärt etc. Deshalb finde ich, dass dieses Prinzip „von oben nach unten“ bei dem Thema „Beziehung“ beginnt und dann zu dem Spezialfeld Sexualität kommt.
Wenn wir in die Schulen kommen, ist das frühestens in der 5. Klasse, also bei 11-jährigen, und die Schüler sind mit einer erwachenden Sexualität konfrontiert. Auch in der 8. Klasse haben die meisten noch keine sexuellen Erfahrungen. Man ist also immer noch in dem Bereich: Wie kommt es überhaupt zu so einer Begegnung? Erst wenn das im Ansatz geklärt ist und z. B. die Besonderheiten von Frau und Mann, auch im Seelischen, angesprochen sind und ein Staunen im Raum entstanden ist, lassen sich die Details begründet über Anatomie, Physiologie, wie z.B. den weiblichen Zyklus und Hormone vermitteln.
C. P.: Wir haben in den letzten Jahrzehnten enorme Umschwünge in den moralischen Werten in Bezug auf Sexualität erlebt. Noch bis in die Nachkriegszeit bekam man als Mädchen von den Eltern vermittelt, man müsse als Jungfrau in die Ehe gehen, ab den 68-ern gab es dann Parolen wie „Wer zweimal mit der Selben pennt, gehört schon zum Establishment“. Ab den 80-ern tauchte AIDS auf, und dieser liberale Umgang wurde eingeschränkt, aus Angst vor Ansteckung. Wie kommen die Jugendlichen heute zu ihren Werten?
Die SchülerInnen haben einen inneren Zugang zu dem, was falsch oder richtig sein könnte
S. Hoffmann: Ich habe eine Situation erlebt, die mich sehr berührt hat. In der 12. Klasse habe ich über verschiedene Arten, geboren zu werden erzählt, auch darüber, wie Kinder mit einem geplanten Kaiserschnitt zur Welt kommen. Es ging dann schnell um die Frage: Wer legt dafür eigentlich den Termin fest? Es hat die Schüler sehr bewegt und empört, dass ein Krankenhaus so einen Termin einfach nach organisatorischen Gesichtspunkten plant, anstatt danach zu fragen: Wann ist eigentlich für dieses Kind der richtige Moment, um geboren zu werden? In solchen Momenten spürt man: Die SchülerInnen haben einen inneren Zugang zu dem, was falsch oder richtig sein könnte. In solchen Momenten werden dann auch Werte formuliert, die etwas ganz Großes haben und weit über die eigentlich besprochene Situation hinaus gehen. Es geht nicht um Werte wie „kein Sex vor der Ehe“, sondern darum, was Liebe ist, was Menschsein bedeutet und wie man dies mit Leben füllen kann. Und natürlich geht man aus solchen Unterrichtsstunden ganz anders heraus, als man hinein gegangen ist: sehr dankbar, sehr beglückt. Denn diese Sicherheit muss man sich ja sonst immer wieder erarbeiten – und hier kriegt man sie einfach geschenkt.
J. Deerberg: Die Statistiken besagen, auch bei den Erwachsenen, dass die Deutschen immer die Familie an erste Stelle setzen. Das sind die gleichen Deutschen, die sich dann zu 50% scheiden lassen. Darin steckt schon die Antwort: Die Jugendlichen spüren diese Ideale immer mehr, aber nicht weil sie gegeben sind, sondern weil sie fehlen. So wie wir uns nach Familie sehnen, nach Sicherheit, Geborgenheit und Liebe, aber keiner weiß, wie man das erreichen kann – wir müssen das Feld vollständig neu entwickeln.
In den 68-ern wollte man sich von dem Muff der Traditionen befreien. Es wäre schön, wenn man den Jugendlichen heute dabei helfen könnte, aus ihren Idealen heraus ihren Lebensweg zu finden und nicht dem Druck zu erliegen, dass man beispielsweise mit 15 Jahren entjungfert sein muss. Heute stehen wir kulturell mit der Sexualität in einem Gleichmaß zwischen Euphorie und Depression – die sexuelle Revolution der 68’er ist vorbei und die Panik vor AIDS ist abgeflaut und einer nüchternen Betrachtung der Gefahren gewichen. Und somit haben wir die Möglichkeit einen eigenen Weg zu finden.
C. P.: Was ist Ihnen selbst ein Anliegen in Ihrem Unterricht?
S. Hoffmann: Als ich nach einem zentralen Bild gesucht habe, was mir für diesen Unterricht wichtig ist, fielen mir die 12- bis 14-jährigen Mädchen ein, die von ihren Müttern zur Frauenärztin gebracht werden. Normalerweise – ich handhabe das etwas anders – kommt dann gleich die erste gynäkologische Untersuchung und dann das Pillenrezept. Ab dann werden sie alle 6 Monate zur „Kontrolle“ einbestellt. Es entsteht eine Selbstverständlichkeit, dass die Sexualität, die Fruchtbarkeit und die intimen weiblichen Organe pharmakologisch – also durch die Pille – reguliert werden müssen, dass sie kontrollbedürftig sind und immer wieder von Ärzten unter die Lupe genommen werden müssen.
Dem möchte ich rechtzeitig etwas entgegen setzen: Freude und Sicherheit mit dem eigenen Körper, Langsamkeit und Entdeckerfreude in intimen Beziehungen. Wissen, auf das man vertrauen kann, statt Gefahren, die drohen. Genug innere Wachheit, um im Guten miteinander zu schlafen…
C. Klemm: Die Jugendlichen sind in diesen Momenten, das eigene Leben zu gestalten, sehr alleine. Es gibt so viele Freiheiten und man weiß nicht wohin. Der Ansatz der Feministinnen, sich mit dem eigenen Körper auszukennen und ein Wissen über ihn zu haben, ist heute verloren. Es geht nicht mehr darum, den eigenen Körper kennen zu lernen, um mit ihm als Werkzeug, so wie er eben ist, das Leben zu gestalten und auch anderen Menschen zu begegnen bis hin zur Sexualität. Im Gegenteil sieht es für viele junge Menschen heute eher so aus, dass der Körper, so wie er ist, korrigierungsbedürftig ist, eben nach den Vorlagen aus Film, Fernsehen, Zeitschriften, Internet. Jeden Tag in der Hamburger U-Bahn kann man Werbung dafür sehen, den Körper der jeweils aktuellen Norm entsprechend zu verändern, von der Komplettkörperenthaarung bis hin zur Chirurgie der weiblichen Geschlechtsorgane (z.B. Beschneiden der inneren Schamlippen, die oft unterschiedlich „lang“ sind). Die Hochachtung vor dem Körper als „Tempel Gottes“ und damit die Sicherheit, richtig zu sein, so wie man ist, ist vielen Menschen ganz verloren gegangen. Wir leben in einer sehr visuell betonten Kultur. Gerade in der Sexualität geht es aber auch um andere, letztlich um alle Sinne, nicht nur darum „wie sieht es, wie sehe ich, aus?“
die Fixierung auf das Visuelle und der Wunsch, körperlich Normen zu entsprechen, will ich mit den Schülern gemeinsam kritisch ansehen
Als Menschen machen wir die Reise der Menschheitsentwicklung im Kleinen noch einmal. In der Pubertät wird die Begegnung dringend gesucht, als erwachendes Weltinteresse und natürlich auch mit anderen Menschen, auch mit dem anderen Geschlecht. So gibt Rudolf Steiner für dieses Lebensalter z. B. an, dass ein spannender Unterricht, der die Lust der Jugendlichen auf die Welt weiter fördert und befriedigt, vor zu starkem und zu frühen Eintauchen in das erotische Erleben bewahren kann. Für den Lebensweg, für Arbeit und für die Begegnung mit anderen Menschen brauchen wir alle Sinne, nicht nur das Auge. Das „Wie sehe ich aus?“ und die Konzentration auf alles Visuelle ist heute für viele Menschen eine echte Hürde, die Welt und andere Menschen auch mit anderen Sinnen zu begegnen und dadurch eine umfassendere und tief befriedigende Empfindung zu bekommen, sei es in der Sexualität, in Beziehungen, bei der Arbeit etc…. Für den „Sexualkunde“- oder Lebenskundeunterricht halte ich es daher für wichtig, die Fixierung auf das Visuelle und den Wunsch, körperlich Normen zu entsprechen, mit den Schülern gemeinsam kritisch anzusehen.
Die Schüler sind dann oft sehr offen für das Wunderbare, das sich auch im Körperlichen des Menschen, in der Entwicklung zeigt.
J. Deerberg: Mir ist ein Anliegen eine Stimmung zu schaffen, die den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit gibt mit ganz neuen Augen auf dieses Thema menschlicher Beziehungen zu schauen: So könnte – ein Gedanke von Henning Köhler aufgegriffen – der oben erwähnte Bewusstseinsprozeß dazu führen, Sexualität und Liebe als eine Kraft zu erleben, die zwei Menschen miteinander verbindet, die sie erfahren dürfen, die sie teilen – und jetzt kommt das Neue: durch welche sie sich selbst ein Stück näherkommen, d. h. ihrem wahren Ich! Das ist ein revolutionärer Gedanke, den Henning Köhler etwa so formuliert: „Du bist das Subjekt meiner Liebe“ – und nicht das Objekt – und ich ergänze!
Literatur:
Simone Hoffmann: Verhütung, Zyklus, Kinderwunsch; Knauer, Mens sana 2007. 6,95 im Buchhandel
Bart Maris Buch über Sexualkunde in der Waldpädagogik; Hrsg. Bart Maris/ Michael Zech: 1. Aufl. 2006 in Edition Waldorfschulen
Henning Köhler: „Eros als Qualität des Verstehens – über das erotische Erwachen im Jugendalter und den gemeinsamen Ursprung von Kreativität und Zärtlichkeit“ FIU-Verlag 1998
Christian Breme: siehe die Homepage von C. Breme unter www.ikaros.cc.
Merkblätter zur Pille etc. unter www.gaed.de und genau unter www.gaed.de/fileadmin/gaad/PDF/Aktuelles/Merkbl%C3%A4tter/Merkblatt-Pille.pdf
Prof. Dr. Klaus Hurrelmann: Hamburger Abendblatt vom 3.1.2009:
Shell Jugendstudie 2006 im Fischer Taschenbuch Verlag oder unter www.shell.de/jugendstudie
Interview mit Jörgen Day, Pfarrer der Christengemeinschaft
Alzheimer und Demenz nehmen epidemisch zu. Auch wenn uns das Thema unangenehm ist und Angst macht, kommen wir nicht darum, uns damit zu beschäftigen. Selbst wenn man nicht vor der überfordernden Aufgabe steht, einen Angehörigen zu pflegen, so sollte man sich vielleicht präventiv mit dem Thema beschäftigen. Denn dass diese Krankheit zunimmt, hängt mit kulturellen Faktoren unserer heutigen Zeit zusammen. So wie der Abbau des Gehirns bei Alzheimer in gewisser Sicht eine „Verholzung“ ist, kann man durch die eigene Lebensführung solche verholzenden Tendenzen verstärken oder ihnen entgegenwirken. Weiterlesen „„Das Ich lebt nur noch im Umkreis des Leibes““
Zusammenfassung eines Vortrages von Dr. med. Olaf Koob
Angst ist ein Gefühl, das heute in unserer westlichen Kultur in verschiedenen Bereichen auftaucht. Sie kann gesellschaftliche oder persönliche Ursachenhaben. Die Anlässe sind vielschichtig: politische Ereignisse und die Auseinandersetzung mit Zerstörung können Auslöser sein. Oft steht das Ohnmachtsgefühl dahinter, die Dinge nicht mehr in den Griff zu bekommen, und letztlich gibt es auch leibliche Ursachen für die Angst.
Scham gehört in polarer Weise zur Angst dazu. Scham entsteht, wenn der Mensch zu einer Individualität wird und aus der Harmonie mit den anderen heraustritt. Angst und Scham können in einer pathologischen und in einer gesunden Funktion auftreten.
In der Auseinandersetzung mit der Angst kann und soll der Mensch das Böse, „die Widersachermächte“, verwandeln. Das ist die Signatur für die der Zukunft und die eigentliche Aufgabe der Angst. Weiterlesen „„Angst und Scham – zur Psychopathologie der Gegenwart““
Unterstützung für Menschen in Schwangerschaften – die Novalis-Stiftung von 2001
Interview mit Anna von Oertzen, Barbara Herling, Tobias Langer
Immer wieder kommen Schwangere und ihre Partner in seelische oder wirtschaftliche Notsituationen. In den Räumen der Novalis Stiftung von 2001 können sie Hilfe erhalten. Die Mitarbeiter unterstützen mit Beratungsgesprächen. Hat sich die schwangere Frau für das Kind entschieden, wird sie von einer „Patin“ begleitet. Auch wirtschaftliche Hilfen oder Vermittlung zu anderen Institutionen, Kurse, Publikationen sorgen dafür, dass das ungeborene Kind und die Mutter entlastet werden und dass ein gesellschaftliches Milieu entsteht, in dem Kinder willkommen sind. Weiterlesen „„Wo Kinder sind, da ist ein goldenes Zeitalter““
Interview über Jungenpädagogik mit Ulrich Meier, Pfarrer der Christengemeinschaft
„Jungen brauchen eine andere Pädagogik als Mädchen“ – diese Erkenntnis wird in den letzten Jahren immer populärer. Etwa seit 1990 ist bemerkt worden, dass Jungen in ihrer Kindheit und Jugend nicht nur mehr Schwierigkeiten machen, sondern sie auch haben. Alle Störungen, die ein Kind in der Zeit des Heranwachsens haben kann, sind bei Jungen bis zu zehnmal häufiger vertreten als bei Mädchen – was Eltern und Pädagogen häufig an den Rand ihrer Fähigkeiten bringt. Doch wie fasst man Jungen anders an? Was steckt dahinter, wenn sie cool, aggressiv, beängstigend sind? Welche Orientierung können sie heute bekommen durch die Welt der erwachsenen Männer, die ebenfalls in einem Umbruch ist? Weiterlesen „Junge sein und Mann werden – Abenteuer oder Katastrophe? (Teil I und II)“
oder: „Der Mensch braucht es, für andere von Bedeutung zu sein“
Zusammenfassung eines Vortrages von Prof. Dr. Dr. Klaus Dörner
Wir stehen das erste Mal in der Menschheitsgeschichte vor der Frage, wie wir mit der wachsenden Gruppe der alten Menschen umgehen werden. Das bisherige System, nämlich Altern in den eigenen vier Wänden oder im Heim, hat etwa 100 Jahre getragen, lässt sich aber nicht fortsetzen. Die gesellschaftliche Entwicklung hat uns heute dahin geführt, dass wir frei und selbstbestimmt leben wollen und uns nicht die Lasten anderer Menschen aufbürden möchten. Scheinbar … . Weiterlesen „„Unsere Gesellschaft altert““